Kategorie: Kapital und Arbeit

20 Jahre Post-Privatisierung: Megadeal und Rosinenpickerei

Dass ver.di bei der Deutschen Post AG die Gründung neuer Billigtöchter für Zusteller anprangert und ein Ende der „Sozialpartnerschaft“ beklagt, ist direkte Folge der Post-Privatisierung vor 20 Jahren. Schon im Dezember 2014 hatten ver.di-Aktive gegen die rapide Zunahme von befristeten Jobs in der Brief- und Paketzustellung protestiert.


 

So arbeiten nach ver.di-Angaben derzeit 24.000 von insgesamt 131.000 Beschäftigten, also gut 18 Prozent, mit einem befristeten Arbeitsvertrag und damit in der ständigen Angst, bald (wieder) auf der Straße zu stehen. Viele hangeln sich mit „Kettenbefristungen“ mühsam durch ihr Arbeitsleben. Die Gesamtzahl der befristet Beschäftigten ist allein zwischen April und Oktober 2014 um ein Viertel gestiegen. Viele befristet Beschäftigte verzichten auf Urlaub und kommen krank zur Arbeit, sind erpressbar und können ihr Leben nicht verlässlich planen.

 

Nun sollen viele Zusteller, die man lange mit Befristungen zappeln ließ, in 49 regionalen Tochterfirmen eingestellt werden. Als Preis für eine unbefristete Anstellung sollen sie Einkommen und Arbeitsbedingungen schlucken, die deutlich schlechter sind als bislang im Post-Haustarifvertrag vereinbart. Dies dient als Druckmittel für die anstehende Tarifrunde. Ein harter Arbeitskampf im Sommer bahnt sich an.

 

Wie es anfing

 

Die Privatisierung war 1. Januar 1995 als „Postreform 2“ in Kraft getreten. Es war die Geburtsstunde der Aktiengesellschaften Deutsche Post, Deutsche Telekom und Postbank und öffnete den Weg für einen der größten Privatisierungsdeals der Neuzeit. In der Bundestagswahl 1990 gestärkt, trieb die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl die Privatisierung von Post und Bahn voran, damals Sondervermögen des Bundes. Bundesbahn (West) und Reichsbahn (Ost) wurden Anfang 1994 in die Deutsche Bahn AG überführt. Die Post-Privatisierung zog sich aufgrund des Widerstands der damaligen Postgewerkschaft (DPG) länger hin, die eine öffentlich-rechtliche „Bürgerpost“ anstrebte. Eine Mehrheit der SPD-Fraktion stimmte der Grundgesetzänderung zu und verhalf den Privatisierern zum Erfolg.

 

Der Einstieg in die Privatisierung wurde als „Durchbruch“und „Modernisierung“ gefeiert. Dabei war die alte Bundespost kein maroder Betrieb, sondern mit rund 500.000 Beschäftigten ein bedeutender Arbeitgeber. Ende der 1980er Jahre flossen trotz interner Quersubventionierung und flächendeckender Versorgung jährliche Überschüsse in Höhe von rund fünf Milliarden DM an den Bundeshaushalt. Den Privatisierern ging es allein um Rosinenpickerei durch Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste. In diesem Sinne zielten seit den 1980er Jahren auch Richtlinien der Europäischen Kommission auf Liberalisierung und Privatisierung im Telekommunikations- und Postbereich ab.

Der 1988 mit der „Postreform 1“ eingeleiteten Aufspaltung in Postdienste, Telekom und Postbank lag auch die Erwartung zugrunde, dass technologische Fortschritte (Fax, Internet, Mobilfunk etc.) die Telekommunikation zum lukrativen Renditeobjekt für Anleger machen würden. Eine dem Gemeinwohl verpflichtete Staatspost mit stabilen Arbeitsverhältnissen und unkündbaren Beamten stand im Wege. Anfang der 90er Jahre modernisierte der Bund mit Milliardenbeträgen in Ost und West die Post- und Telekom-Infrastruktur. Für die Beamtenpensionen kam und kommt der Staat auf. Ein „ungewöhnlich hoher Anteil“ der Postbeamten sei „wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig pensioniert“ worden, so der Bundesrechnungshof 2008: „Die Postreform wird den Bundeshaushalt voraussichtlich noch bis 2070 finanziell belasten.“ Nutznießer sind die privaten Aktionäre. Für 2013 verkündete der Post-Konzern einen Gewinn von 2,1 Milliarden Euro.

Gewerkschafter und linke Kritiker (darunter auch der Funke) warnten schon 1994 vor den Folgen von Privatisierung und Liberalisierung. Für private Aktiengesellschaften „steht der Gewinn im Vordergrund und eben nicht mehr der Bürger - auch nicht mehr der Anspruch, Stadt und Land, Arm und Reich und private Haushalte und Klein- und Großkunden gleich zu behandeln und gut zu versorgen. Die kleinen Leute werden die Verlierer sein“, prophezeite DPG-Chef Kurt van Haaren im ND-Interview (01.07.1994). Die Zustimmung der SPD zur Privatisierung war für ihn „eine tiefe Enttäuschung“. Unter der Regierung Schröder (SPD) folgte 2000 der Börsengang der Post. Inzwischen sind durchweg sehr viele existenzsichernde Arbeitsplätze verschwunden. In der Branche gibt es auch durch Fremdvergaben immer mehr prekäre Jobs.

 

Der Wind hat sich gedreht

 

Auf Rendite und globale Expansion orientierte börsennotierte Konzerne wie Deutsche Post und Deutsche Telekom sind nicht mehr an kleinen Dorfpostämtern, Briefkästen mit Sonntagsleerung oder Telefonzellen in Erzgebirge oder Eifel interessiert. So protestierten ab 2003 viele politische Akteure und Bürger gegen die Demontage von Briefkästen und Schließung von Postfilialen. Ländliche Regionen kämpfen seit Jahren um einen schnellen Breitband-Internetanschluss. Da die Investitionen für den privatisierten Telekom-Konzern oder seine Konkurrenten nicht lukrativ genug erscheinen, muss die öffentliche Hand vielfach mit Millionensummen einspringen. Zu den Privatisierungsverlierern gehören vor allem die Beschäftigten. Arbeitsplatzabbau, Leistungsverdichtung und sinkende Realeinkommen provozieren seit Jahren bittere Arbeitskonflikte.

 

Nach leidvollen Erfahrungen mit Privatisierungen hat sich der Wind gedreht. In Stadt und Land ist Rekommunalisierung wieder populär. Die Praxis zeigt: Öffentlich funktioniert besser. Nun sollten Gewerkschafter und Linke die Rücknahme der Mega-Privatisierungen von Post, Telekom, Bahn und anderen Bereichen auf die Tagesordnung setzen. Sie gehören in öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle durch die Beschäftigten. Die laufenden Auseinandersetzungen bei Post und Bahn könnten die Grundlage für eine Bündelung der Kräfte schaffen. Die Zeit ist reif für ein Bündnis aller beteiligten Gewerkschaften und einer breiten Öffentlichkeit.

 

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