Kategorie: Antifaschismus

Nach dem Lübcke-Mord: Naziterror kleingeredet?

Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) am 2. Juni 2019 und das Verhalten der Staatsorgane werfen sehr viele Fragen auf. Sollen die Gefahren des rechten Terrors kleingeredet und die Rolle der Staatsorgane vertuscht werden?


Als sich die Nachricht vom Tod Lübckes durch Kopfschuss verbreitete, brach in sozialen Netzwerken ein freudiges Triumphgeheul rechter Kreise los. Lübcke stand im Visier gewaltbereiter Rechter, weil er 2015 die Unterbringung von Geflüchteten befürwortet und ein friedliches Zusammenleben angemahnt hatte. Er bekamm Drohbriefe. So lag ein politisches Motiv nahe, zumal der Tatort Wolfhagen-Istha vor den Toren Kassels liegt und die Nordhessen-Metropole Hotspot und Drehscheibe der militanten Neonaziszene ist.

Mit Beate Zschäpe in der Bierkneipe

Zur Szene in Kassel gehört auch „Combat 18“, eine SA-ähnliche bewaffnete Ordnertruppe, die bei Rechtsrockkonzerten auftritt. Die Männer trafen sich jahrelang in einer Kasseler Gaststätte, bis sie von den Betreibern nach zähem Kampf herausgeworfen wurden. Wie die Gastwirtin berichtete, habe etwa zur Zeit des Mordes der Terrorbande NSU an dem Internetcafébetreiber Halit Yozgat 2006 auch die damals untergetauchte NSU-Terroristin Beate Zschäpe das Lokal aufgesucht.Yozgat ist wie Lübcke eines von über 190 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990.

Fest verwurzelt in dieser Szene ist der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E., der eine lange Karriere als Bombenbastler und Totschläger hinter sich hat, 2002 für die NPD Wahlkampf machte und 2009 am brutalen Überfall auf die Dortmunder DGB-Maikundgebung mitwirkte. Von seinem Kasseler Wohnhaus konnte er über die Autobahn in 20 Minuten zum Tatort in Istha fahren.

Schon 2015 stieß die hessische Linksfraktion im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags auf seinen Namen, weil er als besonders gewaltbereit galt. Sie wollte mehr wissen und Akten einsehen, biss aber auf Granit, stieß auf geschwärzte und geschredderte Akten und einen Schleier der Geheimhaltung. Noch im März 2019 nahm Stephan E. aktuellen Berichten zufolge in Mücka (Sachsen) an einer geheimen Zusammenkunft von „Combat 18“ mit rund 200 Neonazis teil. Die Behörden dürften das von den zahlreichen V-Leuten des Inlandsgeheimdienstes Verfassungsschutz in der Szene erfahren haben.

Was also hätte näher gelegen, als Stephan E. und andere seiner Kameraden direkt nach dem Lübcke-Mord aufzusuchen, nach einem Alibi für die Mordnacht in Istha zu fragen und ihre Kasseler Wohnungen zu durchsuchen? Doch darauf kamen die „in alle Richtungen ermittelnden“ Behörden zwei Wochen lang offenbar nicht. Statt Neonazis geriet ein mit der Familie befreundeter Helfer ins Visier der Staatsgewalt, der am Tatort Blut weggewischt haben soll. Er wurde vor einer Nordseefähre festgenommen, musste aber wieder freigelassen werden. Die Annahme einer Täterschaft im persönlichen Umfeld weckt Erinnerungen an das böse und zynische Wort von den angeblichen „Döner-Morden“, mit dem die bundesweite Mordserie der Naziterrorbande NSU nach der Jahrtausendwende jahrelang beschrieben wurde? Damals wurden persönliche Fehden und nicht Rassismus als Mordmotiv propagiert. Das gab den NSU-Tätern wertvolle Zeit, um abzutauchen und die Beweisstücke zu vernichten.

So waren auch jetzt die mutmaßlichen Komplizen von Stephan E. gewarnt und hatten Zeit, um Spuren zu verwischen. Erst als Stephan E. durch eine DNA-Analyse auffiel und eine Amtsrichterin zwei Wochen nach dem Mord den Haftbefehl ausstellte, wurde er festgenommen und sein Haus durchsucht. Nun erfuhr eine staunende Öffentlichkeit, was Antifaschisten stets vermuteten: Der Mord an Walter Lübcke war politisch motiviert. Doch auch unter der Regie der Bundesanwaltschaft, die nun die Ermittlungen an sich zog, galt zunächst die Vermutung von einem „Einzeltäter“. Es gebe „keine Hinweise auf ein rechtsterroristisches Netzwerk“, so die Botschaft aus Karlsruhe am 17. Juni. Und dies obwohl mehrere Autos am Tatort waren.

Was nun?

Der Lübcke-Mord zeigt, dass uns dieser Staat mit seinen Geheimdiensten und seinem System alimentierter V-Leute in der Neonaziszene nicht vor faschistischem Terror schützt. Wir haben die Meldungen über rechte Netzwerke in Bundeswehr und Polizei nicht vergessen. Die Forderung nach Offenlegung aller Akten und Geheimdienstinformationen wird immer wieder durch eine vermeintliche „Staatsräson“ blockiert, die eine schonungslose Transparenz verbiete. Was haben sie zu verbergen? Warum wurde die Gefahr des Rechtsterrorismus trotz zahlreicher Hinweise verniedlicht? Warum behauptet Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen immer noch: „Wir haben nichts verschlafen“???

Mit kosmetischen Veränderungen ist es nicht getan. Das System der V-Leute muss unverzüglich offengelegt und beendet werden. Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern, der in der Nachkriegszeit mit alten Nazi-Kadern aufgebaut wurde, gehört aufgelöst. Wir müssen aber noch weitergehende Konsequenzen ziehen. Denn die Verstrickung des „Verfassungsschutzes“ mit rechtsradikalen Terrornetzwerken in Deutschland ist offenkundig, nicht erst seit der Hinrichtung Lübckes. Der dialektische Widerspruch des bürgerlichen Staates offenbart sich besonders dann, wenn es um die Aufarbeitung des Terrorismus von Rechts geht. Es wird zwar oberflächlich davon gesprochen, eine Aufklärung zu forcieren, doch faktisch wird auf Zeit gespielt. Eine tiefgreifende Aufarbeitung würde nämlich die Funktion des Staates im Sumpf des Terrors ans Tageslicht bringen, welche nicht erst seit dem NSU-Terror offenkundig ist. Dabei ist es irrelevant, wenn namhafte Politikerinnen und Politiker der herrschenden Klasse sich darum bemühen, die Tat zu verurteilen, denn sie sind sich ihrer Stellung mehr als bewusst. Besonders deutlich wird das durch die Äußerung von Ulrich Thomas, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalts, der nach eigenen Angaben „das Soziale mit dem Nationalen“ versöhnen möchte. Darin inbegriffen ist eine Öffnung nach Rechts, wie es der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck erst jüngst propagierte. Dies bezieht eine parlamentarische Zusammenarbeit mit der AfD mit ein.

Erinnerungen an 1922

Vergleiche mit der Weimarer Republik bergen immer die Gefahr, dass sie hinken. Dennoch muss konstatiert werden, dass es partielle Vergleiche gibt. So etwa die Morde an bürgerlichen Politikern wie der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger oder Reichsaußenminister Walter Rathenau im Jahre 1922 durch die Organisation Consul, die später in der Nazibewegung aufging. Diese Morde rüttelten auch die Arbeiterbewegung auf. Die KPD schlug der SPD damals eine antifaschistische Einheitsfront vor. Anfang Juli 1922 gab es zahlreiche Massendemos gegen den faschistischen Terror.

4 karikatur maaenHPDer Mord an Walther Lübcke ist ein weiterer Kristallisationspunkt der Krise des Kapitalismus und hiernach auch des Liberalismus und der bürgerlichen Klasse. Nun kommt der terroristische Charakter ans Tageslicht, welcher versteckt bleiben sollte. Die stetigen Offenlegungen in kurzer Zeit der Aktivitäten und Personalien des rechten Randes im Bunde mit der bürgerlichen Klasse – wie rechtsradikale Kreise in der Polizei, NSU 2.0, die „Prepper-Szene“, welche Waffen und Todeslisten hortete und führte – können nicht mehr in dem Maße kaschiert werden, wie es der Moralismus der Herrschenden eigentlich vorgibt.

Doch wie ist darauf zu reagieren? Der faschistische Terror ist ein Produkt der Krise der bürgerlichen Klasse, deren Hauptfeind die unterdrückten Menschen jeglicher Couleur sind. Ein Blick in den sogenannten „Verfassungsschutz“ und seine bedenkliche Geschichte wird sehr schnell an den Tag legen, dass der Antagonismus der Klassen alles andere als überstanden ist, sondern angespannter und brutaler als je zuvor ist. Seit Einzug der AfD in Landtage und Bundestag hat sich sowohl parlamentarisch als auch außerparlamentarisch eine Verschiebung des Sagbaren vollzogen, bei der offen faschistisches Vokabular in den Normalbetrieb integriert wird, nicht nur durch die AfD, sondern auch Teile der CDU und FDP. Der Klassencharakter ist allen zentral in der Verteidigung des Status Quo, was zur paradoxen Situation führt, dass wirklich antifaschistisches Engagement, welches entscheidend bei der Offenlegung und Sammlung von Information rechter Terroristen und Kreise ist, kriminalisiert wird. Das führt zu Enquete-Kommissionen zum „Linksextremismus“ bis zur direkten Forderung nach Verbots der Antifa und der Roten Hilfe, die bis tief ins bürgerliche Lager erhoben wird.

Der Reflex der Herrschenden ist nicht die schonungslose Aufklärung des Terrors der Rechten, sondern die konsequente Kriminalisierung der Linken, bei der die elendige „Extremismus-Theorie“ gar nicht mehr bedient wird, sondern eine grundsätzliche Diskursverschiebung vollzogen wird. Die vermeintliche „Mitte“ ist in den letzten Jahren so sehr nach rechts gerückt, dass selbst Enteignungsdebatten wie die von Kevin Kühnert als radikal linkes Instrument verstanden werden. Wenn der Staat als Täter in Erscheinung tritt, gibt es nichts mehr, worauf man vertrauen kann. Daher ist es unabdingbare Aufgabe aller Antifaschistinnen und Antifaschisten sowie Linken, zusammen mit den Unterdrückten und der Arbeiterklasse klar zu benennen, was es zu benennen gibt: Der Feind steht nicht nur im Staat, es ist der Staat. Ein Staat, der nicht nur Rechtsradikale deckt und schützt, sondern systematisch mit ihnen zusammenarbeitet, national wie transnational. Es steht für die herrschende Klasse nicht mehr die Frage im Raum, ob man etwas sagen und fordern dürfte oder nicht, sondern nur, in welchem Ton es geschieht. Die Arbeiterklasse, Migrantinnen und Migranten und andere Unterdrückte sind direktes Ziel der gegenwärtigen Entwicklung.

Was an seiner Stelle etabliert werden muss, ist klar.

Es sind gerade die antifaschistischen Netzwerke, die wichtige und fundierte Arbeit leisten, um rechtsradikale und terroristische Gruppen in Deutschland offenzulegen.
Linke Parteien, Organisationen und Initiativen, Gewerkschaften, Migrantenverbände und engagierte Antifaschisten haben schon in der Vergangenheit sehr viel zur Aufklärung und zur Bekämpfung faschistischer Umtriebe beigetragen. Sie müssen sich jetzt zu einer starken antifaschischen Einheitsfront zusammenschließen und den Kampf gegen Neonazis wie auch den gegenseitigen Schutz selbst in die Hand nehmen. Der Kampf gegen den aufkeimenden Faschismus kann nur der Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse im Zusammenhang mit allen revolutionären linken Kräften sein.

Der Ruf der Bürgerlichen nach mehr Toleranz gegenüber Rechts und einem schonungslosen Eintreten gegen den „Linksextremismus“ spricht unüberbrückbare Bände. Der bürgerliche Staat ist nicht willens, seinen eigenen Terror aufzuklären und ihm zu begegnen. Das Problem ist und bleibt der Kapitalismus als Hauptwiderspruch im Komplex. Daher ist es unabdingbares Ziel, diesen zu überwinden, um dem Terror der Bürgerlichen zu begegnen und ihn einzudämmen. Der Weltkapitalismus steht zusehends davor, an seinem eigenen Widerspruch zugrunde zu gehen. Eine sozialistische Umwälzung der Produktion und Gesellschaft in allen Teilen ist die einzige Lösung, die kapitalistische Anarchie zu beseitigen. Die Hinrichtung Lübckes war der Mord an einem Bürgerlichen, doch dialektisch ist er ein Warnschuss an die Adresse aller, die sich für eine gerechtere Welt ohne Klassen einsetzen.

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