Kategorie: Deutschland

Identitätspolitik spaltet: Auch bei „Deutsche Wohnung & Co. enteignen“

Es ist nur noch eine Woche bis zur Abstimmung über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Derweil erschüttert die Anschuldigung gegen Michael Prütz, sich des sexuellen Übergriffs schuldig gemacht zu haben, die Bewegung. Die bürgerliche Presse nutzt das Ereignis, um die Bewegung kurz vor der Zielgeraden zu diskreditieren.

Bild: der funke


Der Koordinierungskreis der DWE-Initiative verhindert eine Aufklärung und macht sich zum Handlager der bürgerlichen Gegenkampagne. Zum aktuellen Informationsstand ist es nicht möglich zu sagen, ob die Beschuldigungen gegen den 69-jahrigen Mitinitiator und Sprecher der Bewegung wahr sind. Michael Prütz ist seit 53 Jahren in Berlin politisch aktiv und ist das prominente Gesicht von „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. In den letzten 2,5 Jahren hat er auf etwa 250 Kundgebungen und Meetings sowie im Fernsehen und Radio für die Kampagne gesprochen und ihre Forderungen vertreten.

Die Entwicklungen innerhalb DWE seit Bekanntwerden der Beschuldigung und der Umgang durch den Koordinierungskreis zeigen, dass sie nicht in der Lage ist, den Vorfall aufzuklären. Mit ihrem Bestehen auf das Konzept Definitionsmacht (Defma), bringen sie das vermeintliche Opfer in Gefahr, der Unglaubwürdigkeit und sogar des bewussten Verleumdungsversuchs bezichtigt zu werden. Gleichzeitig zeichnet sich eine Spaltung in der Bewegung kurz vor dem entscheidenden Kampagnenziel ab. Und schließlich, sollten sich die Vorwürfe gegen Michael Prütz, als falsch erweisen, könnte sein Ruf unwiderruflich zerstört werden. Es ist notwendig eine Spaltung der Bewegung zu verhindern und gleichzeitig eine vollständige Aufklärung des Vorwurfs gegen Michael Prütz zu organisieren.

Was ist bisher bekannt?

Am 24. Juni wurde öffentlich, dass Michael Prütz des sexuellen Übergriffs beschuldigt wird. Dies soll während einer Kundgebung am 21. Juni an der am Rosa-Luxemburg-Platz, bei der DIE LINKE 30.000 gesammelte Unterschriften an die DWE Kampagne übergab, geschehen sein. An dieser Veranstaltung haben nach Angaben des Tagesspielgel (31.08.2021) bis zu 30 Personen teilgenommen. Der Vorwurf lautet, dass Michael Prütz die Hand einer Aktivistin der Kampagne an seinen erigierten Penis geführt haben soll.

Nach demselben Artikel habe sich die mutmaßliche Betroffene, einige Tage nach der Veranstaltung an den Koordinierungskreis der Initiative gerichtet. Sie soll zudem nach Angaben des Tagesspiegel, gegenüber dem Koordinierungskreis geäußert haben, eine Strafanzeige gegen Michael Prütz zu stellen. Zum Erscheinen des genannten Artikels sei keine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft vorgelegen. Claudia Krieg zitiert am 03.09. im neuen Deutschland die Erklärung des DWE-Presseteams gegenüber dem „nd“, wonach „ein sexueller Übergriff zur Anzeige gebracht“ worden sei.

Michael Prütz kommentiert die Anschuldigung als „glatte Lüge und frei erfunden“. Zudem sei ihm vom Koordinierungskreis in einem Gespräch nahegelegt worden, sich aus der Arbeit in der Kampagne zurückzuziehen und dies mit einem „Burnout“ zu begründen. Der Koordinierungskreis dementiert diese Aussagen, wie das „nd“ am 02.09. berichtete.

Mittlerweile sei das mutmaßliche Opfer nicht mehr in der Bewegung aktiv und auch für Äußerungen gegenüber der Presse nicht zu erreichen. Der Tagesspiegel beruft sich zudem auf Äußerungen „aus dem Umfeld der Initiative“ und „einzelne Linken-Politiker“, wonach „die von der Aktivistin gemachten Schilderungen womöglich nicht korrekt seien, weil Prütz und die Frau damals zu keinem Zeitpunkt allein gewesen seien.“ Auf Telepolis heißt es: „Zeugen für den behaupteten Übergriff gibt es nicht, vielmehr gibt es Aussagen von Veranstaltungsteilnehmern, die massive Zweifel an der Schilderung nahelegen.“

Ein Verfahren mit vorgefasster Entscheidung

Aus dem „nd“-Artikel vom 01.09. geht hervor, dass der Koordinierungskreis ein Verfahren vorgeschlagen hat, „bei dem beide Parteien, sowohl die betroffene als auch die beschuldigte Person eingebunden werden sollten, wenn sie das möchten“. Dabei stützt sich dieses Verfahren auf das Definitionsmacht Konzept, das insbesondere in radikalfeministischen und anderen Identitätspolitisch ausgerichteten linken Gruppen zur Anwendung kommt.

Dabei wird einer Frau, die vermeintlich Opfer einer sexistischen/sexuellen Grenzüberschreitung geworden ist, uneingeschränkt geglaubt. Der Beschuldigte braucht nicht gehört zu werden, um die Vorwürfe aufzuklären. Es braucht keine Beweise die Schuld dingfestzumachen. Je nach dem wie das Konzept ausgestaltet wird, kann das vermeintliche Opfer auch über die Konsequenzen entscheiden, denen sich der Beschuldigte beugen muss. Es wird vorgegeben, dass so ein Verfahren dem „Opferschutz“ dienen würde.

Für die beschuldigte Person gibt es keinerlei Möglichkeit die eigene Unschuld zu beweisen. Nach dem bürgerlichen Recht müsste die beschuldigte Person dies nicht erbringen. Im Gegenteil müsste der Vorwurf belegt werden. So fällt Defma selbst hinter die beschränkten Möglichkeiten und Verfahrensweisen des bürgerlichen Rechts zurück. Das bürgerlich demokratische Prinzip der „Unschuldsvermutung“ wird vollständig abgelehnt und sogar als „Täterschutz“ ausgelegt. Defma öffnet die Türen für Willkürjustiz.

Mit Defma wird nichts aufgeklärt, alles wird dem Kollektiv entzogen und Probleme werden individualisiert. Auch dem Opferschutz dient es nicht, wie von den Befürwortern des Konzepts behauptet wird. Was als vermeintlicher Opferschutz gepriesen wird, ist in Wirklichkeit eine Falle für tatsächliche Opfer sexueller Übergriffe. Wenn Vorwürfe keines Beweises bedürfen, dann steht das vermeintliche Opfer immer unter dem Verdacht, falsche Vorwürfe gemacht zu haben. Die Glaubwürdigkeit wird in Wirklichkeit beschädigt.

Für Bewegungen und Organisationen wird Defma stets die Gefahr von Spaltungen bergen, da nie ausgeschlossen werden kann, dass Beschuldigungen zum Zweck des Rufmords und zur Durchsetzung von Interessen von Einzelpersonen und Gruppen zum Einsatz kommt. Zudem wird dem bürgerlichen Staat generell die Möglichkeit gegeben, bestimmte Personen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft zu benützen, um linke Initiativen und Organisationen gegeneinander aufzubringen und Organisationen zu spalten. Genau dieses Spaltungspotential entfaltet sich gegenwärtig in der DWE-Bewegung. Michael Prütz sagte uns gegenüber, dass die „sehr breit aufgestellte Kampagne (1500-2000 Aktive) ist faktisch gespalten und die gute Stimmung ist dahin.“ Vor allem Ältere seien enttäuscht und viele hätten sich zurückgezogen.

Michael Prütz lehnt dieses Verfahren ab. Sein Vorschlag und der seiner Unterstützer „war auf der Grundlage beiderseitiger Unschuldsvermutung eine Untersuchung einzuleiten und ein Mediationsverfahren zu starten.“ Der Vorwurf sollte mit der Kampagnenleitung und der Aktivistin in einem von neutralen Dritten moderierten Gespräch geklärt wird. Dies wurde von einer Mehrheit im Plenum der DWE-Kampagne abgelehnt. Schließlich hat Michael Prütz „mit juristischen Schritten reagiert, z.B. mit einer Klage wegen Verleumdung“, wie er uns im Interview berichtete.

Politische Differenzen identitätspolitisch verpackt

Nach Michael Prütz stehen „hinter dieser Verfahrensweise die Interventionistische Linke und ihre Unterstützer“. Auch andere Artikel in der Presse berichten das. Ein längerer Artikel auf Nachdenkseiten von Rainer Balcerowiak stellt das Geschehnis in den Kontext politischer Differenzen zwischen der Interventionistischen Linken und dem Unterstützerkreis um Michael Prütz. Im Zentrum seien öffentliche Auftritte des Beschuldigten gestanden. Jedoch ging es nicht um seine politischen Positionen, sondern seine Person: „alter, weißer cis-Mann“. So kommentiert es auch die Aktivistin der DWE-Kampagne Kathrin Niedermoser im „nd“.

Keine Zugeständnisse an Identitätspolitik

Zu den Auseinandersetzungen müssen wir grundsätzlich Stellung beziehen. Dabei geht es nicht darum sich auf irgendeine Seite zu schlagen. Es geht darum das identitätspolitische Konzept Definitionsmacht kritisch zu hinterfragen und gleichzeitig an bürgerlich demokratischen Prinzipien wie der „Unschuldsvermutung“ festzuhalten.

In unserem Artikel „Definitionsmacht hilft nicht gegen Sexismus“ schreiben wir dazu: „Sexualisierte Gewalt, Übergriffe und jede Art von sexistischem Verhalten sind Ausdruck des kapitalistischen Herrschaftssystems, das sich auch auf Frauenunterdrückung stützt. Auch das Rechtssystem handelt nicht objektiv, sondern nimmt eine unterstützende Rolle im System ein. Aufgrund der patriarchalischen und gesellschaftlichen Entwicklungsgeschichte ist das bürgerliche Rechtssystem nicht nur zum Nachteil der gesamten Arbeiterklasse, sondern besonders zum Nachteil der Frauen gestaltet.“

Definitionsmacht reiht „sich in die Individualisierungstendenz des Kapitalismus ein, dass Probleme nur Einzelne betreffen und darum individueller Umgang damit gefunden werden muss. Das Konzept übernimmt nicht die Aufgabe der Befreiung der Frauen oder ihren Schutz. Es nimmt einen Platz innerhalb der herrschenden Verhältnisse ein, ohne diese im Kern zu verändern. Es ist die simple und verschärfte Umkehr des herrschenden (Rechts-)Verhältnisses, ist eine Richtungsänderung des Angriffs, welches das Oppositionsdenken zwischen Geschlechtern nicht auflöst. Alle Akteure sind als potenzielle Opfer und Täter im bestehenden Geschlechterverhältnis und dessen Hierarchien definiert. Der Defma-Ansatz ist eine Flucht vor den verallgemeinerbaren Widersprüchen und Bedingungen, welche Übergriffe hervorbringen und begünstigen. So stellt man sich der Herausforderung, individuelle Situationen zu verallgemeinern und als Symptom eines größeren Problems zu verstehen und zu bewältigen erst gar nicht. Defma geht implizit davon aus, dass unter den bestehenden Bedingungen keine kollektiven und gesellschaftlich relevanten Lösungen gefunden werden können.“

„Selbstverständlich kann das Konzept der Definitionsmacht auch missbräuchlich verwendet werden. Es gibt sowohl die Möglichkeit einer Fehlbeschuldigung eines Täters als auch die Möglichkeit eines ungeahndeten Übergriffs auf eine Betroffene. Denn das Konzept Defma sieht auf der einen Seite vor, dass die Meldung eines Übergriffs nicht hinterfragt werden darf, auf der anderen Seite unterbindet es ein Intervenieren von „nicht-betroffenen“ Beteiligten bei sexistischem Verhalten und Übergriffen, solange eine Betroffene die Handlung nicht als Übergriff oder sexistisches Verhalten wahrnimmt. Da Defma keine kollektive Wertung erlaubt, sind Antisexisten, die einschreiten wollen, die Hände gebunden sind.“

„Sexismus ist tief in unserer Gesellschaft verankert und ein objektivierbares Problem für die Einheit der Arbeiterklasse. Es ist daher die Aufgabe jeder Organisation, die sich gegen diesen Sexismus stellen will, ihre Mitglieder im Erkennen von Sexismus zu schulen und aktiv an einer Kultur des Aufzeigens und Einschreitens zu arbeiten. Die Grundbedingung, um gemeinschaftlich leben zu können und dennoch individuelle Grenzen zu berücksichtigen ist die Kommunikation, die Transparenz. Unsere Moral, Umgangsregeln, entstehen aus der gemeinschaftlichen Kommunikation und Interaktion. Wenn eine subjektive Grenze überschritten wird, muss das respektiert und untersucht werden, um mit unsolidarischem Verhalten rückwirkend aber auch zukünftig korrekt umzugehen. Die Entscheidung über disziplinäre sowie präventive Maßnahmen muss dennoch kollektiv und demokratisch passieren, um Probleme nicht zu individualisieren und sicherzustellen, dass unser Verständnis für Übergriffe geschärft wird. Psychische und physische Verletzungen zu verhindern ist ein sehr individueller Akt und dennoch muss ein Kollektiv dafür die Verantwortung tragen. Sozialisiert in einer kapitalistischen Umwelt, ist die Entwicklung von Einfühlungsvermögen für die Grenzen anderer Menschen etwas, woran wir aktiv arbeiten müssen. Es geht um den bestmöglichen Umgang mit den Betroffenen, mit dem individuellen Einzelfall und um den gemeinschaftlichen Kampf von Frauen und Männern gegen Sexismus und das patriarchale Unterdrückungsformen.“

„Die Befreiung der Frau ist kein individueller Kampf, sondern ein kollektiver. Sich nicht mehr als Teil eines Kollektivs zu verstehen, sondern als Einzelkämpfer mit Gefühlen und Bedürfnissen, die ohnehin niemand nachempfinden kann, wodurch man sich mit niemandem wirklich verbunden, verpflichtet fühlen kann, spiegelt die Individualisierungstendenz des Kapitalismus wider. Die Verantwortung liegt nicht bei einzelnen Frauen oder Frauen im Allgemeinen, sondern in der Gesamtheit der Klasse.“

Den Kampf nicht aufgeben

Kurz vor der Zielgeraden darf die Bewegung nicht wegen unbewiesener Behauptungen gespalten werden, das gefährdet den Erfolg des Volksentscheids. Zumal der Kampf für die Enteignung von großen Immobilienkonzernen nach dem Volksentscheid noch nicht vorbei ist. Außer der LINKEN stellen sich alle Parteien gegen die Initiative und der Volksentscheid hat keine bindende Wirkung. Soll die Initiative nach dem Volksentscheid Erfolg haben, muss der Kampf weitergehen. Deshalb muss die Kampagne weiterhin mit voller Kraft unterstütz werden.

Damit die Anschuldigungen gegen Michael Prütz aufgeklärt werden, muss es im Rahmen der DWE-Bewegung ein Verfahren geben, das von der beidseitigen Unschuldsvermutung ausgeht, Beweise zusammenträgt und auf dieser Grundlage urteilt. Verfahren mit vorgefasstem Ausgang können keine Aufklärung bringen.

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