Kategorie: Deutschland

Das bürgerliche Lager wurde besiegt - Wie weiter nach der Wahl?

Schwarz-Gelb konnte gestoppt werden. SPD und CDU/CSU feiern sich als Sieger und sind die großen Verlierer der Wahl. Wie nachhaltig ist der Zustrom zur SPD? Welche Chance ergibt sich jetzt für die Linkspartei? Die Angriffe des Kapitals gehen weiter. Wie könnte sich eine "Mehrheit gegen neoliberale Politik" gegen den Druck der Wirtschaftsverbände durchsetzen? Was erwarten wir von einer wirklich linken Regierung?


Bei der Wahlparty im Willy Brandt-Haus der SPD am Sonntagabend herrschte ausgelassene Siegeslaune. Viele begeisterte Anhänger schienen von dem Auftritt Schröders und Münteferings wie in Trance versetzt. Gewiss: Schwarz-Gelb konnte gestoppt werden. Aber haben die SPD-Anhänger und –Mitglieder wirklich Grund zur Freude?

 

Eine nüchterne Betrachtung der Zahlen zeigt, wie bescheiden man in der SPD geworden ist. Gegenüber der Bundestagswahl 2002 hat die SPD am 18. September 2005 rund 2,2 Millionen Stimmen verloren. Gegenüber der (historischen) Bundestagswahl 1998, als Kohl abgewählt wurde, sind der SPD sogar über 4 Millionen Wähler abgesprungen. Grund zum Feiern?

 

Die Verlierer: CDU/CSU und SPD

 

Auch für die CDU/CSU kommt dieser Wahlsonntag einer Katastrophe gleich. Die Unionsparteien, die schon Monate vor der Wahl den sicheren und triumphalen Wahlsieg in der Tasche zu haben glaubten, landeten mit 35,2 Prozent und somit nur um 0,1 Prozent über dem Wert von 1998. In absoluten Zahlen ausgedrückt haben CDU/CSU gegenüber 2002 insgesamt 1,84 Millionen Stimmen verloren. Selbst gegenüber 1998 (als die CDU/CSU einen historischen Tiefpunkt erreichte und Kohl abgewählt wurde) haben die Unionsparteien bundesweit noch einmal über 738.000 Stimmen verloren – und das nach sieben Jahren Opposition, anhaltend hoher Massenarbeitslosigkeit und einer für die breite Masse enttäuschenden Regierungsbilanz von Rot-Grün.

 

Die Verluste der CDU/CSU konnten im bürgerlichen Lager nur teilweise durch den starken Zuwachs der FDP ausgeglichen werden, die gegenüber 2002 knapp 1,1 Millionen Wähler hinzugewann. Abgesehen von einigen taktischen Leihstimmen bürgerlicher Wähler dürfte dies vor allem ein Ausdruck der Tatsache sein, dass die FPD mit ihren gewerkschaftsfeindlichen und neoliberalen Parolen die stramm bürgerliche Wählerschaft besser ansprach als die CDU/CSU, die noch eher auf ihre traditionelle Massenbasis in konservativen und ländlich/katholisch geprägten Teilen der Arbeiterschaft Rücksicht nehmen musste. Vor dem Hintergrund eines Rückgangs der Wahlbeteiligung um 1,4 Prozent oder über 700.000 Wähler(innen) haben auch die Grünen 271.000 Stimmen eingebüßt.

 

Gewinner des Tages: Linkspartei

 

Großer Gewinner des Tages ist die Linkspartei. Sie hat (verglichen mit dem PDS-Ergebnis von 2002) 2,2 Millionen Stimmen hinzugewonnen und ist jetzt eindeutig mehr als eine „Ostpartei“. Damit ist (abgesehen von dem PDS-Erfolg 1998 mit 5,1%) erstmals seit 1949 eine Partei links von der SPD mit Wurzeln in der Arbeiterbewegung und einer gewissen Verankerung in allen Bundesländern in den Bundestag gekommen. Auch wenn sie im Wahlgebiet West noch knapp unter 5 Prozent lag, konnte die Linkspartei gerade auch hier mit einem Plus von 1,43 Millionen Stimmen ihren größten Zuwachs verzeichnen. In NRW (5,2%), dem Saarland (18,5%), Hessen (5,3%), Rheinland-Pfalz (5,6%), Hamburg (6,3%) und Bremen (8,3%) liegen die Werte der Linkspartei über 5 Prozent. Auch in einzelnen Großstädten (etwa Duisburg oder Kassel mit 7,5%) ist der Anteil der Linkspartei beachtlich. Immerhin 25 der 54 Abgeordneten der neuen Linksfraktion wurden auf Landeslisten in den westlichen Bundesländern gewählt.

 

Wie nachhaltig ist der Zustrom zur SPD?

 

Während in den letzten Wahlkampfwochen die Linkspartei in den Medien immer mehr an den Rand gedrängt wurde, waren manche von der großen Beteiligung an den SPD-Wahlkundgebungen und der stetigen Zunahme der SPD-Werte in Meinungsumfragen überrascht. Auch wenn die Linkspartei einen großartigen Erfolg verbuchte, so setzten immer noch sehr viele Arbeiter, Arbeitslose und Jugendliche darauf, dass die SPD eine Wende hin zur einer Regierung Merkel/Westerwelle verhindern könne. Von den Erstwählern entschieden sich 39 Prozent für die SPD und 8 Prozent für die Linke. Von den Arbeitern wählten 37 Prozent SPD und 11 Prozent die Linke. Arbeitslose wählten zu 30 Prozent SPD und 22 Prozent die Linke. In Nordrhein-Westfalen, wo die SPD im Mai die Landtagswahl klar verloren hatte, lag sie am 18. September mit 40 Prozent wieder mit großem Abstand vor der CDU. In 12 von 16 Bundesländern war die SPD stärkste Kraft; CDU/CSU lagen nur in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen vorn.

 

Viele, die gar nicht wählen oder aus Protest die Linke wählen wollten, rafften sich so in letzter Minute auf und machten ihr Kreuz bei der SPD. Da die Reden bei SPD-Kundgebungen (übrigens auch bei den Grünen) linker, sozialer und kämpferischer klangen als in den letzten Jahren, ließen solche Signale die Hoffnung aufkeimen, „dass der Schröder jetzt endlich kapiert hat, dass er Politik für die kleinen Leute machen soll und nicht nur für die Bosse“.

 

Dieses Phänomen haben wir schon in der Ausgabe 56 unserer Zeitschrift beschrieben: Wenn die Massen derzeit auf die SPD stinkesauer sind, dann deshalb, weil sie es von ihr „eigentlich“ anders erwarten. Das Verhältnis zwischen der Arbeiterklasse und der sozialdemokratischen Bürokratie ist vergleichbar mit dem Drama, das sich tagtäglich millionenfach in deutschen Familien abspielt: Lieschen Müller wird seit Jahrzehnten von ihrem Ehemann betrogen, geschlagen, missachtet und misshandelt. Schon mehrfach hat sie in Gedanken die Koffer gepackt und die Flucht vorbereitet. Doch immer wieder zögert sie im letzten Moment und gibt ihrem tyrannischen Heinz-Hugo eine neue Chance: „Jetzt hat er mir versprochen, dass er lieb zu mir ist. Er hat mir zu meinen Geburtstag einen Blumenstrauß geschenkt.

 

Wie nachhaltig dieser neue (zweite – dritte –zehnte?) Frühling zwischen der Arbeiterklasse und der SPD-Führung ist, wird sich bald zeigen. Sollte die SPD in den kommenden Wochen in der Opposition landen, so könnte zumindest ein Teil der Führung (in Worten) wieder deutlich radikaler werden und damit die „verlorenen Schäfchen“ wieder einzufangen versuchen. Sollte sie jedoch Regierungspartei bleiben und in eine „Große Koalition“ gehen, so sind neue soziale Grausamkeiten und damit neue Krisen in der SPD und Abspaltungen vorprogrammiert.

 

Am Tag nach der Wahl erklärte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul freudig: „Das Votum der Bürgerinnen und Bürger ist ein deutliches Signal, dass es in unserem Land keine Mehrheiten für eine neoliberale Politik gibt.“

 

Doch abgesehen davon, dass dem Neoliberalismus gerade auch unter „Rot-Grün“ sieben Jahre lang Tür und Tor geöffnet wurde: Wie soll diese „Mehrheit gegen neoliberale Politik“ zum Tragen kommen, solange in der SPD kein kritisches Nachdenken über die grundlegend falsche Ausrichtung der Agenda 2010 erwünscht ist und solange die Linkspartei wie ein „Schmuddelkind“ behandelt wird, mit dem man gefälligst nicht reden, geschweige denn zusammenarbeiten kann. Nicht besser ist auch der Vorschlag von Andrea Nahles, Sprecherin der SPD-Linken, mit der FDP (!!!) über eine Ampelkoalition zu verhandeln. Wer erwartet hatte, dass die offizielle „SPD-Linke“ am Wahlabend aus der Deckung kommen und einen grundlegenden Kurswechsel einfordern würde, sah sich getäuscht. Mit einer solchen „Linken“ ist vielleicht ein bürgerlicher Staat, nicht aber ein ernsthafter Widerstand gegen neoliberale Politik zu machen.

 

Die Wirtschaft ist von der Wahl bitter enttäuscht

 

So jedenfalls drückte sich der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Jürgen Thumann, am Wahlabend vor laufenden Kameras aus. „Deutschland kann sich Rot-Rot-Grün nicht leisten“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben und forderte „eine stabile Regierung“, die Reformen ermögliche und die Blockade zwischen Bundestag und Bundesrat aufhebe. Für den Groß- und Außenhandelsverband BGA regte dessen Präsident Anton F. Börner eine Schwarz-Gelb-Grüne Koalition an.

 

Was uns droht - Der Druck der Kapitalbesitzer lastet auf jeder Regierung

 

Egal wie die künftige Regierung aussieht: Sie wird den Druck der Kapitalbesitzer im Nacken spüren und zu weiterem Sozialabbau gedrängt werden. Die Agenda 2010 müsse mit mehr Tempo fortgesetzt werden, appellierte Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Der „Kronberger Kreis“, der wissenschaftliche Beirat der privat finanzierten Stiftung Marktwirtschaft und Think Tank der Deutschen Wirtschaft, forderte von der künftigen Bundesregierung ein beherztes Durchgreifen in der politischen Auseinandersetzung. Er schlägt eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes, eine „Sanierung“ der Sozialsysteme sowie ein Abbau von Subventionen vor. Dabei sollen die Ausgaben bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik drastisch gekürzt und die Subventionen für den Steinkohlebergbau und die Wohnungswirtschaft gesenkt werden. Auch die Steuerbefreiung von Zuschlägen für Feiertags- und Nachtarbeit soll abgeschafft werden. Des Weiteren greifen die Wissenschaftler der herrschenden Klasse nach dem Flächentarifvertrag, indem sie mehr „Flexibilität“ in den individuellen Arbeitsverträgen verankern wollen. Öffnungsklauseln auf betrieblicher Ebene sollen den Arbeitnehmern wieder der Willkür des Unternehmers aussetzen. Auch der Kündigungsschutz soll im Interesse des Arbeitgebers aufgeweicht werden. Diese Forderungen bedeuten einen Systemwechsel im deutschen Arbeits- und Tarifrecht, wobei sich der BDI dessen bewusst ist und das Risiko einer Verlagerung der Konflikte auf die betriebliche Ebene (nämlich möglicherweise harte Streiks in einzelnen Betrieben oder Konzernen) in Kauf nimmt. Die Entmachtung der Gewerkschaften steht ganz oben auf dem Wunschzettel der Kapitalbesitzer. Und der künftigen Bundesregierung wird dieser Wunschzettel mit dem notwendigen Nachdruck überreicht werden.

 

Katzenjammer

 

Eine schwarz-gelbe Regierung hätte dem Kapital seine Wünsche von den Lippen abgelesen, nun ist der Katzenjammer groß. Doch auch eine andere Mehrheitskonstellation wird dem Druck der Wirtschaft ausgesetzt sein, denn sie will und muss mit Verweis auf die Globalisierung und dem weltweiten Konkurrenzdruck ihr neoliberales Konzept mit aller Härte durchziehen, wenn sie nicht im Krieg um die Marktanteile untergehen will. Deutschlands Konzerne werden den Wirtschaftsstandort weiter umkrempeln, bis vom „rheinischen Sozialstaat“ nichts mehr übrig bleibt. Für die Kapitalstrategen ist diese Entwicklung konsequent. Die Linke braucht hier eine systemkritische Gegenstrategie, die aber nicht bei einer alternativen gegenfinanzierten Steuerreform stehen bleiben darf. Solange die Linke die kapitalistischen Sachzwänge anerkennt, bleibt man in ihnen gefangen und wird letztlich handlungsunfähig.

 

Was auf uns zu kommt

 

Sieben Jahre Rot-Grün haben alle Voraussetzungen geschaffen, um die Wirtschaft zu entlasten. Diese wirtschaftsfreundliche Politik hat sich aber nicht in mehr Beschäftigung niedergeschlagen. Und die weitere wirtschaftliche Entwicklung ist außerordentlich unsicher, da sie aufgrund der vorherrschenden Binnennachfrageschwäche auch weiterhin fast ausschließlich von dem (absehbar nachlassenden) weltwirtschaftlichen Wachstum abhängt. Seit über 20 Jahren bleiben die Zuwächse bei den Löhnen hinter der Produktivitätsentwicklung und den Preissteigerungen zurück. Real sind die Löhne in diesem Zeitraum um 17 Prozent gesunken. Weiteren negativen Einfluss auf die Massenkaufkraft hat die steigende Erwerbslosigkeit. Die aktuellen Horrorzahlen auf dem Arbeitsmarkt verstärken den Trend zu einer Kaufzurückhaltung. Angesichts der öffentlichen Ausgabenkürzungen, des Abbaus des Sozialstaats und der hohen Verunsicherung der privaten Haushalte wegen der Diskussion über eine mögliche Mehrwertssteuererhöhung ist eine spürbare Belebung der Gesamtwirtschaft nicht zu erwarten.

 

Entscheidend für das Wirtschaftswachstum sind weiterhin die Exporte. Sie hängen ab vom Wachstum der Absatzmärkte und der Entwicklung des internationalen Konkurrenzkampfes. Aber auf dem Weltmarkt wird es eng. Alleine in der Automobilindustrie wird es zu einem enormen Verdrängungswettbewerb kommen, zudem mit China ein neuer Konkurrent hinzukommt, der jetzt auf dem europäischen Festland Fuß fassen will. Eine Überproduktionskrise ist absehbar. Dies bringt einen Unterbietungswettkampf um die kleinsten verbliebenen Marktanteile mit sich. Risiken ergeben sich außerdem aus der Ölpreisentwicklung und der Entwicklung der US-Wirtschaft, die nach der Naturkatastrophe in New Orleans nachhaltig geschwächt wurde.

 

Die Angriffe des Kapitals gehen weiter

 

Es gibt bereits erste Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft. Strategisch ausgerechnet zum Tag der Bundestagswahlen platziert und äußerst pikant ist die Ankündigung von Siemens-Chef Klaus Kleinfeld, ein Notprogramm für seinen Konzern vorzulegen, das Details zum Umbau des Konzerns und Stellenabbau enthält. Der zweitgrößte Industriekonzern Deutschlands will sich international neu positionieren. „Stellen auslagern oder streichen, Sparten verkaufen oder Standorte schließen – das sind die Optionen, die Vorstandschef Kleinfeld bei seinen Krisenherden zur Verfügung stehen,“ so die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 18.9.2005.

 

Kleinfeld orientiert seinen Konzern frontal auf maximale Profitsteigerungen. „Jedes Jahr soll der Umsatz doppelt so stark wachsen wie das weltweite Bruttosozialprodukt, so seine strikte Vorgabe. Beim Profit gibt es keine Gnadenfrist. `Ich persönlich stehe dafür ein, dass alle Unternehmensteile innerhalb der nächsten 18 bis 24 Monaten auf Linie sind’, sagte er im Frühjahr.“

 

Kritiker sind beunruhigt über die neue Konzernausrichtung und weisen auf die traditionelle Stärke von Siemens hin. Demnach habe früher etwa das langfristige Denken in der Konzernzentrale Siemens Weltgeltung in Bereichen wie der Medizintechnik verschafft. Bei den heutigen, nur noch auf kurzatmigen maximalen Profit ausgerichteten Konzernstrategien wäre demgegenüber für solche längerfristigen und kostenintensiven Entwicklungen kein Platz. Siemens holt nun die Entwicklung nach, die andere Konzerne bereits hinter sich haben: die Verwandlung vom langfristig planenden Industriekonzern hin zum nur auf kurzfristige Profitorientierung ausgerichteten Kapitalverwerter. Auf der Strecke bleiben Menschen. 10.000 Stellen werden nach Gewerkschaftsangaben voraussichtlich diesem Umbau zum Opfer fallen. Dies wird kein Einzelfall bleiben und mit jedem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen wird der Sozialstaat ein Stück tiefer in die Krise gedrückt. Weiterer Arbeitsplatzabbau steht bei VW, Daimler-Chrysler und bei anderen Konzernen an. Fortsetzung folgt.

 

Streichungsorgien

 

Ein weiteres Problem, mit dem sich jede künftige Bundesregierung auseinandersetzen muss, ist die Staatsverschuldung. In Deutschland belaufen sich 2005 die angehäuften Staatsschulden auf 1466 Mrd. Euro. Das ergibt 38 Mrd. Euro Zinszahlungen im Jahr. In der Alt-BRD machten Zinszahlungen im Jahre 1952 nur 1% der Gesamtausgaben des Bundeshaushaltes aus. 1997 waren es bereits 22%. Das Rezept der bürgerlichen Parteien ist einfach: Radikale Einschnitte in die öffentliche Daseinsfürsorge, um die gigantische Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Änderte man an der gegenwärtigen Politik nichts, dann drohe ein Hochschnellen der Verschuldung von derzeit 67 Prozent auf 110 Prozent – gemessen am BIP eines Jahres – im Jahr 2020, meint der Finanzwissenschaftler Clemens Fuest. Mit der Staatsverschuldung wird der Allgemeinheit die Notwendigkeit von großen sozialen Einschnitten schmackhaft gemacht. Außerdem dürfe man doch unseren künftigen Generationen nicht diesen Schuldenberg hinterlassen, der die Zukunft unserer Kinder verbaut.

 

Steuergeschenke an die Reichen und Kapitalbesitzer

 

Die rot-grüne Bundesregierung hat in ihren sieben Jahren Regierungstätigkeit Steuersenkungen verabschiedet, die die Staatseinnahmen enorm verringerten. Allein die „Reform“ der Körperschaftssteuer kostete die öffentliche Hand von 2001 bis 2004 etwa 70 Milliarden Euro. Neben diesen direkten Steuergeschenken an die Reichen und Kapitalbesitzer ist die andere Seite der Verschuldungsmedaille das Anwachsen des privaten Geldvermögens. Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich das Nettogeldvermögen der Privaten mehr als verdoppelt, und zwar auf inzwischen mehr als vier Billionen Euro. Von diesen vier Billionen gehören mehr als zwei Drittel einer kleinen Minderheit von einem Prozent der Bevölkerung an. Diese Multi-Millionäre profitieren von der Staatsverschuldung, indem sie dem Staat Geld leihen und dafür Zinsen einstreichen.

 

Was nun?

 

Wenn sich führende Vertreter der SPD darüber freuen, „dass es in diesem Lande keine Mehrheiten für eine neoliberale Politik gibt“, dann dürfen sie jetzt auch keine Koalitionsverhandlungen mit den im Wahlkampf so heftig gescholtenen Parteien des Neoliberalismus (also CDU/CSU und FDP) führen. Denn dabei käme nur ein weiterer Ausverkauf der handfesten Interessen der Masse der Bevölkerung heraus. Oder glaubt auch nur einer, dass die SPD mit CDU/CSU oder FDP eine Millionärssteuer durchsetzen oder eine weitere Privatisierung der Sozialversicherung oder Umverteilung der Vermögens von unten nach oben oder eine gewerkschaftsfeindliche Politik verhindern könnte?

 

Um die Mehrheit gegen eine neoliberale Politik bei der Regierungsbildung zum Tragen zu bringen, gibt es nur einen Weg: Keine Regierung unter Beteiligung von CDU/CSU oder FDP! Rücknahme aller in den letzten Jahren durchgeführten Verschlechterungen im Zuge von Agenda 2010 und Hartz IV! Rücknahme aller Steuergeschenke an die Konzerne und Superreichen, weil sie mit diesen Geschenken erwiesenermaßen keine neuen Arbeitsplätze geschaffen haben! Für einen gesetzlichen Mindeststundenlohn von 10 Euro brutto! Eine linke Regierung müsste einen Kassensturz durchführen, der die Finanzströme aufdeckt und für die Allgemeinheit eines öffentlich macht: Konzerne, Millionäre, Banken und Versicherungen, die unter der hohen Steuerlast in Deutschland stöhnen, profitieren von der Staatsverschuldung, indem sie Zinsen einfordern und gleichzeitig noch steuerlich entlastet werden. Eine erste Handlung einer linken Regierung könnte darin liegen, aus den o.g. vier Billionen Euro Privatvermögen der Reichen die Staatsverschuldung in Höhe von 1466 Milliarden Euro zu tilgen.

 

Wer wirklich mit dem Neoliberalismus brechen und gleichzeitig verhindern will, dass gegebenenfalls Merkel (oder wer auch immer) im dritten Wahlgang mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP zum Kanzler einer bürgerlichen Minderheitsregierung gewählt wird, der kann nur eines machen: Mit der neuen Bundestagsmehrheit gegen Schwarz-Gelb, also unter Einschluss der Linkspartei, eine konsequente Politikwende im Interesse der Arbeitenden und Arbeitslosen und gegen die Kapitalbesitzer durchsetzen. Natürlich muss dabei mit dem heftigen Widerstand der Besitzenden gerechnet werden. Doch Millionen sind stärker als Millionäre. Wir haben CDU/CSU und FDP – und damit auch ihre reichen Hintermänner – in der Wahl besiegt. Wir können auch den Widerstand des Kapitals gegen sozialen Fortschritt brechen – wenn wir dazu fest entschlossen und gut organisiert sind und uns nicht durch das Gebrüll und die Erpressungs- und Einschüchterungsversuche der Herrschenden einschüchtern lassen.

 

Christoph Mürdter

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