Kategorie: Europa

Kosova: Wann steht die Armut gegen den Reichtum auf?

Kosova oder Kosovo ist bis auf Kurzmeldungen aus der bürgerlichen deutschen Presse weitgehend verschwunden. Hin und wieder erscheinen zwar noch Meldungen, wenn die Opposition im kosovarischen Parlament Tränengas ablässt.


Grundsätzlich wird berichtet, dass die Lage in Kosova stabil sei. Die „Stabilität“ ist seit Jahren das Paradigma der „Internationalen Missionen und Botschaften“ in Prishtina. Völlig ausgeblendet wird dabei die soziale Lage bzw. Not und Elend in Kosova.

Der Euro ist in Kosova Landeswährung. Die Preise – bis auf Kaffee und Zigaretten – lassen sich mit den Preisen in Deutschland vergleichen. Nach offiziellen Zahlen leben 36% der Bevölkerung „ in Armut“ mit weniger als zwei Euro pro Tag“. 18% der Bevölkerung leben in absoluter Armut von weniger als 1 Euro pro Tag. Es gibt in Kosova keine Arbeitslosenversicherung und keine Krankenversicherung. Jede medizinische Behandlung muss selbst bezahlt werden. Das ist ein wichtiges Geschäftsfeld für „Western Union“ besonders in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Immer wieder hasten Arbeitsemigranten in diese Filialen, um für den Onkel, die Tante oder den Vater die medizinische Behandlung zu bezahlen. Laut amtlichen Angaben hat Kosova eine Arbeitslosenzahl von mehr als 40%. Das ist die höchste Zahl in Europa. Dennoch ist die Zahl untertrieben. Kosova hat die jüngste Bevölkerung in Europa. Jeder zweite Bewohner ist jünger als 25 Jahre. Viele Jugendliche melden sich nicht als arbeitslos. In jeder größeren Stadt gibt es einen sogenannten „Arbeiterstrich“. Dort warten Arbeiter auf ein Tagesarrangement meist auf dem Bau für 1 oder zwei Euro pro Stunde. Demgegenüber stehen 6% der Bevölkerung, welche in Luxusvillen wohnen mit original Armanianzügen herumlaufen und im Range Rover herumkutschieren. Diese Mafia hat ungeheuren Reichtum angehäuft. Diese Herrschaften sind gleichzeitig Abgeordnete, Minister, Bürgermeister oder Botschafter. Kosova mit knapp zwei Millionen Einwohnern hat nur einen Minister weniger als die VR China. Die politische Mafia in Kosova benützt den kapitalistischen Privatisierungsprozess, um sich zu bereichern.

Autobahnbau

Das Konsortium Bechtel-Enka (ein Konsortium auch Bechtel/USA und Enka/Türkei) baute die sogenannte „Straße des Volkes“ (Autobahn) durch Kosova, von der serbischen zur albanischen Grenze. Die Autobahn kostete mehr als eine Milliarde Euro. Der fertiggestellte Autobahnkilometer ist dabei umgerechnet dreimal so teuer wie ein Kilometer Autobahn in der Schweiz. Einst favorisierte der US-Botschafter in Kosova, Ch. Dell, die Firma. Heute sitzt Dell im Aufsichtsrat des Konzerns Bechtel. Bechtel-Enka baut immer weiter in Kosova. Die Arbeiter werden nach Belieben geheuert und gefeuert. Oftmals zahlt der Konzern nicht einmal den kosovarischen Mindestlohn von 170 Euro im Monat. Für das kurze Autobahnteilstück Prishtina-Han Elzit wurden in diesem Jahr 53 Millionen Euro an die Firma bezahlt. Der Oppositionsabgeordnete Liburn Aliu stellte daher im Namen von VV (Bewegung für Selbstbestimmung) den Antrag, den Vertrag mit Bechtel-Enka offenzulegen. Er forderte eine Parlamentsdebatte sowie einen Untersuchungsausschuss zu dem Vorgang. Aliu verlangte von der Staatsanwaltschaft, Ermittlungen aufzunehmen. Im Antrag von Liburn Aliu steht: „Premierminister Haradinaj kann sich nicht auf das Geschäftsgeheimnis berufen“.

In der Tat wird der kosovarische Staatshaushalt laufend durch große Firmen geplündert. Daneben bereichert sich die politische Mafiosi-Kaste an den Auftragsvergaben. Viele Angehörige der politischen Kaste sind als Bauunternehmer Subunternehmer für Bechtel Enka. Im Volksmund nennt man die verschiedenen Regierungen „Regierungen des Asphalts“.

Privatisierung der Stromversorgung

Das Unternehmen KEDS, zentraler Stromversorger in Kosova, wurde im Jahr 2012 „für einen Appel und ein Ei“ privatisiert. An der türkischen Firma Celik Limak sind Familienangehörige und enge Freunde des türkischen Präsidenten Erdogan beteiligt. Seit der Privatisierung stiegen die Strompreise bis heute um rund 50%. Immer mehr Menschen sind Aufgrund der Massenarmut nicht mehr im Stande, die Preise für den Strom zu bezahlen.

Im Jahr 2013 schrieb Deniz Faber auf Kosova-Aktuell: „Im September des letzten Jahres wurde die KEDS (Stromverteiler) Kosovas für 26 Millionen Euro praktisch verschenkt. Im Januar 2013 sollten die Strompreise in Kosova dramatisch ansteigen. Diese Strompreiserhöhungen konnten wegen der Proteste der Bürger nicht durchgeführt werden. Der neue Eigentümer der KEDS, der Konzern Celik Limak, hat jetzt Forderungen gegenüber der Regierung in der Höhe von 17,9 Millionen Euro erhoben. Der

Forderung des türkischen Konsortiums wurde entsprochen. Zusätzlich hat die Regierung in den letzten drei Monaten 15 Millionen Euro, in die neuen digitalen Stromzähler investiert. Das ergab einen Gesamtbetrag von 32.9 Millionen Euro. Das ergibt folgende Rechnung: Celik Limak bezahlte 26 Millionen Euro für die KEDS. Die Regierung sponserte den neuen Eigentümer der KEDS mit 32,9 Millionen. Das bedeutet für den Konzern ein plus von 6,6 Millionen Euro. Ergo, die Regierung hat die KEDS verschenkt. Die Reaktivierung der Stromversorgung kostete nach dem Krieg im Jahr 1999 nach Angaben der Gewerkschaft BSPK allein im kleinen Landkreis Istog 26 Millionen Euro.

Was passiert mit Trepca?

Der größte Reichtum Kosovas ist das ehemalige Kombinat Trepca mit seinem Zentrum in Mitrovica. Einst galt das Bergbaukombinat als die weltweit drittgrößte Förderstätte von Chrom, Nickel, Kupfer und Blei. Das Kombinat hatte viele verarbeitende Kapazitäten. Eine davon befindet sich in Zvecan im Norden Kosovas. Im Juni 2016 fand eine Tagung der serbischen Parallelregierung (genannt „Vereinigung serbischer Kommunen“) in Zvecan statt. An dem Treffen nahmen die Bürgermeister von Nord-Mitrovica, Zvecan, Zubin Potok, Leposavic, Gracanica und Novo Brdo teil. Außerdem der von Serbien eingesetzte Direktor von Trepca, Jovan Dimkiq, sowie der serbische Minister Ljubomir Maric als Mitglied der kosovarischen Regierung. Mit keinem Wort ging es bei der Zusammenkunft um die gemeinsamen Interessen der serbischen und albanischen Arbeiter in Kosova. Trepca wurde nicht als Arbeitereigentum, sondern als serbisches Staatseigentum definiert, wobei ausdrücklich die unter Milosevic durchgeführte Teilprivatisierung an ein französisches und griechisches Konsortium akzeptiert wurde. Der Hauptzugang zur Mine befindet sich im albanischen Teil von Mitrovica. Es gab keinerlei Initiative, sich mit den albanischen Bergarbeitern zu verständigen. Letzteres ist von einer bürgerlich-reaktionären, serbisch-ethnisch definierten Parallelstruktur auch nicht zu erwarten. Laut dem Portal „Kossev“ hat diese Struktur beschlossen, die wichtigsten Entscheidungen bezüglich Trepca im „serbischen Kommunalverbund“ zu entscheiden“. Ergo entscheiden und befinden die Bürgermeister aus Gracanica und Novo Brdo, obwohl sie weit weg von Trepca sind, über das Leben der Arbeiter. Ausdrücklich beziehen sich sechs Bürgermeister auf die Interessen des „serbischen Volkes“.

Gemeinsame Arbeiterinteressen über nationale Grenzen hinweg kommen in der Erklärung nicht vor. Außerdem meinten die Bürgermeister, dass ihre „Anliegen in völliger Übereinstimmung mit der serbischen Regierung sind“. Auf der anderen Seite hat die kosovarische Regierung sieben Unternehmen, welche an Trepca interessiert sind, im Rahmen einer Ausschreibung gefunden. Auch dies richtet sich gegen die Interessen aller arbeitenden und armen Menschen in Kosova. Denn interessierte Investoren wollen nur kostengünstig Rohstoffe abtransportieren. Weder die kosovarische Regierung und schon gar nicht die unter der Kontrolle Belgrads arbeitenden „Bürgermeister“ haben etwas mit den gemeinsamen Interessen der einfachen Leute gemein. Im Interesse der Arbeiter wäre es, Trepca unter Arbeiterkontrolle als staatliches Eigentum fortzuführen. Dies gilt es gegen die Privatisierer aus Belgrad und Prishtina durchzusetzen. Die albanischen Bergarbeiter dürfen seit dem Spätherbst 1999 „auf Probe“ im Bergbau arbeiten. Ihr Durchschnittsalter beträgt 59 Jahre. Trepca hat nicht das Recht, Bergarbeiter auszubilden. Die Produktivität ist demzufolge niedrig. Letzteres verbilligt den Kaufpreis für Trepca. Unter den Interessenten für Trepca befinden sich auch Thyssen Krupp sowie Siemens. Kein potenzieller Investor hat die Absicht, das ehemalige Kombinat Trepca zu reaktivieren. Die ehemaligen verarbeitenden Kapazitäten verrotten. Trepca soll günstig gekauft werden. Dann wird nur gefördert. Die Rohstoffe gelangen dann via Autobahn nach Durres in Albanien. Die kapitalistischen Kaufinteressenten wollen die Rohstoffe in Europa verarbeiten.

Allgemeines zum Privatisierungsprozess

Jede Privatisierung hat nach Berechnungen des kosovarischen Gewerkschaftsbundes BSPK bis heute knapp 80.000 Arbeitsplätze vernichtet. Privatisiert wird – auf Anordnung der ehemaligen UN Mission UNMIK – auf der Basis der Wirtschaftsreformen von Milosevic aus dem Jahr 1990. Damals wurde das jugoslawische Arbeitergruppeneigentum aufgehoben. Die Betriebe wurden, um die Privatisierung im alten Jugoslawien voranzutreiben, in staatliche AGs umgewandelt. Die Arbeiter wurden zu 20% Aktionäre. Der Rest wurde aufgeteilt. Einen Teil hielt in Kosova der serbische Staat, andere Teile internationale Investoren sowie privilegierte serbische Bürokraten.

Der Privatisierungsprozess prellt real die entlassenen Arbeiter um die Ihnen zustehenden Anteile. Es gilt die Formel, dass jede Privatisierung in Kosova 50% der Arbeitsplätze vernichtet. Die Löhne werden im Schnitt ebenfalls drastisch reduziert. Ein gutes Beispiel ist die Privatisierung der relativ modernen Firma Ferronikel in Drenas im Jahr 2006. Die Firma Alferon (Haupteigentümer sind zwei israelische Staatsbürger aus Kasachstan mit Geschäftssitz in London) bekam das Werk für 33 Millionen Euro. Ein schwedisches Konsortium bot 46 Millionen Euro, zog aber den Kürzeren. Den Grund zeigte die israelische bürgerliche Zeitung Haarez auf. Die Käufer zahlten schwarz an den damaligen Premier Agim Ceku eine Million Euro. An den Wirtschaftsminister Bujar Dugolli ebenfalls eine Million Euro. Dugolli ist jetzt Dekan der „Philosophischen Fakultät“ in Prishtina. Das führte zu vielen Witzen wie: „Er verkaufte Ferronikel und jetzt hat er nach Aristoteles „Zeit und Muße um zu philosophieren“. Ebenfalls schwarz im Kuvert erhielt der damalige Oppositionsführer Hashim Thaci eine Million Euro. Letzteres führte umgehend dazu, dass Thaci die Opposition gegen diese Privatisierung aufgab.

Kürzlich übernahm der albanische Milliardär Samir Mane Ferronikel über die Balfin Group. Dies in enger Kooperation mit der britischen NKL Limited. In Ferronikel arbeiteten bis zur Privatisierung mehr als 2000 Arbeiter. Davon blieben 800 übrig. Monatelang erhielten die Arbeiter wegen des neuerlichen Verkaufs von Ferronikel keine Löhne.

In den Jahren nach der Privatisierung gab Alferon über Jahre einen Umsatz zwischen 150 und 180 Millionen Euro pro Jahr an. Der Profit wurde nicht mitgeteilt. Zusätzlich wurden die Arbeiter im Werk systematisch vergiftet. Die Umgebung des Werkes ist ökologisch tot. Alle Schadstoffe wurden ohne jegliche Kontrolle an die Umgebung abgegeben. Die Stadt Drenas hat nach Obelic in Kosova die höchste Rate an Asthmaerkrankungen und zudem die höchste Krebsrate. Erst in den letzten Jahren sank oder stagnierte wegen des Preisverfalls von Nickel auf dem Weltmarkt der Umsatz von Ferronikel. Nur die Partei VV (Bewegung für Selbstbestimmung) lehnt mit einem linkssozialdemokratischen Programm den Privatisierungsprozess in Drenas und Kosova ab.

Die Banken in Kosova

Die drei dominierenden Banken in Kosova sind die österreichische Raiffeisenbank, die deutsche ProCredit Bank sowie die türkische TEB Bank. Bis zum Jahr 2010 hatte die österreichische Raiffeisenbank das alleinige Privileg, landwirtschaftliche Kredite zu vergeben. Oftmals bezahlten die kosovarischen Bauern 18 Prozent Effektivzins. Natürlich konnten viele Bauern die Zinsen nicht bezahlen. Das war aber für die Raiffeisenbank aus Austria kein Problem. Die Kredite wurden mit Hypotheken abgesichert. Auf den Flächen vieler ruinierter Bauern entstehen Wohnungen für Arbeitsemigranten, welche die österreichische Raiffeisenbank in ihren Unterlagen findet. Auch die deutsche ProCredit Bank ist zunehmend im Immobiliengeschäft tätig. Sie finanziert gemeinsam mit der türkischen TEB Bank hauptsächlich Einkaufszentren der örtlichen Mafia.

Ausblick und Widerstand

Der kapitalistische Privatisierungsprozess war und ist für Kosova ein absolutes Desaster. Die Hauptinvestoren sind mit Abstand türkische Unternehmen. Die türkische Firma Limak übernahm vor einigen Jahren den Flughafen „Adem Jashari“ bei Prishtina. Auch hier wurden Löhne gekürzt und Arbeiter entlassen. Im Jahr 2010 wurde ein Streik am Flughafen gewaltsam niedergeschlagen. Die Verhaftung der Betriebsräte wurde live im Fernsehen übertragen. Das sollte signalisieren, was mit widerständigen Arbeitern passieren kann. Dennoch scheiterte die Privatisierung der „Post und Telekommunikation“ PTK an eine dubiose Firma aus Hamburg. Die Arbeiter drohten mit unbefristetem Streik. Der Regierung sollte der Strom abgedreht werden.

Gegenwärtig gibt es eine gewisse Reaktivierung der Gewerkschaftsbewegung. Die Arbeiter der KEK (Energieerzeuger auf Kohlebasis) widersetzen sich bis heute jeder Privatisierung. Am 1. Mai vergangenen Jahres gab es in Prishtina wieder eine 1. Mai-Demonstration. Der neue Gewerkschaftsvorsitzende Avni Ajdini verweigert im Gegensatz zu seinem Vorgänger Haxhi Arifi jede Unterschrift unter Privatisierungen. Im Juli erklärte Ajdini gegenüber der Zeitung „Telegrafi“: „Wenn die Regierung so weitermacht, wird es einen Generalstreik für sämtliche Interessen der Arbeiter geben“. In der Tat findet in Kosova fast jeden Tag irgendein Streik statt. Aber die Aktionen sind spontan und örtlich begrenzt. Einmal protestieren Arbeiter in Ferizaj und am nächsten Tag die Bauerngewerkschaft vor dem Parlament. Es entwickelt sich wieder zumindest ein ökonomistisches Klassenbewusstsein. Ein elementares Problem ist, dass Kosova mit knapp zwei Millionen Einwohnern ethnisch faktisch geteilt ist. Die knapp 100.000 Serben in Kosova leben völlig getrennt in parallelen Strukturen auf 25% des Landes. Auf diese Teilung legt Belgrad Wert. Die serbischen Beamten in diesen Gebieten erhalten neben dem kosovarischen Lohn noch Gelder aus Serbien

Fazit

Es gibt bei jungen Menschen in Kosova wieder ein gestiegenes Interesse am Marxismus. In Prishtina gibt es mehr Marx-Lesekreise als in München. Dazu eine sehr aktive anarchosyndikalistische Gruppe in Prishtina. Was aber fehlt, ist eine wirklich revolutionäre marxistische Organisation. Für sie gäbe es Möglichkeiten, besonders in der „Bewegung für Selbstbestimmung“ VV zu arbeiten. VV nennt sich „sozialdemokratisch“. Im internationalen Vergleich hat sie in ihrem „Alternativen Regierungsprogramm“ ein Bekenntnis zum „staatlichen demokratisch kontrollierten Eigentum“. Sie fordert ebenso die Rücknahme von Privatisierungen. Ihr Programm lässt sich mit dem Programm des britischen Labour-Chefs Jeremy Corbyn vergleichen. Fortschrittliche Arbeiter sowie insbesondere die Jugend beziehen sich auf VV. Nötig ist der Aufbau einer wirklich marxistisch trotzkistischen Tendenz innerhalb und außerhalb von VV.

Quellen:

  • Telegrafi, 9. Juli 2018

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