Kategorie: Jugend

Die Sackgasse des Reformismus und die Schlussfolgerungen

Dokumentiert: Antrag zum Bundeskongress der Linksjugend ['solid] vom 08. bis 10. April 2016 in Nürnberg.


VENEZUELA

Über 16 Jahre lang weckte der Prozess der Bolivarischen Revolution in Venezuela bei vielen Millionen Menschen in Lateinamerika und in aller Welt Hoffnung auf einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Nach vielen Fehlschlägen verbuchte die bürgerliche Opposition als Sprachrohr der Oligarchie bei den Parlamentswahlen im Dezember 2016 einen Wahlsieg, in dessen Folge nun die handfesten Errungenschaften der letzten 16 Jahre ernsthaft gefährdet sind. Weil jedoch Präsident, Regierung und die Führung der Vereinigten Sozialistischen Partei (PSUV) anders als die Führung der Kubanischen Revolution ab 1959 darauf verzichteten, die Oberschicht zu enteignen und ihr die wirtschaftliche Macht zu entreißen, führten die Gesetze der kapitalistischen Ökonomie, Korruption und gezielte Sabotage zu einer Verknappung von Waren des täglichen Bedarfs und steigender Inflation.

Um diesem Treiben den Boden zu entziehen und die imposanten sozialen Fortschritte in Venezuela zu verteidigen, wäre eine Vergesellschaftung von Banken, Lebensmittelproduktion, Verkehr und anderen zentralen Bereichen der Wirtschaft dringend geboten. Die Lage in Venezuela zeigt, dass ein revolutionärer Prozess nicht auf halbem Wege stehen bleiben darf.

USA

Mit seinen Forderungen nach einer „politischen Revolution gegen die Klasse der Milliardäre“ mobilisiert der „demokratische Sozialist“ Bernie Sanders Millionen US-AmerikanerInnen hinter sich, die einen Ausweg aus Armut und Perspektivlosigkeit suchen. Tatsächlich ist der Senator aus Vermont keineswegs das rote Schreckgespenst gegen den Kapitalismus. Viele bürgerliche PolitikerInnen, die den Kapitalismus vollumfänglich verteidigen, rufen öffentlich zur Wahl von Bernie Sanders auf. Die von einigen Linken verbreitete Vorstellung, dass mit einer „Bewegung für Bernie Sanders“ die „Klasse der Milliardäre“ besiegt (!) werden könnte, ist eine unmarxistische und reformistische Auffassung. Dieser Logik zufolge soll nicht das Kapital bekämpft werden, sondern lediglich das gesellschaftliche Nebenprodukt des Kapitalismus - die kapitalistische Klasse – beeinträchtigt werden. Zudem wird die Perspektive einer sozialistischen Massenpartei in den USA von einer Notwendigkeit zu einer wünschenswerten Sache degradiert.

Bernie Sanders erfüllt eine Funktion in und für die Democratic Party. Würde er es mit seiner „politischen Revolution“ ernst meinen, müsste er zwangsläufig mit der Democratic Party brechen und eine Partei des „demokratischen Sozialismus“ aufbauen – die Voraussetzungen dafür sind perfekt. Solange die Massenbewegungen für Bernie Sanders aber keinen Ausdruck in einer sozialistischen Massenpartei finden, gibt es für die herrschende Klasse auch keinen Grund zur Panik. Ein vitaler Oppositionskurs wäre hingegen weitaus vielversprechender als eine Rallye auf das Präsidentenamt.

GRIECHENLAND

Nichtmal ein Jahr ist es her, da feierte die europäische Linke die Machtübernahme von SYRIZA in Griechenland, deren Höhepunkt in der erfolgreichen OXI Kampagne gipfelte. Damit konnte die Mehrheit der griechischen Bevölkerung für eine Absage an die Sparpolitik mobilisiert werden. An jenem Abend waren die Plätze in Athen und vielen anderen Städten in Europas gefüllt mit euphorischem Optimismus und der Hoffnung, dass nun das Ende der menschenfeindlichen Austerität gekommen sei. Was hiervon ein Jahr später übriggeblieben ist, ist mehr als nur enttäuschend. Die griechische Regierung unter SYRIZA stimmt mittlerweile jeder weiteren Kürzung zu und fährt das Land mit der selben Geschwindigkeit in den Abgrund wie jede bisherige bürgerliche Regierung auch. Die Hauptschuld hierfür gibt das Führungspersonal der europäischen Linken der Troika und der EU, weil diese SYRIZA einfach zu Tode erpresst hätten, lustigerweise dieselbe EU, von der sie überzeugt sind, sie könne nach links reformiert werden.

Aber SYRIZA war nicht handlungsunfähig, ganz und gar nicht. Sie hätten auch die Möglichkeit gehabt, ihre Politik zu radikalisieren. Dies hätte allerdings bedeutet, die ersten Schritte zum Bruch mit dem Kapitalismus zu machen. Rückverstaatlichung der in der Vergangenheit privatisierten öffentlichen Güter, Verstaatlichung der größten Banken verbunden mit der Einführung einer Parallelwährung und Verstaatlichung von Großindustrie und Großgrundbesitz wären nötig gewesen. Damit hätte Griechenland schon mal die stärksten Waffen der Troika gebrochen, mit welchen sie ihre Sparpolitik erzwingen wollte. Selbstverständlich wissen wir, dass ein isoliertes sozialistisches Griechenland nicht ewig halten kann. Aber solche radikalen Maßnahmen hätten der gesamten europäischen Linken Auftrieb und Hoffnung gegeben, so dass Griechenland sehr bald nicht mehr alleine da gestanden hätte. Damit wäre es möglich, dem Rechtstrend in vielen Ländern Europas eine stark wachsende Linke entgegen zu stellen.

SPANIEN

Die Vereinigte Linke (IU) verfolgte einen Kurs der Kompromisse an den bürgerlichen Staat und die KapitalistInnenklasse und gab ihre Prinzipien für eine unfruchtbare Beteiligung an der Regionalregierung der sozialdemokratischen PSOE in Andalusien auf. Dies zeigt, dass eine Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung nur Anpassung an das System und Ablehnung bei der arbeitenden Bevölkerung bringt. Das Gegenstück dazu ist PODEMOS, welche sich nicht an einer Regierung der Kürzungen und Not beteiligen will. PODEMOS hat gezeigt, dass eine Partei, die einen klaren Standpunkt vertritt, breite Unterstützung der arbeitenden Bevölkerung erhalten kann. Es ist offen, ob PODEMOS als mögliche künftige Regierungspartei den Weg der SYRIZA-Führung einschlägt oder die Basis gegen das Kapital mobilisiert.

DEUTSCHLAND

Die zurückliegenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren gekennzeichnet von einem erdrutschartigem Erfolg für die rechtspopulistische AfD und einer historischen Niederlage für die beiden Parteien des demokratischen Sozialismus. In Ostdeutschland verliert DIE LINKE ihre Massenbasis durch bürgerliche Politik aufgrund von Mitverwaltung des kapitalistischen Staats, in Westdeutschland muss sich DIE LINKE eine Massenbasis hingegen erst mühselig aufbauen und der SPD das Wasser abgreifen. Die Gegensätze zwischen Ost- und Westdeutschland werden über 25 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur BRD offenkundig.

Der Spielraum für progressiven Reformismus innerhalb des Kapitalismus wird immer geringer, denn die soziale und wirtschaftliche Krise des Weltkapitals erreicht inzwischen auch das kapitalistische Zentrum Europas. Zwar unterscheidet sich DIE LINKE bundesweit noch in wichtigen Kernfragen von der SPD, z.B. in der Ablehnung von Militäreinsätzen und HartzIV, aber ihr struktureller Parteiaufbau ist beinahe identisch mit der SPD. Das ist nicht verwunderlich, entspringen beide Parteien immerhin dem gleichen Naturell: dem Reformismus.

Wer den bürgerlichen Staat verwalten will muss zwangsläufig die Spielregeln des Kapitalismus akzeptieren. Durch Akzeptanz der bürgerlichen Hegemonie und Verzicht auf das Ziel eines revolutionären Bruchs mit dem kapitalistischen System läuft reformistische Politik zwangsläufig auf einen politischen Verbürgerlichungsprozess hinaus. Daher unterscheiden sich DIE LINKE in Ostdeutschland und die SPD in Westdeutschland letzten Endes nur temporär und graduell voneinander. Der viel weiter fortgeschrittenere Verbürgerlichungsprozess der SPD im Vergleich zur Partei DIE LINKE ist ihrer historisch viel längeren Teilnahme an Landes- und Bundesregierungen im bürgerlich-kapitalistischen Staat und der stetig gewachsenen Nähe der Führungsschicht zum Kapital geschuldet.

Warum sollten frustrierte Jugendliche und enttäuschte ArbeitnehmerInnen eine Partei unterstützen, welche in Ostdeutschland stets Koalitionen mit der SPD anstrebt und in Westdeutschland keine Massenbasis besitzt? Ihre Frustration wurde zunächst in reaktionäre Bahnen geleitet, weil DIE LINKE und SPD ihr keine Entfaltungsmöglichkeiten mehr bieten können. Dies begünstigt den Aufstieg der AfD unmittelbar, denn die Rechtspopulisten können durch ihren aggressiven „Oppositionskurs gegen das Establishment“ (in Wahrheit gehören sie ausdrücklich dazu) nicht nur das Heer der NichtwählerInnen begeistern, sondern auch viele frühere WählerInnen der LINKEN in Ostdeutschland gewinnen. Die AfD mobilisiert Enttäuschte, nicht Überzeugte.

In turbulenten Zeiten von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Erschütterungen ebnet der Reformismus der Reaktion den Weg. Nicht, weil der Reformismus das etwa beabsichtigen würden, sondern weil der Reformismus schlichtweg keine Antworten auf die Krise formulieren kann und zwangsläufig in einer Sackgasse endet, wo er keine Antworten mehr weiß und die frustrierte ArbeiterInnenklasse nun selbst zu frustrieren beginnt. Dies haben wir in Griechenland mit PASOK und jetzt SYRIZA gesehen, in Spanien mit der PSOE und der Izquierda Unida, in Italien mit der Rifondazione Comunista, in Frankreich mit der PCF und Front de Gauche, in Dänemark mit der Einheitsliste, in Schweden mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der Linkspartei, in Venezuela mit der PSUV und unzähligen weiteren Beispielen weltweit.

Linksjugend ['solid] kämpft daher nicht nur für einen politischen Kurswechsel, sondern für eine strukturelle Veränderung der Partei DIE LINKE. Ein „Weiter so“ kann es für DIE LINKE nicht geben. Linksjugend ['solid] und die gesamte Partei DIE LINKE sollten auf allen Ebenen die aktuellen Rückschläge verarbeiten, aus Fehlern lernen, eine offensive sozialistische Strategie einschlagen und die soziale und Eigentumsfrage radikal beantworten. Linksjugend ['solid] fordert:

• NEIN zu Koalitionen mit SPD und GRÜNEN
• NEIN zu Gregor Gysis Vorstoß eines Bündnisses mit der CDU gegen die AfD
• NEIN zur Unterordnung unter die „Sachzwänge“ und Standortlogik des Kapitalismus
• JA zu marxistischer Programmatik und Strategie in Linksjugend ['solid] und DIE LINKE
• JA zu einer kompromisslosen Vertretung der Interessen der ArbeiterInnenklasse und Jugend
• JA zu den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa statt der kapitalistischen EU

AntragstellerInnen: Christian Andrasev, Christoph Vetter, Sebastian Lehnst, Kristof Sebastian Roloff

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