Kategorie: Deutschland

Aus der Verlegenheit geboren: Mitgliederentscheide in der SPD

Auch wenn viele SPD-Mitglieder nicht damit einverstanden sind, strebt die SPD-Führung nun eiligst eine „Große Koalition“ mit der CDU/CSU an. Dass die Parteispitze jetzt hierzu eine Urabstimmung der Mitglieder zugestehen muss, ist ein Hinweis darauf, wie sehr es im Kessel brodelt.


Elemente direkter demokratischer Einflussnahme der SPD-Mitgliedschaft auf die Politik der Partei sind in Paragraf 13 des Organisationsstatuts festgehalten. Demnach findet ein Mitgliederentscheid aufgrund eines Mitgliederbegehrens statt, das „einen konkreten Entscheidungsvorschlag enthalten und mit Gründen versehen sein“ muss. Ein Mitgliederbegehren gilt als erfolgreich, wenn es innerhalb einer Frist von drei Monaten von zehn Prozent der Mitglieder unterstützt wird. Darüber hinaus kann ein Mitgliederentscheid aber auch von einem Parteitag mit einfacher Mehrheit, vom Parteivorstand mit Dreiviertelmehrheit oder von mindestens zwei Fünfteln der Bezirksvorstände beantragt und somit auf den Weg gebracht werden.

 

Mitgliederentscheide über Personalfragen wurden in den letzten Jahren in der SPD immer wieder zumindest auf Landesebene anberaumt, so etwa bei der Auswahl der Spitzenkandidaten für Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Baden-Württemberg. Das war aber nicht immer so. Erst im Jahre 1993 besann sich der SPD-Parteivorstand nach dem Rücktritt des damaligen Bundesvorsitzenden Björn Engholm erstmals auf ein Mitgliedervotum, das bis dahin weder üblich noch in der Satzung vorgesehen war. Es war aus der Not geboren. Maßgeblich war seinerzeit die Ratlosigkeit und Unschlüssigkeit der Parteiführung, nachdem gleich drei Bewerber den Hut in den Ring geworfen hatten. Bei einer eigens im Stile einer Wahl anberaumten bundesweiten Urabstimmung der Mitglieder konnte sich schließlich der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident und spätere Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping gegen seine Mitbewerber Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul durchsetzen. Im Sinne dieses Votums offiziell zum Parteichef gewählt wurde Scharping wenig später von einem Parteitag. Sein Stern sank nach seiner Wahlniederlage als Kanzlerkandidat 1994 rasch. Nach einer langen innerparteilichen Krise wählten die Delegierten des Mannheimer Parteitags 1995 spontan und ohne Mitgliedervotum den überraschend über Nacht als Gegenkandidaten zu Scharping angetretenen damaligen saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine zum neuen Parteivorsitzenden.

 

Unter dem späteren Parteichef und Kanzler Gerhard Schröder waren Mitgliederentscheide grundsätzlich verpönt und galt das „Basta“ des Chefs als Ultima Ratio. Als Schröder im Frühjahr 2003 die „Agenda 2010“ in Parteigremien und Fraktion durchdrückte, regte sich dagegen Widerstand in Form eines bundesweiten Mitgliederbegehrens. Zu seinen Initiatoren gehörten der damalige IG BAU-Vorsitzende Klaus Wiesehügel, der inzwischen verstorbene Sozialpolitiker Ottmar Schreiner und der Bundestagsabgeordnete Florian Pronold, inzwischen Chef der Bayern-SPD. Mit immerhin rund 21.000 Unterschriften von Parteimitgliedern verpassten die Initiatoren jedoch das vorgeschriebene Quorum von zehn Prozent. (2003 hatte die SPD übrigens noch rund 670.000 Mitglieder, zehn Jahre später sind es nur noch 470.000.) Bestrebungen aus der Basis, mit der damals bestehenden Dynamik bundesweit eine fest organisierte innerparteiliche linke Opposition aufzubauen, verliefen allerdings im Sande, nachdem keiner der prominenten Repräsentanten sich dazu hergeben wollte. So schlief die Initiative ein und dadurch entstand damals übrigens ein Vakuum, in dem sich nach den katastrophalen Verlusten der SPD bei der Bayernwahl im Herbst 2003 als Reaktion auf einen Aufruf von IG Metall-Sekretären eine neue Initiative kritischer SPD-Mitglieder und Gewerkschafter entfalten konnte. Dies war eine Keimzelle für die Partei WASG und das Projekt einer neuen bundesweiten Linkspartei.

 

Beim Zustandekommen der Großen Koalition 2005 waren Mitgliederentscheide und Basisbeteiligung für die SPD-Führung ebenso wenig ein Thema wie bei der überraschenden Ausrufung des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück von oben im vergangenen Herbst. Welche scheinbaren oder tatsächlichen „Zugeständnisse“ die SPD-Unterhändler nun der CDU/CSU am Verhandlungstisch tatsächlich abtrotzen können, um damit die Basis zu beruhigen, bleibt abzuwarten. Es wird auch spannend, wie die SPD-Führung ihrer Basis ein „Ja“ zur Großen Koalition schmackhaft zu machen versucht. Bei Parteitagen ist es üblich, dass eine mit allen Wassern gewaschene Parteibürokratie die vielleicht 500 Delegierten massiv unter Druck setzt, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Ein Mitgliederentscheid, bei dem jedes der 470.000 Mitglieder geheim abstimmen kann, ist da weniger kalkulierbar. Allerdings ist zu befürchten, dass die offizielle „SPD-Linke“ um der vermeintlichen „Einheit“ willen am Ende doch wieder klein beigeben wird.

 

„Neues Vertrauen wächst nur langsam“, hat der SPD-Konvent am Freitag beschlossen. Hielte die SPD, die bei der Bundestagswahl 2013 mit 26,7 Prozent noch unter ihrem Wert bei der Reichstagswahl von 1898 (27,2 Prozent) lag, die Wachstumsrate von 2,7 Prozentpunkten in vier Jahren konsequent ein, dann wäre sie bei dieser Geschwindigkeit rein mathematisch bis 2035 wieder auf dem Niveau der Bundestagswahl von 1998 angelangt. Doch so gemächlich wird die Entwicklung nicht vor sich gehen. Die internationale Krise des Kapitalismus bedingt auch eine Krise aller Organisationen, die ihn stützen. So hat die jüngste Bundestagswahl vor allem auch für die SPD, die sich vor wenigen Monaten als 150 Jahre alte Partei der Arbeiterbewegung feiern ließ, keines ihrer Probleme gelöst, sondern eine neue Epoche der Instabilität eingeleitet.

 

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