Kategorie: Deutschland

Editorial Funke Nr. 117: Grün, grün, grün sind alle Illusionen

Die deutsche Politiklandschaft ist in ihren Grundfesten erschüttert. Die GroKo-Parteien, die in der Vergangenheit gemeinsam die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich vereinen konnten, taumeln von einer Krise zur anderen und fast jede neue Wahl bedeutet für sie eine Niederlage.


Stattdessen erleben die Grünen einen atemberaubenden Aufstieg. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Große Koalition frühzeitig zerbricht. Neuwahlen wären die Folge und die Grünen haben große Ambitionen. Alles scheint auf die Frage hinauszulaufen: Grün-Rot-Rot oder Schwarz-Grün?

Der Aufstieg der Grünen

Mit den Schulstreiks der „Fridays for Future“-Bewegung (FfF) und dem Kampf um den Hambacher Forst hat die Politisierung der Jugend eine neue Stufe erreicht. Beim weltweiten Schulstreik am 24. Mai gingen 320.000 Menschen in ganz Deutschland auf die Straße. Zusammen mit der von Berlin ausgehenden Mieterbewegung führte das zu einem Klima, in dem sich der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert sich für die Enteignung von Großkonzernen aussprach – sicher auch in der Hoffnung, damit vor allem jugendliche Wähler für die SPD zu gewinnen. Dass die SPD dennoch eine Niederlage einfuhr, liegt nicht daran, dass Kühnerts Forderungen zu radikal seien. Nach über 20 Jahren neoliberaler Politik ist die Glaubwürdigkeit der SPD auf einem Tiefpunkt angelangt. Ausdruck der Politisierung in der Jugend war nicht zuletzt auch Rezos Video „Die Zerstörung der CDU“, das mittlerweile über 15 Millionen Aufrufe auf Youtube hat.

Seit Jahren wächst in Deutschland das Potenzial für eine linke Massenbewegung. Dass sich diese jetzt hauptsächlich an der Klimafrage entzündet, ist auch ein Armutszeugnis für die Spitzen von SPD, DGB und LINKE, die in den letzten Jahren damit beschäftigt waren, sich der herrschenden Klasse als “seriöse Sozialpartner” anzudienen, statt dem Frust in der Gesellschaft eine laute Stimme zu geben und an der Spitze der Kämpfe zu stehen.

Die Ideen, denen viele Jugendliche als erstes begegnen, wenn sie sich politisieren, sind oft linksliberal und reformistisch. So steht beispielsweise in der „Fridays For Future“-Bewegung oft das Konsumverhalten des Einzelnen und nicht etwa die Systemfrage im Vordergrund. Man will „auf Politik und Wirtschaft Druck ausüben und „mit ihnen reden“, in der Hoffnung, so Kapitalisten, CDU/CSU und SPD zur Vernunft zu bringen. Diese Positionen decken sich weitgehend mit denen der Grünen und so ist es wenig verwunderlich, dass viele auf die Grünen setzen. Zumal die verbürgerlichte Führung der organisierten Arbeiterbewegung selbst diesen Ideen verfallen ist und keinen Kampf für einen klaren unabhängigen Klassenstandpunkt der Arbeiterklasse führt.

Das wird aber keineswegs so bleiben! Die Wut und die Radikalisierung der Jugend hat die Grünen auf über 20 Prozent hochgedrückt. Die Grünen stehen aber fest auf dem Boden des Kapitalismus und des bürgerlichen Staates. Nun wächst der Druck auf sie, Politik im Interesse der Herrschenden zu machen. Die Klimakrise hat jedoch ihre Ursachen im Kapitalismus, der die Profitmaximierung über alles andere stellt. Die Grünen werden sich nicht ernsthaft mit dem Kapital anlegen. In Hessen setzt die schwarz-grüne Landesregierung auf Flughafenausbau und rollt dem Billigflieger Ryanair den roten Teppich aus. Ganz zu schweigen von der Nähe des Stuttgarter Ministerpräsidenten Kretschmann (Grüne) zu den Chefetagen der Autoindustrie. Wer heute unter 30 ist, wird sich kaum daran erinnern, dass die Grünen bis 2005 in der Bundesregierung alles mitmachten: Kriege, Kürzungen, Sozialabbau, Privatisierungen.

In ihrer Tagespolitik verraten die Grünen auch ihre eigenen Ökoziele. Je mehr sie die Erwartungen der Jugend und Klimabewegung enttäuschen, um so mehr wird ihr Niedergang mindestens genauso schnell vonstatten gehen wie ihr gegenwärtiger Aufstieg. Denn schon jetzt können wir sehen, wie sich die Klimastreiks radikalisieren. Bei der Demo am 24. Mai waren viele Reden und Sprüche radikaler als am 15. März. In Tübingen rief etwa ein 15-jähriger Redner: „Ihr nennt mich radikal? Ihr nennt einen Systemwechsel radikal? Der Klimawandel ist radikal! Und natürlich müssen auch wir radikal sein, um den Kapitalismus aufzuhalten.“

Ende der GroKo?

Die Große Koalition war seit ihrer Neubildung 2018 zum Scheitern verurteilt. Sowohl Friedrich Merz als auch Peer Steinbrück ließen verlauten, dass die GroKo ihrer Ansicht nach nicht bis Ende des Jahres halten würde. Laut Koalitionsvertrag wollen die Parteien im Herbst 2019 entscheiden, ob sie die GroKo fortsetzen. So könnte der kommende SPD-Parteitag zum Ende der Koalition werden. Neuwahlen wären die Folge und die Grünen wären der Schlüssel bei der Regierungsbildung.

Die SPD ist seit einigen Jahren in einer existenziellen Krise und ihrer Glaubwürdigkeit beraubt. Seit 20 Jahren hat sie keine bedeutenden sozialen Verbesserungen mehr erkämpft. In 28 Jahren hat sie zwölf Parteivorsitzende verschlissen. Dabei wurde aber nie ernsthaft über einen Politikwechsel geredet. Die SPD-Spitze ist zunehmend mit ihrem Latein am Ende.

Die Niederlage in der Europawahl und die zu erwartende Katastrophe bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird die Partei in ihren Grundfesten erschüttern. So könnte beim Bundesparteitag im Herbst ein Kampf um einen Richtungswechsel toben. Der von Kevin Kühnert geforderte Linksschwenk ist als einziger Lösungsvorschlag übrig geblieben. Kühnert könnte als ein Gewinner aus dem Parteitag hervorgehen. Der Schulz-Hype hat gezeigt, dass die SPD mit „linken“ Phrasen immer noch wichtige Teile der Arbeiterklasse mobilisieren kann. Würden mit Kühnert im Gegensatz zu Schulz der linken Rhetorik auch linke Forderungen folgen, so hätte die SPD Chancen, ihren Verfall zu bremsen. Doch der rechte Flügel wird seinen Einfluss nicht kampflos preisgeben und will weiter Regierungsposten besetzen.

Kühnert ist nicht mit Labour-Chef Jeremy Corbyn vergleichbar, der als authentischer linker Hinterbänkler drei Jahrzehnte seiner Überzeugung treu blieb. Der Juso-Vorsitzende hat aber erkannt, dass es für linkere Positionen zunehmend Unterstützung in der Bevölkerung gibt. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner und andere fordern „Rot-Rot-Grün“ vor allem, weil sie das als einzigen Weg sehen, Regierungsposten zu behalten. Dies zeigt sich derzeit auch in Bremen.

Grün-Rot-Rot oder Schwarz-Grün?

In unseren Deutschen Perspektiven 2019 erklären wir, dass die nächste Regierung aus Sicht der herrschenden Klasse offensiv die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse angreifen und auch brutale Kürzungspolitik durchzusetzen muss. Angesichts der kommenden Wirtschaftskrise ist das aus Sicht des Kapitals der einzige Weg und wird unausweichlich den Bruch der Sozialpartnerschaft zur Folge haben. Nicht umsonst favorisieren die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände Friedrich Merz statt AKK als CDU-Chef und Kanzler. Das Zustandekommen einer solchen Kürzungs-Regierung ist für das Überleben des deutschen Kapitals in der nächsten Krise entscheidend. Die herrschende Klasse wird mit ihrem gesamten politischen Arsenal den Druck auf die Grünen erhöhen und auf Schwarz-Grün setzen. Gleichzeitig ist die Führung der Grünen damit beschäftigt, der herrschenden Klasse ihre „Wirtschaftskompetenz“ zu demonstrieren. So erhielt Parteichefin Annalena Baerbock für ihre Rede beim Tag der Deutschen Industrie den meisten Applaus der Kapitalvertreter, deutlich mehr als Scholz, Merkel oder Altmaier. Unterdessen lässt sich Grünen-Politiker Cem Özdemir in Bundeswehruniform fotografieren.

Sollte es für eine Grün-Rot-Rote Regierung im Bund reichen und die Grünen wie auch die LINKE tatsächlich darauf eingehen, so hätte eine solche Regierung einen schweren Stand. Nicht nur, dass sie mit Sabotage, Druck und Attacken der herrschenden Klasse leben müsste. Auch lässt die wirtschaftliche Situation keinen Spielraum für bedeutende soziale Reformen. Die Frage stellt sich in der kapitalistischen Krise ganz eindeutig: Enteignung der Bourgeoisie und soziale Reformen oder Beibehaltung des Kapitalismus und Kürzungspolitik. Und weder SPD, noch Grüne oder LINKE wären ernsthaft dazu bereit, die herrschende Klasse zu enteignen. Der versprochene Richtungswechsel bliebe aus und die Regierung würde enden wie die SYRIZA-Regierung in Griechenland. Die Glaubwürdigkeit dieser drei Parteien wäre nach kurzer Zeit weitgehend zerstört.

Die Grünen werden sich entscheiden müssen: Wenn sie mit der CDU im Interesse der Kapitalisten regieren wollen, werden sie nicht nur den Kampf gegen den Klimawandel aufgeben, sondern auch um die Umsetzung brutaler Kürzungspolitk nicht herum kommen. Dazu werden sie das Klima-Argument nutzen, um auf zynische Weise Kürzungen zu rechtfertigen. So etwa die CO2-Steuer, die in der Praxis nur die Verbraucherpreise erhöhen würde, ohne ernstlich CO2 einzusparen. Erinnern wir uns, dass der Auslöser der Gelbwestenbewegung in Frankreich eine Benzinsteuer war, die das Leben der einfachen Franzosen verteuerte und heuchlerisch mit Klimaschutz gerechtfertigt wurde. Ebenso wird die Klimafrage genutzt werden, um einen Keil zwischen die Klimabewegung und die Arbeiterbewegung zu treiben und Stellenabbau und Verschlechterungen zu rechtfertigen.

Wenn die Grünen nicht „liefern“, wird ihre Beliebtheit wieder rasant abfallen. Schon jetzt sehen die meisten Jugendlichen die CDU/CSU als politischen Hauptfeind und werden einer Grün-Schwarzen Koalition skeptisch gegenüber stehen. Radikalere Stimmen werden in der Klimabewegung an Einfluss gewinnen. Entscheidend ist, dass sie sich nicht gegen die organisierten Arbeiter, die für die Erhaltung ihres Lebensstandards kämpfen, ausspielen lässt. Klimawandel, Wohnungsfrage und sinkender Lebensstandard sind für die große Mehrheit die entscheidenden Fragen. Alle drei bringen sie notwendigerweise in Konflikt mit den Profitinteressen der herrschenden Klasse. Und sie können nur gelöst werden, wenn Banken, Großkonzerne und Infrastruktur aus Privatbesitz in öffentlichen Besitz überführt und Teil einer demokratischen Planwirtschaft werden. Die einzige Kraft, die die Macht dazu hat, ist die Arbeiterklasse. Die Wirtschaft liegt wortwörtlich in ihren Händen. Wenn sie einig ist und weiß was sie will, kann keine Macht der Welt sie aufhalten. Deswegen müssen wir auch in der Klimafrage einen Klassenstandpunkt einnehmen! Das Privateigentum an Produktionsmitteln wird zum Bremsklotz am Bein der Menschheit, egal ob es um Klimawandel, die Wohnungsfrage oder Arbeitsbedingungen geht. Deswegen müssen wir gemeinsam für seine Abschaffung und für die sozialistische Revolution kämpfen, in Schule und Hochschule, im Betrieb und auf der Straße!

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Inhalt

Editorial
2 Grün, grün, grün sind alle Illusionen

Deutschland
4 Naziterror kleingeredet?
5 Die Linke in der Regierung
6 Wohnungsfrage ist im Kapitalismus nicht zu lösen
8 Das zweigeteilte Deutschland

Kapital und Arbeit
10 Hafenarbeiter streiken gegen Rüstungsexporte
11 Ein Stück Brot oder die ganze Bäckerei?

Theorie
12 Demokratischer Sozialismus oder Sozialistische Demokratie?

Ökologie
16 Wie weiter mit den Klimastreiks?

International
18 US-Kriegstreiber spielen mit dem Feuer
20 Brasilien: „Tsunami“ gegen Kürzungspolitik
21 Massenproteste in Hongkong

Kultur und Berichte
22 Ihre Moral und Unsere
23 Enthusiasmus tanken beim größten Pfingstseminar seit Jahren

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