Kategorie: Deutschland

Erste Gedanken zum politischen Erdbeben in NRW

Noch liegt kein amtliches Endergebnis der heutigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (NRW) vor. Noch wissen wir nicht, ob DIE LINKE den Sprung in den Landtag schafft. Aus den sich stabilisierenden Hochrechnungen können wir allerdings schon einige deutliche Schlussfolgerungen herauslesen.


NRW ist mit 18 Millionen Menschen das mit Abstand größte Bundesland der Republik und hat mehr Einwohner als die ehemalige DDR. Die Wahl brachte eine krachende Niederlage und das schlechteste Ergebnis für die SPD (31,5%) in ihrem einstigen Stammland, wo sie seit 1966 mit nur einer Unterbrechung von fünf Jahren kontinuierlich regiert und zeitweilig auch absolute Mehrheiten errungen hatte. Selbst 2005, als die SPD nach knapp vier Jahrzehnten erstmals in die Opposition gehen und Schwarz-Gelb Platz machen musste, lag sie mit 37,1 Prozent um Längen über dem heutigen Ergebnis.

Auch die CDU, die sich als strahlende Wahlsiegerin präsentiert, fuhr mit rund 33 Prozent ihr drittschlechtestes Ergebnis in der NRW-Geschichte ein. So bescheiden ist man hier geworden! Demgegenüber errang die FDP mit über 12 Prozentpunkten das beste Ergebnis aller Zeiten. Die Grünen, bisher mit der SPD in der Landesregierung, hingegen sackten um fast die Hälfte auf sechs Prozent ab. Die rassistische Rechtspartei AfD zieht mit über sieben Prozent in einen weiteren Landtag ein, auch wenn sie im Gegensatz zu den Wahlen im Frühjahr 2016 längst keine zweistelligen Ergebnisse mehr holt. Somit steigen ihre Chancen auf einen Einzug in den Bundestag. Im von Armut und hoher Arbeitslosigkeit geprägten Norden der Städte Essen und Duisburg gewann die AfD nach ersten Berichten offenbar über 15 Prozent – ein Hinweis darauf, dass sich im westdeutschen „Rostgürtel“ ähnlich wie in den alten, von Deindustrialisierung geprägten Städten in Frankreich und den USA viel Unmut angestaut hat und die SPD in ihren einstigen Bastionen erodiert. Die Piratenpartei ist nun auch in NRW wieder auf das Niveau einer Ein-Prozent-Partei zusammengeschrumpft.

DIE LINKE muss zur Stunde noch um ihren Einzug in den Düsseldorfer Landtag zittern. Auch wenn sie ihr Ergebnis gegenüber 2012 faktisch verdoppelt hat, ist ein Abschneiden um fünf Prozent in NRW kein Grund zur Freude. Schließlich war sie mit 5,6 Prozent schon einmal in den Landtag eingezogen, aus dem sie zwei Jahre später wieder herausflog. Auch bei der letzten Bundestagswahl schnitt sie mit 6,1 Prozent deutlich besser ab.

SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz sprach von einer „krachenden Niederlage“ seiner Partei. Damit sind Hoffnungen, Schulz könne in seinem Stammland NRW Rückenwind für seinen Siegeszug erhalten, jäh am Boden zerschellt. Es war nach dem Saarland und Schleswig-Holstein die dritte Landtagswahl innerhalb weniger Wochen mit empfindlichen SPD-Verlusten.

Auf der Suche nach Erklärungen hilft durchaus ein heute Abend veröffentlichtes aktuelles Umfrageergebnis. Demnach bescheinigen drei Viertel der Befragten der SPD, dass sie nicht wisse, was sie konkret für soziale Gerechtigkeit tun wolle. Ebenso bescheinigt eine Mehrheit der SPD, dass sie sich nicht grundlegend von der CDU unterscheide. Insofern erweist sich der Schulz-Effekt vom vergangenen Februar als Strohfeuer, zumal Schulz nach anfänglichen inhaltsleeren Bekenntnissen zur „sozialen Gerechtigkeit“ keine Inhalte lieferte, die irgendwelche Hoffnungen aufkommen lassen. So stellte er klar, dass er dem Kapital und dem oberen Prozent aufm keinen Fall wehtun will und letztlich auch zur Politik der Agenda 2010 steht, die der SPD massiv geschadet hat. NRW ist das traditionelle industrielle Stammland und Herz der Republik, aber seit Jahrzehnten vom Niedergang alter Industrien, hoher Arbeitslosigkeit und Armut geprägt. Viele Kommunen stehen finanziell am Rande des Abgrunds. Sie leiden angesichts einer zunehmend maroden Infrastruktur unter einem massiven Investitionsstau. Dass eine ratlose SPD angesichts der absehbaren Verluste für die bisherigen Regierungsparteien dann noch – ähnlich wie in Schleswig-Holstein – auf die LINKE als Hauptfeind einschlug, der aus dem Landtag rauszuhalten sei, und eine Koalition mit der FDP ins Gespräch brachte, dürfte dann eher noch die FDP gestärkt haben. Da wählten viele dann lieber gleich das Original!

Und als ob sie aus dem Wahlausgang nichts gelernt hätte, warf SPD-Generalsekretärin Katarina Barley am Wahlabend noch der NRW-LINKEN vor, sie sei „ein extremer Linksausleger“ und ihre Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Sahra Wagenknecht, habe nicht einmal eine „Empfehlung für Macron in Frankreich abgegeben“. Die verbleibenden viereinhalb Monate bis zur Bundestagswahl seien „eine lange Zeit, in der noch viel geschehen“ könne, machte sich Barley in einem Anflug von Dialektik Mut.

Unter einigen kritischen SPD-Mitgliedern kursierte am Wahlabend in sozialen Netzwerken die Forderung nach einer sofortigen „internen Revolution“. In der Tat bestünde die einzige Chance, das Ruder vor der Bundestagswahl herumzureißen, in einem radikalen Kurswechsel. SPD, Grüne und LINKE hätten bis September noch eine Mehrheit im Bundestag und könnten dort eine Reihe fortschrittlicher Gesetze noch vor Ende der Legislaturperiode beschließen. Schulz'sche Forderungen wie ein Stopp sachgrundloser Befristungen von Arbeitsverträgen, eine Verlängerung des Arbeitslosengelds (ALG I), ein Stopp des Missbrauchs von Leiharbeit, höhere Renten und gebührenfreie Bildung für alle wären sofort durchsetzbar. Warum auf bessere Zeiten warten? Kein Mensch weiß, wie der nächste Bundestag zusammengesetzt ist. Wenn dies zum Platzen der Großen Koalition führen sollte, könnte dies die Chancen der SPD auf Gewinne in der Bundestagswahl sogar deutlich steigern.

Doch wer die kapitalhörige SPD-Führung kennt, muss realistischerweise davon ausgehen, dass sie bis zum bitteren Ende in treuer Loyalität und Kadavergehorsam zur CDU/CSU und ihrer Kanzlerin halten wird. Eine Nagelprobe im Bundestag steht unmittelbar bevor: Die Abstimmung über eine Grundgesetzänderung am kommenden Freitag, 19. Mai, die den Weg für die Autobahnprivatisierung frei machen soll. Noch hätte die SPD die Chance, das ganze Projekt per Notbremsung zu stoppen und damit im Wahlkampf zu punkten. Sollte sie jedoch mit einigen kosmetische Protokollnotizen die Tore für die Megaprivatisierung öffnen, so wird ihr das unweigerlich auf die Füße fallen. Die NRW-Wahl lässt ahnen, dass die deutsche SPD aus dem historischen Niedergang ihrer Schwesterparteien in den Niederlanden und Frankreich nichts gelernt hat.

Bleibt noch die LINKE, die aus NRW und Schleswig-Holstein zwar keinerlei Rückenwind verspürt, aber angesichts der offensichtlichen Präsenz der AfD in NRW und insbesondere im Ruhrgebiet jetzt mehr denn je die Verantwortung hat, eine wirkliche Systemalternative anzubieten. Statt sinnloser Spekulationen über „Rot-Rot-Grün“ sollten wir vom Aufstieg des linken Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Melenchon in Frankreich lernen, der als Kandidat der Bewegung „France Insoumise“ innerhalb weniger Wochen stark zulegte. Dies gelang ihm und seinen Anhängern nicht mit Anbiederung, sondern mit klaren und weitergehenden Alternativen und der Vision grundlegender Veränderungen. Er forderte eine „Bürgerrevolution“ und zeigte sich unerschrocken, als ihn die bürgerlichen Medien verteufelten. Dies brachte ihm aber enormen Zulauf und zeigte im Ansatz, dass es mit weitergehenden linken Forderungen und Konfrontation mit den Herrschenden ansatzweise möglich ist, der Rechten um Marine Le Pen und den Front National das Wasser abzugraben. Wir brauchen mehr denn je eine kämpferische Oppositionspolitik und ein klares sozialistisches Programm.

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