Kategorie: Theorie

Ein sozialistisches Programm als Brücke zwischen alltäglichen Forderungen & sozialistischer Zukunft

Vorbemerkung: Dieser Artikel von Hans-Gerd Öfinger aus dem Jahre 1998 nimmt runde Jahrestage (150 Jahre Kommunistisches Manifest und 60 Jahre Übergangsprogramm von Trotzki) zum Anlaß, um sich mit der Aktualität revolutionärer sozialistischer Programmatik zu befassen. 


Daß der Kapitalismus nicht imstande ist, selbst die bescheidensten Anforderungen an ein menschenwürdiges Leben zu erfüllen, dies spüren tagtäglich Millionen und Abermillionen Menschen am eigenen Leibe. Nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regimes in Osteuropa wurden die mittelosteuropäischen Staaten ebenso wie die südostasiatischen Tigerländer als Beweis dafür herangezogen, daß "der Kapitalismus blüht und funktioniert". Jetzt sind die Seifenblasen geplatzt. Der Aufbau einer neuen, wirklich demokratischen und sozialistischen Gesellschaft, ohne Klassenschranken und ohne das Diktat des privaten Profitstrebens ist mehr denn je erforderlich. Doch der Sozialismus fällt nicht vom Himmel.

Kommunistisches Manifest

Nicht nur Sozialisten in aller Welt, sondern auch der eine oder andere bürgerliche Kommentator hat sich in den letzten Monaten mit dem 150 Jahre alten Kommunistischen Manifest befaßt und dabei die Aktualität dieser Schrift herausgestellt. In der Tat ist das Manifest die erste grundsätzliche programmatische Aussage des wissenschaftlichen Sozialismus. Daß herrschende Klasse, also eine verschwindend kleine gesellschaftliche Gruppe von Kapitalbesitzern, Reichen und Superreichen niemals freiwillig etwas von ihrem Reichtum und ihrer Macht abgibt, dies haben die letzten 150 Jahre Geschichte der sozialistischen und Arbeiterbewegung deutlich gezeigt. Kapitalisten werden - auch in der tiefsten Krise - niemals zur Feststellung gelangen: Mit unserem Profitstreben stehen wir dem menschlichen Fortschritt im Wege, also räumen wir lieber das Feld.
In Zeiten höchster Bedrängnis - also unter dem Druck einer revolutionären Massenbewegung - werden sie vielleicht ein paar Sozialreformen zugestehen oder - wie jetzt in Indonesien - einen alten Diktator in den einstweiligen Ruhestand versetzen und von "Reformen" schwafeln. Aber sobald die Massenbewegung abgeebbt ist, werden sie wieder zurückschlagen.
Doch daß die herrschende Klasse und ihr Staat alles tun, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten, ist nichts Neues. Noch schwerer wiegt, daß die Organisationen, die sich die Arbeiterbewegung seit dem letzten Jahrhundert aufgebaut hat, mittlerweile verkrustete Apparate in sich bergen, die die Bewegung nicht weitertreiben und führen, sondern in vielen Fällen eher bremsen und sabotieren. Ein aktuelles Beispiel: der Massenstreik in Dänemark in diesem Frühjahr. Daß diese Bewegung nicht die geforderte sechste Urlaubswoche und die 35 Stunden-Woche erreichte, lag eben nicht an der mangelnden Kampfbereitschaft der Gewerkschafter. Es war vielmehr die "eigene" Gewerkschaftsführung, die am 1. Mai zur Mäßigung aufrief, und die "eigene" sozialdemokratische Parteiführung, die den Streik per Gesetz von oben beendete. Weltweit haben wir es in vielen Gewerkschaften wie auch in sozialdemokratischen, "sozialistischen" oder "kommunistischen" Parteien mit einer Führung zu tun, die sich den Standpunkt und die Argumente der "eigenen" nationalen Kapitalistenklasse zu eigen gemacht hat und immer dann "kneift, wenn es ernst wird".
Was tun? Diesen Organisationen den Rücken kehren und diese Führer persönlich brandmarken und in die Pfanne hauen? Marxisten sollten über solche Trotzreaktionen erhaben sein. Wenn es nur darum ginge, die alten Massenorganisationen als "verräterisch" zu "entlarven" und sich selbst als neue unbefleckte Führung anzubieten, dann hätten die zahlreichen Politsekten schon seit Jahrzehnten Massenzulauf.

Das Problem ist vor allem ein politisches. Marxisten kommt - vor 150 Jahren genauso wie heute - die Aufgabe zu, die praktische Notwendigkeit der Abschaffung des Kapitalismus zu erklären und aufzuzeigen, daß eine sozialistische Alternative möglich und nötig ist.

"Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen.....
Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen hervorheben und zur Geltung bringen.....
Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; Sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus."
(Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, 1848)

Die wichtigsten Forderungen aus dem Manifest sind aktuell geblieben:

  • Starke Progressionssteuer
  • Abschaffung des Erbrechts
  • Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließendem Monopol
  • Zentralisation des Transportwesens in Händen des Staats
  • Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan
  • Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder

Erfurter Programm: Künstliche Trennung zwischen Minimal - und Maximalprogramm

Nach dem Sturz Bismarcks und dem Ende der Sozialistengesetze gab sich die deutsche Sozialdemokratie in Erfurt 1891 ein neues Grundsatzprogramm. Daß dieses Programm den starken Einfluß marxistischer Ideen in der damaligen SPD ausdrückt, steht außer Frage. Doch ein genauerer Blick zeigt bereits ein Dilemma auf, das sich später fatal auswirken sollte. Der grundsätzliche oder langfristige Teil des Programms - von Karl Kautsky verfaßt - beschreibt, wie die künftige sozialistische Gesellschaft aussehen soll. Der "konkrete" Programmteil - verfaßt von Eduard Bernstein - umreißt die alltäglichen Forderungen, die auf dem Wege parlamentarischer Reformarbeit anzustreben sind. Zwischen beiden Teilen bestand keine Verbindung, keine Brücke. In der Tat: die damalige Parteiführung war überzeugt davon, daß der Sozialismus eines Tages anbrechen würde, und bis dahin müsse die Partei eben Wahl für Wahl immer stärker werden, bis sie eines Tages den ganzen Sieg einbringen würde. Bei dieser passiven Heilserwartung war natürlich für Diskussionen über revolutionäre Strategie, Taktik und Programmatik wenig Bedarf. Kautsky, der von vielen nach dem Tode von Friedrich Engels als der "marxistische Papst" angesehen wurde, brachte diese Haltung auf den Punkt: Die Sozialdemokratie ist eine revolutionäre, nicht aber Revolutionen machende Partei". Anders ausgedrückt: Die Revolution kommt sowieso, und bis dahin gehen wir unseren Alltagsgeschäft nach. Eine aktive, vorwärtstreibende und revolutionäre Rolle von Partei - und Gewerkschaftsapparat auf der Grundlage spontaner Massenkämpfe war somit nicht vorgesehen. Nur wenige radikale Linke wie Rosa Luxemburg erkannten die Gefahren, die von dem verknöcherten, konservativen Charakter der SPD - und Gewerkschaftsapparate ausgingen.

Als dann 1919 die Revolution tatsächlich ausbrach und Rosa Luxemburg frühe Vision spontaner Massenkämpfe bestätigte, führte der Pragmatismus der Spitzen von SPD und Gewerkschaften zur Katastrophe. Anstatt (gestützt auf die in Arbeiter - und Soldatenräten organisierte Massenbewegung) die Kapitalisten zu enteigen und eine neue, demokratische und sozialistische Republik einzuführen, verbündeten sie sich mit rechten, reaktionären Kräften und Unternehmerverbänden und halfen mit, die Revolution abzuwürgen.
"Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht", gestand der Oberbefehlshaber der Truppen und spätere Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) freimütig.
Karl Kautsky und viele andere hatte es mittlerweile durch die erste Spaltung der Arbeiterbewegung 1917 in die USPD verschlagen. Doch die USPD - Führung ließ sich in der Revolution von der Führung der Mehrheits-SPD über den Tisch ziehen und erwies sich als unfähig, eine unabhängige revolutionäre Rolle zu spielen. Kautsky, der seinen Marx sicher in - und auswendig kannte, spielte in den Massenkämpfen ab 1918 nirgendwo überhaupt eine Rolle mehr.
Es war wiederum Rosa Luxemburg, deren Analysen in der Revolution hervorstachen. Auf dem Gründungsparteitag der KPD wies sie in ihrer programmatischen Rede auf die Schwächen des Erfurter Programms hin:
"Unser Programm ..... befindet sich im bewußten Gegensatz zu dem Standpunkt, auf dem das Erfurter Programm bisher steht, im bewußten Gegensatz zu der Trennung der unmittelbaren, sogenannten Minimalprogramm. ..... Für uns gibt es kein Minimal - und kein Maximalprogramm; eines und dasselbe ist der Sozialismus, das ist das Minimum, das wir heute durchzusetzen haben."

Doch die Mehrheit der Delegierten des KPD-Gründungsparteitages wollten nicht abwarten, bis die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter ihnen stand. Die (zumeist) jungen KPD - Mitglieder sträubten sich gegen eine Mitarbeit in den Gewerkschaften und gegen eine Kandidatur bei Parlamentswahlen. Erst die Massen erobern, dann die Staatsmacht, hatte Rosa Luxemburg erklärt.

Daß es möglich war, mit einem klaren und nachvollziehbaren Programm und einer Orientierung auf Massenorganisationen der Arbeiterklasse die Mehrheit der Arbeiterklasse und dann die Macht im Staate zu erobern, hatte ein Jahr zuvor die Erfahrung der russischen Oktoberrevolution unter Beweis gestellt. Mit einfachen Worten brachten die aus der russischen Sozialdemokratie hervorgegangenen Bolschewiki die Bedürfnisse der Masse der Bevölkerung und die Bestrebungen der in der Revolution aktivierten Massen von Arbeitern und Soldaten auf den Punkt:

  • Brot (den Arbeitern)
  • Frieden (den Soldaten)
  • Land (den Bauern)
Angesichts der bestehenden Doppelherrschaft zwischen Arbeiter - und Soldatenräten einerseits und der alten Staatsmacht mit ihrer provisorischen Regierung andererseits drückte die Parole "Alle Macht den Räten" die Stimmung all derer aus, die die Revolution zum Erfolg weitertreiben und endlich die Lösung ihrer elementarsten Probleme herbeiführen wollten.

"Solange wir in der Minderheit sind, besteht unsere Arbeit in der Kritik und Klarstellung der Fehler, wobei wir gleichzeitig die Notwendigkeit des Übergangs der gesamten Staatsmacht an die Sowjets der Arbeiterdeputierten propagieren, damit die Massen sich durch die Erfahrungen von ihren Irrtümern befreien." (Lenin, Aprilthesen, 1917)

Krise der Führung

Doch die westeuropäische Revolution schlug fehl - vor allem wegen der politischen Unerfahrenheit der jungen kommunistischen Parteien. Sowjet - Rußland blieb isoliert und befand sich Anfang der 20er Jahre nach Weltkrieg, dem Interventionskrieg der Westmächte und dem Bürgerkrieg in einem wirtschaftlich desolaten Zustand. Vor dem Hintergrund dieser Isolation und Rückständigkeit übernahm eine privilegierte Bürokratie in Staat und Kommunistischer Partei die Macht, deren Leitfigur Stalin wurde. Die alten Revolutionäre wurde verdrängt, viele von ihnen in den 30er Jahren nach Schauprozessen liquidiert. Als in Deutschland 1933 der Hitler - Faschismus die Staatsmacht eroberte und wenige Jahre später die spanische Revolution auch wegen der Sabotage durch Stalintreue Kommunisten fehlschlug, war der Weg in den zweiten Weltkrieg, in Barbarei und Holocaust geebnet. Nicht nur die Arbeiterbewegung, die ganze Menschheit war um Jahrzehnte zurückgefallen. Demoralisierung und Verzweiflung griffen um sich.
Vor diesem Hindergrund setzte der aus der Sowjetunion 1928 ausgewissene Revolutionär Leo Trotzki ein Zeichen. Von seinem mexikanischen Exil aus versuchte er, die revolutionären Kräfte in einer neuen Internationale zusammenzufassen und politisch auf die nach dem Kriege unvermeidlichen neuen revolutionären Erschütterungen weltweit vorzubereiten.
In seinem 1938 verfaßten Übergangsprogramm (Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale) brachte er es auf den Punkt:

"Die allgemeine politische Weltlage zeichnet sich vor allem durch eine historische Krise der Führung des Proletariats aus... Die ökonomischen Voraussetzungen für die proletarische Revolution haben schon seit langem den höchsten Reifegrad erlangt, der im Kapitalismus überhaupt erreicht werden kann.... Alles Gerede darüber, daß die historischen Bedingungen für den Sozialismus noch nicht "reif" sind, speist sich aus Ignoranz oder bewußten Betrug. Die objektiven Bedingungen für die proletarische Revolution sind nicht nur "reif" sie fangen an zu verfaulen."

Dabei ist das Übergangsprogramm - ähnlich wie das Kommonistische Manifest - weitaus mehr als ein in die Jahre gekommenes Programm. Es vermittelt in seiner Klarheit und Einfachheit, worauf es ankommt - damals wie heute:

"Man muß der Masse helfen, bei ihrem tagtäglichen Kampf die Brücke zwischen ihren augenblicklichen Forderungen und dem Programm der sozialistischen Revolution zu finden. Diese Brücke sollte aus einem System von Übergangsforderungen bestehen, welche von den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewußtsein der breiten Schichten der Arbeiterklasse ausgehen und unbeirrbar zu ein und demselben Schluß führen: zur Eroberung der Macht durch das Proletariat."

Allerdings, so Trotzki, geht es nicht darum, die alten Forderungen des Minimalprogramms zu verwerfen, solange sie nur irgendeinen Teil ihrer Lebenskraft bewahrt haben. So seien die demokratischen Rechte der Arbeiter unermüdlich zu verteidigen und die alten "Minimal" - Forderungen, wo immer sie in Konflikt geraten mit den destruktiven und erniedrigenden Tendenzen des verfallenden Kapitalismus, in ein System von Übergangsforderungen einzubetten.

Was tun gegen Massenarbeitslosigkeit? Aufteilung der vorhandenen Arbeit auf alle - aber bei vollem Lohnausgleich!

Wie aktuell die Methode des Übergangsprogramms ist, verdeutlicht etwa das Kapitel über die Arbeitslosigkeit.

"Bei Strafe seiner eigenen Zersetzung darf das Proletariat nicht dulden, daß ein wachsender Teil der Arbeiter zu Dauerarbeitslosen, zu elenden gemacht wird, die von den Abfällen einer sich zersetzenden Gesellschaft leben. Das Recht auf Arbeit ist das einzig ernstzunehmende Recht, das der Arbeiter in einer auf Ausbeutung gegründeten Gesellschaft hat. Doch wird ihm dieses Recht auf Schritt und Tritt genommen. Es ist an der Zeit, daß gegen die "strukturelle" wie auch die "konjunkturbedingte" Arbeitslosigkeit neben der Forderung nach öffentlichen Arbeiten auch die Losung der gleitenden Skala der Arbeitszeit auszugeben. Die Gewerkschaften und andere Massenorganisationen müssen die Arbeitenden mit den Arbeitslosen durch die gegenseitige Verantwortlichkeit der Solidarität verbinden. Die vorhandene Arbeit wird dann unter allen vorhandenen Arbeitskräften aufgeteilt die Dauer der Arbeitswoche entsprechend festgelegt. Der Durchschnittslohn jedes Arbeiters bleibt der gleiche wie bei der alten Arbeitswoche. Die Löhne folgen der Preisbewegung bei einem fest garantierten Minimum. Für die jetzigen Katastrophenzeiten ist es unmöglich, irgendein anderes Programm anzunehmen.
Die Besitzenden und ihre Anwälte werden die "Unrealisierbarkeit" dieser Forderungen darlegen. Kleinere, vor allem ruinierte Kapitalisten, werden zusätzlich auf ihre Geschäftsbücher verweisen.....
.....Wenn der Kapitalismus unfähig ist, die Forderungen zu erfüllen, dann soll er zugrunde gehen. "Realisierbarkeit" und "Unrealisierbarkeit" ist in diesem Fall eine Frage des Kräfteverhältnisses, die nur durch den Kampf entschieden werden kann. Ganz unabhängig von den direkten praktischen Erfolgen werden die Arbeiter im Kampf die Notwendigkeit der Abschaffung der kapitalistischen Sklaverei am besten verstehen lernen.
Insbesondere der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist ohne eine groß angelegte und kühne Organisierung öffentlicher Arbeiten undenkbar. Öffentliche Arbeiten können aber nur dann eine dauernde und fortschrittliche Bedeutung für die Gesellschaft und die Arbeitslosen selbst haben, wenn sie Teil eines allgemeinen Plans sind, der für eine Reihe von Jahren gedacht ist. Im Rahmen eines solchen Planes sollten die Arbeiter fordern, daß die infolge der Krise stillgelegten Privatbetriebe auf öffentliche Kosten wieder eröffnet werden."

Das Übergangsprogramm verbindet diese Forderungen gegen die verheerenden Folgen der Massenarbeitslosigkeit mit der Frage der Enteignung bestimmter Gruppen von Kapitalisten, wo immer sich hierzu eine nachvollziehbare Begründung bietet. Ein Kernpunkt: die Enteignung der Privatbanken und die Verstaatlichung des Kreditsystems:

"Um ein einheitliches System von Investitionen und Krediten zu schaffen, das nach einem rationalen Plan entsprechend den Interessen des ganzen Volkes arbeitet, muß man alle Banken in einer einzigen nationalen Institution verschmelzen. Nur die Enteignung der Privatbanken und die Konzentration des gesamten Kreditsystems in den Händen des Staates wird diesem mit den wirklich notwendigen Hilfsmitteln zur Wirtschaftsplanung versehen..... Die Enteignung der Banken schließt keineswegs die Enteignung der kleinen Bankeinlagen ein - im Gegenteil: eine einzige Staatsbank wird sehr viel günstigere Bedingungen für Kleinsparer schaffen können als private Banken Ebenso kann nur eine Staatsbank den Bauern, Händlern und kleineren Kaufleuten Bedingungen für einen günstigen, d.h. billigen Kredit schaffen. Noch wichtiger ist jedoch, daß die ganze Wirtschaft, vor allem die Schwerindustrie und das Transportwesen, von einem einzigen Finanzstab geführt, den Lebensinteressen der Arbeiter und aller anderen Werktätigen dienen wird. Die Verstaatlichung der Banken wird jedoch nur dann diese vorteilhaften Ergebnisse zeitigen, wenn die Staatsmacht selbst vollständig aus den Händen der Ausbeuter in die Hände der Arbeiter übergeht."

Auch wenn das Übergangsprogramm ebenso wenig wie das Kommunistische Manifest als Bibel oder ein Brockhaus taugt, worauf man auf jede Frage die passende erschöpfende Antwort zu finden glaubt - die Methode des Übergangsprogramms ist gerade in der heutigen Zeit entscheidend. Denn - wie schon 1848, 1918 oder 1938 - stehen wir auch jetzt wieder in einer historischen Umbruchsphase. Viel stärker noch als früher führt die Krise des Kapitalismus heute weltweit zu ähnlichen Bedingungen und damit auch weltweit zu gleichzeitig stattfindenden Massenbewegungen, zu Revolution und Konterrevolution, Kriegen und Bürgerkriegen. Rosa Luxemburgs Vision von der Alternative "Sozialismus oder Barbarei" findet tagtäglich ihre Bestätigung.

Reformen ja - Reformismus nein

Es gehört zu den Lieblingsverzerrungen unserer Kritiker, daß Marxisten "doch nur wollen, daß es den Massen dreckig geht, damit sie die Revolution machen". Natürlich "wollen" wir nicht, daß es den Massen (also auch uns selbst) dreckig geht. Natürlich hätten wir am liebsten wieder Vollbeschäftigung, Sozialreformen und steigenden Wohlstand wie in den 60er und 70er Jahren. Natürlich kämpfen wir um die Verteidigung jeder Errungenschaft der letzten Jahrzehnte und begrüßen wir mit ganzem Herzen jede noch so kleine Verbesserung, und sie es auch nur eine bescheidene Anhebung des Kindergelds! Doch wer Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit, eine längerfristige Erscheinung im Kapitalismus, als "gottgegeben" und unabänderbar hinnimmt, der hat sich auch damit abgefunden, daß der soziale Kahlschlag immer weiter geht.
Dabei sind die Anforderungen der Menschen an ein glückliches, erfülltes Leben eigentlich mehr als bescheiden: ein sicherer Arbeitsplatz und ein angemessenes Einkommen, ein Dach über dem Kopf zu erschwinglichen Preisen, soziale Sicherheit ohne Angst vor Alter oder Krankheit oder Armut, gute Zukunftsaussichten für die eigenen Kinder und eine saubere Umwelt. Und an der Jahrtausendwende werfen uns Politiker und Unternehmer vor, wir lebten "über unsere Verhältnisse"!
Als aktive, treibende Kraft in Arbeiterparteien und Gewerkschaften werden Marxisten jeden kleinen Streik zur Verteidigung bestehender Errungenschaften oder für offensive Forderungen im Interesse der abhängig Beschäftigten aktiv unterstützen. Wir müssen klarmachen, daß jedes noch so bescheidenen Reförmchen nur dann abgesichert werden kann, wenn die Schalthebel der wirtschaftlichen Macht - Banken, Großkonzerne, Versicherungen - in Gemeineigentum ruhen und demokratisch von der arbeitenden Bevölkerung kontrolliert und verwaltet werden. Wer - wie Blair und seine deutschen Nachahmer - nur den Kapitalismus besser managen will als die Kapitalisten selbst, wird damit unweigerlich die Politik unter dem Diktat der "Sachzwänge" die Politik von Thatcher und Kohl weiter führen. Die kleinen Schritte, die Reformisten immer predigen, gehen nach hinten. Wer aber den Kapitalisten und Superreichen nur ein klein wenig etwas wegnehmen oder ihnen etwas reinreden möchte, der muß sich auf den Widerstand und die Sabotage der Herrschenden vorbereiten und gegen das Diktat von Millionären die geballte organisierte Kraft von Millionen mobilisieren.
Die handfeste Erfahrung der nächsten Jahre wird vielen Millionen deutlich machen, daß ohne eine grundlegende sozialistische Veränderung und vor allem ohne Selbstorganisation und Druck von unten auch die minimalsten sozialen Forderungen nicht durchzusetzen oder zu halten sind. Viele werden sehen, daß die traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung - Gewerkschaften und Parteien - wieder zu Kampfinstrumenten gemacht werden müssen. Dabei sind die Lehren aus den Erfahrungen von über 150 Jahren und die geduldige Überzeugungsarbeit von Marxist(inn)en in der Bewegung unverzichtbar.

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