Kategorie: Kultur

Neu in den Kinos: Der große Ausverkauf

Rechtzeitig zur heißen Phase der Informations- und Protestveranstaltungen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm ist in dieser Woche in deutschen Kinos mit „Der große Ausverkauf“ von Florian Opitz ein Dokumentarfilm angelaufen, der die Auswirkungen neoliberaler Privatisierungsorgien auf die Masse der Bevölkerung in vier Kontinenten exemplarisch darstellt und Ansätze zum Widerstand aufzeigt.




Auch wenn die Protagonisten des Films – auf den Philippinen, in Südafrika, in Bolivien und England – unterschiedlich stark betroffen sind, so sind sie doch gleichermaßen Leidtragende dessen, was der US-amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph Stiglitz, als „moderne Kriegsführung“ bezeichnet und mit dem Abwurf von Bomben aus großer Höhe vergleicht, bei dem die Bomberpiloten den menschlichen Opfern nie ins Gesicht blicken müssen.

Ebenso lebensgefährdend und tödlich wirken können „Strukturanpassungskredite“ von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) an Länder in aller Welt und die daran geknüpften harten Bedingungen. Der IWF wollte als Hauptarchitekt und Wegbereiter von Privatisierungen niemanden vor laufender Kamera sprechen lassen. Immerhin zeigt die (durch jüngste Machenschaften ihres Präsidenten Paul Wolfowitz in die Schlagzeilen geratene) Weltbank Gesicht – in der Person von Shanta Devarajan, der steif und fest behauptet, manche Privatisierung sei „für die Armen durchaus nützlich“.

Anders als es die graue Theorie des wohlsituierten Weltbank-Beamten wahrhaben will, gehören die im Film zu Wort kommenden Armen aus Asien, Afrika und Lateinamerika zu der Masse der Verlierer nach einer Privatisierung lebenswichtiger Bereiche der Daseinsvorsorge. So etwa die philippinische Mutter Minda, die notgedrungen von der Hand in den Mund lebt und ständig fürchten muss, dass ihr Sohn binnen weniger Tage sterben wird, weil sie das Geld für die Dialyse nicht auftreiben kann. Ihr Traum von einer Nierentransplantation für den Sohn dürfte indes unter den herrschenden Bedingungen ein Traum bleiben, solange die Regierung der Inselrepublik beim IWF so stark in der Kreide steht und das seit den 1980er Jahren privatisierte Gesundheitswesen der Masse der Bevölkerung die notwendige medizinische Versorgung vorenthält. Wer arm ist, der stirbt früher – dies ist hier schon längst bittere Wirklichkeit.

Im südafrikanischen Soweto kappen währenddessen die unter der ANC-Regierung privatisierten Wasser- und Elektrizitätswerke allen Kunden, die am Existenzminimum leben und mit der Zahlung der überteuerten Gebühren in Verzug geraten sind, die Anschlüsse. Die Betroffenen greifen mit ihrem Soweto Electricity Crisis Committee (SECC) zur Selbsthilfe und riskieren einen permanenten Kleinkrieg mit der Staatsgewalt, weil sie auf eigene Faust die Anschlüsse wieder herstellen. Der Film ist übrigens dem 34-jährigen Bongani gewidmet. Als treibende Kraft des SECC saß er mehrfach wegen seiner tatkräftigen Hilfe für die Opfer im Gefängnis. Er weiß, dass sein Engagement tödlich sein kann. „Das mache ich für meine Kinder. Sie sollen nicht die gleichen Probleme haben wie wir“, so sein Credo. Wenige Monate nach Abschluss der Dreharbeiten ist Bongani unter ungeklärten Umständen gestorben.

Dass beharrlicher Massenprotest gegen das Diktat von IWF und Weltbank erfolgreich sein kann, beweist ein Abstecher in das bolivianische Cochabamba, wo sich die Bevölkerung im Jahr 2000 monatelang der Wasserprivatisierung widersetzte. Nutznießer sollte in diesem Fall der US-Konzern Bechtel werden. Nach blutigen Zusammenstößen mit Bereitschaftspolizei und Militär schlägt die Einwohnerschaft schließlich die Besatzer in die Flucht und gewinnt im „Wasserkrieg“. Cochabamba geht als erster Sieg über das neoliberale Privatisierungsdiktat in die neuere Geschichte ein. „Wir haben unsere Stimme zurück gewonnen und das Volk kann selbst Entscheidungen treffen“, bringen es Aktivisten dieser Bewegung auf den Punkt.

„Den Sozialismus zurückdrängen“ – das war das ausdrückliche Ziel der konservativen britischen Premierministerin Margaret Thatcher in den 1980er Jahren. Unter ihrem Nachfolger John Major wurde die britische Staatsbahn „British Rail“ in den 1990er Jahren auseinander gerissen und einzeln verhökert. Beschäftigte und Fahrgäste waren und sind die Leidtragenden. Auch hier hat die Privatisierung schon Dutzende Menschenleben gekostet, weil die privaten Aktionäre des Netzbetreibers Railtrack fette Dividenden einstreichen wollten. So wurden notwendige Reparaturen auf die lange Bank geschoben, bis ein Hochgeschwindigkeitszug auf einem zerbröselten Gleisabschnitt bei Hatfield aus der Kurve flog. Nun musste der Staat wieder eingreifen und die marode Schieneninfrastruktur mit Milliardenspritzen modernisieren. Der Alltag des Lokführers und Gewerkschafters Simon Weller ist zwar weniger spektakulär als die Action-Szenen von Cochabamba oder Soweto. Doch Aktivisten wie Simon sind als betriebliche Interessenvertreter und als Gedächtnis der Bewegung unverzichtbar. Britische Bahngewerkschaften fordern – mit Unterstützung einer breiten Mehrheit der Bevölkerung – die Wiederverstaatlichung der Bahnen. In der aktuellen Auseinandersetzung um die Privatisierung der Deutschen Bahn liefert Simon übrigens gute Argumente für eine einheitliche Bahn in öffentlichem Besitz.

Auch wenn der Film – bewusst oder unbewusst – deutsche Erfahrungen mit der Privatisierung von Einrichtungen der Daseinvorsorge außer Acht lässt, ist er auf jeden Fall gelungen und sehenswert. Schließlich werden auch in Europa über kurz oder lang Zustände wie in Lateinamerika, Asien oder Asien einkehren, wenn der neoliberale Kahlschlag nicht gestoppt und rückgängig gemacht wird. Anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm könnte „Der große Ausverkauf“ vor allem auch eine Diskussion über die Rolle der G8-Staaten und insbesondere der deutschen Bundesregierung bei Institutionen wie Weltbank und IWF anstoßen.

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