Kategorie: Kapital und Arbeit

Industrieller Kahlschlag statt blühender Landschaften

Während der jüngste Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit und eine offizielle Quote von bundesweit 6,6 Prozent vermeldet, ist die reale und gefühlte Situation in vielen Regionen meilenweit von einer heilen Welt entfernt. Dabei hat die Deindustrialisierung längst nicht nur alte Industriekerne im Osten der Republik erfasst, sondern auch Teile des Westens und Südwestens.


 

So lässt der Bochumer Opel-Betriebsrat nichts unversucht, um das Aus für die Autoproduktion an der Ruhr und damit für mehrere tausend Arbeitsplätze doch noch in letzter Minute abzuwenden. Ein letzter Strohhalm ist die Klage aufgrund möglicher Formfehler in der entscheidenden Aufsichtsratssitzung.

 

Auch im Ballungsraum Rhein-Neckar im Südwesten wehren sich Betroffene gegen die Schrumpfung industrieller Kerne. Die blühenden Landschaften, die Ex-Kanzler Helmut Kohl 1990 in der sich auflösenden DDR in Aussicht stellte, lassen auch in seiner am westlichen Rheinufer gegenüber Mannheim gelegenen Heimatstadt Ludwigshafen auf sich warten.

 

Die alte pfälzische Industriestadt war mit der chemischen Industrie groß geworden und ist schon längst ein Sorgenkind. Der Niedergang drückt sich in einer offiziellen Arbeitslosenquote von 9,0 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt aus. Jetzt plagen Existenzsorgen die Belegschaft eines traditionsreichen Chemiebetriebs in Ludwigshafen und im rund 30 km entfernten badischen Ladenburg. Die Rede ist von den Niederlassungen des Chemie-Konzerns ICL (Israel Chemical Ltd). Der israelische Staatskonzern ICL will das Werk in Ladenburg „verschlanken“, den Ludwigshafener Betrieb verkaufen und das Verwaltungszentrum in die Steueroase Amsterdam verlagern.

 

Das Programm werde „diktatorisch umgesetzt“, verlautet aus der Belegschaft. Jeder, der auch nur ansatzweise Diskussionen hervorrufe, werde zwangsversetzt, von der Belegschaft verlange das Management eine „120-prozentige Zustimmung“. Das Betriebsklima sei „sektenähnlich“, berichtet ein ICL-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte. Viele fühlten sich ausgepresst und seien wütend, frustriert und äußerst besorgt, weil „die Managemententscheidungen in Hinterzimmern ohne den Betriebsrat gefällt“ würden. „Man denkt, das ist deine Familie und plötzlich wird alles verkauft!” sagt ein Angestellter. Jahrzehntelanges Verantwortungsgefühl und Flexibilität bei Überstunden zählten plötzlich nicht mehr. „Wenn es notwendig war, haben wir das ganze Leben auf die Firma ausgerichtet.“

 

Auf eine Schockstarre folgten erste öffentliche Protestaktionen und „aktive Mittagspausen” vor dem Tor. „Lieber hyperaktiv als blind und naiv“, so die Antwort aus der Belegschaft auf den Vorwurf des Managements, der Betriebsrat sei „hyperaktiv“. Dass nun ein Schulterschluss mit der Mannheimer Belegschaft des Energieanlagenbauers Alstom gesucht wird, liegt nahe. Denn auch diese wehrt sich gegen Kahlschlag und hat sich das Motto „Unsere Chance Rèsistance!” auf die Fahnen geschrieben. Im Widerstand gegen rein auf maximale Rendite orientierte Konzernzentralen helfen nur Zusammenhalt, Schulterschluss und Widerstand.

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