Kategorie: Amerika

Venezuela: Was tun gegen Wirtschaftskrieg von oben?

Über die aktuelle Lage in Venezuela vor den Parlamentswahlen sprachen wir mit Davidson Peña von der Redaktion Lucha de Clases (IMT Venezuela) und Aktivist in der sozialistischen Partei PSUV.


 Der Prozess der Bolivarischen Revolution in Venezuela dauert inzwischen fast 18 Jahre an. Wie sieht die Bilanz aus?

Wir haben große Errungenschaften erreicht. Heute haben Millionen Menschen von Jung bis Alt freien Zugang zu umfassender Bildung, von der Vorschulerziehung bis zur Universität. Ebenso flächendeckende, kostenlose medizinische Versorgung für alle. Zudem ist das venezolanische Arbeitsrecht eines der fortschrittlichsten weltweit. Der Kündigungsschutz wurde massiv ausgebaut. Außerdem wurden staatliche Lebensmittelketten mit subventionierten Preisen errichtet, welche die Lebensmittelversorgung für alle Menschen garantieren. Dies kann sich in ganz Lateinamerika sehen lassen. Aber die größte Errungenschaft ist das Erwachen der Massen und ein sehr hohes Maß an politischer Partizipation. Die Menschen organisieren sich in Räten zusammen und bekommen das Gefühl, dass sie politische Macht in den Händen halten können. Kommunale Räte organisieren den Alltag von unten und die Menschen in ihren Wohnvierteln wissen am besten, was zu tun ist. Früher waren die Menschen gleichgültiger. All das ist ein sehr wichtiger Schritt beim Übergang in Richtung Sozialismus.

Aber diese Errungenschaften scheinen nicht unumkehrbar zu sein. Immer wieder hat die Oligarchie versucht, die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen. Anscheinend hat die Oligarchie noch immer die wirtschaftliche Macht in den Händen.

Natürlich hat die Oligarchie immer noch Privilegien und vollständige ökonomische Kontrolle. Zwar wurden wichtige Verstaatlichungen vorgenommen, aber die herrschende Klasse hat sich damit natürlich nicht abgefunden oder gar ihren Frieden mit der Revolution gemacht. Die Oligarchie wird nicht mit verschränkten Armen zusehen, wie der revolutionäre Prozess Schritt für Schritt ihre Privilegien aushöhlt. Es gab und gibt immer wieder Ansätze für wirtschaftliche Sabotage und Putschversuche gegen die Regierung. Doch jeder konterrevolutionäre Akt der Oligarchie hat eine Reaktion der Massen zur Verteidigung der Revolution hervorgerufen, weil sie wusste, was sie zu verlieren hatte.

In den letzten Monaten und Jahren hat sich der Wirtschaftskrieg seitens der Oligarchie jedoch massiv zugespitzt und radikalisiert. Sie hortet Lebensmittel zu ihrer Verknappung, womit auch die Inflation ansteigt. Und wenn die Menschen immer mehr zahlen und Schlange stehen müssen, führt das zu einer gewissen Erschöpfung und Demoralisierung und untergräbt die Aktivitäten und Kampfmoral derer, die bislang die Revolution begeistert unterstützten. Bei den Parlamentswahlen am 6. Dezember 2015 droht durch Stimmenthaltungen eine Niederlage der regierenden Sozialistischen Partei (PSUV). Das ist aber nicht sicher. Die Leute spüren, dass die Regierung die Probleme nicht im Griff hat und keine konsequenten Maßnahmen ergreift, um den Wirtschaftskrieg zu beenden. Es gibt zwar einen gesunden Klassenhass auf die Oligarchie, aber auch Unzufriedenheit mit der eigenen Regierung im Umgang mit der Bourgeoisie. Mit einer bürgerlichen Mehrheit wäre der Präsident zwar nicht abgewählt, aber sie könnte den Haushalt verweigern und bereits in der Vergangenheit beschlossene Dinge (z. B. weitere Verstaatlichungen) in ihrer Umsetzung blockieren. Das würde auch die Durchdringung des Staatsapparats mit reaktionären Kräften stärken, was bereits jetzt ein großes Problem ist.

Was sind die konkreten Forderungen von Lucha de Clases (IMT in Venezuela) zur Verteidigung der Revolution? Was sollten Regierung und PSUV unternehmen, um den propagierten Übergang zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu beschleunigen?


Auf kapitalistischer Grundlage sind unsere Errungenschaften längst nicht abgesichert und wir müssen immer wieder mit Angriffen auf den Lebensstandard der Bevölkerung rechnen. Die Finanzierung der Sozialreformen konnte bislang vor allem aus den Erlösen der staatlichen Erdölgesellschaft PDVSA erfolgen. Weil der Weltmarktpreis für Öl jedoch rapide fällt, müssen jetzt die venezolanischen Privatbanken vergesellschaftet werden. Sie sind noch immer ein starker Machtfaktor in der Wirtschaft, vor allem in der Industrie. Wir brauchen eine Enteignung und Vergesellschaftung der Großkonzerne im Interesse der breiten Bevölkerungsmehrheit, aber gleichzeitig muss alles getan werden, um Korruption in staatlichen Unternehmen zu verhindern. Auch das Ackerland der Großgrundbesitzer, auf deren Farmen nahezu halbfeudale Zustände und schreckliche Arbeitsbedingungen herrschen, muss enteignet und vergesellschaftet werden, um eine Art Kollektivierung zur Entwicklung der natürlichen Reichtümer der Landwirtschaft zu ermöglichen. Erst wenn für die ganze Gesellschaft gewirtschaftet wird, anstelle für den Profit der Kapitalistenklasse, kann eine Volkswirtschaft wirklich gedeihen.

Wir sind aktiv in der Solidaritätskampagne Hands Off Venezuela. Was erwartet ihr konkret von uns?

Angesichts der aktuellen Situation in Venezuela ist eine Fortsetzung der Arbeit der internationalen Solidaritätskampagne absolut notwendig. Die Völker der Erde müssen sich mit dem Prozess der bolivarischen Revolution solidarisch zeigen, wenn Venezuela nicht isoliert bleiben soll. Die Menschen in Venezuela müssen wissen, dass es eine organisierte Bewegung in der Welt gibt und die Anteilnahme an der Diskussion in und um Venezuela weltweit lebendig ist.

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