Kategorie: Afrika

Ein Jahr Arabische Revolution

Arabischer Frühling. Massenproteste, gestürzte Diktatoren, Bürgerkriege, Streiks prägten im vergangenen Jahr die arabische Welt. Als sich am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid (Tunesien) ein junger Gemüsehändler namens Mohammed Bouazizi nach Polizeischikanen selbst anzündete, war das der Beginn eines revolutionären Flächenbrandes, der die gesamte arabische Welt erfasste. Dieses Ereignis wird als historischer Wendepunkt in die Geschichtsbücher eingehen.



In der Person Bouazizis ist das Schicksal einer ganzen Generation von jungen AraberInnen verkörpert. Sein kurzes Leben war geprägt vom täglichen Kampf gegen Armut, Arbeitslosigkeit und einen korrupten, repressiven Staat. Er war nicht der erste, der aus Verzweiflung zu diesem drastischen Mittel des Protests griff. In diesem Fall war jedoch der Punkt erreicht, an dem der Tropfen das Fass zum Überlaufen brachte. Millionen erkannten sich in Bouazizi wieder und entschieden für sich, dass es reicht. Ihr Protest richtete sich gegen die Diktaturen in der Region, doch diese sind nur der Ausdruck für die gewaltige Kluft zwischen der hohen Entwicklung der Produktivkräfte und den nicht erfüllten Erwartungen der Menschen und der Unfähigkeit dieser Regime die Gesellschaft zu entwickeln. Die Ben Alis und Mubaraks herrschten wie alte Feudalherren und bereicherten sich schamlos.
Korruption und Unterdrückung lasteten wie ein Alp auf allen sozialen Beziehungen. Vor dem Ausbruch der Revolution dominierten Pessimismus und Frustration das Bild. All das führte dazu, dass die Bedingungen für einen revolutionären Ausbruch reif waren.

Was wurde erreicht?

Die Kraft dieser Bewegung führte im Januar zum Sturz Ben Alis, der 24 Jahre lang Tunesien mit eiserner Faust regiert hatte. Dieser Sieg spornte die Massen von Marokko bis in den Yemen an. Ein Monat später war auch Mubarak in Ägypten Geschichte. Armee und Polizei, die wenige Wochen zuvor noch allmächtig schienen, konnten dieser Protestwelle nichts mehr entgegensetzen. Die Idee, dass revolutionäre Massenaktion zum Ziel führen kann, war plötzlich wieder in den Köpfen von Millionen Menschen – nicht nur in der arabischen Welt.
In einem Land nach dem anderen begannen die Regime soziale Zugeständnisse (Lohnerhöhungen, Lebensmittelsubventionen,…) zu machen, um der Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. In Tunesien und Ägypten konnte die Revolution ganz grundlegende demokratische Rechte wie Meinungs-, Koalitions- und Versammlungsfreiheit erringen. Versuche des Militärs in Ägypten Streiks für illegal zu erklären, wurden einfach ignoriert.

Demokratie

Demokratie ist für die Menschen aber nur das Mittel zum Zweck. Sobald die ArbeiterInnen eine Stimme und eine Organisation haben, werden sie für höhere Löhne und mehr Rechte im Betrieb kämpfen. Das ist genau die Dynamik, die wir auch in den vergangenen Monaten in Tunesien und Ägypten sahen.
Bei genauerer Hinsicht drängt sich jedoch der Gedanke auf, dass sich nichts Grundlegendes verändert hat. Der alte Staatsapparat ist noch immer intakt, und in der Wirtschaft haben weiterhin die alten Eliten das Sagen. Die wirtschaftliche Lage hat sich nicht verbessert. Im Gegenteil, die Instabilität im Gefolge der Revolution hat die ägyptische Wirtschaft schwer getroffen, was wiederum zu einer steigenden Arbeitslosigkeit führt. Vor diesem Hintergrund nahmen die Mobilisierungen der ArbeiterInnenschaft kein Ende. In diesen Streiks und Protestmärschen entwickelten die Lohnabhängigen oft sehr weitreichende soziale und politische Forderungen.
Die Zukunft wird nicht wirklich stabiler werden. Die Massen haben Selbstvertrauen getankt, sie haben die Angst abgelegt, gleichzeitig sind die Widersprüche, die zum Ausbruch der Revolution führten, immer noch da. Das ist der Motor, der den Prozess in Richtung einer zweiten Revolution treiben wird.

Staat und Revolution

Anfangs glaubten die Massen, dass der Sturz der alten Diktatoren schon die Lösung ihrer Probleme bringen würde. Da der alte Staatsapparat jedoch weitgehend intakt blieb, war die Revolution umgehend mit einem neuerlichen Hindernis konfrontiert. In Ägypten musste sich die Militärspitze gegen Mubarak stellen und die Macht im Staat übernehmen. Anfangs umjubelt richtet sich der Protest nun gegen sie. Seit Februar ließ sie 12.000 Revolutionäre verhaften, bei den jüngsten Massenprotesten vor der Wahl mussten mindestens 40 Menschen das Leben lassen, als die Armee die Besetzung des Tahrir Square aufzulösen versuchte.

Der Staatsapparat erweist sich in der konkreten Erfahrung der Massen als „Einheiten bewaffneter Menschen zur Verteidigung der Interessen der herrschenden Klasse“. Deshalb muss der bürgerliche Staatsapparat durch einen Staat ersetzt werden, der sich auf die organisierte ArbeiterInnenklasse in den Betrieben und Stadtvierteln stützt. Sowohl in Tunesien wie auch in Teilen Ägyptens (z.B. in Suez) brach der Polizeiapparat völlig zusammen, und revolutionäre Komitees übernahmen die Herstellung der öffentlichen Sicherheit. In Syrien haben sich in den letzten Wochen ähnliche Komitees gebildet, die ihre Hauptaufgabe in der Planung eines Generalstreiks und eines bewaffneten Aufstands sehen. Das sind die Keimzellen einer neuen revolutionären Ordnung. Wenn diese Komitees nicht die Machtfrage stellen, eröffnet dies neue Spielräume für die Kräfte des alten Regimes, die früher oder später gewaltsam gegen die Revolution zurückschlagen werden.

Libyen und Syrien

Nach dem Sturz Mubaraks schien die revolutionäre Welle unaufhaltsam. Doch in Libyen und dann in Syrien nahm der Prozess plötzlich eine Wendung. In Tunesien und Ägypten gibt es eine starke ArbeiterInnenklasse, die mit einer Streikwelle den Massenprotesten eine neue Qualität gaben, die zum Sturz der Diktatoren führte. Dies zeigte, dass der Kampf für Demokratie nur siegreich sein kann, wenn sich das Proletariat an die Spitze der Bewegung zu stellen weiß.

Dieses Element fehlte aber in der Revolution in Libyen und Syrien. Dazu kommt, dass die Regime von Gaddafi und Assad aufgrund der spezifischen Geschichte der beiden Länder eine breitere soziale Basis hatten, als dies in Tunesien und Ägypten der Fall war. Auf der Grundlage einer verstaatlichten Wirtschaft und hohen Erdöleinkommen war es Gaddafi möglich einen relativ hohen Lebensstandard zu garantieren. Ähnliches gilt für das Baath-Regime in Damaskus, das sich auf eine Planwirtschaft stützte, mit dem die Gesellschaft in den 1960ern und 1970ern in der Tat entwickelt werden konnte.

In Libyen führte das dazu, dass die Revolution in einen monatelangen Bürgerkrieg umschlug. Dazu kam, dass der Westen die Möglichkeit sah durch eine militärische Intervention auf Seite des „Nationalen Übergangsrats“ in Nordafrika sich neu aufzustellen. Doch selbst in diesem Fall war der Massenaufstand in Tripolis das entscheidende Element, das zum Zusammenbruch des Regimes führte. In Syrien läuft die Dynamik des Prozesses ebenfalls darauf hinaus, dass Assad dem Druck der Straße nicht standhalten wird. Die Armee ist längst schon gespalten, immer mehr Soldaten desertieren.

Frage der Führung

In allen Ländern stellt sich die Frage, wer den Diktatoren folgen wird. In diesem Zusammenhang befürchten viele, dass die Reaktion in Form islamistischer Kräfte die Macht erobert. Die Wahlergebnisse in Tunesien und Ägypten scheinen, oberflächlich betrachtet, dieses Bild zu bestätigen. Ähnliche Prozesse kennen wir aus anderen Revolutionen. Am Höhepunkt der revolutionären Welle haben die Arbeiter- Innen plötzlich die Macht in den Händen. Doch es fehlt ihnen eine Perspektive, was sie damit anfangen können. Trotzki erklärte dieses Phänomen in seiner „Geschichte der Russischen Revolution“:
"Die Massen gehen in die Revolution nicht mit einem fertigen Plan der gesellschaftlichen Neuordnung hinein, sondern mit dem scharfen Gefühl der Unmöglichkeit, die alte Gesellschaft länger zu dulden. Nur die führende Schicht der Klasse hat ein politisches Programm, das jedoch noch der Nachprüfung durch die Ereignisse und der Billigung durch die Massen bedarf. Der grundlegende politische Prozeß der Revolution besteht eben in der Erfassung der sich aus der sozialen Krise ergebenden Aufgaben durch die Klasse und der aktiven Orientierung der Masse nach der Methode sukzessiver Annäherungen."

In Tunesien und Ägypten war die Linke bisweilen nicht imstande der Bewegung ein Programm und eine Perspektive zu geben. Auf der Grundlage bürgerlich-demokratischer Wahlen unterstützen somit große Teile der ArbeiterInnen und der städtischen und ländlichen Armut liberale und vor allem islamistische Kräfte. Damit ist die Revolution aber noch nicht abgeschlossen, sondern geht in eine neue Etappe. Entscheidend ist, dass die Reaktion über keine ausreichende soziale Basis verfügt. Selbst die Muslimbruderschaft ist zu tiefst gespalten, viele ihrer AnhängerInnen sind glühende AktivistInnen der Revolution. Die gewonnenen Freiheiten und Rechte werden sich die Massen angesichts der bisherigen Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft nicht so einfach nehmen lassen. Dies hat sich in Ägypten Ende November mit dem neuerlichen Aufschwung der Proteste deutlich gezeigt. Und selbst in Libyen sahen wir jüngst erste Massenproteste gegen die neue Regierung. Dazu kommt, dass die Krise des Weltkapitalismus wenig Spielräume bietet, um die Massen dauerhaft zu befrieden.

Was tun?

Die wahrscheinlichste Perspektive lautet, dass wir in der nächsten Zukunft eine Reihe von instabilen Regimen in der Region sehen werden. Wie der Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution ausgehen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Rolle die ArbeiterInnenklasse in dem Prozess weiter spielen wird. Die ArbeiterInnen haben durch ihre zentrale Stellung in der Wirtschaft das Potential auch eine zweite Revolution zum Sieg zu führen. Der Schlüssel dazu liegt in der Stärkung ihrer Organisationen und Durchsetzung eines revolutionären Programms in der Linken. Die Frage der Führung der ArbeiterInnenbewegung muss gelöst werden.
Der Arabische Frühling hat Millionen Menschen weltweit inspiriert. Alle Massenbewegungen im letzten Jahr nahmen offen Bezug zur Revolution in der arabischen Welt: Wisconsin (USA), Spanien, Griechenland, Israel, Occupy Wall Street. Letztlich handelt es sich bei all diesen Bewegungen um Teile desselben Prozesses, um eine Reaktion auf die Krise des Kapitalismus.
Mohammad Bouazizi war der erste Märtyrer dieser revolutionären Welle. Unzählige Männer und Frauen haben seither ihr Leben gelassen im Kampf für eine bessere Welt. Ihnen gebührt unser Gedenken, ihren Kampf werden wir weiterführen.
Thawra Hatta’l Nasr

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