Kategorie: Theorie

Der Kosovokrieg: Marxismus und die nationale Frage

Genau in dem Moment, in dem der Weltmarkt die beherrschende Kraft unseres Planeten geworden ist, treten nationale Gegensätze weltweit besonders erbittert zum Vorschein. Die nationale Frage birgt überall Sprengstoff in sich - auch in hochentwickelten kapitalistischen Staaten.

In Spanien, Irland, Belgien, Israel, Ost-Timor und Kurdistan ist die nationale Frage ungelöst. In der französischsprachigen kanadischen Provinz Quebec ist vor wenigen Jahren bei einer Volksabstimmung das Ziel staatlicher Unabhängigkeit nur knappp abgelehnt worden. Die von der britischen Kolonialmacht vor über 50 Jahren verfügte Spaltung Indien-Pakistan hätte 1999 beinahe wieder einmal einen heißen Krieg zwischen beiden hochgerüsteten Staaten um Kashmir ausgelöst. Die Konflikte auf dem Balkan brachten Europa bis an den Rand eines neuen gesamteuropäischen Krieges.

Am Vorabend des 21. Jahrhunderts sind das Privateigentum an Produktionsmitteln und der Nationalstaat die zwei mächtigsten Hindernisse für den menschlichen Fortschritt. Mit der Entwicklung des Imperialismus und des Monopolkapitalismus ist das kapitalistische System über die engen Grenzen des Privateigentums und des Nationalstaats herausgewachsen. Dieser spielt heute ungefähr die gleiche Rolle, die die winzigen Herzogtümer und Staaten im Feudalismus darstellten.

Kein Land - selbst das größte nicht - kann sich dem Diktat des Weltmarktes widersetzen. Im weiteren historischen Sinn ist das eine überaus fortschrittliche Entwicklung, weil dies bedeutet, daß die materiellen Bedingungen für eine weltweite sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung vorhanden sind, bei der die Wirtschaft im Interesse von Mensch und Natur geplant und gelenkt werden kann.

Der marxistische Standpunkt

Marxisten sind gegen alle Formen der nationalen, sprachlichen, kulturellen und ethnischen Unterdrückung, und wir werden jede Form der nationalen Unterdrückung bekämpfen. Lenins fundamentale Grundlage zur nationalen Frage war stets ein unabhängiger Klassenstandpunkt der Arbeiterbewegung. Aber Lenin sagte niemals, daß deshalb Marxisten die Kapitalistenklasse einer unterdrückten Nation oder das nationale Kleinbürgertum unterstützen sollten, die auf dem "Ticket" des Nationalismus ihre engstirnigen Eigeninteressen verfolgen und die Masse der Bevölkerung dabei als Fußvolk mißbrauchen.

Während Lenin stets einen kompromißlosen Kampf gegen jegliche Form nationaler Unterdrückung geführt hat, war für ihn der Kampf gegen die herrschende Klasse immer das oberste Prinzip - und zwar der Kampf gegen die herrschende Klasse sowohl der Unterdrückernation als auch der unterdrückten Nation. Das ist kein Zufall. Das ganze Konzept Lenins zielte darauf ab, daß die Arbeiterklasse sich an die Spitze der Nation stellte, um die Massen zur Revolution und damit der sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft zu führen.

Lenins Position zum Selbstbestimmungsrecht der Völker war nicht dazu gedacht, die Russen von den anderen unterdrückten Völkern des Zarenreiches zu trennen, sondern im Gegenteil die Massen aller Völker im zaristischen Rußland im revolutionären Kampf gegen Großgrundbesitzer und Kapitalisten zu einen. Was die Arbeiterklasse anbelangt, stellte sich niemals die Frage nach einer Spaltung der Arbeiterorganisationen auf nationaler Basis.

Selbstbestimmungsrecht heißt nicht Pflicht zur Kleinstaaterei

Für Lenin bedeutete das Selbstbestimmungsrecht nicht, daß die Arbeiter gezwungen waren, in jedem Fall für die staatliche Trennung und Loslösung zu stimmen, sondern ausschließlich, sich allen Formen der nationalen Unterdrückung und der gewalttätige Unterdrückung und des "Einsperrens" einer Nation in den Grenzen eines anderen Staates zu widersetzten, d. h. daß die Menschen selbst frei entscheiden sollten. Das ist eines der elementaren demokratischen Rechte, das Lenin und seine Partei, die Bolschewiki, verteidigten. Aber selbst dann wurde dieses Recht niemals als etwas Absolutes betrachtet, sondern es war immer den Interessen des Klassenkampfes und der Weltrevolution untergeordnet.

Um es an zwei Beispielen aus dem Alltagsleben zu verdeutlichen: Wir verteidigen natürlich gegenüber allen reaktionären Kräften das Recht von Frauen auf Abtreibung einer Schwangerschaft in den ersten drei Monaten ebenso wie das Recht von Ehepartnern auf Ehescheidung. Die prinzipielle Verteidigung dieses Rechts ohne Wenn und Aber heißt aber nicht, daß wir Abtreibung und Ehescheidung zur Pflicht erheben oder gar als etwas "Fortschrittliches" propagieren!

Lenins Politik war keine Politik der Spaltung und staatlichen Lostrennung, sondern der freiwilligen Union.

Das bolschewistische Programm zur nationalen Frage war dazu gedacht, die Arbeiter und Bauern aller Nationalitäten innerhalb des russischen Zarenreiches für den revolutionären Umsturz der Zarenherrschaft zu vereinen. Als dann die russischen Arbeiter 1917 die Macht erobert hatten, gewährte die neue Revolutionsregierung unter Lenin allen unterdrückten Nationalitäten das Selbstbestimmungsrecht. Finnland, das hundert Jahre lang unter russischer zaristischer Vorherrschaft gestanden hatte, wurde im Dezember 1917 auf eigenen Wunsch von der neuen Sowjetregierung in die staatliche Unabhängigkeit entlassen. Die große Mehrheit der Völker entschloß sich jedoch, freiwillig innerhalb der Sowjetunion zu bleiben und an deren Aufbau mitzuwirken.

Kosovo heute: Die Frage konkret gestellt

Leider sind die Grundsätze Lenin´scher Nationalitätenpolitik von vielen, die sich heute als Marxisten bezeichnen, vergessen worden. Das hat sich erst kürzlich während des Kosovo-Krieges gezeigt Das Auseinanderbrechen Jugoslawiens wurde unter dem Schlagwort der "Selbstbestimmung" für die Slowenen, Kroaten, Bosnier und jetzt Kosovo-Albaner vollzogen. Manche "Linke" gingen während des Kosovokrieges so weit, daß sie unbedingt die UCK unterstützten und die Lostrennung des Kosovo von Serbien forderten. Wie sollen wir dazu stehen?

Stellen wir die Frage einmal konkret, und schon bekommen wir eine Antwort. Wie sieht acht Jahre nach dem Beginn der Feindseligkeiten die Bilanz des Auseinanderbrechens des jugoslawischen Staates aus? Hat dies die jugoslawische Arbeiterbewegung und die revolutionäre Bewegung gestärkt? Sind die Menschen einander näher gekommen? Wurden irgendwelche Probleme gelöst? Wurden die Produktionsmittel besser entwickelt? Nein. Das Auseinanderbrechen Jugoslawiens ist aus Sicht der Arbeiterklasse eine absolute Katastrophe. Und dieses Verbrechen gegen die Arbeiterklasse kann niemals mit dem Gerede vom Selbstbestimmungsrecht gerechtfertig werden.

Sicherlich - die Kosovo-Albaner erlitten nationale Unterdrückung durch die Serben, und natürlich liegen unsere Sympathien immer auf der Seite der Unterdrückten. Aber damit ist die Frage noch längst nicht erschöpft. Die Kosovo-Albaner haben genauso wie die Serben, die Kurden, die Makedonier, die Palästinenser ein Selbstbestimmungsrecht. Aber wie soll diese Selbstbestimmung in der Praxis aussehen? Denn die Serben betrachten das Kosovo als historischen Bestandteil ihres Landes und sind freiwillig jedenfalls nicht bereit, das Gebiet zu räumen. Im Sommer 1999 fanden im Kosovo unter den Augen der KFOR-Soldaten weiter Vertreibungen statt - mit umgekehrten Vorzeichen. Diesmal waren es dort ansässige Serben, Sinti und Roma, die gewaltsam durch Albaner vertrieben wurden. So leicht können Unterdrückte zu Unterdrückern werden.

Die UCK hat beim US-Imperialismus und der EU Hilfe gesucht. Amerika und die EU sind jetzt dabei, dort ein Protektorat zu errichten und schaffen sich somit ein Sprungbret für einen noch stärkeren Einfluß in der ganzen Region. Die Einführung der DM als offizielle Währung im Kosovo spricht Bände und ließ schon das Wort vom "17. Bundesland" aufkommen. In diesem Zusammenhang war für den Westen das "Selbstbestimmungsrecht" der Kosovo-Albaner lediglich ein Feigenblatt, um die Bombardierung und Drangsalierung eines kleinen Balkan-Landes (Serbien) durch den US-Imperialismus zu rechtfertigen? Denn die systematische Vertreibung der Kurden aus ihren Dörfern durch den NATO-Partner Türkei läßt westliche Staatsmänner kalt.

Was hat der NATO-Krieg gelöst? Die gesamte Lage ist jetzt viel schlimmer als zuvor. Die vorgebliche "Lösung" der Kosovofrage hat nichts Grundlegendes gelöst. Die Lage auf dem Balkan ist noch instabiler als zuvor. Auch das unabhängige Bosnien ist nur auf dem Papier "souverän" - in Wirklichkeit ist es voll von den USA, Weltbank und IWF abhängig.

Der einzige fortschrittliche Ausweg wäre ein revolutionärer Sturz des Milosevic-Regimes. Dazu ist aber die Aktionseinheit der Arbeiter und Bauern Jugoslawiens erforderlich. Nur eine von anderen Klassen unabhängige Arbeiterbewegung kann es schaffen, das Teile-und-Herrsche-Spiel der Großmächte und eine demokratische und sozialistische Balkanförderation aufzubauen, in der die einzelnen Völker volle Autonomie und Selbstbestimmungsrecht erhalten.

Für eine internationalistische Politik!

Aus geschichtlicher Sicht war die Überwindung der Kleinstaaterei und die Entwicklung der Produktivkräfte im Rahmen von Nationalstaaten eine gewaltige fortschrittliche Leistung der Kapitalistenklasse. Aber jetzt hat sich die Lage völllig verändert. In der heutigen Epoche sind Nationalstaaten ein schlimmes Hindernis für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte. Die Zukunft der Zivilisation hängt davon ab, ob es gelingt, Grenzen niederzureißen, und nicht neue Grenzen und Barrieren zu errichten. Wenn es der Arbeiterbewegung und den Kräften der Linken nicht gelingt, die unterdrückten Menschen aller Nationalitäten in einem gemeinsamen Kampf gegen die nationale und internationale Klassenherrschaft zu vereinigen, dann drohen noch viel schlimmere Rückschläge, Massaker, Kriege und Bürgerkriege.

Lenin im O-Ton:

· Wir wollen eine freie Vereinigung, und darum sind wir verpflichtet, das Recht auf Lostrennung anzuerkennen (ohne das Recht auf Lostrennung kann die Vereinigung nicht als frei bezeichnet werden).

· Im Namen dieses Rechtes müssen die Sozialdemokraten der unterdrückenden Nationen die Freiheit der Absonderung für die unterdrückten Nationen fordern, weil widrigenfalls die Anerkennung der Gleichberechtigung der Nationen und der internationalen Solidarität nur eine hohle Phrase bliebe. Die Sozialdemokraten der unterdrückten Nationen aber müssen die Forderung nach Einheit und Verschmelzung der Arbeiter der unterdrückten Nationen mit den Arbeitern der unterdrückenden Nationen als Hauptsache betrachten - weil widrigenfalls die Sozialdemokraten unwillkürlich zu Verbündeten dieser oder jener nationalen Bourgeoisie werden, die immer die Interessen des Volkes und der Demokratie verrät, die immer ihrerseits bereit ist, Annexionen zu machen und andere Nationen zu unterdrücken.

· Erstens erfordern die Interessen der Arbeiter volles Vertrauen und ein enges Bündnis zwischen den Werktätigen der verschiedenen Länder, der verschiedenen Nationen. Die Anhänger der Gutsbesitzer und Kapitalisten, der Bourgeoisie, sind bestrebt, die Arbeiter zu entzweien, den nationalen Hader und die nationale Feindschaft zu verstärken, um die Arbeiter zu schwächen und die Macht des Kapitals zu festigen.

· Die Interessen der Arbeiterklasse und ihres Kampfes gegen den Kapitalismus erfordern volle Solidarität und unlösbare Einheit der Arbeiter aller Nationen, sie erfordern Gegenwehr gegen die nationalistische Politik der Bourgeoisise, welcher Nationalität sie auch sei.

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