Kategorie: Europa

„Jeder Auslandseinsatz ist falsch!“

Interview mit Tobias Pflüger, Europaabgeordneter der Linksfraktion (GUE/NGL) im Europäischen Parlament, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und Koordinator der Linksfraktion im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung. Mit ihm sprach am 1. März am Rande von Protestveranstaltungen gegen die EU-Verteidigungsministerkonferenz in Wiesbaden Hans-Gerd Öfinger.



Anfang März haben die EU-Verteidigungsminister in Wiesbaden getagt. Sie haben bei Gegenveranstaltungen gesprochen. Mit welcher zentralen Botschaft?

Die EU ist ein weltweit agierender militärischer Akteur und hat sich im Schatten der USA zu einem Militärbündnis gewandelt. Trotzdem wird immer noch von einer Zivilmacht geredet. Außenminister Steinmeier spricht von einer „Zivilmacht mit Zähnen“. Viele Sozialdemokraten und Grüne reden die EU gerne zu einem völlig zivilen Akteur "gesund" und stimmen gleichzeitig für all die Militarisierungsprojekte. Mittlerweise arbeitet die EU sehr eng mit der NATO zusammen. Gestern war im Unterausschuss Sicherheit und Zusammenarbeit des Europäischen Parlaments der stellvertretende Generalsekretär der NATO, Martin Erdmann, zu Gast. Er forderte, die enge Zusammenarbeit zwischen EU und NATO müsse intensiviert werden und nannte als Beispiel hierfür Afghanistan. Die EU ist hoch militarisiert und baut eine Reihe von Strukturen für ihre Militarisierung auf: eigene Kampftruppen und eine eigene Rüstungsagentur. Wir sind mit dieser Militarisierung nicht einverstanden.

Der jüngste Kongo-Einsatz der EU war sozusagen ein erstes Praktikum für das Operation Headquarters (OHQ) Potsdam-Geltow unter deutsch-französischer Führung. Welche Rolle spielt das OHQ und wie sind die Kräfteverhältnisse zwischen diesem OHQ einerseits und dem Ulmer Force Headquarters (FHQ) der EU andererseits?

In der EU werden einzelne Operation Headquarters geschaffen. Fünf sind geplant, eines davon in Potsdam-Geltow. Diese werden die jeweiligen Einsätze militärisch führen. Im Kongo hat man das so gemacht, und zwar von Potsdam aus. Vor Ort gibt es ein Kommando, so genannte Force Headquarters. Das deutsche Pendant des Force Headquarters sitzt in Ulm, und beim Kongo-Einsatz wurde ein deutsches Operation Headquarters und ein französisches Force Headquarters eingesetzt. Ingesamt ist klar, dass dies die Strukturen sind, mit denen man die Militär- und Kriegseinsätze durchführen kann. Ohne solche Strukturen wären die Militäreinsätze nicht möglich. Daher ist es zentral, gegen das Operation Headquarters regelmäßig in Ostermärschen zu protestieren. Von Geltow aus werden alle Bundeswehreinsätze koordiniert. Dies sind die Zentren der Kriegsführung.

Wo die NATO nicht eingreift, kann die EU optional tätig werden. Vieles deutet darauf hin, dass eine von Berlin angeführte EU zum militärischen Juniorpartner der USA wird und überall, wo die NATO es zulässt, zu Gunsten des europäischen Kapitals interveniert. Wie genau ist es um die deutsche Führungsrolle im militärischen Bereich der EU bestellt? Unter welchen Bannern konzentriert sich die europäische Rüstungsindustrie?

Das Verhältnis EU-USA ist eine unendliche Geschichte. Mein Eindruck ist, dass ein klare Absprache besteht: Wenn die USA nicht wollen oder können oder – wie im Kongo – von der EU nicht gewollt sind, dann macht man Militäreinsätze mit autonomen Militärstrukturen der EU. Wenn man die USA mit im Boot haben will, etwa in Afghanistan, dann läuft dies über andere Strukturen wie die NATO. Innerhalb der EU lässt sich bei den Truppen feststellen, wer wie viele Truppenteile stellt. Deutschland stellt da jeweils die größten Anteile, etwa bei den Eingreiftruppen mit 14.000 von 60.000 Soldaten. Mindestens sechs von 19 geplanten Battle Groups werden einen deutschen Anteil haben, vermutlich noch mehr. Es findet eindeutig eine deutsche Dominanz bei den Militärstrukturen statt. Diese spiegelt sich auch bei der Rüstungsindustrie wider. Da sind vor allem aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland große Rüstungsfirmen engagiert, etwa EADS (deutsch geführt), Thales (französisch geführt) und BAE Systems (britisch geführt). Diese dominieren den Militärmarkt eindeutig. Dies ist eine Oligopolisierung. Inzwischen gibt im Bereich der Industrie eine parallele Entwicklung zur Konzentration im Bereich Militärstrukturen auf einige Kerneuropa-Staaten. Deutschland spielt dabei eine führende, dominierende Rolle.

Der EU-Verfassungsvertrag, der derzeit frenetisch von Kanzlerin Merkel verteidigt wird, würde einen eigenen EU-Militärhaushalt einrichten. Bereits am 11.12.1999 beschloss der EU-Gipfel in Helsinki eine Schnelle Eingreiftruppe bis Ende 2003 aufzustellen. Ausserdem gibt es die sogenannten Battle Groups (Schnelle Eingreiftruppen mit jeweils 1.500 SoldatInnen). Inwiefern entsprechen die neuen EU-Battle Groups strategisch und/oder dem Aufbau nach der Nato-Interventionstruppe (Nato Response Force) von 1991?

Der Verfassungsvertrag würde erstmals in der EU einen eigenständigen Militärhaushalt der EU zulassen. Der Nizza-Vertrag verbietet dies noch ausdrücklich. Darin liegt einer der Gründe, warum sie diesen Verfassungsvertrag haben wollen – Außenminister Steinmeier hat dies unterstrichen – und warum wir diesen Vertrag nicht haben wollen. Denn er würde eine weitere Militarisierung und Aufrüstung ermöglichen. Offiziell gibt es 13 EU Battle Groups –– inoffiziell hat die französische Ministerin Alliot-Marie bestätigt, dass es 19 EU-Battle Groups geben soll. Diese sind von der Grundstruktur her parallel zur NATO Response Force, teilweise handelt es sich sogar um die gleichen Truppen. Ich habe beim Besuch der Deutsch-Französischen Brigade in Müllheim (Baden) erfahren, dass sie später gleichzeitig NATO-Response Force als auch EU-Battle Group sind. Das sind die kampforientiertesten Einheiten. Fragt man näher nach, ob es Interessensunterschiede geben könnte, so erfährt man, diese wird es nie geben und man würde jeweils das nutzen, was man für richtig erachtet. D.h. es wird jeweils die Schublade gezogen, die passt – NATO, EU, ad hoc Bündnisse, UN-mandatiert oder auch nicht UN-mandatiert. Das Völkerrecht spielt da überhaupt keine Rolle mehr.

Sie sind zu den zentralen Militärstandorten Deutschlands gereist, u.a. zum bereits erwähnten Einsatzführungskommando Potsdam-Geltow, das eines der europäischen Operation Headquarters (OHQ) zur Führung von EU-Militäreinsätzen beherbergt, und zum Gefechtsübungszentrum Altmark bei Magdeburg, wo die Privatisierung der Verwaltung von Waffen Einzug hält. Halten Sie die Privatisierung des Kriegs wie im Irak, wo die führende US-amerikanische Großindustrie an der politischen Vorbereitung und der militärischen Umsetzung der Intervention beteiligt war, auch für EU-Militäreinsätze künftig für möglich?

Ich vermute ja. Der Gesamttrend in der EU bedingt eine weitgehende Privatisierung in allen Bereichen. Dies kann auch im Militärbereich der Fall sein – Stück für Stück. Wir erleben ja, wie bei der Bundeswehr schon Teile privatisiert und ausgelagert werden. In anderen Bereichen wird nicht ausgelagert, denn der Chef der Brigade in Müllheim hat mir gesagt, dies sei ungünstig, denn dann müsse man ja auch private Leute in den Kampfeinsatz mit einbeziehen, und das wolle man nicht. Insofern gibt es hier Grenzen für die Privatisierung. Im Irak allerdings wird die Schmutzarbeit von so genannten privaten Sicherheitsdiensten betrieben. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies auch bei der EU Einzug hält – quasi in Form einer nachholenden Entwicklung.

Die deutsche Marine wird künftig an den vier permanenten NATO-Marineverbänden beteiligt sein. Der Marine-Stützpunkt Glücksburg ist aber auch als EU-Marine-Hauptquartier geplant. Ähnliche Marine-Hauptquartiere sind in Großbritannien, Italien und Spanien angesiedelt. Welche strategische Bedeutung hat Glücksburg?

Glücksburg ist für die Marine-Militärpolitik von zentraler Bedeutung, weil von dort aus künftig militärische Einsätze koordiniert werden sollen mit dem EU-Marinehauptquartier, das so gut wie fertiggestellt ist. Mein Eindruck ist, dass es parallele Entwicklungen in allen Bereichen gibt – Marine, Heer und Luftwaffe – und da ist Glücksburg das Beispiel für die Marine.

Kommen wir noch zu der Truppe der Exekutive, dem Kommando Spezialkräfte (KSK) im baden-württembergischen Calw. KSK-Soldaten sollen Insignien des nationalsozialistischen Afrika-Korps gezeigt haben. Diese Elite-Truppen, die u.a. in Guantánamo einen deutschen Häftling gefoltert haben sollen, scheinen institutionell an die preußisch-deutsche Tradition der exekutiven Geheimpolitik anzuknüpfen.

Das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw ist die einzige Truppe in der Bundeswehr, die von der Exekutive allein geführt wird und nicht etwa vom Einsatzführungskommando. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Wichert, hat mir in einem Acht-Augen-Gespräch bestätigt, dass diese Truppe allein von der Exekutive geführt wird. Dementsprechend ist der Parlamentsvorbehalt, also die notwendige Zustimmung des Bundestags zu Auslandseinsätzen, im Falle der KSK außer Kraft gesetzt.
Im Kongo hat mir eine sehr zuverlässige Quelle mitgeteilt, dass 25 Soldaten des KSK im Rahmen des Kongo-Einsatzes dort waren. Ich habe ebenfalls erfahren, dass dies im Rahmen jedes Einsatzes möglich ist. Das KSK ist eine exekutiv geführte Geheimtruppe, die alles mögliche treibt. In Afghanistan war das KSK im Gefangenenlager Bagram, wo gefoltert wird, an der Bewachung des Lagers beteiligt. In diesem Zusammenhang ist ja auch der Fall Murat Kurnaz zu sehen.
Das KSK ist eine Hilfstruppe für Foltertruppen. Der ehemalige KSK Chef, Brigadegeneral Reinhard Günzel, sieht das KSK in einer Tradition mit den übelsten Wehrmachts- und SS-Einheiten. Auf diese Idee wäre nicht einmal ich gekommen, denn da gibt es noch einen Unterschied.
Dieser Vergleich wurde zwar zurückgewiesen. Aber die Bundesregierung muss sehr genau aufpassen, welche Parallelen sich da auftun. Nicht wir haben diese Parallelen gezogen, sondern verantwortliche Soldaten. Die Bundesregierung muss sich hier klar äußern. Sonst macht die Bundeswehr das, was schon bei ihrer Gründung getan wurde: auf Wehrmachtstraditionen aufbauen. Das ist ein Skandal allererster Güte. Die Wehrmacht war an Vernichtungskrieg und schlimmsten Verbrechen beteiligt, und wer sich darauf bezieht, der diskreditiert sich völlig.
Wenn ehemalige KSK-Chefs sich in der Tradition mit solchen Wehrmachtseinheiten sehen, nehmen wir das zur Kenntnis. Die einzige richtige Forderung ist und bleibt: Auflösung des KSK als allererster Schritt, denn diese Truppe treibt Dinge, von denen die Bevölkerung nichts erfahren darf.

Im Rahmen der Militarisierung der EU und der Aufgaben-Erweiterung der NATO gehen Kriegsentscheidungen zunehmend von der rechtsetzenden Gewalt auf die ausführende Gewalt über. Wie kann dieser Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit im militärischen Bereich Einhalt geboten werden?

Es darf keine Beschlüsse über Auslandseinsätze mehr geben, denn jeder Auslandseinsatz ist falsch. Zumindest aber muss das Parlament bei Auslandseinsätzen mehr zu sagen haben. In Spanien wurde das jetzt nach dem Irak-Krieg neu eingeführt, in anderen Ländern wird es diskutiert. In Deutschland wurde ein Parlamentsbeteiligungsgesetz verabschiedet, das immer mehr Rechte an die Exekutive abgibt. Die Battle Groups sollen künftig innerhalb von fünf bis fünfzehn Tagen einsatzfähig sein. Innerhalb dieser Zeit ist ein Bundestagsbeschluss nicht möglich. Der damalige britische Ratsvertreter hat auf meine entsprechende Frage im Auswärtigen Ausschuss geantwortet, dass man von der deutschen Regierung gehört habe, dass dies auch im Nachhinein möglich sei. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juni 1994 gibt dies aber nicht her. Aber man tut das offensichtlich trotzdem. Dies ist eine Aushöhlung des Parlamentsvorbehalts. Da ist ganz heftiger Widerstand gefordert.

Wie wahrscheinlich ist in den nächsten Wochen ein Militärschlag gegen Iran?

Inzwischen halte ich einen Angriff auf Iran leider für sehr wahrscheinlich. Es findet ein richtiges Kriegstrommeln statt. Die Vorwürfe gegen Iran sind hanebüchen, denn der Atomwaffensperrvertrag erlaubt Urananreicherung für Atomenergienutzung. Urananreicherung gefällt mir auch nicht, ich bin persönlich gegen Atomenergie, aber der Iran darf dies formal betreiben. Insofern sind die Vorwürfe völlig haltlos, denn es gibt keine Entwicklung einer Atomwaffenkomponente, die Urananreicherung bis zu 90 Prozent erfordern würde.
Die Kriegsvorbereitungen sind abgeschlossen, es wurden Flugzeugträger in die Region gebracht, das Kriegstrommeln beginnt. Bodentruppen im Iran werden unterstützt, die innerhalb des Iran als Verbündete – ähnlich wie die Nordallianz in Afghanistan – eine Destabilisierungspolitik betreiben. Die ersten Anschläge laufen ja gerade. Man kann von dem Regime halten was man will, aber ein Krieg gegen den Iran wird vor allem die Zivilbevölkerung treffen. Dagegen müssen wir als Antikriegsbewegung mobilisieren, denn die Haltung und der Druck der Öffentlichkeit sind bei einer möglichen Eskalation schon ganz wesentlich.

Kanzlerin Merkel hat sich offenbar für die aktuelle deutsche Ratspräsidentschaft vorgenommen, dem durch die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gestoppten EU-Verfassungsvertrag doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Warum ist sie so darauf versessen und wie sollte die Linke darauf reagieren?

Merkel will den Verfassungsvertrag durchsetzen, weil er die deutsche Vorherrschaft in der EU erleichtern wird. Er wird die Militarisierung erleichtern und den eigenen Militäraushalt ermöglichen. Er wird auch ein einfacheres Regieren per Mehrheit in der EU ermöglichen. Das sind die wesentlichen Gründe.
All dies wird ideologisch verbrämt: Wer gegen den Verfassungsvertrag ist, der sei gegen Europa. Das Gegenteil ist der Fall. Denn der Vertrag will ein Kerneuropa und ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten und keine Gleichberechtigung. Die Linke muss diesen Verfassungsvertrag ablehnen. Das französische und niederländische Nein war ein Nein. Man soll nicht mit Leichen arbeiten. Ein anderer Vertrag mit ganz anderen – ökologischen und sozialen – Vorgaben muss her. Es muss ausserdem um Abrüstung gegen. Die EU muss tatsächlich die Grundlagen ihrer Politik grundsätzlich ändern, und so etwas gehört in einen neuen EU-Vertrag.

Deutschland und Frankreich waren einst die treibende Kraft der europäischen Einigung. Nun waren in den letzten Monaten bei deutschen Managern, Politikern und Medien zunehmend antifranzösische Töne zu vernehmen. Was wird damit bezweckt?

Das ist ein doppeltes Spiel. Einmal sind diese Töne für die Öffentlichkeit bestimmt. Diese waren im Bezug auf EADS sehr heftig und gehen mir ins Mark, weil man ja doch die Geschichte im Rücken hat und weiß, was solche Töne bedeuten. Ohne Frankreich, Deutschland oder Großbritannien geht in der EU nichts. Nun gibt es auch von sozialdemokratischer Seite den Vorschlag, wer den Verfassungsvertrag nicht wolle, der könne ja aus der EU rausgehen. Das käme einem Rausschmiss Frankreichs gleich und ist gemeingefährlich. Eine Reihe von SPD-Abgeordneten wie Jo Leinen aus dem Saarland formulieren dies aber genau so. Dies ist ein Skandal höchster Güte. Aber gleichzeitig läuft auf der informellen Ebene nach wie vor eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Chirac, der französischen Regierung und der Bundesregierung. Der Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich spielt sicher eine Rolle, wobei beide aussichtsreichsten Kandidaten in Frankreich aber diesen Verfassungsvertrag wollen und für eine Fortsetzung der neoliberalen Politik jeweils mit kleinen Änderungen sind. Ich halte dies für ein Doppelspiel, das aber im öffentlichen Bereich durchaus gefährlich sein kann.

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