Kategorie: DIE LINKE

Neues Papier von SPD-Linken und Gewerkschaftern: Sprengsatz für die SPD?

Für neue Aufregung hat diese Woche in der SPD ein von namhaften sozialdemokratischen Mandatsträgern und ranghohen Gewerkschaftern unterzeichneter Appell gesorgt, der den Titel „Reichtum nutzen, Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken“ trägt. Der Aufruf beklagt, ausgehend vom jüngsten Armuts- und Reichtumsberichts (ARB) der Bundesregierung zu den Lebenslagen in Deutschland, die zunehmende „Schere zwischen Arm und Reich“ sowie die „Angst der Mittelschicht vor Armut“ und fordert „eine sozialdemokratische Antwort.“



Viele Sätze des Papiers lesen sich wie eine Anklageschrift gegen die nunmehr zehnjährige Regierungspolitik der eigenen Partei im Bund, gegen Hartz-Gesetze, Riester-Rente und „Gesundheitsreform“. So beklagen die Unterzeichner eine „Deregulierung des Arbeitsmarktes“ und „Schwächung der Tarifautonomie“, eine „massive Ausweitung des Niedriglohnsektors“ und Lohndumping. „Politische Entscheidungen der vergangenen Jahre, die diese Entwicklung bewirkt bzw. verstärkt haben, müssen korrigiert werden“, heißt es im O-Ton.

Zu den zahlreichen konkreten Forderungen des Papiers gehören die Beschränkung von Leiharbeit und Abschaffung der Befristung ohne Sachgrund, die rechtliche Gleichstellung von Leiharbeitern mit den Stammbelegschaften sowie die Umwandlung der 1-Euro-Jobs in sozialversichungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Gefordert wird ebenfalls eine „Zurücknahme der Rente mit 67“, die Fortführung der Altersteilzeitregelung, die Umwandlung der Rente zu einer universalen Sozialversicherung nach Schweizer Modell und die Einführung einer Bürgerversicherung. Zuzahlungen etwa für Arztbesuche und Praxisgebühren im Gesundheitswesen sollen zurückgenommen werden, fordern die Unterzeichner. Neben einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer verlangen sie eine Umverteilung der Einkommen je nach sozialer Belastbarkeit und zum Wohle der Allgemeinheit „durch eine entsprechende Finanz-, Steuer-, Vermögensbildungs- und Sozialpolitik“.

Es brodelt

Aufschlussreich ist ein Blick auf die Namen der rund 60 Unterzeichner des Papiers. Unter ihnen befinden sich 20 SPD-Bundestagsabgeordnete, allen voran Ottmar Schreiner, von denen etliche in letzter Zeit durch Kritik an Einzelaspekten der Regierungspolitik und teilweise von der Fraktionslinie abweichendes Stimmverhalten im Bundestag (Rente 67, Bahnprivatisierung) aufgefallen waren.
Noch entscheidender sind die Namen von sechs DGB-Landesvorsitzenden unter dem Papier: Rainer Bliesener (Baden-Württemberg), Udo Gebhardt, (Sachsen-Anhalt), Stefan Körzell (Hessen-Thüringen), Hanjo Lucassen (Sachsen), Dietmar Muscheid (Rheinland-Pfalz) und Guntram Schneider (NRW). Mit Klaus Wiesehügel (IG BAU) und Lothar Krauß (Transnet) haben sich auch zwei Bundesvorsitzende einer DGB-Gewerkschaft dem Appell angeschlossen – für ver.di die ranghöchste Sozialdemokratin im Vorstand, Margret Mönig-Raane (ver.di-Chef Bsirske ist Mitglied der Grünen). Dies deutet darauf hin, dass der Druck im Gewerkschaftsapparat sehr stark sein muss. Wenn so viele ranghohe Gewerkschafter Krach schlagen, muss die Unzufriedenheit an der Basis riesengroß sein – und das ist sie auch.

Während Klaus Wiesehügel schon zuvor einschlägige Papiere gegen die Regierungspolitik unterschrieben hatte, hat sich Lothar Krauß, von Haus aus eher ein rechter Sozialdemokrat, bisher stets von solchen Initiativen ferngehalten. Nun will er offensichtlich aus dem Schatten seines Vorgängers Norbert Hansen heraustreten, der im Juni überraschend von der Gewerkschaftszentrale in das Bahn-Management wechselte. Krauß möchte beim bevorstehenden Gewerkschaftstag seiner Organisation erstmals offiziell als Vorsitzender gewählt werden. Hansen hatte bis zuletzt zusammen mit dem Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Hubertus Schmoldt, die Agenda-Politik des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder gelobt, dafür geworben und sich etwa 2004 von zaghaften DGB-Protesten gegen die Agenda distanziert.
Auch Gernot Grumbach, stellvertretender hessischer SPD-Landeschef und maßgeblicher intellektueller Kopf und Berater der Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti, unterstützt den Aufruf ebenso wie mehrere hessische Bundestagsabgeordnete. Den Namen der „linken“ SPD-Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti sucht der Leser aber vergebens.

Ebenso fällt auf, dass viele bekannte bayerische SPD-Funktionäre, Mandatsträger und Gewerkschafter das Papier unterstützen – allen voran der Münchner Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter und der AfA-Landesvorsitzende Ludwig Wörner. Daß sie dies mitten in einem für die SPD schwierigen Landtagswahlkampf tun und ihre Kritik nicht erst nach Schließung der Wahllokale öffentlich äußern, ist für sozialdemokratische Verhältnisse bemerkenswert.

À propos Bayern. Ein historisch schlechtes Abschneiden der Bayern-SPD in der letzten Landtagswahl 2003 – verursacht durch Stimmenthaltungen enttäuschter früherer SPD-Anhänger – hatte übrigens Anfang 2004 den Anstoß gegeben für einen Appell bayerischer IG Metall-Funktionäre und Sozialdemokraten „für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. Daraus war die Partei WASG hervorgegangen, die sich im letzten Sommer mit der Linkspartei.PDS zur neuen Partei DIE LINKE vereinigte. Ob das aktuelle Papier jetzt wieder ähnliche längerfristige Folgewirkungen hat oder gar ein politisches Erdbeben auslösen wird, das muss und wird sich zeigen.
Sprecher des rechten SPD-Flügels kritisierten den Aufruf und warnten vor einem Abweichen von der Agenda 2010, zu der auch die Hartz-Gesetze gehören. Der Vorsitzende der LINKEN, Oskar Lafontaine hingegen, unterstützte die Forderungen der 60 Unterzeichner und hoffte, daß die SPD-Abgeordneten im Bundestag nun auch entsprechende Vorschläge der Linksfraktion unterstützen würden.

DIE LINKE jedenfalls sollte sich die dadurch ausgelöste Diskussion auf allen Ebenen zunutze machen. Entsprechende Anträge und Initiativen der Bundestagsfraktion können dabei nützlich sein. Entscheidend ist aber vor allem ein Schulterschluss mit der SPD- und Gewerkschaftsbasis und ein gemeinsamer Kampf für die gleichen Ziele. Wir dürfen jedoch nicht die Illusion schüren, dass wir einfach durch ein paar Gesetzesänderungen wieder in die („gute alte Zeit der“) 1970er Jahre zurückkehren könnten. Jeder Versuch, den Herrschenden etwas von ihren Profiten und Privilegien wegzunehmen und mehr Gerechtigkeit herzustellen, wird auf deren erbitterten Widerstand stoßen. Wenn wir es mit Forderungen nach Armutsbekämpfung, wirklichen Verbesserungen und sicheren Lebensperspektiven für alle Menschen ernst meinen, müssen wir uns auf gewaltige Konflikte vorbereiten und bereit sein, die Macht der Herrschenden zu brechen und eine neue, solidarische, demokratisch-sozialistische Gesellschaft aufbauen.

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