Kategorie: Deutschland

„Superwahljahr“ 2021: Für eine sozialistische Offensive gegen schwarz-grünes Krisendiktat

Einmal alle vier oder fünf Jahre ruft die bürgerliche Demokratie das Wahlvolk an die Urnen. Im „Superwahljahr“ 2021 steht neben sechs Landtags- und zwei Kommunalwahlen vor allem die Bundestagswahl am 26. September an. Der Urnengang wird von Pandemie und tiefer Wirtschaftskrise überschattet. Er hat schon jetzt eine hektische Betriebsamkeit ausgelöst.

Bild: Richard Ley auf Pixabay


Worum geht es bei Wahlen? „Einmal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches Mitglied der herrschenden Klasse das Volk im Parlament ver- und zertreten soll“, brachte Karl Marx vor 150 Jahren im Zusammenhang mit der Pariser Kommune Sinn und Zweck von Parlamentswahlen im Kapitalismus auf den Punkt. „Aber diese formale Gleichheit der Demokratie ist Lug und Trug, solange noch die ökonomische Macht des Kapitals besteht“, schrieb Rosa Luxemburg treffend im Dezember 1918.

In diesem Sinne ist die herrschende Klasse in diesem Lande auch in diesem „Superwahljahr“ in einer bequemen Position. Noch weiß kein Mensch, wie der kommende Bundestag und die nächste Bundesregierung zusammengesetzt sein werden. Doch alles deutet darauf hin, dass die Großkonzerne, Banken und Versicherungen auch mit der nächsten Regierung gut fahren werden.

In 72 Jahren Bundesrepublik hat sich die herrschende Klasse überwiegend auf ihre traditionellen Parteien und Interessenvertreter gestützt: CDU, CSU und FDP. Diese Parteien sind eng mit den Kommandozentralen der Wirtschaft verflochten, werden von ihren Spenden genährt und setzen deren Interessen praktisch um. In 15 von bisher 19 Bundestagswahlen errangen diese klassischen bürgerlichen Parteien eine Parlamentsmehrheit. Bis auf drei Wahlen 1972, 1998 und 2002, in denen die SPD die Nase vorn hatte, gingen die Unionsparteien stets als Sieger aus dem Urnengang hervor.

Dass eine Koalition von Union und FDP auch jetzt, 2021, wieder die von der Kapitalistenklasse favorisierte Konstellation wäre, ließ NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zu Jahresbeginn in einem FAZ-Interview durchblicken. Der Bewerber um den CDU-Vorsitz regiert im bevölkerungsreichsten Land seit 2017 mit der FDP. Sein Satz „Ich wünsche mir eine starke FDP im Bundestag“ klingt fast schon wie eine „Leihstimmenkampagne“ für die angeschlagenen Liberalen, die nach neuen Meinungsumfragen zwischen fünf und sieben Prozent liegen. Dass die FDP wie schon 2013 an der magischen Fünf-Prozent-Schwelle scheitern könnte, ist nicht auszuschließen.

Ob Laschet wirklich CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Union wird und die FDP in den Bundestag einziehen und in der nächsten Bundesregierung sitzen wird, wissen wir bei Redaktionsschluss noch nicht. Laschet und die herrschende Klasse sind erfahren und flexibel genug, um nicht alles auf eine schwarz-gelbe Karte zu setzen. 2017 waren die Unionsparteien auf schlappe 32,9 Prozent abgestürzt – das zweitschlechteste Ergebnis seit 1949. Weil es zusammen mit der FDP längst nicht reichte, boten sich die Grünen als Partner für eine „Jamaika“-Koalition an. Der Pakt scheiterte letztendlich an der FDP, die die Verhandlungen platzen ließ. Laschet hatte damals mit Grünen-Chef Robert Habeck über Energiepolitik verhandelt, findet ihn nach eigenen Angaben „menschlich sympathisch“ und glaubt, dass er mit ihm auch zusammen regieren könnte.

Schwarz-grüne Koalition – gut für das Kapital

Inzwischen sprechen nicht nur Umfragewerte dafür, dass die herrschende Klasse sich auf eine mögliche schwarz-grüne Bundesregierung einstellt. Die Union profitiert seit Ausbruch der Corona-Pandemie und Wirtschaftskrise im Frühjahr 2020 von dem äußerlichen Image als „Krisenmanagerin“ und pendelt in Umfragen wieder zwischen 35 und 37 Prozent. Falls es bis Ende September keine spektakulären und tiefen gesellschaftlichen Erschütterungen gibt, die sich in den Wahlen niederschlagen, dürfte sie als haushohe Siegerin aus der Bundestagswahl hervorgehen. Sie kann sich dann aussuchen, mit wem sie regiert. Während eine schwächelnde SPD verzweifelt versuchen wird, sich als verlässliche Partnerin mit gutem Draht in die Gewerkschaftszentralen anzubiedern, könnten die Grünen diesmal das Rennen machen.

Die vor 40 Jahren gegründete einstige aufmüpfige Ökopartei ist längst zu einer modernen liberal-bürgerlichen Partei mutiert, die es mit dem Kapital kann und von ihm auch als Interessenvertretung geschätzt wird. Mehr als tausend Worte sprechen manchmal Zahlen. So veröffentlicht der Bundestag regelmäßig eine Liste von unmittelbar anzeigepflichtigen Großspenden über 50.000 Euro aus Konzernen, Banken und Wirtschaftsverbänden an politische Parteien. 2020 blieben CDU und CSU mit insgesamt 1,44 Millionen Euro Großspenden die Favoriten des Großkapitals. Es ist auch der Dank dafür, dass die Union bei allen Gesetzen strikt die Interessen des Kapitals berücksichtigt und notfalls missliebige Vorlagen blockiert. Dies kam jüngst auch in den Ausnahmeregelungen und Hintertüren im neuen Gesetz über Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthöfen zum Ausdruck.

Die SPD, die 2019 noch mit 206.651 Euro auftauchte, ging zumindest bei den Großspenden leer aus. Bei der FDP schrumpfte der Spendenumfang binnen eines Jahres von 360.000 auf 101.000 Euro. Die Grünen sind seit Jahren auf der Empfängerliste von Unternehmen und Verbänden und erhielten 2020 einige Großspenden. Allein im Dezember 2020 flossen 50.001 Euro vom Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie in ihre Kassen. Weil viele solcher Großspenden jedoch gesplittet werden, sind diese Zahlen offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs. Auf den Sponsorenlisten von Grünen-Parteitagen tauchen immer wieder namhafte Konzerne wie Deutsche Post und Deutsche Telekom sowie Verbände der Versicherungswirtschaft, Metallindustrie oder Zuckerindustrie auf.

Tatsache ist, dass viele Grünen-Spitzenpolitiker nach dem Ausscheiden aus einem Regierungsamt als gut bezahlte Lobbyisten tätig sind. Wenn sie aus der Sicht des Kapitals einen „guten Job“ gemacht haben,  dann winkt ihnen auch nach dem Ausscheiden aus Spitzenämtern immer ein lukrativer Posten in Wirtschaft und Lobbyverbänden. Dies zeigen die Laufbahnen von früheren Grünen-Ministern und Staatssekretären wie Joschka Fischer, Rezzo Schlauch, Margareta Wolf oder Matthias Berninger. Sie wurden hochdotierte Lobbyisten für namhafte Kapitalgruppen.

Dass derzeit viele Jüngere Menschen auf die Grünen abfahren und ihnen ihr vermeintlich „ökologisches“, „progressives“ und „antirassistisches“ Image abnehmen, ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass diese Partei seit gut 15 Jahren nicht mehr in der Bundesregierung sitzt. Wer unter 30 ist, weiß in der Regel nicht, was die Grünen in der „rot-grünen“ Koalition Schröder-Fischer von 1998 bis 2005 alles mit angerichtet haben. Vorzeigemodell für ein schwarz-grünes Bündnis auf Bundesebene ist Hessen, wo ein traditionell rechtsnationaler CDU-Landesverband seit sieben Jahren friedlich und geräuschlos mit den Grünen regiert. Hessens Vizeministerpräsident und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) zeigt der herrschenden Klasse derzeit, dass er als Vollstrecker der mit brutaler Polizeigewalt durchgepeitschten Abholzung des Dannenröder Forsts ein zuverlässiger Interessenvertreter des Kapitals ist. Dies wäre er sicher auch in einem Bundeskabinett.

Doch die kommenden Monate könnten noch „Überraschungen“ und abrupte Wendungen bringen. Bei den anstehenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg (März), Thüringen (April) und Sachsen-Anhalt (Juni) haben alle maßgeblichen Parteien viel zu gewinnen und auch viel zu verlieren. Sie können also Rückenwind oder einen Dämpfer erhalten. In Thüringen und Sachsen-Anhalt könnten Landes-CDU und Landes-FDP vor der Frage stehen, ob sie sich auf die dort starke Rechtspartei AfD stützen sollen. Die Bundesspitzen von CDU und FDP und die tonangebenden Spitzenverbände des stark exportabhängigen deutschen Kapitals wollen zumindest derzeit von einer „Umarmung“ der nationalistischen, rassistischen und in Teilen faschistischen AfD nichts wissen.

Merkels Nachfolge

Nach dem Zehn-Prozent-Einbruch der CDU bei der Hessenwahl im Oktober 2018 hatte Angela Merkel unter dem Druck von Teilen der CDU-Basis ihren Verzicht auf den CDU-Vorsitz und auf eine weitere Kanzlerkandidatur 2021 angekündigt. Sie hat bald 16 Jahre lang die Interessen der herrschenden Klasse national und international souverän und loyal vertreten. Die von ihr favorisierte Nachfolgerin AKK konnte sich nur knapp gegen Friedrich Merz durchsetzen. Sie warf nach einem Jahr als CDU-Vorsitzende wieder das Handtuch. Neun Monate vor der heißen Wahlkampfphase steht immer noch nicht fest, wer die Union als Kanzlerkandidat anführen wird. Zur Wahl stehen drei ältere Herren aus NRW und einer aus Bayern, die alle auf ihre Weise treue Interessenvertreter des Kapitals sind und bleiben werden. Sollte sich der Bewerber Friedrich Merz als CDU-Chef durchsetzen und als Kanzlerkandidat gekürt werden, so könnte dies den Wahlkampf besonders stark polarisieren, eine Gegenbewegung auslösen und Klassenfragen in den Mittelpunkt der Debatte rücken. Viele Arbeiter und Jugendliche nehmen wahr, dass Merz nach seinem Ausstieg aus der aktiven Politik 2009 sich als konsequenter Lobbyist des Finanzkapitals finanziell bereichert hat. Deutlicher als seine Mitbewerber fordert er Angriffe auf Lebensstandard und Lebensqualität der Masse der Bevölkerung. Am Ende könnten sich die erfahrenen Strategen von Union und Kapital jedoch auf CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidat der Union besinnen. Er ist nicht weniger reaktionär und kapitalhörig als Merz und andere, kann dies jedoch als Ministerpräsident eines seit Generationen CSU-regierten Landes besser und eleganter verkaufen und verbrämen.

Was nun?

Umfragen und Stimmungen sind noch keine Stimmen und bis zum Wahltag kann und wird noch jede Menge passieren und viele schöne Pläne und Strategien über den Haufen werfen. Pandemie und Lockdown werden massenhaft individuelle Krisen und Katastrophen auslösen und die Unzulänglichkeit des privatisierten und kaputtgesparten Gesundheitswesens offenbaren. Die Wirtschaftskrise ist nicht überwunden. Eine Pleitewelle droht. Vor der Bundestagswahl werden die Regierenden jedoch bemüht sein, nicht zusätzlich Öl ins Feuer des Klassenkampfes zu gießen. So werden die Kurzarbeiterregelungen bis Dezember 2021 verlängert und ist die Schuldenbremse derzeit außer Kraft gesetzt.

Aber lassen wir uns nicht einlullen. Schon wagen sich BDI und CDU-Wirtschaftsrat aus der Deckung und fordern die Anhebung des Rentenalters auf 70 Jahre sowie weitere Kürzungen bei der sozialen Absicherung. Solche Forderungen könnten nach der Bundestagswahl rasch in das Regierungsprogramm einfließen. DGB-Gewerkschaften und LINKE müssen sich jetzt offen dagegen positionieren, aufklären und mobil machen. Die anstehende Metall-Tarifrunde wäre dafür die richtige Plattform.

Die SPD wird behaupten: Mit uns in der Regierung werden all diese Schweinereien nicht passieren. Unsere Gewerkschaftsapparate sollten sich aber die Idee aus dem Kopf schlagen, dass sie mit Lobbyarbeit bei SPD und Grünen das Schlimmste verhindern können. Vergessen wir nicht, dass die größten Angriffe auf Sozialstaat, Lebensstandard und Lebensqualität in den letzten Jahrzehnten zuerst von der FDP und neoliberalen Thinktanks formuliert und danach von der „rot-grünen“ Koalition 1998-2005 sowie der GroKo 2005-2009 umgesetzt wurden: Riester-Rente, Hartz-Gesetze, Fallpauschalen im Gesundheitswesen, Rente 67.

Die LINKE ist die einzige Bundestagspartei, die nach eigenem Bekunden keine Spenden von Konzernen und Lobbyisten annimmt. Sie darf sich aber nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen und muss jetzt endlich „aus dem Quark kommen“ und mit einem sozialistischen Programm Farbe bekennen und in die Offensive gehen.

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