Kategorie: Antifaschismus

Chemnitz am 1. September 2018: Kein Vertrauen auf Staat und Polizei

Am Samstag, 1. September 2018, kam es zu einer weiteren rechten Demonstration am „Karl-Marx-Kopf“ in Chemnitz. AfD, PEGIDA und „Pro Chemnitz“ riefen auf zum „Trauermarsch“. 500 Meter entfernt fand eine Gegenkundgebung statt, zu der „Chemnitz Nazifrei“ und diverse Parteien und Organisationen mobilisiert hatten.


Nachdem Neonazis den tödlichen Ausgang eines Streits beim Chemnitzer Stadtfest am letzten Augustwochenende zum Anlass für rassistische Übergriffe genommen hatten, fühlten sich bundesweit Neonazis und Rassisten im Aufwind. Sie werden immer mutiger und haben offensichtlich auch nichts zu befürchten. Immer häufiger werden Faschisten in den Reihen der Polizei enttarnt (oder enttarnen sich selbst, wie etwa jene Bundespolizisten, die den Hitlergruß zeigten), aber zumindest hat die Institution der Polizei kein Problem damit. Wieder wendete sich auch am 1. September der Großteil des massiven Polizeiaufgebots in Chemnitz der linken Gegendemonstration zu.

Rechte Gewalt – und der Staat schaut zu

Erfahrungsbericht des Autors dieser Zeilen: „Am Samstag wurde ich von einer Gruppe Nazis verbal und körperlich attackiert. Sie trugen Kleidung der „Division Germania“ mit Reichskriegsflaggen. Nach Remplern und einem Schlag in den Magen kam schließlich einer der in der Nähe stehenden Polizisten hinzu – aber erst, als etwa sechs Nazis im Kreis um mich standen, mich bedrängten, bedrohten und sich für mehr Angriffe bereit machten. Der Polizist meinte nur, wir sollten weiter gehen. Die Nazis beschimpften mich vor dem Polizisten weiter, woraufhin ich ihn darauf aufmerksam machte, dass ich gerade u.a. „Judenschwein“ genannt wurde. Der Polizist drehte sich um und ging weg.
So weit kommen konnte es, weil die Kundgebung der Rechten nicht gesichert war. Es standen nur einzelne Polizisten in der Gegend herum und man konnte ohne Probleme vom Kundgebungsplatz in die Nähe der Gegendemonstration gelangen. Außerdem wurden die Rechten auf dem Weg zum Platz nicht gekesselt, wie es bei den Linken der Fall war.“
Berichte über diverse Übergriffe und teilweise Kampfszenen, die an diesem Tag von Nazis ausgingen, häufen sich. Journalisten wurden bedroht oder sogar angegriffen, ein Kamerateam des MDR wurde körperlich verletzt. Ein Journalist dokumentierte, wie er von der Polizei bewusst in die Demo von AfD, PEGIDA und Pro Chemnitz gedrängt wurde. Journalisten berichten darüber, dass die Polizei zusah, wie sie angegriffen wurden. Auch bei Straßenkämpfen zwischen Nazis und Linksautonomen verhielt sich die Polizei – sofern sie anwesend war – zaghaft. Nun heißt es wieder, die Polizei sei überfordert und überwältigt von den Nazis. Sie hätten nicht gedacht, dass sich AfD, PEGIDA und Pro Chemnitz zusammenschließen – womit man angeblich nicht rechnen konnte. Abgesehen vom G20-Gipfel im vergangenen Jahr konnte man hierzulande selten ein Polizeiaufgebot in der Größenordnung sehen.

Hier wird Nazigewalt gegen einen Journalisten dokumentiert. Hier weitere Szenen. Die Nazis können offenbar machen, was sie wollen. Und vorne in der ersten Reihe war die Prominenz der AfD, die wir aus dem Bundestag kennen. Ein führender AfD-Funktionär (mit Bändchen und Ausweis) wurde begleitet von vier Nazischlägern zur Demo laufend beobachtet. So kann man sich das Geld für Bodyguards sparen, und distanzieren muss man sich schließlich schon lange nicht mehr.

Um den Schein eines Trauermarsches zu wahren, wurden Durchsagen per Mikrofon gemacht, man solle sich friedlich und gesittet verhalten. Bereits beim Aufruf zur Demonstration wurde das Verbot von Alkohol und Zigaretten formuliert und ausschließlich schwarz-rot-goldene Flaggen erlaubt. Zudem wurde das Symbol der weißen Rose (in Anlehnung an eine Widerstandsgruppe gegen die Nazidiktatur) missbraucht. Höcke (Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzender) und Co. hatten weiße Rosen am Revers angesteckt.

Rolle der Polizei

Auf dem Weg zur antifaschistischen Gegendemo hingegen, durch den Hauptbahnhof, wurden viele direkt in einen Kessel gedrängt und am Ausgang solange festgehalten, bis der letzte Zug mit vermeintlich Teilnehmenden ankam. Auch der Zutritt zurück in den Bahnhof, um die Toilette zu benutzen, wurde ohne Begründung verwehrt.

Der Staat und seine Vertreter in Blau sind keine Verbündeten im Kampf gegen Faschisten – im Gegenteil: Sie lassen sie frei gewähren, wenn sie nicht grad selbst mitmachen können. Sie werden uns nicht helfen, sie schützen uns nicht vor rechter Gewalt – sie gehören zum Problem!

Das häufig verwendete Totschlagargument „Sie machen ja nur ihren Job“ trifft den Punkt im Prinzip genau. Es ist ihr Job, die Interessen der herrschenden Klasse und ihres bürgerlichen Staats gewaltsam durchzusetzen. Dazu gehört ein Vorgehen gegen jegliche Organisierung von links, also jedes Bestreben, das eine Umwälzung des kapitalistischen Status Quo im Sinn hat. Jegliches Aufbäumen der lohnabhängigen Bevölkerung soll gar nicht erst zum Problem für die herrschende Klasse werden. Dazu kommt, dass diese Berufsgruppe nicht ohne Grund anfällig für rechtsradikale Einstellungen ist. Faschisten werden in ihren Reihen mindestens geduldet. Wir erleben eine staatliche Legitimierung von Rassismus und Faschisten.

Die Lage in Chemnitz ist nur ein weiterer Schritt vorwärts für Nazis, AfD und Co. Dass kontinuierliche faschistische Aufmärsche allerdings kein reines Ost-Problem sind, zeigten spätestens die 2014 stattgefundenen „Hooligans gegen Salafisten“-Demonstrationen in Köln und Hannover. Seit langer Zeit befindet sich die bundesweite Koordinationsstelle der Nazis in Dortmund und ist organisiert um den bekannten Nazi Michael Brück von der Partei DIE RECHTE, der unter anderem einen Onlineshop namens „Antisem.it“ betreibt. Seit Jahren können Nazis in Dortmund frei gewähren, machen Jagd auf Migranten, Homosexuelle und Linke. Sie haben sich bereits ihren „Nazi-Kiez“ in Dorstfeld geschaffen, wie es an diversen Häuserwänden steht. Dennoch ist die strukturelle Benachteiligung des Ostens ein reales Problem, das sich AfD und Co. in den abgehängten Gegenden zu Nutze machen.

Die Linke in die Offensive!

Letztes Wochenende wurde die Schwäche der Linken wieder einmal deutlich. Die Nazis hatten bundesweit nach Chemnitz mobilisiert, während die Gegendemonstration auf gerade einmal 1000 Teilnehmende kam. Es braucht eine starke Einheitsfront aus Linken, Gewerkschaften und Migrantenverbänden. Dieser Aufbau wird unvermeidlich sein, denn die Nazis werden sich über kurz oder lang nicht damit zufriedengeben, durch Innenstädte zu ziehen oder ihre faschistischen Parolen nur auf Kundgebungsplätzen kund zu tun. Die Jagdszenen auf alle Menschen, die vermeintliche nicht „arisch“ aussehen, haben gezeigt, wohin es gehen wird. Außerdem ist die politische Rechte sehr gut vernetzt. Wir sehen immer wieder, wie sie in kurzer Zeit eine Großzahl an Mitläufern durch die Bundesrepublik mobilisieren können – und darüber hinaus. Denn in ganz Europa sind sich die Faschisten einig, wenn es etwa gegen muslimische Zuwanderung geht. So flatterten am Samstag in Chemnitz auch diverse rechte Flaggen aus Polen und Tschechien.

Klassenkampf

Um Faschismus und rechte Rattenfänger effektiv zu bekämpfen, ist es unabdingbar, auf die wirtschaftlichen und politischen Ursachen zu blicken. Wir sehen eine rasante Prekarisierung der Lohnarbeit, Wohnungsnot und Obdachlosigkeit, ein miserables Bildungssystem und auf der anderen Seite eine kontinuierliche Aufrüstung des Militärs und die stückweise Abschaffung demokratischer Grundrechte. All das sind Produkte der kapitalistischen Krise, in der sich Rassismus von oben noch besser schüren lässt. Ein antifaschistischer Kampf muss daher auch mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbunden werden, um dem Faschismus den Nährboden zu entziehen.

Auch wenn die export- und weltmarktorientierten Teile des Großkapitals derzeit nicht auf Nazis setzen, gibt es kein bürgerlich-kapitalistisches Interesse an einer konsequenten Vernichtung faschistischer Strukturen durch den Staat. Wir sind im Kampf gegen den Faschismus und für die Verteidigung der Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung auf uns gestellt und können nur auf die eigene Kraft bauen. Deshalb ist es umso wichtiger ist, dass die Arbeiterklasse zusammen steht, sich solidarisch mit ihren Klassengeschwistern zeigt, und gemeinsam gegen Faschismus und den kapitalistischen Status Quo einsteht.

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