Kategorie: Geschichte

Der Hitler-Stalin-Pakt

Vor 70 Jahren unterzeichneten Deutschland und die Sowjetunion in den frühen Morgenstunden des 24. August einen "Nichtangriffspakt", welcher die Staaten Nord- und Osteuropas in deutsche und sowjetische "Einflusssphären" aufteilte und Polen gewissermaßen in zwei Teile durchschnitt. Ben Peck schaut auf die damaligen Ereignisse zurück und erklärt, warum etwas so Unglaubliches geschehen konnte und welcher Preis dafür gezahlt wurde.



Der Hitler-Stalin-Pakt ist in die Geschichte als Beispiel für den absoluten Zynismus der Bürokratie eingegangen. Es handelte sich dabei um einen heimtückischen Vertrag, der die Besetzung und Teilung Polens je zur Hälfte durch die stalinistische UdSSR und Hitler-Deutschland beinhaltete. Die Stalinisten bezeichneten diesen Schritt als "Defensivmaßnahme". Der Pakt verhinderte jedoch nicht den Krieg zwischen Deutschland und der UdSSR, sondern half Hitler bei der Verwirklichung seiner Kriegsziele. Er führte ebenfalls unter ehrlichen KommunistInnen, die Hitler jahrelang als den größten Feind der Arbeiterbewegung und als Bedrohung des Weltfriedens angeprangert hatten, weltweit zu Konfusion und Entmutigung.

Anders als Stalin, der alle möglichen diplomatischen Vereinbarungen in Einklang mit seiner Theorie vom "Sozialismus in einem Land" suchte und dabei auf zynische Weise die Revolution im Westen opferte, war für Lenin und die Bolschewiki die Forcierung der sozialistischen Weltrevolution die wichtigste Richtlinie ihrer Politik. Dieses Prinzip basierte auf sehr konkreten Betrachtungen. Für ein rückständiges Land wie Russland, das auf allen Seiten von imperialistischen Mächten eingekreist war, war die internationale Ausbreitung der Revolution der Schlüssel für sein Überleben und der Entwicklung in Richtung Weltsozialismus.

Als Lenin und Trotzki gezwungenermaßen 1918 das Abkommen von Brest-Litowsk unterzeichneten, bedeutete das die Stärkung des deutschen Imperialismus, der sich die Ukraine aneignete. Die Vorstellung, dass ein Arbeiterstaat mit kapitalistischen Ländern in Verhandlungen tritt, wird von SozialistInnen nicht ausgeschlossen - in jedem Fall muss abgewogen und berücksichtigt werden, wieweit die Sache der Arbeiterklasse auf internationaler Ebene vorangebracht wird. Das Abkommen von Brest-Litowsk wurde der Sowjetrepublik von Deutschland aufgezwungen, als deren Überleben auf dem Spiel stand. Lenin und Trotzki betrachteten solche diplomatischen Manöver als zweitrangig gegenüber der wirklichen Rettungstat, nämlich der Verbreitung der Revolution selbst, die in Deutschland beginnen sollte.

Die Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts muss in einem anderen Licht gesehen werden. Sie markiert einen weiteren Bruch mit den Traditionen des Bolschewismus und der Außenpolitik Lenins und Trotzkis. Wie Trotzki damals erklärte, handelte es sich bei dem Pakt um ein weiteres Instrument zur Messung des Ausmaßes der Entartung der Bürokratie und deren Verachtung für die internationale Arbeiterklasse, einschließlich der Komintern (Kommunistische Internationale).

Der Aufstieg des Faschismus in Deutschland hatte eindeutig eine verheerende Wirkung auf die internationale Arbeiterklasse. Die mächtigste und am besten organisierte Arbeiterbewegung der Welt hatte es dem Faschismus ermöglicht, „ohne eine Scheibe einzuschlagen“ - wie Hitler sich rühmte - zu triumphieren. Der Grund für diese Katastrophe lag in den wahnsinnigen Aktionen der stalinistischen kommunistischen Parteien.

Bis 1927 wurden Trotzki und die Linke Opposition aus den kommunistischen Parteien ausgeschlossen und ihre Anhänger von den Stalinisten verfolgt. Angesichts der Bedrohung durch den Faschismus betonten diese die Notwendigkeit einer Einheitsfront von Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten. Die Stalinisten in der UdSSR, die sich auf die „Rechten“ gestützt hatten, um die Linke Opposition zu besiegen, gingen dazu über, Bucharin und die reichen Bauern, die er vertrat, zu vernichten. Dies widerspiegelte sich im ultralinken Linksschwenk der Kommunistischen Internationale im Jahre 1928. Jeder Gruppe außerhalb der kommunistischen Partei wurde als Nebenform des Faschismus bezeichnet: "Sozialfaschisten", "Liberalfaschisten", und am schlimmsten die "Trotzki-Faschisten". Ein derartiger Unsinn demoralisierte die ArbeiterInnen und spielte Hitlers Banden in die Hände.

Der völlige Bankrott der deutschen KP-Führer wurde deutlich als Hitler zum Reichskanzler eingesetzt wurde. Sie taten das mit der Erklärung:"Zuerst kommt Hitler, danach kommen wir an die Macht!" ab. Die Nazis teilten und lähmten die deutsche Arbeiterklasse. Nicht nur Juden wurden verhaftet und umgebracht, sondern die kommunistischen und sozialistischen Parteien und alle unabhängigen Arbeiterorganisationen wurden zerschlagen. Nach dieser Katastrophe, die in den kommunistischen Parteien nicht einmal eine Reaktion erzeugte, stellte Trotzki fest, dass die Kommunistische Internationale am Ende sei und nicht länger als Werkzeug für die internationale Arbeiterklasse dienen könne. Die Schaffung einer neuen Internationale war dringend notwendig geworden.
Zu diesem Zeitpunkt stellte sich die Frage, ob die stalinistische Bürokratie versuchte, die Arbeiterbewegung aktiv zu sabotieren, wie sie es 1936 in Spanien tat, wo sie eindeutig als bewusste und eigennützige Kaste agierte, der es darum ging, die eigene Position zu bewahren. Die spanischen Stalinisten vertraten den von Moskau ausgegeben Kurs, der verlangte, die Revolution zu sabotieren und sich voll auf den Bürgerkrieg zu konzentrieren. Für die Stalinisten war klar: "Im Moment zählt nur der Sieg im Krieg, ohne diesen ist alles andere bedeutungslos. Deshalb ist dies nicht der Augenblick um die Revolution voranzubringen… In diesem Stadium kämpfen wir nicht für die Diktatur des Proletariats, sondern für die parlamentarische Demokratie. Wer versucht den Bürgerkrieg in eine sozialistische Revolution umzuwandeln, spielt den Faschisten in die Hände und ist in Wirklichkeit ein Verräter, auch wenn er dies nicht beabsichtigt."

Diese Politik hatte seine Ursache in der neuen Volkfrontpolitik, die 1935 eingeführt wurde und eine 180-Grad-Wendung bedeutete. Anstatt eine Einheitsfront der Arbeiterorganisationen zu schaffen, suchte die neue Volksfrontpolitik die Einheit von Kommunisten mit Sozialisten, Liberalen und "fortschrittlichen" und "antifaschistisch eingestellten" Kapitalisten. Das bedeutete die Aufgabe jeglicher eigenständiger Aktionen der Arbeiterklasse als einzigen Weg zur Zerschlagung des Faschismus.
Auf der internationalen diplomatischen Ebene versuchte Stalin den kapitalistischen Demokratien seine Zuverlässigkeit zu beweisen, indem er die spanische Revolution verriet. 1936 kündigte Stalin öffentlich an, dass die UdSSR nie beabsichtigt habe, die Weltrevolution voranzutreiben, eine solche falsche Vorstellung, sei die Folge eines tragikomischen Missverständnisses.
Zu diesem Zeitpunkt erreichte die Verfolgung aller oppositionellen Kräfte in der UdSSR ihren Höhepunkt. Die Säuberungstribunale von 1936 - 38 zogen eine Blutspur zwischen den Regierungen von Lenin und Stalin. Vom August 1936 an veröffentlichte die stalinistische Presse täglich Resolutionen von "Arbeiterversammlungen", auf denen die Angeklagten der Prozesse als "trotzkistische Terroristen" bezeichnet wurden, die ihre Taten in Zusammenarbeit mit der Gestapo ausgeführt hatten!

Von den Mitgliedern des Zentralkomitees, die am 17. Kongress der KPdSU 1934 teilgenommen hatten, war 1939 die überwältigende Mehrheit entweder erschossen worden oder spurlos verschwunden. Die Säuberungen nahmen große Ausmaße an. Zu den Erschossenen gehörten Bucharin, Kamenjew und Sinowjew, alles Mitglieder des Politbüros unter Lenin. Auch die Rote Armee war von den Säuberungen betroffen und führende Militärs wie Tuchaschewski, ein militärisches Genie und Held im Bürgerkrieg, wurden hingerichtet. Insgesamt wurden 90% der Generäle, 80% der Oberste und 35.000 Offiziere von Stalin liquidiert. Die Rote Armee befand sich in einem kopflosen Zustand. Das wurde von Hitler sehr wohl wahrgenommen, besonders nach dem katastrophalen Feldzug in Finnland 1939, dessen Ausgang u. a. dazu beitrug, Russland 1941 anzugreifen.

Lenin liebte es, den preußischen Militärtheoretiker Clausewitz zu zitieren, der festgestellt hatte, dass "der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist". Der einseitige Bürgerkrieg gegen die wahren KommunistInnen, die in der UdSSR geblieben waren, kennzeichnet das vollkommene Sichtbarwerden einer selbstbewussten Bürokratie. Der mögliche Erfolg der spanischen Revolution hätte die Hoffnungen der sowjetischen ArbeiterInnen neu aufleben lassen und sie aus dem Würgegriff der Bürokratie zu befreien. Es war kein Wunder, dass die Moskauer Prozesse eben zu diesem Zeitpunkt stattfanden. Wenn Stalin nicht dazu übergegangen wäre, die sowjetischen ArbeiterInnen blutig zu unterdrücken, wäre er selbst abgesetzt worden.

Dann kam der Krieg. Die westlichen Demokratien waren nicht auf eine Zusammenarbeit mit Stalin erpicht. Deshalb suchte der Pragmatiker Stalin mit Hitler ein Abkommen zu erreichen. Er glaubte, dies sei die Lösung. Nachdem die Briten Hitler die Tschechoslowakei auf einem Tablett servierten, brauchte Stalin dringend ein Abkommen mit Hitler, koste es, was es wolle. Innerhalb einer Woche wurde der Hitler-Stalin-Pakt unterzeichnet. Selbst die fügsame Führung der Komintern wurde davon überrascht. In Britannien fiel der Generalsekretär der KP, Harry Pollitt in Ungnade und wurde auf Befehl Moskaus abgesetzt, weil er nicht schnell genug diese Kurskorrektur vollzog.

Durch den Pakt wurde die Nazi-Kriegsmaschine in Europa mit Rohstoffen versorgt, die später gegen die UdSSR selbst verwendet wurden. Bis 1940 versorgte die Sowjetunion Deutschland mit 900.000 Tonnen Rohöl, 300.00 Tonnen Schrott, 500.000 Tonnen Eisenerz und große Mengen weiterer Minerale. Sowjetische Diplomaten krochen vor dem "Führer", um sich einzuschmeicheln. Auf seine zynische Weise verwies Stalin die Botschafter der von Hitler-Deutschland besetzten Gebiete des Territoriums der Sowjetunion.
Im Juni 1941 drang Hitler, zur völligen Überraschung Stalins, in die Sowjetunion ein, ohne auf großen Widerstand zu stoßen. Trotz deutlicher Anzeichen und Warnungen war die UdSSR vollkommen unvorbereitet und erlitt riesige Verluste. Als Stalin die Nachrichten hörte, verschwand er für eine Woche und erklärte: "Alles, was Lenin aufgebaut hat, ist verloren."

Nachdem er seine Nerven wieder im Griff hatte, wurde der Widerstand organisiert. Der Angriff Nazi-Deutschlands gegen die UdSSR erfreute die imperialistischen Mächte, die hofften, dass der Krieg an der Ostfront zur Erschöpfung beider Kriegsparteien führen würde und sie dann einmarschieren und abräumen könnten. Sie hatten sich aber verkalkuliert. Sie hatten nicht mit der Planwirtschaft gerechnet, mit deren Hilfe es trotz der Verschwendung und der Misswirtschaft der Bürokratie gelang, die Produktion zu steigern und die Last des Krieges in seinen dunkelsten Tagen zu schultern. Die Überlegenheit des Plans und der Hass der sowjetischen Massen auf den Faschismus gab der Sowjetunion die unbesiegbare Feuerkraft, die notwendig war, um den Nazi-Armeen eine Niederlage zu bereiten und sie schließlich bis nach Berlin zurückzuwerfen.
Der 2. Weltkrieg war im Wesentlichen eine Auseinandersetzung zwischen der UdSSR und Deutschland, bei der die Alliierten eine Zuschauerrolle einnahmen. 1943 löste Stalin als Beschwichtigungsmaßnahme gegenüber den Alliierten die Kommunistische Internationale auf, aber diese reagierten nicht auf Moskaus Bitte nach einer zweiten Front. 1945 hatte die Rote Armee die Kriegsmaschine der Nazis zerschlagen und Hitler besiegt. Dieser Sieg bedeutete auch eine längerfristige Stärkung des Stalinismus.

Jedoch bestand innerhalb der herrschenden Bürokratie, wie Trotzki gewarnt hatte, der Wunsch nach einer Wiederherstellung des Kapitalismus, damit diese ihre Privilegien an ihre Nachkommen weitervererben konnte. Es dauerte 50 Jahre bis diese Prognose sich bewahrheitete. 1991 kam es zum Zerfall der Sowjetunion und die führenden Bürokraten wie Jeltsin umarmten den Kapitalismus. Die Stalinisten waren, trotz aller Opfer der russischen Massen, zum Totengräber der Oktoberrevolution geworden.

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