Kategorie: Theorie

Demokratischer Sozialismus oder Sozialistische Demokratie?

Auf den ersten Blick scheint es sich bei beiden Begriffen um das selbe Konzept zu handeln. Aber mitnichten. Ihre Analysen, Methoden und Zwecke sind diametral verschieden.


Da sich heute viele Linke als „demokratische Sozialisten“ bezeichnen, einschließlich des Autors in seiner Vergangenheit, halten wir eine Gegenüberstellung und Klärung für absolut notwendig. Die internationale Arbeiterbewegung hat viele Umbrüche erlebt – die sich auch auf der theoretischen Ebene niederschlugen. Beginnend mit den vielen Schattierungen der Frühsozialisten, welche am Reißbrett eine fertige, ideale Gesellschaft samt Verfassung zu erschaffen versuchten, deren Idee man bloß verbreiten müsste, damit sich diese durchsetzt.

So fortschrittlich diese Kräfte zum damaligen Zeitpunkt auch waren, ihre Auffassungen standen auf keinem wissenschaftlichen Fundament und gingen nicht von den bestehenden Verhältnissen aus. Sie waren daher völlig ungeeignet, die Klassengesellschaft aufzulösen. Marx und Engels entwickelten die Methode des wissenschaftlichen Sozialismus und stellten klar, dass der Sozialismus keine Utopie, sondern eine historische Notwendigkeit ist. Sie begründen dies mit einer radikalen, wissenschaftlichen Analyse des Kapitalismus selbst. Die ihm innewohnenden Widersprüche lösen immer wieder existenzielle Krisen aus und öffnen damit auch immer wieder Türen für seine Überwindung.

In der Frühzeit der Sozialdemokratie war der Marxismus „Mainstream“ innerhalb der Arbeiterbewegung. Friedrich Engels arbeitete am Aufbau der Sozialdemokratischen Parteien bis zu seinem Tod mit. Auch wenn diese Parteien für Sozialreformen innerhalb des Kapitalismus kämpften, war ihr Ziel stets klar die Überwindung des Kapitalismus durch eine sozialistische Revolution. Je stärker allerdings diese Parteien wurden, desto mehr machte sich eine Tendenz breit, die als Revisionismus bezeichnet wird. Dies traf vor allem die SPD als Flaggschiff der Zweiten Internationale.

Die parlamentarische Reformarbeit, welche viele Sozialisten zu verbürgerlichten „Staatsmännern“ machte, nährte diese Tendenz, das Ziel des Sozialismus an das Ende einer Reihe von Reformen zu stellen. In ihren Worten allerdings erklärten sie nach wie vor, auf dem Boden des Marxismus zu stehen. Dies löste die Revisionismusdebatte aus, welche in Deutschland von Rosa Luxemburg und Karl Kautsky auf der einen und Eduard Bernstein auf der anderen Seite ausgetragen wurde.

Aber trotz dieser Debatte ging selbst Rosa Luxemburg als Vertreterin des revolutionären Flügels davon aus, dass der Revisionismus eine vorübergehende Erscheinung innerhalb der Arbeiterbewegung darstellte und dass die Sozialdemokratie eine revolutionäre Arbeiterpartei bleiben würde, welche eines Tages auch die führende Kraft einer sozialen Revolution sein werde. Sie stellte klar:

„Da aber das sozialistische Endziel das einzige entscheidende Moment ist, das die sozialdemokratische Bewegung von der bürgerlichen Demokratie und dem bürgerlichen Radikalismus unterscheidet, das die ganze Arbeiterbewegung aus einer müßigen Flickarbeit zur Rettung der kapitalistischen Ordnung in einen Klassenkampf gegen diese Ordnung, um die Aufhebung dieser Ordnung verwandelt, so ist die Frage »Sozialreform oder Revolution?« im Bernsteinschen Sinne für die Sozialdemokratie zugleich die Frage: Sein oder Nichtsein?“

Die Entwicklung der Sozialdemokratie ging durch drei Etappen. Die erste war „zum Sozialismus durch Revolution“. Durch den Sieg der Revisionisten gingen sie über zu „Durch Reformen zum Sozialismus“. Und wo sie heute steht, wissen wir alle. Der Sozialismus ist kein Ziel der Sozialdemokratie, im Gegenteil, der Umgang der SPD-Führung mit Kevin Kühnert zeigt, dass für sie nicht die Bekämpfung des Kapitalismus, sondern die Bekämpfung des Sozialismus auf dem Programm steht. Dieselbe SPD-Führung, welche heute nicht einmal mehr Sozialreformen umsetzt, um den Kapitalismus etwas erträglicher zu machen, sondern mit den anderen bürgerlichen Parteien fleißig Sozialabbau und andere Konterreformen beschließt.

Der von der SPD im “Godesberger Programm” von 1959 reklamierte “Demokratische Sozialismus” ist bei näherer Betrachtung ein “sozialer Kapitalismus” mit einem Element staatlicher Intervention, öffentlicher Daseinsvorsorge und sozialer Absicherung. Ex-SPD-Kanzler Helmut Schmidt (1974-82) bezeichnete einmal Arbeitslosenversicherung als “ein Stück Sozialismus”. Unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder (1998-2005) wurde dies durch die Hartz-Reformen und massive Privatisierungen wieder abgebaut.

Diese ganze Entwicklung war kein „Betriebsunfall“. Denn was mit dem Revisionismusstreit begann, war bereits der Anfang vom Ende der Sozialdemokratie. Der Zusammenbruch des osteuropäischen Stalinismus vor 30 Jahren führte ebenso nicht dazu, dass die Arbeiterparteien die richtigen Konsequenzen zogen und sich wieder am Marxismus orientierten, der einzigen Methode, welche den Stalinismus tatsächlich erklären kann. Im Gegenteil: Marxistische Überreste wurden wie Ballast über Bord geworfen und viele ehemalige „kommunistische“ Parteien sind heute Sozialdemokratien oder „demokratisch-sozialistisch“ orientiert.

Wer herrscht? Bürgerliche vs. Proletarische Demokratie

Worin unterscheidet sich nun der „Demokratische Sozialismus“ von der „Sozialistischen Demokratie“, wie sie Revolutionäre antreben? Das „Forum Demokratischer Sozialismus“ innerhalb der LINKEN schreibt in ihrer ersten „These“ z.B.: „Demokratie und Sozialismus gehören untrennbar zusammen und können auch nur zusammen errungen werden.“

Mit diesem Satz will man sich von anderen sozialistischen Strömungen abgrenzen. Das ist allerdings Augenwischerei, denn JEDE sozialistische Strömung würde nichts anderes behaupten. Selbst der Überrest an stalinistischen Sekten kämpft für eine Demokratie. Ein Fehler liegt allerdings darin, dass sie die totalitären Auswüchse der Vergangenheit bisweilen komplett leugnen, indem sie die alte Propaganda reproduzieren und nicht erklären können, wie die junge Sowjetrepublik von einer gesunden Rätedemokratie zu einem bürokratischen Monster degenerieren konnte. Beide Seiten unterscheiden sich aber wirklich in der zentralen Frage: WELCHE Demokratie brauchen wir und FÜR wen?

Dass die Ökonomie, also die Art und Weise wie die Wirtschaft organisiert ist, die Basis jeder Gesellschaft ist, gehört ebenso zum Einmaleins des Marxismus wie die Erkenntnis, dass daraus Klassengesellschaft und Staat resultieren. Diese Gesellschaft und deren Staat hat ebenso einen Klassencharakter. Auch wenn wir es mit einer gut funktionierenden liberalen Demokratie mit Parlament zu tun haben, bleibt es eine BÜRGERLICHE Demokratie. Eine Demokratie im Dienste des Bürgertums, der Bourgeoisie oder einfach der Kapitalisten. Von Engels als „ideeller Gesamtkapitalist“ bezeichnet. Auch mit einer Demokratie bleibt die zentrale Funktion des bürgerlichen Staates, das kapitalistische Privateigentum und den Ablauf der Kapitalakkumulation zu verteidigen.

Und jetzt kommt der Knackpunkt. Im Programm der Partei DIE LINKE heißt es unter dem Punkt „Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert“: „DIE LINKE kämpft in einem großen transformatorischen Prozess gesellschaftlicher Umgestaltung für den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Dieser Prozess wird von vielen kleinen und großen Reformschritten, von Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe gekennzeichnet sein.“

Anhängern des „Demokratischen Sozialistmus“ ist gemein, dass sie gänzlich auf auf einen revolutionären Umsturz verzichten. Sie wollen einen Transformationsprozess innerhalb des bestehenden Systems, für sie ist Demokratie komplett von ihrer wirtschaftlichen Basis entkoppelt, sie sprechen ganz allgemein von Demokratie, welche sich mit genügend Rückhalt in der Bevölkerung einfach im Sinne des Sozialismus umbauen ließe.

Es gibt einen sehr guten Grund, warum der Kapitalismus eine liberale Demokratie nur in einem Bruchteil seines Herrschaftsbereichs etablieren ließ. Denn nur in den wirtschaftlich dominanten und prosperierenden Ländern konnte sich das Bürgertum eine Demokratie erlauben. In den anderen Ländern werden selbst bürgerlich-demokratische Bestrebungen von den Kapitalisten mit härtester Repression bekämpft, weil mehr demokratische Rechte gewisse Einschränkung für Ausbeutung bedeuten würden, also Gefährdung von Investitionen und Wettbewerbsnachteile.

Und spätestens seit dem Crash von 2008 und der neuen Weltwirtschaftskrise sehen wir, wie selbst die fortschrittlichsten Länder ihren Repressionsapparat ausbauen, Polizei und Militär aufrüsten, der Polizei immer größere Befugnisse einräumen und andere demokratische Rechte einkassieren. Die neusten Vorstöße der CDU-Vorsitzenden „AKK“ zielen darauf ab, die Meinungsfreiheit im Social-Media Bereich einzuschränken.

Dies passiert im vollen Einklang mit den Interessen des Kapitals, denn sie befürchten gewaltige soziale Proteste in naher Zukunft und bereiten sich mit solchen Maßnahmen schrittweise darauf vor. Vor allem die Erfahrungen mit dem Faschismus zeigen: das Bürgertum trat seine direkte politische Macht auch an wutentbrannte Fanatiker ab, damit diese den Kapitalismus vor der Arbeiterrevolution schützten.

Es ist klar, dass eine wirklich linke Kraft nur an die Macht kommen kann, wenn der Kapitalismus sich in einer existenziellen Krise befindet. Denn in Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs ist es für bürgerliche Ideologen und Parteien einfach, die Arbeiterklasse in ihr System zu integrieren und ihnen ihr Weltbild aufzubürden. In so einer Zeit waren antikapitalistische Kräfte meist nicht mehr als unbedeutende Sekten.

Aber Demokratische Sozialisten wollen nun eine Mehrheit innerhalb des Parlamentarismus, welche sie allerdings wenn überhaupt erst in einer Krise erreichen können, gerade wenn die Rechte des selbigen Parlaments ausgehebelt werden und in der aufgrund der Krise des Kapitalismus Sozialreformen nahezu unmöglich sind.

Warnendes Beispiel Chile

Selbst wenn man es dann in die Regierung schafft, steht man jedes mal vor einem nicht zu lösenden Problem. Erst werden die Kapitalisten dich ohne Ende unter Druck setzen, damit du von deinen Vorhaben ablässt. Sie werden dir primär mit gewaltiger Kapitalflucht drohen und deine Kapitulation erzwingen. Denn wenn du mit dem Kapitalismus nicht radikal brichst, was ja Demokratische Sozialisten nicht wollen, bist du auf deren Kapital angewiesen und lenkst dich selbst in die Erpresserfalle. Die meisten linken Regierungen sind bereits hier gescheitert, siehe z.B. François Mitterrand von 1981-1995 oder aktuell Syriza in Griechenland. Aber selbst wenn du nun standhaft bleibst, werden die Kapitalisten dir wirklich zeigen, WESSEN Staat das ist, in welchem du regierst. Salvador Allende kam 1970 in Chile als Sozialist auf Basis einer breiten Volksfront an die Macht. Er packte ein ehrgeiziges Reformprogramm an, der bürgerliche Staat blieb aber in seinen Grundsätzen intakt. Allende betonte immer wieder, wie treu er sich an die Verfassung halten werde. Nachdem das Bürgertum mit Sabotage im Inland und Handelsembargos von außen Allende nicht zum Abtritt zwingen konnte, nutzten sie ihr Militär, um das „sozialistische Experiment“ mit einem Putsch zu Grabe zu tragen. Das Ergebnis dieser verpassten Revolution war eine jahrzehntelange Militärdiktatur mit vielen zehntausenden ermordeten chilenischen Linken und Demokraten. Dies zeigt, dass für die Bürgerlichen im Falle des Falles ihre demokratische Verfassung nicht mehr ist als Altpapier. Die Bourgeoisie auf der ganzen Welt feierte ihren Sieg. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte am 29.9.1973 eine Anzeige: „Chile - jetzt investieren!“. Dieses traurige Ereignis beweist ein weiteres Mal, dass wir die bürgerliche Staatsmaschinerie nicht einfach in Besitz nehmen können. Wir müssen sie zerschlagen und stattdessen eine Demokratie etablieren, welche wirklich die Interessen der Mehrheit der Gesellschaft, der Arbeiterklasse verkörpert, eine proletarische Demokratie, eine sozialistische Demokratie.

Wer jetzt entgegnet, dass solche Militärputsche für Europa ein unrealistisches Szenario seien, sollte seine Augen öffnen. Bereits 2015 drohte ein Armeegeneral, dass er einen Putsch durchführen würde, wenn Jeremy Corbyn Ministerpräsident in UK wird. Britannien war damals noch das politisch stabilste Land Europas und auch Corbyn ist nicht mehr als ein Demokratischer Sozialist. Der gesamte Plan der Reformer erinnert eher an eine Ameise, welche sich freiwillig von einem Ameisenbär auffressen lässt mit der Begründung: „Ich verändere das System von innen heraus!“.

Rätedemokratie vs. Parlamentarismus

Nicht nur in ihrem Klassencharakter, sondern von ihrer gesamten Struktur nach ist die proletarische Demokratie eine völlig andere als der Parlamentarismus. Bürgerliche Politiker sind nicht ohne Grund nach Umfragen der Berufsstand, dem das wenigste Vertrauen ausgesprochen wird. Die meisten sind sich einig, dass sie völlig abgekoppelt von den Interessen der „einfachen Leute“ agieren und zu verbandelt mit der Wirtschaft sind.

Lobbyismus und die Grenzen des Parlamentarismus

Der Parlamentarismus ist als Repräsentativstaat normalerweise das ideale Werkzeug der Bourgeoisie. Zum einen erlaubt die Existenz verschiedener bürgerlicher Parteien die Vertretung der Interessen verschiedener Kapitalfraktionen. Die herrschende Klasse war nie ein monolithischer Block mit absolut identischen Interessen, erst Recht nicht im Kapitalismus. Die Vorstellung von Verschwörungstheoretikern, dass wir von einem kleinen Zirkel von Bänkern und Industriellen wie Marionetten gelenkt werden, ist nicht nur falsch, sondern auch schädlich. Ja, es gibt Verschwörungen, aber die Welt funktioniert nicht nach Verschwörungen, sondern nach entgegengesetzten Klassen, ihren Interessen und ihrer relativen Stärke im Klassenkampf.

Der Repräsentativstaat kann aber nicht bloß den Streit zwischen Kapitalisten am besten aushandeln. Er kann die Arbeiterorganisationen, namentlich Gewerkschaften und Sozialdemokratien, in ihr System integrieren und damit Klassenkämpfen auf lange Zeit vorbeugen. Streiks können verhindert werden, indem mit Gewerkschaftsvertretern sozialpartnerschaftlich in Hinterzimmern kleine Zugeständnisse ausgehandelt werden. Solange der Kapitalismus prosperiert, funktioniert diese Demokratie weitgehend reibungslos.

Im Parlamentarismus gibt es nur eine kleine Menge an Volksvertretern, welche für die eigenen Interessen gewonnen werden müssen. Und alle wichtigen Parlamente wie etwa Bundestag oder EU-Parlament stehen quasi unter Dauerbelagerung von Lobbyverbändern, in erster Linie Wirtschaftsverbänden.

Ganze Armeen von privat angestellten Juristen formulieren bereits im Interesse des jeweiligen Verbandes fertige Gesetzesentwürfe, für welche die Abgeordneten nur noch gewonnen werden müssen. Ebenso bieten diese Verbände auch massenweise Rechercheergebnisse an und Abgeordnete sparen sich dadurch natürlich eine Menge Arbeit.

Ebenso ist die Möglichkeit der Abwählbarkeit von Abgeordneten gar nicht gegeben, ebenso existiert keine transparente Kontrolle von unten. Die Grundgesetz-Phrase „Der Abgeordnete ist nur seinem Gewissen unterworfen“, heißt nichts anderes als: „Er kann frei von den Interessen seiner Wähler agieren“.

Vor allem finden Wahlen zu Parlamenten meist nur alle vier bis fünf Jahre statt. Ein so langer Zeitraum lässt die Möglichkeit offen, in den ersten Jahren und besonders in Zeiten von großen gesellschaftlichen Ereignissen wie z.B. der Fußball-WM, knallhart gegen das Interesse der Mehrheit, der Arbeiterklasse zu regieren. Dies wird dann scheinbar zurückgefahren, je näher die Wahlen kommen und die meisten Beschlüsse in Vergessenheit geraten sind. Die Arbeiterklasse hat keine Massenmedien, welche sie rechtzeitig wieder daran erinnern könnten. Die bürgerlichen Medien in all ihren Farben, welche zu einer handvoll Medienkonzernen gehören, tun ihr Möglichstes, um die bürgerlichen Mehrheiten stabil zu halten.

Aber der wichtigste Punkt ist, die bürgerliche Politik trennt die politische von der wirtschaftlichen Sphäre. Wir wählen nur die politischen Akteure, aber die Wirtschaft wird autoritär von oben organisiert. Bei Beschwerden müssen sich abhängig Beschäftigte oft anhören: „Such dir doch einfach eine andere Stelle, wenn es dir hier nicht passt!“. Und da die Wirtschaft die vorherrschende Kraft für die Politik ist, ist es keine Demokratie für die Mehrheit, sondern, um es mit Lenin zu sagen: „In der kapitalistischen Gesellschaft, ihre günstigste Entwicklung vorausgesetzt, haben wir in der demokratischen Republik einen mehr oder weniger vollständigen Demokratismus. Dieser Demokratismus ist jedoch durch den engen Rahmen der kapitalistischen Ausbeutung stets eingeengt und bleibt daher im Grunde genommen stets ein Demokratismus für die Minderheit, nur für die besitzenden Klassen, nur für die Reichen. Die Freiheit der kapitalistischen Gesellschaft bleibt immer ungefähr die gleiche, die sie in den antiken griechischen Republiken war: Freiheit für die Sklavenhalter. Die modernen Lohnsklaven bleiben infolge der Bedingungen der kapitalistischen Ausbeutung so von Not und Elend bedrückt, dass ihnen ,nicht nach Demokratie’, ,nicht nach Politik’ der Sinn steht, so dass bei dem gewöhnlichen, friedlichen Gang der Ereignisse die Mehrheit der Bevölkerung von der Teilnahme am öffentlichen und politischen Leben ausgeschlossen ist.“ (Staat und Revolution).

Pariser Kommune

Aber was soll dem Parlamentarismus entgegengesetzt werden. Die Antwort ist: eine Sozialistische Demokratie, oder konkreter, eine Rätedemokratie. Wenn die Arbeiterklasse, die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft, zur herrschenden Klasse werden soll, kann sie dies nur durch die breiteste politische Beteiligung, durch das denkbar demokratischste aller Systeme. Ein System, in dem an der Basis alle sich beteiligen, diskutieren und mitentscheiden können, sowohl am Arbeitsplatz als auch im Wohnort oder Stadtteil, eine kollektive Selbstverwaltung der Gesellschaft mit vollständiger Transparenz.

Dies ist keine utopische Vorstellung von utopischen Sozialisten am grünen Tisch. Dies ist die praktische Erfahrung aus Jahrhunderten der Arbeiterbewegung. Je mehr sich der Klassenkampf zuspitzt, desto mehr drängt die Arbeiterklasse nach Selbstorganisation in Räten. Die Pariser Kommune von 1871 war das erste Beispiel für eine solche Rätedemokratie. Das Pariser Proletariat und ihre bewaffneten Verbündeten eroberten die Macht und zeigten aller Welt, das eine solche Demokratie der logische Schluss des Klassenkampfes ist.

Marx und Engels und andere erhoben die Prinzipien der Pariser Kommune zu Grundprinzipien für eine Räteherrschaft.

1. Bewaffnetes Volk statt Berufsarmee und Polizei. Hier wären demokratisch gewählte Milizen denkbar, welche polizeiliche und militärische Aufgaben übernehmen.

2. Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von Räteabgeordneten. Untergeordnete Räte haben die Möglichkeit, von ihnen gewählte Abgeordnete und Amtsinhaber jederzeit abzusetzen, wenn sie dies für notwendig halten.

3. Nicht mehr als ein durchschnittlicher Facharbeiterlohn als Gehalt für Staatsbedienstete und Abgeordnete. Dies schmälert die Attraktivität für Karrieristen, sich in solche Posten wählen zu lassen, und verknüpft das Interesse der Abgeordneten mit dem Lebensstandard der breiten Masse.

4. Nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft. Keine Schwatzbuden, in denen Pseudodebatten geführt werden, sondern beschließende und ausführende Räte.

5. Ämterrotation. Keiner sollte permanent dieselbe Verwaltungsaufgabe erledigen. Die Personen müssen regelmäßig gewechselt werden, damit alle dazu befähigt werden, die neue Gesellschaft zu verwalten. Dies verhindert ebenfalls bürokratische Cliquenbildungen.

Kommunisten wird immer wieder vorgeworfen, dass sie keine Demokratie wollen, sondern eine Diktatur des Proletariats. Lassen wir dazu erst einmal Friedrich Engels zu Wort kommen: „Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.“ (Friedrich Engels, Einleitung zu: Der Bürgerkrieg in Frankreich von Karl Marx, 18. März 1891).

In der marxistischen Terminologie sind Diktatur und Demokratie keine Gegensätze, Diktatur lässt sich mit „Herrschaft einer Klasse“ gut übersetzen. Wir leben aktuell in einer bürgerlich-liberalen Demokratie, diese ist aber zugleich eine Diktatur der Bourgeoisie. Ebenso wird die Diktatur des Proletariats eine Rätedemokratie sein. Alleine dadurch, dass das Proletariat heutzutage die ungeheure Mehrzahl der Bevölkerung bildet, kann dieses nicht anders herrschen als durch die bestmögliche Demokratie, aus diesem Grund kann Sozialismus auch niemals undemokratisch sein. Denn Sozialismus erfordert die Herrschaft des Proletariats, der Arbeiterklasse.

Räte entstehen ab einer bestimmten Radikalität und Größe des Klassenkampfes immer von selbst, wenn die Arbeiterklasse erkennt, dass sie selbstständig ihre Kämpfe planen und ausführen muss. Dies sah man zum Beispiel im Arabischen Frühling in Kairo oder auf dem Höhepunkt der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung 2017. In Katalonien waren die „Komitees zu Verteidigung der Republik“ Embryos einer Rätestruktur und die zentrale Organisation zur Organisierung von Massenstreiks.

Für uns ist klar: Diese Räte müssen die Grundlage für die neue Demokratie werden, eine organisch aus der Bewegung hervorgehende Massendemokratie, die zum ersten mal eine Demokratie im Interesse der Mehrheit wird und durch die Mehrheit der Bevölkerung organisiert ist: Eine sozialistische Demokratie.

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