Kategorie: Geschichte

Revolution in Deutschland vor 90 Jahren (Teil II)

Die deutsche Novemberrevolution 1918 war erst der Auftakt für fünf Jahre revolutionärer Erschütterungen. 1918 bis 1923 erlebte Deutschland so viele Massenbewegungen, Streiks, Generalstreiks, Erhebungen, Demon- strationen und bürgerkriegsähnliche Konflikte wie nie zuvor und auch nie mehr danach. In jenen revolutionären Jahren engagierten sich Millionen bisher passiver Arbeiter in einem bislang unvorstellbaren Ausmaß und so schwollen Arbeiterparteien und Gewerkschaften binnen kurzer Zeit stark an.




Zwischen 1918 und 1923 hatte die deutsche Arbeiterklasse mehrfach die Chance in der Hand, die politische und wirtschaftliche Macht zu erobern und eine sozialistische Demokratie auf der Grundlage des Staatseigentums an Produktionsmitteln und demokratisch gebildeter Arbeiterräte und Organe der Massendemokratie aufzubauen. Dass dies nicht gelang, lag gewiss nicht an der mangelnden Kampfbereitschaft der einzelnen Arbeiter, sondern am Versagen bzw. der politischen Unerfahrenheit der Führung der Arbeiterparteien und Gewerkschaften.

Arbeiter- und Soldatenräte

Die Novemberrevolution 1918 beendete den Weltkrieg, zwang den deutschen Kaiser zur Abdankung, fegte das alte System hinweg und brachte die Industriezentren unter die Kontrolle der Arbeiter- und Soldatenräte. Aus der Angst heraus, ihre Macht und ihren Besitz ganz zu verlieren, wie es der herrschenden Klasse in Russland ein Jahr zuvor ergangen war, waren die Unternehmer zu weitreichenden Zugeständnissen an die Arbeiterklasse bereit. Sozialreformen und demokratische Rechte, für die sich Generationen jahrelang eingesetzt hatten, wurden über Nacht verwirklicht. Die Unternehmerverbände stützten sich dabei auf die Spitzen der SPD und der Freien Gewerkschaften (ADGB). Diese bildeten mit ihren Anhängern auf allen Ebenen in den spontan gewählten Räten die Mehrheit und setzten sogleich alles daran, die Räte wieder aufzulösen, noch ehe diese sich und ihre Macht richtig entfalten konnten. Hinter dem Rücken der USPD-Vertreter im Rat der Volksbeauftragen, der im November 1918 gebildeten provisorischen Regierung, verbündete sich die SPD-Spitze mit reaktionären Militärs zum Zwecke der gewaltsamen Niederschlagung der Revolution. Im Dezember beschloss der SPD-beherrschte Reichsrätekongress seine Kastration und übertrug die Macht, die er hätte ausüben können, einer neuen verfassungsgebenden Nationalversammlung, deren Wahl für den 19. Januar 1919 angesetzt wurde.

Die SPD-Führer Ebert, Noske und Scheidemann taten all dies jedoch nach außen hin „im Namen des Sozialismus“ und erweckten den Eindruck, der „Siegeszug des Sozialismus“ sei nicht mehr zu stoppen und daher komme es auf Ruhe, Einheit und Geschlossenheit und – als Krönung der Revolution – ein demokratisch gewähltes Parlament an.

Die Mehrheit der Arbeiterklasse wurde erst damals aktiviert und politisiert und bekam von den Machenschaften der SPD-Führung und ihren Deals mit der Reaktion zunächst wenig mit; so ging die SPD aus der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919 mit 37,9 Prozent als klarer Sieger hervor. Sie errang rund fünfmal so viele Stimmen wie die USPD (7,6%), die sich als linke Abspaltung von der SPD erst 1917 gebildet hatte. Die USPD hatte allerdings ihre Hochburgen in Industriezentren wie Berlin, Halle/Leipzig und dem Ruhrgebiet und bekam Zustrom radikalisierter (ehemaliger) SPD-Mitglieder und Anhänger, während der Zulauf bisher inaktiver Arbeiter in kleineren Orten und Branchen mit weniger Kampftradition wie auch in ländlichen Gebieten vor allem die SPD stärkte.

Gründung der KPD

Aus dem Spartakusbund und anderen linken Gruppen heraus gründete sich Ende 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Zwar hatte der Spartakusbund bis dahin als linke Opposition in der USPD mitgearbeitet, doch angesichts der Halbheiten und Schwankungen der USPD-Führung in der Revolution entschied sich eine Mehrheit für die Loslösung und Gründung einer eigenständigen Partei.

Damit war mitten in der Revolution eine weitere Arbeiterpartei entstanden, die zwar anfänglich eher eine größere Sekte war und wenig Einfluss auf die Entwicklung ausübte, binnen weniger Jahre jedoch zur Massenkraft wurde.
Rückblickend schwärmen heute viele Linke von der alten USPD und der alten KPD: „So etwas brauchen wir heute wieder.“ Doch ein kritischer Rückblick auf jene Zeit zeigt: Die Spaltung der Sozialdemokratie und die Schaffung zweier neuen Parteien war zwangsläufig und notwendig. Spaltung allein ist jedoch kein Selbstzweck und noch keine Lösung, sondern bringt neue Probleme und Herausforderungen mit sich.

Für die revolutionäre Minderheit in der Arbeiterbewegung stellt sich immer die Frage: Wie gewinnen wir die Mehrheit der Bewegung für unsere Ideen? Wie zeigen wir den sozialdemokratischen Arbeitern und Anhängern durch geduldige Überzeugungsarbeit und vor allem durch die praktische Erfahrung in gemeinsamen Kämpfen, dass ihre Interessen bei uns am besten aufgehoben sind?

Die (politisch bewusste und organisierte) Arbeiterklasse strebt instinktiv nach Einheit. Diese Sehnsucht missbrauchten die rechten SPD-Führer immer wieder, indem sie den Eindruck vermittelten, jede spontane Regung von unten gefährde den Weg zum Sozialismus und daher sei disziplinierte Unterordnung das Gebot der Stunde. Die in der Revolution erhobene Forderung nach Sozialisierung der Großindustrie wurde 1919 an verschiedene Kommissionen übertragen und damit auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Aus den kastrierten Räten wurde die Idee der Betriebsräte geboren, die zwar Mitbestimmungsrechte bekommen, aber keinesfalls das kapitalistische Eigentum antasten sollten. Anfang Februar 1920 schoss Polizei in eine USPD-Massendemonstration vor dem Berliner Reichstagsgebäude gehen ein neues Betriebsrätegesetz.

Radikalisierung

1919 bis Anfang 1920 radikalisierte eine riesige Welle von Streiks wie auch die gewaltsame, blutige Niederschlagung der Arbeiterräte und örtlichen Aufstände in den einzelnen Industriezentren die Arbeiterklasse zunehmend; diese Radikalisierung nützte aber nicht der jungen KPD, sondern drückte sich vor allem in einem Zulauf zur USPD aus. Warum?

Es gehört zu den Geburtsfehlern der KPD, dass bei ihrem Gründungsparteitag ultralinke Strömungen die Mehrheit bildeten und sich in wichtigen politischen Abstimmungen durchsetzten. So entschied sich der Kongress gegen die Beteiligung an Parlamentswahlen und gegen eine Arbeit von Kommunisten in den Gewerkschaften. Rosa Luxemburg hatte vor solchen Beschlüssen gewarnt und darauf hingewiesen, dass die Partei zuallererst die Mehrheit der Arbeiterklasse gewinnen müsse und dann den Kampf um die Staatsmacht führen könne.
Eine Folge dieser Beschlüsse war eine Isolation der KPD von den fortgeschrittensten Industriearbeitern, den revolutionären Obleuten, die in wichtigen Großbetrieben in Berlin und anderswo wie auch in den Gewerkschaften verankert waren und 1919 den linken Flügel in der stärker werdenden USPD bildeten. Auch spätere KPD-Führer wie Ernst Thälmann und Clara Zetkin blieben bis 1920 noch in der USPD.

Klassenkämpfe und Gewerkschaften

Ab 1918 erlebten die Klassenkämpfe und mit ihnen die traditionellen freien Gewerkschaften (ADGB, Vorläufer des DGB) einen nie dagewesenen Aufschwung. Die Mitgliedschaft im ADGB stieg von 966.00 im Jahre 1916 explosionsartig an auf 3,34 Millionen im Jahre 1919 und 8,03 Millionen im Jahre 1920. Allein 1919 wurden offiziell 3.682 Streiks mit insgesamt 2,1 Millionen Teilnehmern verzeichnet. Innerhalb der Gewerkschaften verschob sich das politische Gewicht nach links; im Herbst 1919 bekam der linke, von USPD-Mitgliedern angeführte Flügel im Deutschen Metallarbeiterverband DMV (Vorläuferorganisation der IG Metall) eine Mehrheit. All diese Entwicklungen liefen zunächst an der KPD völlig vorbei; sie blieb eine Sekte, wurde vorübergehend sogar verboten und erlitt im Herbst 1919 einen starken Blutverlust durch die Abspaltung der Hälfte ihrer Mitgliedschaft (aus der die KAPD hervorging, die aber bald in der Bedeutungslosigkeit versank). Schlimmer noch: Mit der Ermordung von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches, Eugen Leviné und anderen verlor die junge KPD schon wenige Wochen nach ihrer Gründung ihre fähigsten Köpfe. Besonders Rosa Luxemburg war eine brilliante Marxistin, die mit eigenen Schriften die „Schatzkammer“ des Marxismus bereichert hat und in der wenig später gegründeten Kommunistischen Internationale mit Persönlichkeiten wie Lenin und Trotzki sicherlich auf gleicher Augenhöhe diskutiert und zur Bildung einer selbstbewussten, ausgeglichene Führung der KPD wesentlich beigetragen hätte (auch wenn sie noch kurz vor ihrem Tode am 15. Januar 1919 die Gründung der Kommunistischen Internationale für vorzeitig gehalten hatte).

Generalstreik gegen Kapp-Putsch

Eine weitere entscheidende Wende und ein zweiter Höhepunkt der revolutionären Mobilisierungen ergab sich aus dem Kapp-Putsch am 13. März 1920. Dieser Staatsstreich reaktionärer Militärs unter Führung des ostpreußischen Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp und des Reichswehrgenerals Walther von Lüttwitz war ein erster ernsthafter Versuch eines Teils der herrschenden Klasse, nach anderthalb Jahren revolutionärer Gärung und Verunsicherung in Deutschland eine Militärdiktatur zu errichten. Aber anstatt die Arbeiterklasse, die die Errungenschaften der Revolution verteidigen und nicht preisgeben wollte, zu disziplinieren, löste der Putsch quasi über Nacht einen landesweiten Generalstreik von 12 Millionen Arbeitern, Angestellten und Beamten aus. Dieser Generalstreik war einer der größten Massenstreiks in der europäischen Geschichte, wurde von keiner politischen Kraft ausgerufen und lähmte das ganz Land. Die Putschisten hingen in der Luft und hatten nicht einmal genügend loyale Beamte, auf die sie sich stützen konnten.

In dieser Situation stellte sich der ADGB-Vorsitzende Carl Legien an die Spitze der Bewegung. Legien war ein konservativer Sozialdemokrat und hatte sich in der Vorkriegs-SPD stets gegen Massenstreikdebatten gewandt. Er hielt allerdings die Situation im Lande für derart radikalisiert, dass er der USPD die gemeinsame Bildung einer Arbeiterregierung vorschlug. Dies scheiterte jedoch am Widerstand der USPD und ihres linken Flügels, die sich „mit Arbeiterverrätern nicht an einen Tisch setzen“ wollten.

Die KPD-Führung wurde vom Ausbruch und der Wucht des Generalstreiks gegen den Kapp-Putsch völlig überrascht. Am 13. März gab die KPD-Zentrale einen Aufruf heraus, der sich gegen einen sofortigen Generalstreik wandte: „Sollten sich die Arbeiter in diesem Augenblick zum Generalstreik erheben? Die Arbeiterklasse, die gestern noch in Banden geschlagen war von den Ebert-Noske, waffenlos, unter schärfstem Unternehmerdruck, ist in diesem Augenblick nicht aktionsfähig (...)“. Eine grandiose Fehleinschätzung, die die KPD-Führung einen Tag später korrigierte. Weiter war da schon die KPD-Basis, die in wichtigen Industriezentren in der Bewegung gegen den Putsch verankert war. In Chemnitz etwa wurde ein Arbeiterrat gewählt, dem zehn Kommunisten, neun Sozialdemokraten, ein USPD-Mann und ein Demokrat angehörten. Im Bezirk Niederrhein riefen die Arbeiterparteien (KPD, USPD und SPD) in einem gemeinsamen Appell zum Generalstreik auf mit den Zielen der „Diktatur des Proletariats“.

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