Kategorie: Geschichte

100 Jahre Russische Revolution (Teil II): Die Februarrevolution 1917

Vor 100 Jahren erschütterte die Russische Revolution die ganze Welt. Der Ausbruch der Revolution wird allgemein auf den 8. März 1917 datiert. Doch schon im November und Dezember 1916 setze eine Streikwelle in Petrograd, dem späteren Leningrad und heutigen St. Petersburg ein.


Der seit 1914 andauernde Weltkrieg machte das Leben für die Masse der Bevölkerung zur Hölle. In Stadt und Land wie auch an der Front wuchs die Kriegsmüdigkeit. Fabriken standen aufgrund von Treibstoffmangel still, die Eisenbahnen waren kurz vor dem Zusammenbruch. Es gab kein Fleisch und zu wenig Mehl. Der Hunger war allgegenwärtig. Dazu kamen noch die ständigen Nachrichten über militärische Niederlagen sowie Skandale um den Zarenhof und die antisemitischen Schwarzhundertschaften. Das Regime aus aristokratischen Gaunern, Spekulanten und Karrieristen stellte seine Fäulnis offen zur Schau.

Streikbewegung

Am 9. Januar 1917 (alter Kalender) fand der größte Streik statt, den Petrograd während des Krieges je erlebte. Er traf besonders die Kriegsindustrie. Über 145.000 Arbeiter waren beteiligt. Mit dem Streik einher gingen Massenveranstaltungen und Demonstrationen. Petrograd glich einem bewaffneten Feldlager, das von Armee und Polizei besetzt war. Aber das Polizeiaufgebot reichte nicht mehr aus, um die Massen zu zähmen. Das liberale Bürgertum versuchte die Revolution abzuwehren und bat den Zaren, Reformen zuzulassen. Die Stimmung der Massen hatte den Siedepunkt erreicht. Es gab Brotaufstände, die vor allem durch Frauen ausgelöst wurden.

Der Streik in der riesigen Putilov-Fabrik, der am 18. Februar von einigen hundert Arbeitern einer Abteilung gestartet wurde und mit der Forderung nach Lohnerhöhung und Wiedereinstellung entlassener Kollegen begann, überraschte alle. 30.000 Beschäftigte gründeten ein Streikkomitee, gingen auf die Straße und forderten andere Belegschaften auf, sie zu unterstützen. Am 22. Februar reagierte die Unternehmensführung mit Aussperrung. Nun strömten Tausende von aufgebrachten Arbeitern auf die Straßen, während viele Frauen in der Kälte für eine spärliche Ration Brot anstehen mussten. Zufällig war am nächsten Tag der Internationale Frauentag. Dies gab einen zusätzlichen Anstoß für die Massenbewegung. Zuvor konservative und unorganisierte Frauen und junge Menschen politisierten sich in Windeseile und drängten an die Spitze.

Am 23. Februar wurden Versammlungen einberufen, um Protest gegen den Krieg zu äußern sowie die hohen Lebenshaltungskosten und die schlechte Lage der Frauen anzuprangern. Dies löste eine neue Streikwelle aus. Die Textilarbeiterinnen spielten eine entscheidende Rolle und traten in den Ausstand. Sie marschierten zu den anderen Fabriken und forderten deren Belegschaften auf, den Streik zu unterstützen. Riesige Massendemonstrationen folgten. Fahnen und Plakate mit revolutionären Parolen waren allgegenwärtig: „Nieder mit dem Krieg!“ „Nieder mit dem Hunger!“ „Lang lebe die Revolution!“ Straßenredner tauchten an allen Ecken auf. Viele waren Bolschewiki, aber auch einfache Menschen, die nach Jahren der erzwungenen Ruhe plötzlich entdeckten, dass sie sprechen und denken konnten. Die Revolution hatte begonnen. Das Fass zum Überlaufen gebracht hatten die endlosen Schlangen vor den Brotausgabestellen.

Am 24. Februar befanden sich 200.000 Arbeiter, etwas mehr als die Hälfte der Industriearbeiter Petrograds, im Streik. Es gab gewaltige Fabrikversammlungen und Demonstrationen. Die Arbeiter legten ihre Angst ab und standen ihren Peinigern gegenüber. Die Streiks breiteten sich wie ein Flächenbrand auf andere Industriezentren aus. Auch kleinere Betriebe und die Straßenbahnen wurden bestreikt. Immer mehr Schüler nahmen an Demonstrationen teil.

Sturz des Zarismus

Am Abend desselben Tages erließ Zar Nikolaus den Befehl die Unruhen zu unterdrücken. Truppen eröffneten das Feuer. Der blutige Einsatz begann. Aber die Masse war entschlossen, nicht mehr zurückzuweichen und widersetzte sich den Angriffen. Die Arbeiter agitierten die Soldaten und forderten sie auf: „Schieße nicht auf deine Brüder und Schwestern!“ Überall in der Stadt und vor allem vor den Toren der Kasernen fand ein unermüdlicher Kampf um die Köpfe der Soldaten statt. Diese wurden zusehends unsicherer und zweifelten an ihrem Tun, so dass es vermehrt zu Verbrüderungen zwischen den „Bauern in Uniform“, den Soldaten, und streikenden Arbeitern kam.

Am 27. Februar befand sich schließlich ein Großteil der Hauptstadt in den Händen der Arbeiter und übergelaufener Truppenteile. Weitere Soldaten schlossen sich den aufständischen Arbeitern an. Der Zar dankte ab. Die Minister der letzten zaristischen Regierung wurden am 28. Februar verhaftet. Die Arbeiter bildeten Räte, um die Gesellschaft zu lenken. Die Macht lag nun in den Händen der Arbeiterklasse und der Soldaten.
Der Sturz des Zarismus wurde von der Arbeiterklasse vollbracht und von der Bauernschaft in Gestalt der Armee unterstützt. In der Tat wurde die Februarrevolution in einer einzelnen Stadt durchgeführt – Petrograd –, auf die gerade mal 1/75 der russischen Bevölkerung entfiel. Hier fällt die entscheidende Bedeutung der Arbeiterklasse und der Stadt gegenüber der Bauernschaft und dem Land ins Gewicht.

Die Februarrevolution war relativ friedlich, weil keine ernsthafte Kraft das alte Regime verteidigen wollte. Die Arbeiter hatten nun die Macht in ihren Händen, waren aber, wie Lenin später erklärte, nicht ausreichend organisiert und sich noch nicht der Situation bewusst, um die Revolution zu Ende zu führen.

Übergangsregierung

Der objektive Inhalt der Februarrevolution war bürgerlich-demokratisch. Aber das Bürgertum spielte in der Revolution eine konterrevolutionäre Rolle, die nur nicht vollständig zur Geltung kam, weil den liberalen Politikern, genauso wie der Autokratie, die materiellen Mittel fehlten. Sie konnten die Revolution noch nicht in Blut ertränken und installierten schnell eine Übergangsregierung, um Kontrolle über die Bewegung zu erlangen. Die Übergangsregierung ging aus dem „Provisorischen Komitee der Dumamitglieder“ hervor, das sich zur Aufgabe gesetzt hatte: „Herstellung der Ordnung und Verkehr mit Ämtern und Personen.“ Es wurde vom ehemaligen Dumasprecher Rodsjanko angeführt, der über die Abdankung des Zaren traurig war. „Wenn wir nicht die Macht übernehmen, dann werden es die anderen machen, diese Schurken, die bereits alle Arten von Schurken in den Fabriken gewählt haben“, so Dumamitglied Schulgin.

Diese vermeintlichen „Schurken in den Fabriken“ waren die Mitglieder des Arbeiterrates, dieses Kampfkomitees demokratisch gewählter Arbeiter. Die Erfahrung der Sowjets von 1905 hatte sich ins Bewusstsein der Arbeiter eingeprägt. Auch im Februar 1917 lag die wirkliche Macht in ihren Händen. Das Problem war das Fehlen einer Partei und einer Führung, die für die Revolution stand. Die reformistischen Führer, die sich zunächst in den Vordergrund drängten und die den Großteil des Exekutivkomitees der Sowjets ausmachten, hatten nicht die Perspektive einer Machtergreifung. Sie wollten so schnell wie möglich die Macht der Bourgeoisie (Kapitalistenklasse) übergeben, obwohl letztere keine Rolle in der Revolution gespielt und vor ihr Angst hatte.

Die Liberalen hatten keine Massenbasis und duldeten daher die Sowjets. Die Bewegung, so dachten sie, würde abebben und dann könnte man den „Sozialisten“ einen „Tritt in den Hintern verpassen“ - nach dem Motto: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Hinter dem Rücken der Arbeiterklasse händigten die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre der Bourgeoisie die Macht aus.

Hoffnungsträger

Die Arbeiter und Soldaten misstrauten den Bürgerlichen, vertrauten in ihrer Unerfahrenheit aber ihren Führern, besonders denen mit den radikalsten und „linkesten“ Sprüchen wie Alexander Kerenski. So kamen Leute an die Macht, die während der Revolution keine Rolle gespielt hatten und Angst vor ihrer eigenen Courage hatten. Sie beeilten sich, den Vertretern des Kapitals das Steuer zu überlassen. Die neue Übergangsregierung wurde hauptsächlich von Großgrundbesitzern und Industriellen getragen. Ihr wurde vom Sowjet die Regierungsverantwortung übertragen.

Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre taten alles, um die Massen zu überzeugen, dass eine Regierung ohne Kapitalisten die Revolution zerstören würde. Sie behaupteten, dass die Arbeiterklasse zu schwach sei, um die Revolution durchzuführen und dass sie sich nicht isolieren dürfe. Obwohl zehn Millionen bewaffnete Soldaten, die erschöpft aus dem Krieg zurück kamen, auf der Seite der Arbeiter und Bauern standen, taten die Führer der Menschewiki und Sozialrevolutionäre alles, um die Bourgeoisie nicht „zu verschrecken“. Sie wagten es nicht, den Krieg in Frage zu stellen, geschweige denn die Banken, den Großgrundbesitz oder die Betriebe zu enteignen, damit die ungelösten sozialen Probleme in Angriff genommen werden konnten. Sie spielten auf Zeit und gaben nur allgemeine Phrasen von sich, während die Massen langsam die Geduld verloren.

 

 


Anmerkungen

Bolschewiki: radikale Strömung innerhalb der russischen sozialistischen Arbeiterbewegung, enstanden aus einer der beiden großen Fraktionen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), die im wesentlichen von Lenin geführt wurde. Die Bezeichnung leitet sich von einer Abstimmung auf dem II. Parteikongreß der SDAPR im Juli/August 1903 her, die zu einer dauerhaften Parteifraktionierung führte; dabei ging es zunächst um scheinbar rein organisatorische Fragen, es stellte sich jedoch heraus, dass die Differenzen sich nicht nur auf die Parteikonzeption, sondern auch auf die taktische und prinzipielle Fragen erstreckten (insbesondere die Haltung zum Liberalismus und die Ziele der Revolution in Russland).
Nach der 6. Parteikonferenz der SDAPR im Januar 1912 bildeten die Bolschewiki eine eigene Partei.
Menschewiki: gemäßigte Strömung innerhalb der russischen sozialistischen Arbeiterbewegung mit marxistischem Selbstverständnis; trat für das Zusammengehen der Arbeiterklasse mit der liberalen Bourgeoisie (Bürgertum) zur Niederwerfung des Zarismus und zur Errichtung einer bürgerlich-demokratischen Republik ein.
„Progressiven Block“: Bündnis der meisten Dumadeputierten, während des Krieges eine starke Regierung fordernd
Sozialrevolutionäre: russische sozialistische Bauernpartei; vertraten die Interessen des kleinbäuerlichen Landbesitzes.
Duma: Russisches Parlament
Kadetten: Konstitutionelle Demokraten, bürgerliche Liberale

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