60 Jahre Spaltung: Die verbrecherische Teilung des indischen Subkontinents

Vor genau 60 Jahren am 15. August 1947 wurde die Unabhängigkeit Indiens von der britischen Kolonialmacht erklärt. Pakistan wurde am Tag zuvor zum unabhängigen Staat. Die Spaltung des indischen Subkontinents entlang von religiösen und ethnischen Grenzen hatte begonnen. Die bürgerliche Geschichtsschreibung sieht die Uneinigkeit zwischen Hindus und Moslems als Ursache für die Spaltung – und blendet dabei aus, dass diese auf eine Politik des "Teile und Herrsche" der britischen Kolonialherren zurückzuführen ist (Foto: Indiens erster Premierminister Jawaharlal Nehru).

Vor genau 60 Jahren am 15. August 1947 wurde die Unabhängigkeit Indiens von der britischen Kolonialmacht erklärt. Pakistan wurde am Tag zuvor zum unabhängigen Staat. Die Spaltung des indischen Subkontinents entlang von religiösen und ethnischen Grenzen hatte begonnen. Die bürgerliche Geschichtsschreibung sieht die Uneinigkeit zwischen Hindus und Moslems als Ursache für die Spaltung – und blendet dabei aus, dass diese auf eine Politik des "Teile und Herrsche" der britischen Kolonialherren zurückzuführen ist (Foto: Indiens erster Premierminister Jawaharlal Nehru).

Der Pazifismus eines Mahatma Gandhi

Es ist wichtig, mit einem weiteren Mythos der Geschichtsschreibung Schluss zu machen: Die Unabhängigkeitsbewegung des jungen 20. Jahrhunderts war weder ein heterogener Block noch waren die Kongress-Partei und insbesondere Gandhi deren Hauptakteure. Die Kongress-Partei spielte in jener Epoche die Rolle, die revolutionäre Stimmung zu besänftigen und die Proteste der Bevölkerung in gelenkte Bahnen zu bringen. Lord Wellingdon, britischer Vizekönig, äußerte sich 1931 folgendermaßen über Gandhi: “Kaum jemand ist so begierig darauf, sich uns gegenüber hilfsbereit zu zeigen. Aber das Problem an der ganzen Sache ist, dass er diese Bewegung des zivilen Ungehorsams aufgescheucht hat, und ich fürchte sehr, dass er sie nicht kontrollieren kann.” (Lal Khan, Partition – Can it be undone?, S. 51)

Der “Pazifismus” Gandhis, von dem so oft die Rede ist, predigt jedoch einen einseitigen Frieden. Das zeigt jene Aussage von 1922, die auf indische Soldaten Bezug nimmt, welche sich weigerten, auf eine anti-imperialistische Demonstration zu schießen: “Wenn ein Soldat sich weigert, zu schießen, ist er schuldig, seinen Eid gebrochen zu haben. Ich kann Soldaten nicht dazu raten, Befehle von Offizieren zu missachten, weil ich, wenn ich morgen eine Regierung bilde, die selben Soldaten und Offiziere benutzen muss. Wenn ich sie heute zu irgendeiner Art von Befehlsverweigerung ermutige, dann werden sie sich morgen weigern, mir zu gehorchen.”

Das Versagen der KP Indiens

Die herrschende Klasse in Großbritannien und ihr Anhängsel, die indische Bourgeoisie, hatten Angst vor jener massenhaften Unabhängigkeitsbewegung, die in den 1920er Jahren in Hunderten von Streiks, Studierendenprotesten, Steuerboykott und teilweise in bewaffneten Anschlägen ihren Ausdruck fand. Diese Bewegung war entlang von Klassenlinien gespalten: auf der einen Seite standen diejenigen, die mit den britischen Herren verhandelten, auf der anderen die ArbeiterInnen, Bauern und Soldaten, welche für ihre Befreiung kämpften. Für den linken Flügel der Befreiungsbewegung war die russische Oktoberrevolution ein wichtiger Bezugspunkt. 1925 wurde die KP Indiens (KPI) gegründet, welche eine Vielzahl an kleinen linken Grüppchen zu einer Kraft vereinte. Allerdings nahm sie gegenüber der nationalen Unabhängigkeitsbewegung anfangs eine sektiererische Haltung ein. Anstatt als deren klassenkämpferischer Flügel die ArbeiterInnen um sich zu scharen, stellte sie sich selbst ins Abseits. Erst durch die Streikwelle von 1928/29 kam es zu einer Verbindung der nationalen Befreiungsbewegung mit dem Klassenkampf.

Damals hatte jedoch der Aufstieg des Stalinismus bereits verheerende Auswirkungen auf die junge KPI. Ihr politischer Kurs in jenen Jahren war ein einziges Zickzack mit scharfen Wendungen. Anfangs verfolgte die KPI einen linksradikalen Kurs, auf dessen Rechnung sogar die Spaltung von Gewerkschaften entlang von politischen Linien ging. Immer wenn sich Widerstand unter den Massen regte, war die KPI jedoch unter deren Druck gezwungen zu mobilisieren. Die AktivistInnen und Kader der KP wurden von der britischen Kolonialmacht als Bedrohung angesehen, so kam es zu mehreren Verhaftungswellen (die größte davon auf dem Höhepunkt der Bewegung 1929).
In der Zeit nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 hatte die KPI quasi freie Hand im Kampf gegen die britische Besatzungsmacht. In diese Zeit fällt auch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem linken Flügel der Kongress-Partei. Mit einer korrekten politischen Linie wäre es der KPI möglich gewesen, mit einem klaren Klassenstandpunkt in der Unabhängigkeitsbewegung die besten Elemente aus der Kongress-Partei für sich zu gewinnen.

Schon bald folgte jedoch die nächste Wendung. Zu Beginn der 1940er Jahre löste sich die KP völlig in der Kongress-Partei auf und machte vom eigenen Programm großzügige Abstriche. 1941 brach Hitler den Pakt mit Stalin, die politische Linie der KPI wurde folglich von Moskau aus um 180° gedreht – die “britische Demokratie” müsse mit allen Mitteln verteidigt werden. Damit wurde der Kampf für die nationale Unabhängigkeit völlig in den Hintergrund gerückt. Nun drehte sich das Blatt, die KPI konnte legal agieren, während etliche Mitglieder der Kongress-Partei verfolgt wurden und im Gefängnis saßen.

Kampf für die Unabhängigkeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die gesamte koloniale Welt von einer Welle der Befreiungsbewegungen erfasst. Die revolutionäre Unabhängigkeitsbewegung in Indien begann mit Protesten für die Freilassung von Soldaten der indischen Armee, die wegen Hochverrat angeklagt waren. Im Februar 1946 meuterte die Marine. Die gesamte Armee befand sich in einem Zustand der Auflösung, d.h. die Herrschenden konnten sich auf ihren eigenen Staatsapparat nicht mehr verlassen. Viele der Soldaten und auch Offiziere hatten geglaubt, die Unabhängigkeit zu bekommen, nachdem sie im Zweiten Weltkrieg für die Briten gekämpft hatten – und wandten sich nun gegen ihre bisherigen Herren. Der Oberbefehlshaber der indischen Armee, Feldmarschall Claude Auchinleck, schickte als Ultimatum folgendes Telegramm nach Großbritannien: “Wenn Ihr ihnen die Unabhängigkeit nicht innerhalb von drei Tagen garantiert, werden sie sie sich mit Gewalt nehmen.” Von März bis Mai überrollte eine Streikwelle das ganze Land, in Bombay sah sich die KPI unter dem Druck der Massen gezwungen, den Generalstreik auszurufen. Auf den Demonstrationen wehten die Flaggen der Muslimliga neben denen der Kongress-Partei in friedlichem Nebeneinander – aber die meisten Fahnen waren rot.

Das große Defizit der indischen Befreiungsbewegung war also nicht ihre Massenverankerung, sondern vielmehr die falsche politische Perspektive ihrer Führung. Es fehlte der sogenannte subjektive Faktor, d.h. eine echte Arbeiterpartei, die zum richtigen Zeitpunkt die Initiative ergriffen hätte, um mit der Kolonialherrschaft und dem Kapitalismus zu brechen. Es war nie im Interesse der Kongress-Partei, den Kampf so weit zu führen, dass dieser den Rahmen des Systems gesprengt hätte. Die KPI hatte sich durch ihre falsche Politik in den Jahren zuvor selbst diskreditiert – obwohl viele AktivistInnen in ihren Reihen die Idee befürworteten, die nationale Befreiungsbewegung in eine proletarische Revolution umzuwandeln.

Teile und Herrsche!

Es war sowohl im Interesse der Briten als auch der neuen herrschenden Klasse auf dem Subkontinent, dass aus dieser revolutionären Unabhängigkeitsbewegung keine vereinte und starke Arbeiterbewegung auf dem Subkontinent zurückblieb, die selbstbewusst ihre eigenen Interessen vorbringt. Die Folge war eine Politik der Spaltung entlang von religiösen Linien. Anfangs war es das Ziel der britischen Machthaber, entsprechend dem sogenannten „Cabinet-Mission-Plan“, die neue politische Elite auf dem Subkontinent (Jinnah, Nehru, Patel, Gandhi) von einer friedlichen Aufteilung in weitgehend autonome Hindu- und Moslem-Gebiete zu überzeugen. Ihr damit verbundenes Ziel war es, sowohl eine proletarische Revolution als auch den Ausbruch von Gewalt und Chaos (der auch wirtschaftlich ein Desaster mit sich gebracht hätte) zu verhindern. Das Unterfangen scheiterte jedoch letztlich am Konflikt zwischen der Kongress-Partei und der Muslimliga.

Die Unabhängigkeitsbewegung war von einer stark revolutionären Energie getrieben. Mit dem Abebben dieser Bewegung verkehrten sich jedoch auch viele Kräfte in ihr Gegenteil. Gewalt und rassistische Ressentiments traten plötzlich an die Oberfläche der Gesellschaft. Schon während der Unabhängigkeitsfeiern kam es in den Slums von Kalkutta zu Gemetzeln und ethnischen Säuberungen. Die Spaltung der Subkontinents verursachte die größte und vielleicht blutigste Migrationsbewegung in der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Mindestens eine Millionen Menschen kamen dabei ums Leben, ca. 16 Millionen flüchteten. In Hindu-dominierten Zonen wurden Angehörige der muslimischen Minderheit vertrieben und ermordet, in Muslim-dominierten Gebieten traf es Sikhs und Hindus. Die Muslimliga verschickte Drohpostkarten mit Bildern von Leichen an Sikhs und Hindus. Züge mit Flüchtenden auf der Strecke zwischen Lahore und Amritsar wurden Ziel terroristischer Anschläge. Zehntausende Frauen und Mädchen wurden aus Flüchtlingsgruppen entführt und Opfer von Vergewaltigungen und Zwangsehen. Sowohl hinduistische Industrielle als auch muslimische Großgrundbesitzer kümmerten sich wenig um das Schicksal ihrer „Glaubensbrüder und –schwestern“ auf der anderen Seite der neu geschaffenen Grenze. Ihnen ging es in erster Linie um Arbeitskräfte, Nutzflächen und Absatzmärkte.

Staatsbankrott und zerrissene Bücher

Indien und Pakistan sind zwei vollkommen künstlich geschaffene Staaten mit willkürlich gezogenen Grenzen. West- und Ostpakistan (das heutige Bangladesh) waren zwei Teile eines Staates, die weit über 1000 Kilometer auseinander lagen. Um den beiden Nationen einen Zankapfel zu hinterlassen, wurde die hauptsächlich von Moslems bewohnte Provinz Kaschmir Indien zugesprochen. Jene Provinz wurde im Zuge der folgenden Jahrzehnte zum Anlass für drei Kriege und ist ein Dauerbrenner in den konfliktreichen Beziehungen der beiden Staaten. Genauso wie die Bevölkerung in zwei Teile mit ihren jeweiligen Minderheiten geteilt wurde, wurde das bestehende Staats- und Verwaltungssystem auseinandergerissen. Es stellen sich seither etliche Fragen, z.B. wie sich das Eisenbahnsystem aufteilen ließe, wer die muslimischen Witwen in Indien und die hinduistischen in Pakistan bezahlen solle usw. Das Bibliothekswesen verteilte die Bücher nach “kultureller Wichtigkeit” für die beiden Nationen, was z.B. zu dem Irrsinn führte, dass Enzyklopädien (für wen sind sie wohl wichtiger?) in der Mitte auseinandergerissen wurden. Indien behielt die Gelddruckerei, Pakistan musste mit gestempelten Rupien als Währung vorliebnehmen. Als es innerhalb kürzester Zeit knapp vor dem Staatsbankrott stand, war es Gandhi, der die indische Regierung überzeugte, das Geld zur Verfügung zu stellen – der Antagonismus zwischen den beiden Ländern war maßgeblich dafür, das Augenmerk der Massen nicht auf andere Probleme zu lenken. Seither setzen die Herrschenden in Indien wie in Pakistan, beides Atommächte, regelmäßig beim Auftreten von sozialen und politischen Krisen im eigenen Land auf diese nationalistische Karte.

Die Wünsche der nun Regierenden wurden von der realen Situation in den neugeschaffenen Staaten nicht erfüllt: Nehru wollte in Indien einen modernen säkularen Staat nach dem Vorbild der europäischen Sozialdemokratie schaffen. De facto existiert das Kastensystem als brutales Relikt aus der Vergangenheit bis heute, an der Armut eines Großteils der Bevölkerung hat sich nicht viel geändert. Jinnah wollte in Pakistan ein stabiles kapitalistisches System entwickeln. Alles andere als das ist es geworden. Seine kurze Geschichte ist bestimmt von Militärdiktaturen und Scheindemokratien. Beide Staaten sind zwar auf dem Papier unabhängig, aber durch Schulden beim IWF und ihre Situation am Weltmarkt wirtschaftlich vom Imperialismus abhängig geblieben.

Sozialistische Föderation!

Winston Churchill sprach mit einem offen rassistischen Unterton von der Bevölkerung des indischen Subkontinents als von einer, “die für Generationen im Frieden unter der großzügigen, toleranten und objektiven Herrschaft der Britischen Krone gehaust hat und sich nun mit der Wut von Kannibalen aufeinander stürzt”. (S.106) Die herrschende Klasse trägt an diesem Konflikt enorme Mitverantwortung – von ihren Protagonisten, die sich scheinheilig entrüsten oder zynisch von oben herab urteilen, ist keine Lösung zu erwarten! Diese kann sich nur die Bevölkerung selbst erkämpfen – in der Bewegung von 1947 protestierten die verschiedenen Volksgruppen gemeinsam gegen ihre Unterdrückung. Was Imperialismus und lokale Bourgeoisien auseinandergerissen haben, kann nur eine gemeinsame politische Alternative wieder zusammenfügen – pakistanische und indische MarxistInnen vertreten daher die Idee einer freiwilligen sozialistischen Föderation des Indischen Subkontinents.



Zum Weiterlesen:

Wir möchten in diesem Zusammenhang auf die beiden Bücher des pakistanischen Marxisten Lal Khan zu diesem Thema hinweisen. Sie bieten eine tiefgehende Analyse der historischen und aktuellen Entwicklungen auf dem indischen Subkontinent. Die Bücher von Lal Khan können bei uns zum Preis von 15 Euro bezogen werden.

Lal Khan: Partition – Can it be undone?
Lal Khan: The Kashmir Ordeal

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