Kategorie: Deutschland

Einblick in die Lage der arbeitenden Klasse

Die Schere zwischen Arm und Reich geht auch in Deutschland immer weiter auf und ist mittlerweile so groß wie 1913. Während die DAX-Konzerne 2017 einen Rekordgewinn von 133 Milliarden Euro verzeichneten und Dividenden in Höhe von rund 37 Milliarden an ihre Aktionäre ausschütteten, haben die unteren 40 Prozent der Lohnabhängigen real weniger als vor 20 Jahren im Geldbeutel.


Im Mai dieses Jahres haben der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) in Zusammenarbeit den „Atlas der Arbeit“ herausgegeben, in welchem sie insbesondere die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt analysieren und mit vielen Daten und Statistiken unterfüttern. Demnach arbeiten in Deutschland 44 Millionen Menschen also etwa 75 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren. Davon arbeiten 32 Millionen an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, von denen jedoch Vollzeitstellen nur 22,8 Millionen ausmachen.

Mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen wurde durch die damalige Regierung aus SPD und Grünen eine massive Deregulierung des Arbeitsmarktes auf Kosten der Lohnabhängigen herbeigeführt, um den Wirtschaftsstandort Deutschland für das Kapital aufzuwerten. Hartz IV bedeutet Armut per Gesetz, die völlige Entblößung vor dem Staat und gleichzeitig der Zwang jede Arbeit anzunehmen, um nicht durch Sanktionen in noch bitterere Armut gedrängt zu werden. Diese Maßnahmen sorgen gleichzeitig dafür, dass auch nicht von Hartz IV Betroffene aus Angst degradierende Arbeitsverhältnisse annehmen müssen. Das zeigt mehr als deutlich, in wessen Interesse der Staat agiert – vergessen wir dabei auch nicht die Milliarden Zahlungen aus Steuergeldern an die Banken nach der Finanzkrise 2008.

Atypische Beschäftigung

„Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut“, verkündete die Kanzlerin Ende 2016 während der Generaldebatte im Bundestag. Diese Aussage ist nicht nur Augenwischerei, sondern zeugt vom Zynismus und der völligen Realitätsfremdheit der Herrschenden. Insgesamt gibt es in Deutschland 21,7 Millionen atypisch Beschäftigte. 2016 waren 8,55 Millionen sozialversichert in Teilzeit beschäftigt. Sie erhalten dabei durchschnittlich drei Euro weniger je Stunde als Vollzeitbeschäftigte. Weitere 7,4 Millionen arbeiten in Minijobs, also Beschäftigungen mit einem maximalen Lohn von 450 Euro. Für 4,7 Millionen ist dies die einzige Einkommensquelle, der andere Teil arbeitet zusätzlich zum Hauptberuf in einem Minijob. Frauen sind von diesen Arbeitsverhältnissen besonders betroffen, von ihnen arbeitet fast die Hälfte in Teilzeit oder Minijobs. Für die meisten besteht kaum eine Möglichkeit in Vollzeitstellen zu wechseln, geschweige denn beruflich aufzusteigen.

Weitere 2,6 Millionen Menschen arbeiten in befristeten Beschäftigungen, davon die Hälfte ohne Sachgrund. Insbesondere im öffentlichen Dienst und im Wissenschaftsbetrieb sind befristete Arbeitsverträge die Regel. Den Ergebnissen des Atlas zu Folge sind 44 Prozent aller Neueinstellungen nur noch befristete Verträge und 60 Prozent der befristet Beschäftigten sind im Alter unter 35 Jahren. Unter solchen Umständen ist keine sichere Zukunftsplanung unmöglich.

Außerdem arbeiten über einer Million in Leiharbeit, sie sind oft wie z.B. in der Fleischindustrie entrechtet und werden zur Spaltung der Arbeitenden in den Unternehmen und zur Disziplinierung der Stammbelegschaft eingesetzt. Dazu kommen über zwei Millionen sogenannte Solo-Selbstständige, die überwiegend unter Werk- und Dienstverträgen arbeiten. Die Hälfte von ihnen hat ein Einkommen im Niedriglohnbereich. Die Folgen sind viele Überstunden, kaum Schutz bei Krankheit oder Verdienstausfall und niedrige Rente.

Insgesamt verdient ein Viertel aller abhängig Beschäftigten unter der Niedriglohnschwelle, also weniger als 10,50 Euro pro Stunde. Der stetig wachsende Niedriglohnsektor wird unter anderem durch das Outsourcen von Dienstleistungen aus den Großunternehmen vorangetrieben. Der seit 2015 geltende Mindestlohn liegt gegenwärtig bei 8,84 Euro und ist selbst nach Berechnungen der Bundesregierung nicht existenzsichernd, zusätzlich wird dieser häufig durch die Bosse umgangen. Ein existenzsichernder Mindestlohn müsste bei 12 Euro pro Stunde angesetzt werden.

Flexibel im Interesse der Bosse

Aus den Recherchen des DGB und der HBS geht hervor, dass Wochenend-, Schicht- und Nachtarbeit zugenommen haben. Demnach arbeitet ein Viertel der Beschäftigten an Samstagen und 14 Prozent an Sonntagen. Sechs Millionen arbeiten im Schichtsystem, variable Arbeitszeiten haben über ein Drittel der abhängig Beschäftigten und ein Viertel Gleitzeit. Die meisten können dabei nicht selbst entscheiden, wie sie ihre Arbeitszeiten einteilen. Zudem zeigt sich, dass Arbeitsverhältnisse ohne formal geregelte Arbeitszeiten zu durchschnittlich vier Stunden mehr Arbeit pro Woche führen als in geregelten. Und Überstunden leisten die Lohnabhängigen in Deutschland en masse. So wurden 2013 von den erfassten Überstunden im Durchschnitt 20 bezahlt und 27 nicht. Die Hälfte der 2016 geleisteten 1,8 Milliarden Überstunden wurden nicht bezahlt.

Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt in Deutschland auf Grund des hohen Anteils an Teilzeitstellen 35,6 Stunden. Nimmt man dann noch die Zahl der Arbeitslosen hinzu, sowie das Potential, das mit einer Digitalisierung der Arbeitsplätze einhergeht, so ist eine Reduktion der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche und sechs Stunden am Tag bei Lohn- und Personalausgleich möglich. Die Rahmenbedingungen für Vollbeschäftigung und sukzessive Arbeitszeitverkürzung für alle sind besser denn je.

Stattdessen aber sehen wir zunehmende Verdichtung der Arbeit, Überstunden und atypische Arbeitszeiten. Das liegt daran, dass die Weltwirtschaft seit 2008 nicht aus der Überproduktionskrise herauskommt und die Kapitalisten oft anstelle von Investition in neue Technologien und Maschinen zur Steigerung der Produktivität der Arbeit auf offene und verschärfte Ausbeutung setzen. Sie lassen bei niedrigerem Lohn länger arbeiten und erhöhen das Arbeitstempo.

Aber auch dort, wo die Digitalisierung Eingang findet, sorgt sie bei vielen Lohnabhängigen zu erhöhtem Druck und Stress, denn statt einer Erleichterung erfolgt auch hier nur eine Verdichtung und zusätzlich eine Entgrenzung der Arbeit. Das sorgt für ein Ansteigen von Erkrankungen. Das wiederum hat zu Folge, dass nur die Hälfte der über 60-Jährigen arbeitet. Die anderen schaffen das nicht. In diesem Zusammenhang ist es umso zynischer, dass erneut eine Anhebung des Rentenalters auf 69 Jahre angedacht wird. Wie die Welt am 16.06.18 berichtet, bezieht bereits heute etwa eine Viertelmillion zusätzlich zur Erwerbsminderungsrente Sozialhilfe, bis zu einer weiteren halben Million hätte Anspruch auf Grundsicherung, die sie aber nicht beantragt und bezieht.

„Unser Lohn dafür ist was? Hunger, Not und arbeitslos!“

Diese Liedzeile stammt aus dem „Arbetloze Marsh“ von Mordekhay Gebirtig aus dem Jahr 1933, aber hat nichts an Aktualität eingebüßt. Etwa 2,5 Millionen Menschen sind offiziell arbeitslos, eine weitere Million auch – wird aber nicht in die Statistik einbezogen. Diese sind unter anderem Ein-Euro-Jobber, Hartz IV-Bezieher über 58 Jahren, kranke Arbeitslose, usw. Hinzu kommt nach Schätzungen etwa eine weitere Million, die als „stille Reserve“ bezeichnet wird – Arbeitslose, die gar nicht gemeldet sind.

Doch auf Hartz IV sind nicht nur Langzeitarbeitslose angewiesen. Wie die FAZ am 25.03.2018 berichtete, bekamen im Februar „laut Bundesagentur für Arbeit 5,95 Millionen Menschen Hartz IV. Davon waren 4,26 Millionen erwerbsfähig. Rund zwei Drittel hiervon bekamen Hartz IV, ohne arbeitslos zu sein, etwa weil sie einem Minijob oder einer Maßnahme zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt nachgingen, Schule oder Hochschule besuchten oder weil sie wegen Krankheit arbeitsunfähig waren. Unterm Strich bekommt demnach fast jeder zehnte Haushalt in Deutschland Hartz IV.“ Außerdem berichtete das ZDF am 22. Juni, dass bis zu 2 Millionen weitere Erwerbstätige Anspruch auf Hartz IV hätten, dies aber nicht beziehen.

Die FAZ berichtete am 23.04.2018: „Fast jeder Dritte Deutsche kommt durch ungeplante Ausgaben in Bedrängnis. Nach Daten des Statistischen Bundesamts konnten sich im Jahr 2016 gut 31 Prozent der Bundesbürger im Alter von 16 Jahren oder älter keine unerwarteten Ausgaben in Höhe von 985 Euro leisten. Das waren 21,3 Millionen Menschen, wie aus den Daten weiter hervorgeht. […] Fast 4,9 Millionen Personen mussten darüber hinaus wegen ihrer bescheiden materiellen Lage beim Essen sparen. Sie konnten sich allenfalls nur jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten. 12,8 Millionen Bundesbürger sahen sich nicht in der Lage, einen einwöchigen Urlaub außerhalb ihres Zuhauses zu finanzieren. Das war fast jede fünfte Person im Alter ab 16 Jahren.“

Allein aus diesen Berichten der wichtigsten Zeitung der herrschenden Klasse, die bei weitem nicht die einzigen sind, können wir sehen, dass den Herrschenden völlig klar ist, unter welchen Umständen ein stetig wachsender Teil der Arbeiterklasse lebt. Doch das scheint sie redlich wenig zu kümmern – zumindest kümmert es sie nicht, für eine Verbesserung der Situation zu sorgen. Worum sie sich aber umso mehr bemühen ist ihre eigene Sicherheit. Das sehen wir an den wachsenden Militärausgaben, der Aufrüstung der Polizei und den neuen Polizeigesetzen der einzelnen Bundesländer. Das sehen wir aber auch an der rassistischen Hetze gegen geflüchtete Menschen. Sie versuchen die Arbeiterklasse zu spalten und einen gemeinsamen Kampf aller für ein besseres Leben zu untergraben.

DIE LINKE muss, statt dieser Debatte mitaufzusitzen, die Eigentumsfrage stellen, um alle Ausgebeuteten und Unterdrückten gegen die herrschenden Verhältnisse und ihre Ideologen und Propagandisten zu einen. Konkret heißt das: Reformismus oder Revolution? Der jüngste LINKE-Bundesparteitag hat einen Ergänzungsantrag zum Leitantrag des Vorstandes beschlossen. Darin wird gefordert, „Unternehmen der Daseinsvorsorge, Banken und Versicherungen, Energiekonzerne, Unternehmen der Pharma- und medizinischen Industrie, der Telekommunikationsinfrastruktur und weiterer Schlüsselindustrien in die öffentliche Hand und in gesellschaftliche Eigentumsformen zu überführen“. Unerwartet radikal gaben sich auch die Vorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping. In ihren Reden forderten sie die Enteignung von Miethaien wie Vonovia. Diesen Worten müssen jetzt Taten folgen - vor allem eine offensive Kampagne, um diese Beschlüsse einem breiten Publikum zu unterbreiten und es dafür zu gewinnen.

Was wir brauchen:

Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden-Woche und Sechs-Stunden-Arbeitstag bei vollem Lohn- und Personalausgleich – statt Arbeitslosigkeit, unfreiwilliger Teilzeit und Minijobs für die einen und Überstunden für die anderen!

Investition der Unternehmensgewinne in verbesserte Produktionsanlagen, kostenlose Bildung, Ausbau der Infrastruktur und kostenlosen öffentlichen Nahverkehr – statt Milliarden Dividendenauszahlungen fürs Nichtstun!

Umstellung der gesamten Produktion auf gesellschaftlich notwendige Güter – statt Zerstörung von Produktionsanlagen, Betriebsschließungen, Entlassungen und Verschwendung menschlicher Fähigkeiten!

Existenzsichernde Löhne, Renten und Grundsicherung für alle und ein Recht auf unentgeltliche Weiterbildung und Umschulung – statt Hartz IV, Armut per Gesetz und Zerstörung von Existenzen!

Verstaatlichung der Großkonzerne, Banken und Versicherungen unter demokratischer Verwaltung und Kontrolle durch die Arbeiterklasse und Wirtschaftsplanung im Interesse von Mensch und Umwelt – statt Ausbeutung durch das oberste Prozent und für dessen Profit!

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