Kategorie: Europa

Frankreich: An der Basis brodelt es weiter

Wir sprachen mit Pierre Zamboni, Aktivist unserer französischen Schwesterzeitung Révolution, über die Streikbewegung seit Frühjahr und Perspektiven für den französischen Klassenkampf.


Seit einigen Monaten versetzten Streiks Teile der französischen Arbeiterklasse in Aufruhr. Was ist der momentane Stand?

Die sich im Frühjahr entflammende Streikbewegung ist zwar noch nicht offiziell von der Gewerkschaftsführung für beendet erklärt worden, jedoch faktisch deutlich abgeebbt und zum Stillstand gekommen. Nach den fast drei Monate andauernden Streiks, die vor allem von den Eisenbahnern angefeuert wurden, macht sich nun eine gewisse Ermüdung und Demoralisierung breit. Hinzu kommt, dass der Senat vor einigen Wochen die von den Gewerkschaften abgelehnte „schrittweise Öffnung für den Wettbewerb“ und „Sanierung“ der französischen Staatsbahn SCNF beschloss. Was das bedeutet wissen wir: Privatisierung und dramatische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Eisenbahner, die zurzeit noch einen relativ abgesicherten beamtenähnlichen Status genießen.

Die Eisenbahner gelten als kämpferische Avantgarde der französischen Arbeiterklasse und sind gewerkschaftlich gut organisiert. Wie kam es zur Niederlage?

Die Eisenbahnergewerkschaften riefen im Frühjahr einen dreimonatigen Streik aus, der den Verkehr zwar beeinträchtigte, jedoch lange nicht vollständig zum Erliegen gebracht hat. Die von ihnen gewählte Streikform (die sogenannte grève perlée) sieht eine Arbeitsniederlegung von zwei Tagen vor, der drei normale Werktage folgen. Aber das alleine reicht nicht aus, um die Niederlage der Bewegung zu erklären. Die Forderung nach einem Schulterschluss der Arbeitskämpfe war in aller Munde, auf großen Massendemos und selbst in den Universitäten war sie zu hören. Jedoch blieb es bei verbalen Appellen – sie wurden schließlich aber nicht ausreichend praktisch umgesetzt. Trotz der Tatsache, dass die Durchsetzung der Konterreformen im Senat eine Niederlage für die französische Arbeiterklasse darstellt, zeigte sich in den letzten Monaten doch eine immense Bereitschaft zum Kampf. Beispielsweise führten einzelne Belegschaften isoliert heldenhafte und harte Arbeitskämpfe, so etwa im Hotelgewerbe. Dort finden sich mitunter die am meisten ausgebeuteten Schichten des Proletariats. Die in zahlreichen Fällen erfolgreichen Arbeitskämpfe haben eine entscheidende Wirkung auf das Bewusstsein der Arbeiter, denn sie sehen: Wir können diesen Kampf gewinnen! Aber das geht nur vereint, nicht isoliert.

Welche Bereiche sind noch von Macrons Konterreformen betroffen?

Auch Arbeiter, die in der Strom- und Gasversorgung tätig sind, befinden sich im Kampf. In vielen Betrieben im ganzen Land stehen sie schon seit Wochen im Streik. Wie die Eisenbahner kämpfen sie gegen die drohende oder bereits begonnene Zerschlagung und Privatisierung eines Sektors, der dringend in öffentliche Hand gehört. Medial jedoch wird das alles verschwiegen. Nicht zu vergessen ist auch die studentische Mobilisierung: sie war die größte, die Frankreich seit 2006 gesehen hat. Kürzungen und Prekarisierung sollen auch im Bildungsbereich durchgeführt werden.

Spiegelt sich die gesellschaftliche Gärung auch in den Gewerkschaften wieder?

Man muss zwischen Basis und Führung unterscheiden. Die Gewerkschaftsführung spricht sich selbst eine unpolitische Rolle zu und wirkte bei den jüngsten Kämpfen wie ein Bremsklotz für die Vereinigung der verschiedenen Arbeitskämpfe. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass es an der Basis zu gären beginnt. So haben einige CGT-Basisgruppen in großen und mittleren Unternehmen ein Dokument unterzeichnet, das in aller Klarheit beansprucht: „Die CGT ist eine revolutionäre Organisation!“ In Anlehnung an die Gründungscharta der CGT, der Charte d’Amiens von 1906, ist selbst von Klassenkampf und Enteignung der Kapitalisten die Rede.

Gibt es eine politische Kraft, die sich als Alternative etablieren kann?

Alle französischen Parteien befinden sich in einer tiefen Legitimitätskrise. Auch wenn die linke Sammlungsbewegung France Insoumise (FI) laut Umfragen als die beste Oppositionskraft gegen die Regierung Macron gesehen wird, so sehen doch über 40 Prozent der Befragten keine politische Kraft als glaubwürdige Alternative an. Die FI hat trotz bester Rahmenbedingungen in den letzten Monaten keinen massiven Zulauf erhalten. Das liegt daran, dass ihre interne Struktur und ihr linksreformistisches Programm Schwächen aufweisen und an ihre Grenzen stoßen. Der rechtspopulistische Front National (FN) ist bei den Streiks nicht in Erscheinung getreten. Hetzerische Sozialdemagogie ist die eine Sache, konkrete Tat die andere. Die politischen Repräsentanten des FN lassen mehr und mehr ihre sozialen Forderungen fallen. Das mag sicherlich auch daran liegen, dass sie die französische Kapitalistenklasse nicht verschrecken und eine potentielle Regierungstauglichkeit nicht aufs Spiel setzen wollen.
Für uns gibt es nur eine Alternative: dazu zählt ein Schulterschluss der Arbeitskämpfe, sowohl innerhalb Frankreichs als auch international, sowie die Enteignung der Großkapitalisten. Es ist ein Kampf, den wir nur gemeinsam gewinnen können.

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