Kategorie: Deutschland

Jans Spahns Mindest-Abstandsgebots-Super-Gau

Bei einem Abstecher in die Gießener Uniklinik demonstrierte CDU-Politprominenz dieser Tage vor laufenden Kameras, wie man das Coronavirus sicher nicht bekämpft.


Gewerkschafter nutzten die PR-Tour der Politiker für Proteste gegen Privatisierung im Gesundheitswesen. Dass auch unter erschwerten Bedingungen und trotz Corona-Ausnahmezustand öffentlich sichtbare Proteste ohne hastige polizeiliche Eingriffe möglich sind, wurde dieser Tage am Rande eines Besuchs von politischer Prominenz am privatisierten Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM) deutlich. Dort tauchten kurz nach Ostern Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Hessens Regierungschef Volker Bouffier und Kanzleramtsminister Helge Braun (alle CDU) für einen zweistündigen Besuch auf und informierten sich bei Managern, Pflegekräften und Studierenden über die aktuelle Lage vor Ort in Corona-Zeiten. Der Abstecher nach Mittelhessen war vor allem eine PR-Aktion. Hier liegen nämlich die Wahlkreise von Braun und Bouffier. Die Veranstaltung geriet in mehrfacher Hinsicht zum medialen Super-GAU für Minister Spahn.

„Löhne rauf, Konzerne raus. Gemeinsam für unser Klinikum!“, lautete die Parole, die UKGM-Betriebsratsmitglied Robin Stammberger auf ein Stoffbanner gemalt hatte. Er und andere Betriebsräte und ver.di-Mitglieder wollte sich nicht damit abfinden, dass der Betriebsrat nicht zum Termin mit der Politprominenz eingeladen war. Das spontan hochgehaltene Transparent bildete einen passenden Hintergrund für die Berichterstattung und Interviews in Fernsehsendern. In seiner Umgebung fand Robin Stammberger hinterher viel Zuspruch.

2005 hatte die damalige hessische CDU-Alleinregierung unter Roland Koch die beiden Universitätskliniken in Gießen und Marburg privatisiert und diesen bundesweit bisher einzigartigen Vorgang als „Leuchtturmprojekt“ gefeiert. Seither gehört das UKGM zu 95 Prozent dem Klinikkonzern Rhön AG. Das Land Hessen hält noch fünf Prozent.

Der ver.di- und LINKE-Aktivist Stammberger ist gelernter Krankenpfleger und setzt sich zusammen mit vielen anderen seit Jahren für die Abkehr von der Privatisierung und Überführung der Kliniken in die öffentliche Hand ein. „Das System ist ohnehin finanziell knapp auf Kante genäht. Wenn Private dann noch schwarze Zahlen schreiben und Geld rausziehen wollen, leidet darunter zwangsläufig die Qualität der Versorgung“, so seine Überzeugung, die sich auf tagtägliche Erfahrungen stützt. Der Sparzwang schlage sich auch in Bereichen wie Essenszubereitung, Reinigung und Materialbeschaffung nieder. „Das ist nicht gut für die Patienten“, so seine Warnung.

„Herr Spahn, Sie tragen die Maske verkehrt rum“, rief Robin Stammberger dem Minister zu, als dieser offensichtlich Mühen hatte, den ausgehändigten Mund-Nase-Schutz sachgemäß umzubinden. Dieser Zwischenruf schaffte es in mehrere TV-Sendungen einschließlich Heute-Show. „Wenn ich Sie nicht hätte“, reagierte Spahn vor laufender Kamera spontan und nach außen hin scheinbar cool auf den sachkundigen Hinweis. Er wendete das Teil hastig in vertikaler Richtung um 180 Grad und schritt an der Seite Bouffiers eilig weiter. „Der hätte den Mund-Nase-Schutz eigentlich horizontal drehen sollen“, berichtete uns der aufmerksame Robin Stammberger. „Er hat an dem Teil so oft nervös herumgefingert, dass er besser ohne Mund-Nase-Schutz weiter gelaufen wäre.“ Im Gegensatz zu Spahn und Hessens Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne), die nur einen Mund-Nase-Schutz trugen, hatte sich Bouffier eine professionellere FFP3-Maske mit Partikelfilter für gefährliche Infektionen umgebunden.


Wenig später produzierten Spahn, Bouffier und zehn andere Personen ein Gruppenbild, das in Windeseile in sozialen Netzwerken die Runde machte und sogar in der großbürgerlichen FAZ auf Seite 1 erschien. Das tausendfach reproduzierte Foto lässt erkennen, wie die Politdelegation im Schulterschluss und eng gedrängt in einem Aufzug die Fahrt nach oben antritt. Dass dabei der seit Wochen von der Politik in Bund und Land propagierte und für den Gesundheitsschutz erforderliche Mindestabstand zwischen Personen ganz offensichtlich nicht eingehalten wurde, hat viele hämische Kommentare ausgelöst. Der Aufzug wird jetzt von vielen im Klinikum als „Jens-Spahn-Gedenkaufzug“ bezeichnet.

„Das Foto zeigt sehr genau, wie es nicht gemacht werden sollte. Dazu in einer Uniklinik. Uff. Hoffentlich war niemand infiziert“, twitterte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Spahn gab sich in seiner Antwort reumütig und einsichtig. „Ja, das geht besser: auch mit Mundschutz Abstand halten. Und das nächste Mal einfach die Treppe nehmen“, so der Minister auf Twitter. „Ein Mindest-Abstandsgebot-Super-Gau. Mal sehen, wie Bouffier, Spahn, Klose und der übergewichtige Kanzleramtsminster Braun aus dieser Nummer wieder rauskommen“, kommentierte der frühere hessische DGB-Landesvorsitzende und LINKE-Aktivist Dieter Hooge auf Facebook das Foto.

Das Monopoly-Spiel geht weiter

Am Rande des rund zweistündigen Abstechers der Politprominenz übergaben Vertreter des Aktionsbündnisses „Gemeinsam für unser Klinikum“ ihre Forderungen schriftlich an Bouffier, Klose und Spahn. Für die Wiederverstaatlichung des UKGM macht sich auch die hessische LINKE stark. „Gerade die Corona-Pandemie macht deutlich, wie falsch der Weg der Ökonomisierung gewesen und wie wichtig eine gut finanzierte öffentliche Krankenhausinfrastruktur ist“, so der Landesvorsitzende Jan Schalauske.

Derzeit arbeitet der Krankenhauskonzern Asklepios mit aller Kraft darauf hin, die Rhön AG zu übernehmen. Der hessische Pharma- und Medizingerätekonzern B. Braun Melsungen AG, ein weiterer Rhön-Großaktionär, möchte dies mit aller Gewalt verhindern. Für Robin Stammberger verheißt ein Klinikum in den Händen privater Konzerne nichts Gutes. Er befürchtet eine weitere Verramschung des Gesundheitswesen. „Asklepios verweigert Tarifverhandlungen an anderen Kliniken und strebt stets hohe Dividenden an. Weitere Einsparungen beim Personal drohen“, so seine Warnung. „Dass der Aktionär B. Braun mitten in der Corona-Pandemie sogar fordert, Dividenden in dreistelliger Millionenhöhe an die Aktionäre auszuschütten, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten“, kritisiert Jan Schalauske. Die Privatisierung des UKGM war, ist und bleibt ein gravierender Fehler, der rückgängig gemacht gehört. Die Übernahmeschlacht an den Aktienmärkten macht erneut deutlich, dass das Uniklinikum in öffentliches Eigentum zurückgeführt werden muss“, so seine Überzeugung.

Robin Stammberger war schon mit dabei, als Aktivisten aus der Region Spahns Vorgänger Hermann Gröhe (CDU) 2017 bei einer Zusammenkunft der Gesundheitsminister von Bund und Ländern 240.000 von einem Aktionsbündnis gesammelte Unterschriften für die Wiederverstaatlichung des UKGM überreichten. Gröhe zeigte wenig Interesse für die Sorgen und Nöte und beendete das Gespräch nach wenigen Minuten. Auch jetzt zeigt die hessische CDU-Grüne-Landesregierung allen die kalte Schulter, die auf eine Rückführung der Unikliniken in Landeseigentum drängen.

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