Kategorie: Deutschland

Antikriegstag 2008 - In Stellung gebracht: Friedensmacht Deutschland

Deutschland ist Friedensmacht. Es baut Brücken, bohrt Brunnen, hilft angeblich weniger entwickelten Völkern dabei Polizei, Militär und andere Friedenskräfte zu schaffen. Es beteiligt sich nicht an den schlimmen Beutezügen des US-Imperialismus und zieht in fernen Ländern Schulen hoch. Deutschland ist ein netter Akteur auf der internationalen Bühne. Im Kaukasus sind wir die selbstlosen, jesusgleichen Verhandler. Im Gegensatz zu den USA. So ist das halt, Punkt. Ende der Debatte. Schaut man genauer hin, tun sich Abgründe auf. Ein wahrer Abgrund an Menschheitsverrat, zynisch vollzogen unter der Fahne des Friedens und der Menschenrechte.



Kosovo

Ein Land in dem „wir den Frieden sichern“, ist das Kosovo. Jedenfalls wäre das gerne ein Land. Und weil „die“ Kosovo-Albaner im letzten Balkankrieg Gegner „der“ Serben waren, findet die deutsche Politik das auch gut so. Schließlich bombardierten auch wir die Serben. Ohne UNO-Mandat. Wozu braucht man so was auch wenn es darum geht: „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, Menschenrechte und regionale Stabilität. Nur wenn die USA ohne UNO-Mandat für so was bomben ist das schlimm. Wir meinen’s ja nur gut. Das alles ist deutschen PolitikerInnen wichtiger, als der Schutz der Bürgerrechte im eigenen Land, nur so z.B. etwa bei Militäreinsätzen gegen Demonstrierende in Heiligendamm. Oder wenn die Bundesanwaltschaft von vorneherein haltlose Ermittlungen wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ gegen G-8-Gegner einleitet, Brandanschläge simulieren lässt und am Ende die herauskommt, dass das alles erstunken und erlogen war um Menschen fertig zu machen. Wo leben wir hier eigentlich? Für die sich außenpolitisch wieder jeder Not gleichschaltende Presse wichtig: Selbstlos sind „wir“! Kaum schreien Vertreter irgendeines Volkes auf gegen die wirkliche (bosnische Moslems Anfang der 1990er-Jahre) oder vermeintliche (Tibet heutzutage) Unterdrückung ihrer „Nation“ durch einen größeren Nachbarn, ist unsere immerwährende Konsens-Regierung da solidarisch mit und wenn es nur irgendwie geht, schickt sie geschwisterlich Truppen hinterher. Nur wenn „die Kurden“ auf dem Staatsgebiet des „NATO-Partners“ Türkei und nahe an der strategisch wichtigen Kaukasus-Region Stress machen, sind wir ausnahmsweise dagegen. Wenn dann irgendwelche kurdischen Terroristen auf die schrille Idee kommen, Deutsche Staatsbürger zu entführen, weil auch sie mal endlich etwas abhaben wollen vom „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ und dem „Engagement“ Deutschlands in dieser Sache, dann schreit die Spießbürgerpresse vom Schlage der „tageszeitung (taz)“ Alarm (taz vom 11.07.08, S. 1). Eine differenzierte Annäherung an die Problemlage findet nicht statt. Stattdessen bewegt nur eine Frage: Was erlauben die sich?!

Schon bei der Auflösung des jugoslawischen Staates Anfang der 1990er-Jahre waren „wir“ vorne dran mit der Anerkennung sich abspaltender Staaten. Mit dem Bürgerkrieg, der dann folgte, hatte Deutschland natürlich nichts zu tun. Denn Deutschland hilft den unterdrückten Massen. Wir haben halt aus unserer Vergangenheit gelernt, sind deshalb – erhaben jedes Zweifels – nett geworden: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Um es mir Professor Harald Müller, dem geschäftsführenden Direktor des Außenpolitik-Think-Tanks „Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung“ (HSFK) zu sagen: „Ich spreche ausdrücklich aus der Perspektive eines Nachkriegsdeutschen. Wir leiten unseren Stolz und unseren Patriotismus daraus ab, uns der Vergangenheit gestellt zu haben.“ (HSFK-Homepage, dort: Pressemitteilung vom 27.6.08). Basta. Derweil wird das Thema NS in den Schul-Lehrplänen des Bundeslandes Bayern gerade auf ein Minimum zurechtgestutzt. (1)

Klar hilft man Freunden. Also wurde Serbien ohne UNO-Mandat bombardiert und später im Kosovo beteiligte sich Deutschland aktiv an der „Absicherung des Friedens“ bzw. am systematischen Aufbau eines kosovarischen Staates. Da eine Staatsgewalt neben einem Staatsgebiet eben auch ein Staatsvolk braucht, gingen albanische Unabhängigkeitskämpfer entsprechend zur Sache. Während die „internationale Gemeinschaft“ enorme Geldmengen und bürokratische Stäbe ins Land leitete, um den Aufbau staatlicher Instanzen abzusichern und eine vom Westen abhängige Elite gut verdienender Leute inmitten gänzlich unbewältigter Armut zu schaffen, vertrieben kosovarische Nationalisten ihre serbischen Nachbarn aus dem Süden des Landes. Dieser liegt an den Grenzen des Staates Albanien - ein Schelm wer sich irgendwas Böses dabei denkt.

Bei einem mordbrennerischen Pogrom gegen die serbische Minderheit im Süden des Landes schauten „unsere Jungs“ vor ein paar Jahren einfach nur zu. Natürlich waren ihre Kräfte zu schwach, als dass sie das Mordgeschehen hätten verhindern können. Da wollen wir ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Schwamm drüber. Ihre Schwäche offenbarte nur wie stark die westliche Politik andere Kräfte inzwischen gemacht hatte. Man muss schon abschätzen können was man tut, wenn man dabei mithilft einen neuen Staat aus dem Nichts heraus zu schaffen. Vor ein paar Monaten schließlich griffen kosovarische Serben – die sich seit Jahren in den Norden des Landes geflüchtet hatten – jene westlichen Militärposten an, die das im Aufbau befindliche Staatsgebiet des Kosovo gegen die serbische Republik sicherten. Kurz ging das hier durch die Presse, ganz so als wäre die Sache schnell wieder bereinigt gewesen. War sie aber nicht. Seit diesen Tagen gibt es faktisch keine Grenze mehr zwischen dem nördlichen Kosovo und Serbien. Die westlichen Truppen trauen sich nicht mehr zurück.

Ende Juni 2008 schließlich erklärten gewählte Vertreter der Serben den Norden des Kosovo für faktisch autonom. Mit der „internationalen Gemeinschaft“ wollen sie nicht mehr zusammen arbeiten, weder allgemein-politisch, staatlich-institutionell noch konkret-sicherheitstechnisch. Anwesend bei der Verkündigung dieser voraussehbaren Neuigkeiten waren Vertreter nationalistischer Kreise aus Belgrad. Ein Schelm auch hier, wer sich Böses bei dieser Entwicklung denkt. Denn das deutsche Militär schützt die Menschenrechte, den Frieden und die Zivilisierung wilder Völkerschaften. Wegen Auschwitz, „aus dem wir gelernt haben“. Jede weitere Diskussion erledigt sich da gewissermaßen von selbst. Basta.

Im Spätsommer 2007 schrieb ich auf dieser Homepage: „So sieht er aus, der deutsche Frieden: Seit ein paar Wochen neigt auch die westliche Politik dazu, eine anhand ethnischer Grenzen verlaufende Aufteilung des Kosovo eventuell doch zuzulassen. Wäre es wirklich das Ziel der deutschen „Friedenstruppen“ gewesen, Kosovo als staatliche Einheit zu erhalten, so hätten sie die Vertreibung der Serben aus den südlichen Landesteilen nicht systematisch protegiert, sondern dieser immer klar einen Riegel vorgeschoben. Wer glaubt eigentlich, dass die vertriebenen Menschen sich dauerhaft mit diesem Zustand abfinden werden? Ganz egal was dabei herauskommt: Die deutsche Friedenspolitik auf dem Balkan hat den Grundstein für neue Bürgerkriege bereits gelegt.“ (aus Funke-Onlineartikel „Die Lunte brennt“, vom 04.09.07). Am 26.07.08 vermeldeten die Presseagenturen, dass die internationale Verwaltung des „Kosovo“ zugibt, die Kontrolle sowohl über den südlichen als auch über den nördlichen Landesteil inzwischen verloren zu haben. Und für diesen Bärendienst an den Menschenrechten und an der regionalen Stabilität setzt sich die deutsche Politik auch noch die Krone einer Friedensmacht auf! Schöner Regierungs-Frieden!

Für seinen Rücktritt als Bundesminister im Jahre 1992, weil er fand, die deutsche Regierung tue zu wenig im Jugoslawien-Konflikt, bekam Christian Schwarz-Schilling 2007 von der HSFK und den mit ihr gut bekannten hessischen Eliten den Hessischen Friedenspreis verliehen. Die wahren Friedens-Helden waren damals alle jene Menschen, die sich auf allen Seiten der Fronten im Alltag gegen das Morden stellten. Und auch jene Menschen, die sich dem Druck einseitiger Konfliktdarstellungen seitens westlicher Regierungen und der hiesigen Mainstream-Presse entzogen und auch hierzulande Gegenöffentlichkeit schufen. Wie wichtig dieses war, zeigt sich gerade dieser Tage. Der Konflikt um Südossetien (s.u.) offenbart eben auch das innerimperialistische Konfliktpotenzial, dass die seit nun über 15 Jahren betriebene Absicherung des westlichen Einflusses gegen die Ansprüche Russlands auf dem Balkan in sich birgt. Das russische Vorgehen im Kaukasus erfolgt nicht zufällig kurz nach der Milliarden-Finanzhilfe der EU an „Kosovo“ (s.u.). Selbst wenn man ernsthaft davon ausgehen könnte, dass Kerneuropa – anders als die USA – mit seinen Interventionen in fremden Ländern das aufrechte Ziel verfolgen würde, für Frieden, Stabilität, Menschenrechte und Demokratie zu sorgen, so müsste der wertfreie wissenschaftliche Blick auf die Konkurrenz-Dynamik des real existierenden kapitalistischen Weltsystems u.a. auch zu der Einsicht führen, dass dieses (normative) Konzept letztlich nicht aufgehen kann. Gut gemeinte, die Reflexion ihrer selbst jedoch bewusst vermeidende Theorie (und handelte es sich dabei um selbsternannte „Diskurs“-Theorie) in einer Welt brutalen Übels verkehrt sich in ein Un-Ding; in das gerade Gegenteil ihrer sicherlich sehr ehrenwerten Anfangs-Intuitionen. „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ (Horkheimer, Adorno). Reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein.

Und genau deshalb gehört den oben genannten Personengruppen alle Ehre, ihr Beispiel wäre es wert, mit Friedenspreisen überhäuft zu werden. Warum preist man dem entgegen Politiker aus? Was hat der Schwarz-Schilling denn wirklich Großes riskiert mit seinem Schritt? 2005 bekam den Hessischen Friedenspreis übrigens ein Gottkönig: „Seine Heiligkeit der XIV. Dalai Lama“. Ich habe vernommen, dieser Herr über mittelalterliche Ordensbrüder ist ein guter Freund des amtierenden Hessischen Ministerpräsidenten. Letztes Jahr beschwor „Seine Heiligkeit“, zusammen mit der deutschen Politik (und insbesondere auch mit Herrn Koch, der in Tibet weilte, während „Seine Heiligkeit“ im Bundeskanzleramt empfangen wurde), eine politische Krise zwischen Deutschland und China herauf. Etwas später mord-brannten tibetische Mönche Häuser ihrer chinesischen Nachbarn. Das ist Fakt. Seltsame Art der Friedenspolitik. Wo bleibt die Selbstkritik der Preisverleiher? Merkwürdiger Friedenspreis.

Als Belohnung für die Ausrufung als „selbständiger Staat“ im Februar 2008 erhielt das südlich gelegene, ethnisch inzwischen ziemlich reine Rumpf-Staatsgebiet „Kosovo“ am 11.07.08 von der Europäischen Union (und befreundeten Staaten) eine Spende von 1,2 Milliarden Euro für den weiteren Aufbau des Landes zugesagt. Das ist nicht wirklich viel Geld, aber „Kosovo“ (welcher Teil?) ist ja auch kein wirklich großer Staat geworden (und es wird mittelfristig nur eine Übergangslösung für irgendetwas – was auch immer – ganz anderes sein). … „all we are saying … is give Peace a Chance“ …

Nord-Afghanistan

Ganz besonders dort „sind wir Friedensmacht“: Brunnen, Schulen, pipapo. Nicht so wie die bösen Amis, die im Südosten schlimme Sachen machen. Töten und so. Machen wir nicht. Auch in Zukunft nicht. Obwohl wir Anfang Juli 2008 das Kommando über eine „Schnelle Eingreiftruppe“ (QRF) mit definitivem Kampfauftrag, auch über den Norden des Landes hinaus, übernommen haben. Die Bundeswehr-Kerle reden im Fernsehen zwar schon mal anders daher. Who cares? Schon im Vorfeld hat das keinen aufgeregt. Nur die Bundestagesfraktion der LINKEN hatte im Frühjahr parlamentarisch verantwortungsvoll auf dieses jüngste Militär-Manöver reagiert. Doch eine gesellschaftsweite, öffentliche Debatte über die offensive Ausweitung des „militärischen Engagements“ Deutschlands in Afghanistan blieb aus. Noch wichtiger als das QRF-Kommando an sich dürfte für die Mächtigen das Signal gewesen sein, dass man inzwischen sogar echte Kampfeinsätze der Bundeswehr an jeder öffentlichen Diskussion vorbei durchwinken kann. Demokratische Öffentlichkeit? Diskurs?: „Dran, drauf, drüber!“ - Die Friedensmacht Deutschland robbt sich tüchtig in Stellung.

Warum eigentlich übernimmt Deutschland gerade jetzt in Nord-Afghanistan auch noch das Kommando für’s militärisch Grobe? Eigentlich passt das doch gar nicht zum Saubermann-Profil der Bundeswehr. Gut, die KSK-Spezialeinheiten haben vor Jahren auch kurz mal den Amis beim Groben geholfen. Aber das konnte man vor der breiten Öffentlichkeit letztlich vergessen machen. Was wirklich geschah, kam eh nie ans Licht. Nur wir Querulanten erinnern uns noch an das was durchgesickert ist. Vielleicht erinnert man sich im deutschen „Verteidigungsministerium“ ja auch noch an dieses Husarenstück und hofft auf einen ähnlich unspektakulären Verlauf dieser zweiten echt-kriegerischen Einmischung am Hindukusch.

Doch die eigentliche Antwort auf die soeben gestellte Frage lautet: Gerade weil wir in den letzten Jahren in Nord-Afghanistan Brücken bauten, Straßen aufschütteten, Brunnen bohrten, Schulen hochzogen und Polizisten trainierten, muss Deutschland in dieser Region nun bereit für’s militärisch Grobe sein. Die Dinge liegen immer konkret. Und insbesondere der Teufel liegt im Detail. Welche Teufelei liegt in Nord-Afghanistan vor? Was haben „wir“ damit zu tun? Nichts? Pustekuchen.
Nach dem Sieg der Wild-West-Gangster über die Taliban-Mafia wurden in Afghanistan alte Rechnungen beglichen. Hatten die regierenden Taliban über Jahre hinweg gezielt ihre Leute aus paschtunischen Familien mit Macht, Privilegien, Lebensperspektiven und Land für den Drogenanbau versorgt, so kehrten sich diese Ausbeutungs-Verhältnisse in vielen Landesteilen nun um. So z.B. in Nord-Afghanistan. Tadschikische Familien-Gangs überfielen ihre paschtunischen Nachbarn, raubten ihnen Land und Ehre, setzten sie der Kälte und dem Hunger aus. In einer unterentwickelten Ökonomie laufen die Ausbeutungs-Verhältnisse halt schon einmal sehr unverschleiert ab. Nichts anderes als diese Umkehrung des Ausbeutungsverhältnisses sicherte die ISAF-Mission im Norden Afghanistans lange Zeit ab. Umso mehr man ins teuflische Detail geht, umso bedrückender stellt sich die Situation dar:
„50.000 Schafe hätten sie früher besessen, erklären paschtunische Stammes-Führer in Nordafghanistan. Dann seien die Tadschiken und die Nordallianz gekommen und nichts sei ihnen mehr geblieben. Erst als Verwandte aus dem kriegerischen Süden Maschinengewehre und Mörser gebracht haben, sei für sie alles besser geworden. Unter Anleitung der paschtunischen Verwandten haben sie zuerst ihre Tiere und dann ihren Siedlungsraum zurückerobert. Die kriegerischen Verwandten hätten nicht locker gelassen und sogar zur Offensive gedrängt. Dann raubten sie den Tadschiken Vieh, das ihnen nie gehörte. Jetzt fühlen sie sich den Verwandten aus dem Süden gegenüber zu Dank verpflichtet. Dass die Verwandten Taliban sind - interessiert die Paschtunen nicht.“ (www.heute.de, dort Artikel: Wer für die Taliban ist, muss nicht frieren vom 09.02.08)

Wem haben „wir“ Brunnen gebaut? Wem Schulen hochgezogen? Wem eine Polizei trainiert, diese mit Waffen und Know-How ausgerüstet? Über Jahre hinweg kam das „zivile Engagement“ Deutschlands denjenigen zugute, die in Nord-Afghanistan als Sieger aus der Neuverteilung von Land, Macht und Lebensperspektiven hervorgingen. Ihnen bauten wir einen Rumpf-Staat. Die Verlierer waren zu Elend, Erfrierungen und Hunger verdammt. Die von der selbsternannten Friedensmacht Deutschland in Nord-Afghanistan durchgezogene Teufelei ist nun an ihre Grenzen gekommen. Denn die ausgeraubten, verarmten und perspektivlosen Paschtunen des Nordens haben reiche Verwandte im Süden des Landes und auch in Pakistan. Mit jedem Militärschlag der „westlichen Wertegemeinschaft“ wurden und werden diese nur stärker. Mit Drogenanbau verdient sich die mafiöse gesellschaftliche Elite des paschtunischen Volkes – genannt Taliban – eine goldene Nase und verfügt mit Teilen des pakistanischen Schatten-Staates – der zudem nicht unerhebliche US-Gelder für den Kampf gegen den Terror tatsächlich für die Aufrechterhaltung Al-Kaidas bzw. der Taliban abzweigt - sogar über eine wichtige, heimliche Schutzmacht. Das ist seit langem allen, die es wissen wollen, bekannt. Es war also keine Neuigkeit, was Herr Steinmeier während seiner Afghanistan-Reise im Juli 2008 in Randbemerkungen über „die“ Rolle „Pakistans“ in diesem Konfliktgeschehen von sich gab. Allerdings ist auch nicht zu erwarten, dass Leute wie der deutsche Außenminister neue Wahrheiten verkünden. Eher dürfte es um die Ermutigung der West-geneigten Teile des pakistanischen Staatsapparates gegangen sein. Anfang August 2008 – zwei Wochen nach Steinmeiers Visite und Bemerkungen - begann eine breit angelegte Offensive der pakistanischen Armee im nordwestlichen Grenzgebiet zu Afghanistan.

Als die Taliban sich wieder stark genug dazu fühlten auch außerhalb ihres Territoriums im Süden Politik treiben zu können, setzten sie natürlich auch auf die verarmten paschtunischen Massen des Nordens. Es gelang ihnen, Teile des geraubten Landes und damit der geraubten Lebensperspektiven mit brutaler Gewalt wieder in paschtunische Hände zu bekommen. Hierdurch entstanden neue Loyalitäten in der paschtunischen Bevölkerung des Nordens den Taliban-Gangstern gegenüber. Wie sollte es auch anders sein?

Die „heute“-Online-Redaktion berichtet folgendes: „Längst beherrschen die Taliban ganze Landesteile von Afghanistan. Vor allem im Süden und Osten. Viele Soldaten der Internationalen Schutztruppe haben sich mit der Tatsache längst abgefunden, dass die Taliban militärisch nicht zu besiegen sind. Und die Taliban drängen massiv in bisher ruhige Bereiche. Auch in den Norden, in das Gebiet der Bundeswehr. Dort haben, zumindest in den Siedlungsgebieten der Paschtunen, oftmals Taliban das Sagen. Sie erkaufen sich das Wohlwollen ihrer paschtunischen Verwandten mit Hilfslieferungen aller Art. Später fordern sie Solidarität – wo nötig mit brutaler Gewalt. Ihre Vorbereitungen für einen Guerilla-Krieg in Nordafghanistan sind weitgehend abgeschlossen.“ (ebenda)
Dem entsprechend „durchwachsen“ sah die Bilanz von Bundesaußenminister Steinmeier nach seiner Afghanistan-Reise (nach Herat und Masa-e-Sharif) Ende Juli 2008 aus. Diese diplomatische Formulierung, verbunden mit einer deutlichen Kritik an der offenen Grenze nach Pakistan und an pro-Taliban-geneigten Sektoren des pakistanischen Staates, deutet das wahre Fiasko an, das sich dem nüchternen Betrachter der Szenerie tatsächlich darbietet. Kurz nach Steinmeiers Gute-Laune-Mach-Besuch in Nordafghanistan erklären internationale Hilfsorganisationen, dass die Gewaltspirale in dem Land inzwischen (Anfang August 2008) wieder auf dem Kriegsniveau von 2001 angelangt ist. Laut Rettungskräften (FR v. 22.08.08) sind infolge des eskalierenden Kriegs-Geschehens seit Anfang des laufenden Jahres 2500 Menschen, davon rund 1000 Zivilisten ums Leben gekommen. Da hat wohl kurz vorher jemand zynisch auf Gute-Laune gemacht, um die im Herbst anstehende Verlängerung des Bundeswehrmandats durch den Deutschen Bundestag und die Stimmung an der Heimatfront im Interesse langfristig angelegter, zynischer deutscher Außenpolitik positiv zu beeinflussen.

Und eben genau deswegen übernimmt Deutschland exakt jetzt das Kommando über die „schnelle Eingreiftruppe“ in Nord-Afghanistan. Die angebliche Friedensmacht Deutschland steht vor den Trümmern ihrer Politik und droht in den Abgrund ihrer eigenen, zynischen Kriegstreiberei zu stürzen. Diese Politik konnte Nord-Afghanistan eben nur so lange befrieden, wie das von ihr mit „zivilem Engagement“ aufgepäppelte Gewaltregime tadschikischer Mafiosi noch nicht die Macht der wieder erstarkenden Taliban-Mafiosi zu fürchten hatte. Doch die Zeiten haben sich geändert. Nun beginnt für Deutschland die Zeit nach all der Nettigkeit. Nun übernimmt Deutschland folgerichtig ein Kampfkommando. Es mag sein, dass sich die Scharmützel vorerst in Grenzen halten werden. Denn der Machtkampf zwischen paschtunischen und tadschikischen Mafiosi ist in der Region keineswegs endgültig entschieden. Die Taliban konzentrieren ihre Kräfte daher evtl. weiter auf den blutigen Aufbau weiterer Loyalitäten in der Bevölkerung, als auf Anschläge gegen ausländische Truppen. Allerdings sprechen zwei größere Anschläge gegen „deutsche Helfer“ unmittelbar nach der Übernahme des Kampfkommandos (Stand: 6.6.08), ein größerer Anschlag gegen die Bundeswehr am 6.8.08 und die Entführung eines deutschen Staatsbürgers gegen Anfang August 2008 gegen dieses Szenario. Jedenfalls werden sich „unsere Jungs“ davor hüten, in die laufenden Kämpfe zwischen paschtunischen und tadschikischen Mafiosi allzu offen einzugreifen. Sich zur Zielscheibe zu machen wäre auch gar zu dämlich für das Image der „Friedensmacht Deutschland“.

Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Am 29.08.08 erschoss die Bundeswehr zum ersten Mal Zivilisten in Afghanistan. Wer glaubt, dieses sein bewusst geschehen, der irrt. Es handelt sich um einen – im Militärjargon gesprochen – „bedauernswerten Kollateralschaden“. Solch ein Geschehnis beweist vielmehr die wachsende Nervosität deutscher Soldaten angesichts eines aus den o.g. Gründen immer gewalttätiger werdenden Einsatz-Umfeldes.
Ein Schelm übrigens, wer Parallelen zwischen den Entwicklungen im Kosovo und in Nord-Afghanistan sieht. Die offiziell-mediale Regierungs-Propaganda will uns glauben machen, dass die Parallele jene sei, dass „unsere Jungs“ in beiden Weltregionen einen sauguten Dienst an der Menschheit verrichten und das US-amerikanische Barbarentum wahnsinnig menschlich zügeln. Wäre es nicht eine dankbare Aufgabe für eine ernsthaft gemeinte Friedens- und Konfliktforschung, diesen Bann über der öffentlichen Wahrnehmung des Geschehens durch vergleichende Studien – „Vergleichende Kriegsführungswissenschaft“ - zu Bundeswehreinsätzen zu durchbrechen und damit solche für unsere Mächtigen hierzulande politisch unangenehme Wahrheiten ans Licht zu bringen?

Atomare Teilhabe

Als ich 13/14 war wollte ich „zum Bund“. Unbedingt. Damals in den 80ern. Von der Bundeswehr-Nachwuchszentrale ließ ich mir Poster zukommen. Große DIN-A-0-Plakate mit den Waffensystemen aller drei Waffengattungen darauf. Die hingen an der Dach-Schräge über meinem Bett. Dass die Pershing, die das Heer im Arsenal hatte, auch atomar bestückt werden könnte, war mir irgendwann klar. Dass die Amis uns die Atombomben im Fall des Falles bereitstellen würden, wusste ich auch. Eines meiner frühesten politischen Schlüsselerlebnisse bestand darin, dass sich mir eines Abends vor dem Einschlafen, beim Betrachten „unserer“ Waffensysteme, plötzlich die Frage stellte, wie es denn sein konnte, dass „die Bundesrepublik“, wie Deutschland damals hieß, als Nichtatomwaffenstaat galt. Irgendetwas passte da nicht zusammen. Was war mit den anderen Waffensystemen, z.B. mit dem tollen Tornado (schick!), den die Bundeswehr gerade in Dienst zu stellen begann? Was konnte der so alles mit sich tragen? So schlimm ich den „Kommunismus“ fand, so daneben fand ich erst recht Atomwaffen. Denn ich hatte inzwischen „The Day After“ gesehen und wusste also, dass man mit diesen Waffen in erster Linie sich selber schlägt. Was sollte das?! Mir wurde unheimlich, ich nahm die Poster von der Wand und bestellte das fesche Jugendmagazin der Bundeswehr, die „Infopost“, ab.

Umso erstaunter bin ich dieser Tage (Juni 2008), wenn nun einige Kommentatoren plötzlich – diskret – entdecken, dass gerade Deutschland in Hinsicht auf die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages (NPT [Non-Proliferation-Treatment]) ein heikler Fall ist und immer war (ausgehandelt ab 1968, ist der NPT 1970, mit Unterschrift des hochoffiziellen Nichtatomwaffenstaates BRD, in Kraft getreten). Mir fiel das schon mit 14 auf! Es ist wirklich beizeiten grandios zu sehen, wie wenig dieses Land von sich selbst weiß und wie hier dreist gelogen werden kann, ohne dass auch nur irgendein „kritischer Journalist“ oder einer unserer werten FriedensforscherInnen einmal auf die Idee kommen würde, eine Story bzw. eine Forschungsarbeit aus so einer offensichtlichen Lüge zu machen. In Amerika hätte da bestimmt längst ein Mensch einen viel gesehenen Film `draus gemacht. Schlimm sind bei „uns“ immer nur die anderen. Atomwaffen? Wir doch nicht! Wir sind nett geworden. Basta.

Dann war der Kalte Krieg vorbei. Die atomare Abrüstung kam zunächst auch voran. Das Thema kam, was Deutschland anging, endgültig aus dem Sinn. Schlimme Schurkenstaaten wie Nordkorea, Israel, Iran, Libyen, Indien, Pakistan, China oder Syrien (laut CIA auch der Irak) unterliefen die atomaren Abrüstungsbemühungen. So die offizielle Version. Natürlich auch die Scheiß-USA mit ihren Mini-Nukes und der – u.a. im Krieg gegen Serbien 1999 eingesetzten – Uranmunition. Aber wir doch nicht! Kalter Kaffee; Geschichten, die Papa aus dem Kalten Krieg erzählt. Die Friedensmacht Deutschland hat doch damit nach 1990 endgültig nichts mehr zu tun. Pustekuschen.

Und wie „wir“ damit zu tun haben. Sommer 2008: Die Regierung der USA „entdeckt“, dass es ein Sicherheitsdefizit bei der Lagerung ihrer Atomwaffen auf dem Fliegerhorst Büchel der deutschen Luftwaffe gibt. Irgendwo, so zeigen die im Fernsehen, ist ein Loch im Zaun gefährlich wegen der [ohne jeden leisesten Zweifel] Al-Kaida-Verbrecher, denn die sind total nass auf frei zugängliche, nur von den Amis selbst auslösbare Nuklearsprengkörper, insbesondere auf solche, die in Deutschland herumliegen. Das Zeug muss also möglichst bald weg aus „good OLD Germany“. Gewisse gründlichdeutsche „Antideutsche“ freuen sich: Yes, Bush fights German imperialism! In der Tat wehrt sich die deutsche Regierung mit Händen und Füßen. Zwar erklärt diese, dass sie es toll findet, dass es in Afrika und Südamerika atomwaffenfreie Zonen gibt, aber bei uns im Grundsatz immer nur noch netten „Deutschen“ – aus Auschwitz gelernt und so – ist das nicht (mehr) nötig. Wir sind ja nun eine echte Nation, eine Friedens-Nation sogar geworden und lassen uns doch von den brutalen Scheiß-Amis nicht die Butter vom Brot nehmen! Wo kämen wir denn da hin?! Auch „DIE GRÜNEN“ – ehemals Anti-NATO-Partei – halten still. Auch auf der Homepage der kongenialen „Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung“ – nichts, absolut nichts. Keine Initiative zur endgültigen nuklearen Abrüstung in Deutschland von irgendwem.

Die historische Chance für eine solche politische Initiative wäre gegeben gewesen, zumal doch für den 10. August 2008 die Errichtung einer dritten atomwaffenfreien Zone in Asien geplant war. Warum hat nicht die großherzige Friedensregierung der Mittelmacht Deutschland den Entwicklungsländern Asiens, die mit diesem Schritt (s. Neues Deutschland v. 11.08.08) gegenüber den Groß-, sowie gegenüber den neuen regionalen Mittelmächten deutlich machen wollen, dass sie keinesfalls zum neuen Aufmarschgebiet imperialer Weltordnungskriege – zu einem neuen Kaukasus – werden wollen, im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld ihrer Erklärung über eine dritte regionale atomwaffenfreie Zone ihre starke „Friedenshand“ gereicht? Warum kann nicht wenigstens eine HSFK, die doch die deutsche Außenpolitik im Kern ganz brauchbar findet für die Entfaltung des Weltfriedens im 21. Jahrhundert, öffentlich wissenschaftlich-argumentativen Druck zur rechten Zeit aufbauen? Pennen die oder wollen die nicht? Hätte doch nur eine Institution mit politischer Strahlkraft nur ein einziges Mal in ihrem Dasein zur rechten Zeit laut und vernehmlich gesprochen! Doch auf Seiten unserer „kritischen“ Freunde herrscht nur das Schweigen im Walde. Seltsam. Ich kann mir sogar sehr gut vorstellen, dass gewisse Friedensforscher die Möglichkeit des Mitredens der Mittelmacht Deutschland bei der ganzen Kiste als einen Akt der Zivilisation reflektieren werden. Denn schließlich kann die Mittelmacht Deutschland so ja gezielt im Interesse der Gesamtmenschheit gegen das böse unilateral handelnde US-Impire agieren. Schließlich soll am deutschen Friedens-Wesen einmal noch die Welt genesen. Großes Kino!

So ist es also weiterhin uns machtlosen Akteuren der „Zivilgesellschaft“ überlassen, den Bemühungen um atomare Abrüstung Nachdruck zu verleihen: „Vor dem Fliegerhorst des 33. Jagdbombergeschwaders in Büchel haben am Sonntag rund 50 Friedensaktivisten gegen die vermutete Lagerung von 20 amerikanischen Atombomben demonstriert. Sie forderten zum Auftakt der bundesweiten Kampagne ‚Unsere Zukunft – atomwaffenfrei’ den Abzug der Bomben und den Verzicht Deutschlands auf die sogenannte nukleare Teilhabe, wonach deutsche Tornado-Piloten im Ernstfall amerikanische Atomwaffen an Bord nehmen. Zu der Abschlussveranstaltung am 30. August erwarten die Veranstalter mehr als 1000 Teilnehmer aus ganz Deutschland.“ (jungeWelt v. 25.08.08)

Bei der nuklearen Teilhabe (an US-Waffen) geht es für Deutschland nicht um eine selbstständige Verfügbarkeit über diese Waffen. Der Befehl zu ihrer Zündung kann auch heutzutage nur von amerikanischer Seite aus erstattet werden. Warum also wehrt sich Deutschland dagegen, aus der nuklearen Teilhabe auszusteigen? Nationen, die in dieses Konzept eingebettet waren und sind, haben Mitsprache in den Nuklearplanungs-Stäben der NATO. Deutschland war so in der Vergangenheit immer an der Weiterentwicklung der NATO-Nuklear-Strategie beteiligt, auch als es Anfang der 1980er-Jahre zur Umstellung dieser Strategie auf eine Angriffsoption gegen den bürokratischen Block kam.

Solche Mitsprache gibt eine Regierung nicht auf. Zumal nicht in Zeiten, in denen sich gerade – nach 1989/92 – ein neuer Wettlauf um die besten Plätze an der Sonne entspannt. Das offensichtliche Ansinnen des US-Regierung, Deutschland aus der atomaren Teilnahme herauszudrängen, ist vor diesem Hintergrund als Teil der neuen US-Doktrin zu deuten, die Karten auf dem europäischen Kontinent im eigenen Interesse neu zu mischen. Die aufstrebende Mittelmacht Deutschland soll in ihren NATO-Befugnissen zurechtgestutzt werden. Während in Berlin Anfang Juli 2008 die neue US-Botschaft eröffnet wird und sich die Regierenden beider Nationen für die Öffentlichkeit in bester „Friendship“-Laune präsentieren, läuft hinter den Kulissen eben auch anderes ab.

Doch langsam. Harte Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und den USA stehen absolut nicht auf der Agenda. Wir wollen hier – wegen so einer Kleinigkeit!, nicht wahr? - keinen Unfug an die Wand malen. Die gemeinsamen Interessen überwiegen: Die US-Regierung liebt die deutsche Außenpolitik dafür, im Vergleich zu ihr selbst als insgesamt sehr ziviler Akteur dazustehen. Nicht umsonst hat Obama in Berlin geredet. Das ermöglicht es der US-Administration, bei allem Gemetzel weiterhin noch vom Hochhalten so genannter „westlicher Werte“ sprechen zu können. Wenn Herr Obama drüben dran kommen sollte, dann würde sich diese transatlantische Kriegsbrüder-Partnerschaft aller Wahrscheinlichkeit nach wenigstens vorerst sogar noch verstärken. Die BRD ihrerseits kann ihren Militarismus fein „multilateral“ so verkaufen, so dass die eigenen Abgründe im Vergleich zu denen der USA wie humanitäre Glanztaten erscheinen. Nicht umsonst ist Frau Dr. Merkel reserviert ob Herrn Obamas „Demokraten-Rede“ in Berlin. Schließlich soll nur Deutschland sagen können: „Unser Krieg ist Frieden“. In der Tat: Die deutsche und die US-Außenpolitik sind derzeit „Brothers in Arms“, und es droht zwischen beiden, trotz allem Schienenbein-Getretes, auf lange Zeit hin kein ernsthafter Konflikt.

Mittelmeer-Union

Der multilaterale EU-Imperialismus hat, nach dem Balkan, nun damit begonnen, seinen afrikanischen Hinterhof fester an sich zu binden. Wie üblich wird unter der Fahne des Friedens etc. agiert. Da dieses Projekt ja auch als Herausforderung des US-Imperialismus in Nahost (und im Übrigen auch des chinesischen Imperialismus [in Afrika]) verstanden werden muss, müssen „westliche Werte“ eben für’s Erste erstmal netter und unter Anwendung scheinbar konsensbasierter Verhaltensweisen seitens „des Westens“ verkauft werden. Wie sieht so etwas konkret aus? Man verträgt sich z.B. in der Migrationsfrage. Schließlich ist es ein unglaublicher Makel, dass die EU, die laut regierungsgeneigten Verlautbarungen per se die Menschenrechte auf der Welt verbreitet, täglich Flüchtlinge im Mittelmeer sterben und per FRONTEX-Grenzschutz jagen lässt. Also beschloss man, die afrikanischen „Bündnispartner“ hätten dafür zu sorgen, die Flüchtlingsbewegungen besser in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig wurde vereinbart, geregelte Migration (etwa im Bildungsbereich) zu fördern. Letzteres ist ja durchaus nicht schlecht. Doch an der Flüchtlingsmisere wird sich insofern nichts ändern, als die EU nicht bereit ist, ihre Armut erzeugende Außenwirtschaftspolitik in Bezug auf Afrika möglichst rasch zu ändern. (2) Statt dessen wird man dafür sorgen, die afrikanischen Großer-Bruder-Staaten mit Geld und Know-How auszustatten, so dass sie in der Lage sein werden, mehr und mehr Flüchtlinge aus dem Inneren Afrikas gar nicht erst mehr an die Mittelmeerküste gelangen zu lassen. So verlagert die EU das von ihr erzeugte Menschenrechtsproblem auf zynische Art und Weise, anstatt dessen Lösung auch nur ansatzweise anzugehen.

Doch es gab auch mehr oder weniger Positives zu vermelden. Als Abschluss eines auf so genannten „Konsens“ hin orientierten Kommunikationsprozesses (siehe auch Anmerkung 1) vereinbarten Syrien, Libanon und Israel, ihre Beziehungen zu normalisieren. Das Verhandlungs-Ergebnis ist gleichwohl immer noch brüchig und Bundesaußenminister Steinmeier verlangte dann auch sogleich resolut, nun bald Taten sehen zu wollen. Natürlich kann man dieses Verhandlungs-Ergebnis im Prinzip gut finden. Muss man aber nicht, betrachtet man die Angelegenheit aus der Perspektive der (reflexiven) Imperialismus-Analyse. (3) Die Integration Syriens isoliert die aufstrebende Regional-Mittelmacht Iran. In die Enge getriebene Staaten mit seltsamen Regierungen sind durchaus keineswegs ungefährlicher als solche mit schwachen Bündnispartnern. Wer auch immer hier verhandelt hat, hat diesen Umstand hoffentlich mitbedacht und wird bei der Implementierung weiterer Konsensrunden zu diesem Thema vorsichtig vorgehen. Am 21.08.08 bietet Syrien Russland (einen Tag nach einer ähnlichen Vereinbarung zwischen Russland und Weißrussland) die Aufstellung von Raketen aus Ausgleich für die Errichtung von Raketenabwehrsystemen in Ostmitteleuropa an. Israel findet das schlimm. Klar. Gelöst ist also weiterhin nichts. Tolle „Afrika-Union“! Tolle deutsche Rolle bei der Lösung des Nahost-Konflikts! Super-HSFK!

Die Tagesschau zeigt sich skeptisch hinsichtlich der angeblichen Friedens-Bemühungen Europas. Zu aufgesetzt und politisch dubios erscheint dem Autor des Kommentars „Hauptsache Weltfrieden“ (Tagesschau-Online vom 14.07.08) die Mittelmeer-Union. Doch selbst wenn solche Dinge ansatzweise kritisiert werden, hat man offensichtlich nicht den Mut, Deutschland, das maßgeblich hinter der gerade ausgehandelten „Union“ steht, für seinen machtpolitischen „Friedens“-Zynismus zu kritisieren. Missbrauch höchster Werte? Machen wir nicht. Der Kommentar beginnt folglich so: „Eine Nummer kleiner geht es fast nie in der französischen Politik – und schon gar nicht unter Präsident Sarkozy. Kein Projekt, das nicht den Weltfrieden sichert. So auch die Mittelmeerunion. Eine schöne Idee, die starke Gefühle verdient. Warum nur wollen sich diese Gefühle nicht einstellen?“ Könnte sich wenigstens ein einziges Mal ein deutscher Journalist darum bemühen, ähnliche Worte in Bezug auf die Außenpolitik der Regierung Merkel zu finden?! Sogar hinter der Kritik des machtpolitischen Zynismus unserer Tage lugt so noch die imperialistische Struktur der gegenwärtigen internationalen Beziehungen in Form einer argumentativen Verzerrung bzw. einer moralischen Schuldzuweisung an die Konkurrenz hervor.

Ernsthaft betriebene Friedens- und Konfliktforschung hätte hier einiges an Diskursanalyse zu leisten. Schade, dass es solche Forschung in Deutschland nicht mehr gibt. Stattdessen formuliert etwa die HSFK-Mitarbeiterin Deitelhoff lieber eine „Diskurstheorie internationalen Regierens“ (realpolitisch „anwendbar“ unter gegebenen weltpolitischen Bedingungen), verhandelt die HSFK mindestens im Vorfeld internationaler Verhandlungs-Spiele (s. Anmerkung 1) fleißig im deutschen Interesse mit (seltsam, dass ausgerechnet ein Darmstädter und ein Frankfurter Architekten-Büro als Ergebnis der Pariser Verhandlungen eine Mega-Moschee in Afrika hochziehen werden) und bauen HSFK und die Institute für Politikwissenschaft der Universitäten Darmstadt und Frankfurt/Main unter Leitung von Frau Deitelhoff einen „Exellenzcluster Herstellung normativer Ordnungen“ auf. Die normative Leitlinie hierbei ist Regierungs-„Frieden“ in Verbindung mit der Durchsetzung so genannter „westlicher Werte“ durch die EU: Thomas Hobbes, garniert mit brav reproduzierter Habermas-Semantik und vielen netten Worten über das Gute in der Welt. Im Derridaschen Sinne durchaus freundlich daher kommende Imperialisten-Theorie im Tarnmantel kritischer Wissenschaftlichkeit im vorgegaukelten Dienste höchster Menschheitsziele. Imperialismus mit dem aufgesetzten Schein eines menschlichen Antlitzes. Und während Deutschland mit Russland (25.08.08) – im Gegensatz zum „Rest des Westens“ (s.u.) - auf „Kommunikations-Tür-Offen-Halten“ macht (surprise, surprise!), sorgt der von Frau Merkel am 24.08.08 nachhaltig unterstützte Pipeline-Bau von Russland durch die Ostsee nach Deutschland für außenpolitische Verstimmungen mit den skandinavischen Ländern (taz v. 25.08.08). Kein „Diskurs“-Verfahren vermag die Konflikt-Logiken des kapitalistischen Weltsystems – wie es sich nach 1989/1992 auch immer gewandelt haben mag – zu durchbrechen. Die Lage wird sogar gefährlicher, je mehr gewisse Staaten und deren mehr und mehr distanzlos machtnah operierende akademische HelferInnen ihren Bevölkerungen und der Menschheit vorzugaukeln versuchen, das eigene Land arbeite bevorzugt für den Weltfrieden. Dem gegenüber gilt es, um die Menschheit und die Menschlichkeit aufzurütteln, bevor es einmal mehr zu spät sein wird: „Immer das laut sagen was ist“!

Der politisch-praktischen Mitwirkung und der freundlich-ideologischen Abfederung der weiteren Ausgestaltung des westlichen Gewaltregimes über die Welt, sowie der Ausbildung außenpolitisch regierungsnahen Akademiker-Nachwuchses fühlt sich wenigstens die Frankfurter „Friedens- und Konfliktforschung“ – und damit das traditionelle Zugpferd dieser „wissenschaftlichen Disziplin“ in Deutschland – inzwischen weitaus mehr verpflichtet als unabhängiger Wissenschaftlichkeit in der Tradition der durch den (seit spätestens 1993) antiemanzipatorischen Philosophen und (folglich) Europapreis-Träger des Jahres 2008, Jürgen Habermas, derweil systematisch vergessen gemachten Frankfurter Schule.

Am 26.07.08 verhängte der italienische Regierungschef den Notstand über das Land aufgrund der weiterhin ungelösten Flüchtlingsproblematik. Asylsuchende Menschen, und insbesondere solche afrikanischer Herkunft, sind damit nahezu recht- und schutzlos staatlicher Willkür ausgesetzt. Überhaupt herrscht in Italien seit Anfang August 2008 nun das Militär über die Polizei. Schöner Frieden. Nettes Europa.

Kaukasus

Vor rund einem Jahr schrieb ich an dieser Stelle: „Das 'große Spiel' der imperialistischen Mächte, einschließlich der kapitalistischen Republik China, findet dieses Mal vorrangig nicht – wie um die vorletzte Jahrhundertwende – um Afrika, sondern um Asien statt. Die „Faschodas“, „Transvaals“, „Agadirs“ und „Marokkos“ der Gegenwart heißen „Schatt-el-Arab“, „Libanon“, „Dach der Welt“, „Kaukasus“ und „Hindukusch“. Die Lunte brennt und manches Haus auf dem asiatischen Kontinent steht längst im Flammen! (Funke-Online-Artikel: Die Lunte brennt v. 4.7.07) Als ich diese Zeilen schrieb, war ich mir etwas unsicher, ob das nicht doch zu spitz formuliert sein könnte. Sind wir wirklich schon wieder so weit, dass sich regionale Konflikte zu offenen Auseinandersetzungen zwischen imperialistischen Großmächten auswachsen können? Der August 2008 beseitigte jeden Zweifel. Das neo-imperialistische Gerangel eskalierte im Kaukasus erstmals zu einer direkten Konfrontation der Interessen Russlands, der USA und Kern-Europas. Wie einst bei Faschoda (1898), in Marokko (1905, 1911) usw. blieb der direkte militärische Konflikt zwischen den imperialistischen Akteuren im August 2008 zunächst noch aus. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es geht munter weiter: Am 15.08.08 wurde der US-Raketenabwehrschild in Mittelosteuropa durch den Abschluss der monatelang verzögerten Verhandlungen über die Aufstellung von Patriot-Raketensystemen in Polen perfekt gemacht. Polens Staatspräsident nennt als Grund für die überraschend schnelle Einigung seines Landes mit den USA die kriegerischen Vorgänge im Kaukasus und Russlands Staatsspitze äußert sich ebenso.

Bundesaußenminister Steinmeier Mitte Juli 2008, Kaukasus. Kaum hatte der deutsche dem französischen Imperialismus ein Schnippchen geschlagen, indem dieser das ursprünglich rein französische Projekt einer „Afrika-Union“ erfolgreich zu einem Konsens-Vorhaben der ganzen EU umgewandelt hatte (s.u.), reiste Mitte Juli 2008 Steinmeier in den Kaukasus. Seit Monaten drohte Krieg zwischen Georgien, damit Teilen der „westlichen Welt“ und Russland. Mit ein bisschen „Kommunikation“, so gab Steinmeier vor, ließe sich der Konflikt schon aus der Welt schaffen. Doch die unmittelbaren Konfliktparteien pfiffen auf den „ehrlichen Makler“ aus dem „Land der Ideen“. Das Schweigen der USA im Vorfeld des Konflikts darf zudem als gezielte Ermutigung seines Verbündeten in Tiflis gewertet werden, den Überfall auf Südossetien durchzuführen. Zu krass also lagen die geostrategischen Ziele zwischen Russland, den USA und eben auch Kern-Europas auseinander, als dass noch „Kommunikation“ hätte helfen können.

Umso wichtiger Deutschlands „Kommunikationsversuch“ vor dem Hintergrund des anlaufenden Krieges: Mann, sind „wir“ humanitär in diesem bösen Spiel! Und wieder die bewährte Arbeitsteilung: Gerade Europa, auch Deutschland profitiert von den Gas- und Ölpipelines, die durch Georgien am Konkurrenten Russland vorbei gebaut werden. Ohne diesen von Russland unabhängigen Rohstoff-Transportweg wird gerade EU-Europa, so Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am 15.08.08 auf Bloomberg-TV, in den nächsten Jahrzehnten Russland immer mehr ausgeliefert sein. Also wollen die mächtigen Staaten Kern-Europas, Deutschland und Frankreich, dass der Status-quo in der Region gewahrt bleibt. Hierzu gehört natürlich auch, Georgien als unabhängigen und moralisch anständigen „westlichen“ Staat hochzuhalten, während man es sich mit Russland durchaus nicht verscherzen darf. Also geht „Europa“ hin, spielt den „ehrlichen Makler“ und zeigt dabei gleichzeitig eine wenigstens latent russlandkritische Haltung. Andere Seite der imperialen Arbeitsteilung: Gleichzeitig überlässt man es den USA, Georgien militärisch und diplomatisch offensiv zu unterstützen, sowohl im Vorfeld, als auch im Verlauf und im Nachgang des Krieges. So sieht die imperiale Arbeitsteilung in diesem Fall aus: „Im Beisein von US-Außenministerin Rice hat Georgiens Präsident Saakaschwili das von der EU ausgehandelte Friedensabkommen für sein Land unterzeichnet. (…) Rice betonte aus diesem Anlass, dass alle russischen Truppen Georgien nun umgehend verlassen müssen.“ (Bayerntext vom 15.08.08) Am 18.08.08 schließlich droht auch der deutsche Außenminister Russland Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen an, da es „zu weit gegangen“ sei. Am gleichen Tag verlangt Bundeskanzlerin Merkel – fast konsequenter als G.W. Bush – die Aufnahme Georgiens in die NATO. Dieser (doppelte) „Merkel-Sprung“ (ich spiele hier bewusst auf ein Ereignis des Jahres 1911 an) wurde einen Tag später durch die NATO offiziell zur Generallinie des Bündnisses erklärt. Die imperiale Arbeitsteilung zwischen US-Amerika und Kern-EU-Europa läuft in diesem Fall weiter wie geschmiert. Auch SPIEGEL und ZEIT (Ausgaben vom 18.08.08) feuern nicht umsonst aus allen publizistischen Rohren gegen das „gefährliche Russland“. Nach dem Motto „böser Ami-Mann, geh du voran“, haut Kern-Europa so letztlich in die gleiche Kerbe. Allerdings sehr bewusst erst nachdem es seine selbst erklärte moralische Überlegenheit über die amerikanische Konkurrenz im imperialistischen Mächtekonzert ausgiebig vor der Weltöffentlichkeit und insbesondere der eigenen Bevölkerung gegenüber inszeniert hat. … „An Europas Friedens-Wesen soll noch mal die Welt genesen“ … „Unser Krieg ist Frieden“ … Super-Friedensmacht, dieses EU-Europa!

Dieses alles vor dem Hintergrund, dass überhaupt nicht klar ist, warum Russland nach dem – übrigens keinesfalls von der EU vermittelten, sondern von ihm selbst nach der Erreichung seiner Ziele so gewollten - Waffenstillstand in Südossetien weiterhin auf georgischem Boden operiert. Die vorschnelle Forderung seitens der USA und Kerneuropas an Russland, diese Operationen durch Rückzug sofort einzustellen, entspringt ihrer eigenen Interessenlage, keinesfalls einer prinzipiellen Friedens-Haltung. Diese Vermutung wird auch dadurch untermauert, dass beständig behauptet wird, Russland wolle mit diesen Aktionen die Souveränität Georgiens ernsthaft in Frage stellen. Andere Vermutungen wären mindestens ebenso nahe liegend und würden ein durchaus anderes Licht auf Russlands Vorgehensweise in Georgien nach dem Waffenstillstand werfen.

Vermutlich gibt es als Folge der Auseinandersetzungen um Südossetien auf allen Seiten der Macht nur Gewinner. Verloren haben wohl „nur“ die Menschen, auf deren Rücken hier die Mächtigen ihre Muskeln spielen ließen. Was ohne jeden Zweifel für die Mächtigen Kern-Europas positives bleibt, ist der per Massenmedien lancierte Eindruck, dass „wir“ einmal wieder die grundsätzlich Netten sind. Und dabei spielen „wir“ nur mit im neuen „großen Spiel“ wie alle anderen imperialistischen Spieler eben auch. Kern-Europa überlässt es seinem französischen Part, starke Worte zwecks Steigerung des imperialen Profils zu finden: „Weil die USA sich solidarisch mit Georgien erklärten, müsse nun die EU Präsenz und Stärke zeigen“, so zitiert die Tagesschau den französischen Außenminister (Tagesschau-Online, Artikel: Kalte-Kriegs-Rhetorik […] vom 11.08.08). Das ist die Friedensrhetorik einer Mittelmacht, deren eigene Verstrickungen in den Völkermord von Ruanda gerade ans Licht gekommen sind. Schöne Perspektiven für den Weltfrieden! Hier geht es vielmehr darum, das quasi-göttliche Friedensideal als Kampfvokabel im weltpolitischen Kräftemessen zu instrumentalisierten und damit geht es eben auch darum den Namen Gottes für die Verfolgung eigener Ziele zu missbrauchen.

„Friedensforschung“

Derweil nutzt die HSFK den blutigen Konflikt zwecks eigener Profilierung. Kurz nach dem Ende der Kampfhandlungen im Kaukasus erschien auf der Homepage der HSFK ein Buchtipp in eigener Sache. Der Inhalt des Werkes wird folgendermaßen charakterisiert: „Folgt man der klassischen Argumentation der liberalen Theorie des Demokratischen Friedens, die in den letzten Jahrzehnten besonderen Einfluss auf westliche Politik gewinnen konnte, so sollten Demokratien deutlich friedlicher sein als autokratische Staaten. Allerdings zeigt sich, dass sich gerade westliche Demokratien in der Ausformulierung ihrer Sicherheitspolitik – und ihrer Kriegsbeteiligung – stark unterscheiden.“ Wenn man schon sonst nichts mehr zu sagen hat, dann eben wenigstens immer wieder fleißig die Behauptung kolportieren, dass Frieden und gegebene Bedingungen durch sittlich korrekt orientierte staatliche Akteure hergestellt werden könnte.

Ehrlicher als ihre Frankfurter/ Darmstädter Freunde sind die Leute vom „Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ (IFSH). Kein „Diskurs“, kein Geschwätz. Fakten, Fakten, Fakten - garniert mit dem Ernst des politischen Lebens. Daher stellen jene fest: „(… Unser Institut ) - eine Besonderheit bei zivilen wissenschaftlichen Instituten – (verfügt) über einen so genannten Militärischen Anteil, d.h. einen Stabsoffizier, dessen Forschungsprojekte (systematisch in unsere „Forschung“, KF) integriert sind und der als Dozent an der Lehre (…) teilnimmt“ (s. Homepage des IFSH, dort: ISFH-Profil). Doch ganz so einmalig dürfte diese Militär-Verbindung deutscher „Friedensforscher“ nicht sein: Die am Rande des Odenwaldes bei Darmstadt vor ein paar Jahren in Dienst gestellte BND-Sendeanlage dürfte dafür sorgen, dass die „Schleichwege der Macht“ (Herfried Münkler, in: FR vom 17.07.08) auch in Südhessen längst die Bahnen zu jenen geebnet haben, die sich berufen fühlen an der „Herstellung normativer Ordnungen“ unter gegebenen Bedingungen (s.o.) aktiv mitzuarbeiten. Tschüss, „Friedensforschung“! Wie auch immer: Am 22.08.08 jedenfalls bemüht sich das ISFH darum, im Online-Portal der Tagesschau die Position der deutschen Außenpolitik klarzustellen; kurz dass dieser eben – im Gegensatz zu jener der Amis – eine „Sonderrolle“ zukommt. „Wir“ halten Kommunikation zu „den Russen“ offen! Neu ist dieser Schnack nicht, schließlich hatte das doch schon unser aller SPD-Frontmann Steinmeier (z.B. am 21.08.08) gesagt. Im Gegensatz zu den Frankfurter „Diskurs“-Rhetorikern erläutern die Hamburger Bundeswehr-Friedens-Forscher wenigstens die geostrategischen Interessen, die diese Position der deutschen Regierung ja nur konsequent erscheinen lassen: Deutschland ist halt abhängiger von russischen Öl- und vor allem von Gasimporten als die USA. Ehrlichkeit ist auch ein „Wert“. Aufrichtigen Glückwunsch liebes ISFS! Ein Blick auf die Landkarte hätte allerdings genügt, diese Banalität – verkauft als Erkenntnis „wissenschaftlicher Experten“ - zu „konstatieren“. Jeder Zeitungsleser findet das heraus in diesen Tagen (ein Weltatlas genügt). Toll, ISFS!

Umso erstaunlicher ist es, dass in diesen Tagen ausgerechnet Deutschland so massiv die Aufnahme Georgiens in die NATO propagiert. Hochinteressant, wie in dem o.g. ISFH-Aufsatz diese Äußerung insbesondere Merkels offensiv als eine Banalität dargestellt wird. Begründung: Das hat man früher auch schon gesagt, kein Grund zur Aufregung also. Was ist das bloß für eine komische Wissenschaft, die sich weigert, die Tatsache zur Grundlage ihrer Fall-Analyse zu machen, dass der Kontext nun einmal ein anderer ist, wenn Frau Merkel mitten im Gewalt-Konflikt mit Russland in Tiflis redet, als wenn man dieses in ruhigen Zeiten auf NATO-Gipfeln sagt. Seltsam, seltsam das alles. Seit dem 23.08. macht auch Merkel Druck auf Russland, seine Schutztruppen aus Georgien vollständig abzuziehen. Wäre es nicht die Aufgabe einer Regierung mit kommunikationsorientierter „Sonderrolle“, erst einmal die ernsten Vorwürfe Moskaus an den Aggressor Tiflis (Völkermord) zu prüfen und vor diesem Hintergrund etwas mehr Verständnis zu zeigen für das russische Lavieren? Glaubt wirklich irgendwer, dass man mit vorschnellen Forderungen der NATO an die Seite Russlands ehrlich-offene „Kommunikationskanäle“ öffnen können wird? Oder dient diese Kombination von scheinbarer „Vermittlungsinitiative“ einerseits und handfestem „Sich-Einmischen“ andererseits nicht doch eher nur der eigenen Tarnung, die einem zugleich die Perspektive offen hält, Russland später einmal vorwerfen zu können „nicht verhandlungsbereit“ gewesen zu sein?

Super-„Sonderrolle“! Die einzige „Sonderrolle“, die ich erkennen kann, ist die eines blanken, selbstverlogenen Zynismus. Die FAZ am Sonntag berichtete am 24.08.08 groß und breit darüber, dass die deutsche Regierung einerseits vollinhaltlich die NATO-Position unterstützt, andererseits „Kommunikationskanäle“ offenhalten will. Was sollte Deutschland angesichts seiner oben genannten ökonomischen Bindungen an Russland auch anderes sagen? Helfen wird das wenig, denn die reale Gestalt der Außenpolitik hängt eben nicht vom guten Willen einzelner Spieler ab, sondern sie bleibt Resultante des internationalen „politischen Feldes“ (Bourdieu). Auch Deutschland wird es nicht möglich sein, in diesem Punkt lange zu lavieren. Sollte sich die Steinmeier-Linie gegenüber der Merkel-Linie durchsetzen – wofür aufgrund der ökonomischen Verbindungen zwischen beiden Ländern einiges spricht – und damit die deutsche Regierung (im Gegensatz zur deutschen Mainstream-Presse) innerhalb der EU als ein eher verständnisvoller Akteur Russland gegenüber auftreten, so wird dieses die Spannungen in der EU steigern. Über die Spannungen zwischen Deutschland und manchen seiner skandinavischen Nachbarn angesichts des dieser Tage forcierten Ostsee-Pipeline-Baus wurde weiter oben jedenfalls schon berichtet. Kurz und wenig gut: Interessegeleitetes Sprechen vom Frieden führt unter den gegenwärtigen Bedingungen des kapitalistisch organisierten „internationalen Feldes“ ebenso zum Konflikt wie eine offen konfliktgeladene Taktik staatlicher Akteure. Auch hier gilt: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ (Adorn/Horkheimer) Man sollte, solange das kapitalistische Weltsystem als Kontext außenpolitischen Regierungshandelns nun einmal besteht, das große (mediale oder wissenschaftlich daherkommende) Sprechen vom Frieden lieber sein lassen und stattdessen das Licht wissenschaftlicher Wahrheit beständig auf die Gefahrenpotenziale der real existierenden Weltpolitik hinweisen lassen. Alles andere lässt die Sprecherin/den Sprecher mit seinen/ihren naiv-normativen Sprechakten wenigstens latent parteiisch werden.

Ein Blick auf die Landkarte fördert auch die Tatsache hervor, dass die durch Georgien laufenden Pipelines – der georgische Kaukasus-Hafen Poti wird mindestens seit dem 22.08. von der russischen Schwarzmeerflotte blockiert, während u.a. die Bundeswehr im Westen des gleichen Meeres (im Territorium jüngster EU-Mitgliedstaaten und Schwarzmeer-Anreinerstaaten) ein Marinemanöver beginnt (22.08.08) – nach Europa und nicht in die USA fließen. Doch unsere hoch dotierten Elite-Experten wissen mehr als stümperhafte Zeitungsleser: „Eiszeit zwischen NATO und Russland. Deutschland spielt eine Sonderrolle“ Ach was! (Online-Portal der Tagesschau vom 22.08.08). Große Wissenschaft bietet ihr uns, liebes IFSH! Kriegt ihr für solche Statements eigentlich auch noch Geld? Wir hoffen jedenfalls, ihr bekommt es aus privatem „Stiftungskapital“ und nicht von uns Lohn-Steuerzahlern!

Und während Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) am 28./29.08.08 verlangt, die Bundesregierung möge doch endlich ehrlich mit der demokratischen Öffentlichkeit verfahren und diese über die wahren Dimensionen des deutschen Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan in Kenntnis setzen, offenbart die HS“F“K Ende August – in diesen kriegerischen Tagen – das wahre Gesicht der von ihr unter der Piratenflagge vorgetäuschter Friedensforschung tatsächlich betriebenen Form einer bodenlos machthörigen „Politikberatung“ (sic!): „Die Bundeswehr befindet sich seit dem Ende des Kalten Krieges in einem Transformationsprozess, der vor allem das Verhältnis zu den Bundesorganen und zur Zivilgesellschaft betrifft. Vor allem die stärkere Bindung der Bundeswehr an die Exekutive hat Folgen für die parlamentarische Kontrolle und schließlich auch für die Ausrichtung der Außenpolitik. In Band 3 der Reihe Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung mit dem Titel Der Wehrbeauftragte im Transformationsprozess. Vom Kontrolleur zum Ombudsmann untersucht Dörthe Rosenow am Beispiel des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages die veränderte Rolle der Bundeswehr. In einem theoretischen und einem empirischen Teil analysiert Rosenow Gründe und Folgen des Funktionswandels des Wehrbeauftragten. Die Studie schließt mit einer Einordnung der Erkenntnisse in die Diskussion um die Theorie des Demokratischen Friedens sowie Empfehlungen, wie der Wehrbeauftragte seiner Aufgabe in Zukunft besser gerecht werden könnte.“ (Online-Buchdarstellung: „Die Bundeswehr im Transformationsprozess“). „Friedens“-Wissenschaft als Service-Institution für die politisch-militärischen Eliten.

Pazifistischer Imperialismus

Im Jahr 1924 schrieb Trotzki folgendes in der sowjetischen Zeitung Iswestija – wer wagt es an dieser Stelle eine historische Analogie zu ziehen? Wer denkt an die „gegenwärtige Zukunft“?:

„Folgendes ist interessant: Aus eigennützigen Motiven hat Amerika den Krieg mit seiner Industrie genährt, aus eigennützigen Motiven hat es sich in den Krieg eingemischt (…) – und trotzdem bewahrt Amerika den Ruf eines pazifistischen Landes! Das ist eines der merkwürdigsten Paradoxe, einer jener lustigen Scherze der Geschichte, einer jener Scherze, die uns schon so oft traurig stimmten und uns auch in Zukunft häufig in diese Stimmung versetzen werden. Der amerikanische Imperialismus, dieser im eigentlichen Sinne des Wortes brutale, raubgierige Imperialismus, hat infolge der besonderen Verhältnisse in Amerika die Möglichkeit, sich in ein pazifistisches Gewandt zu hüllen. Er macht es ganz anders als die imperialistischen Wegelagerer der Alten Welt: bei diesen tritt alles offen zu Tage, bei US-Amerika aber – bei dieser Bourgeoisie und ihren Regierungen – hat sich die pazifistische Maske dem imperialistischen Gesicht so fest angelegt, dass es nicht leicht ist, sie herunterzureißen.“ (zitiert nach: Trotzki. Denkzettel. Politische Erfahrungen im Zeitalter der permanenten Revolution, herausgegeben von Deutscher, Novack, Dahmer, Frankfurt 1981,
S. 241).

Die Richtung, aus der der kriegerische Wind gerade weht, hat sich für eine Zeit halt eben mal von Ost auf West gedreht. Mehr nicht. Das kann sich durchaus wieder ändern. So wie damals: Nach drei Reichseinigungskriegen (1864-1871) trat Otto von Bismarck als Friedensfürst auf, der die Mächte Europas durch Konsens-Bildungen zu einer preußisch vermittelten Harmonie zu führen vorgab. Der „saturierte ehrliche Makler“ trat auf. Er spielte seine Rolle so überzeugend, dass der neue Kaiser Wilhelm II ihn 1890 aus allen Ämtern mobben musste, um die wiedererwachten Großmachtphantasien Preußen-Deutschlands überhaupt erst auf Weltniveau heben zu können. Alles, nur das nicht hatte der alte Bismarck erwartet. Was erwarten wir heute?
Sollte es Friedens- und Konfliktforschung nicht es als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben erachten, die besonderen Verhältnisse (s.o.) zu untersuchen, die es dem deutschen Imperialismus derzeit ermöglichen bzw. als vorübergehend möglich und notwendig erscheinen lassen, sich als pazifistisch und multilateral handelnd zu präsentieren? No Justice – no Peace. Das wird jeder einigermaßen sittlich integrierte Mensch bedauerlich finden. Aber so war ist, so ist es und so wird es vorerst leider bleiben.

Der Traum ist aus. In dieser Zeit.
Doch solange ich atme hoffe ich.

Anstatt einer Zusammenfassung oder jener Parolen, die sich jedem fühlenden Menschen ja sowieso aufdrängen, ein schönes, wahres, gutes altes Lied. Gegenwartsbezüge sind nicht ausgeschlossen:

www.youtube.com/watch?v=ByMp2975TIo

Editorische Anmerkung: Dieser Artikel entstand in dem Zeitraum Mitte Juni bis Ende August 2008. Zunächst war nur eine Besprechung der Lage in Afghanistan und im Kosovo geplant. Der Sommer 2008 offenbarte, dass wir in einer Zeit leben, in der wichtige weltpolitische Weichenstellungen für die kommenden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vorgenommen werden. So wurde der Aufsatz nach und nach zu einem Grundsatzartikel über die aktuelle deutsche Außenpolitik im Kontext des sich gerade neu strukturierenden Feldes der internationalen Politik. Der Autor fände es sehr schön, wenn gewisse wissenschaftliche Instanzen ihrer Aufgabe, kritische öffentliche Diskurse über die deutsche Außenpolitik zu befördern weiterhin nachkommen würden. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass wenigstens manche ForscherInnen zu aufklärerischen Tugenden zurückfinden und ihre – durchaus im Grundsatz gar nicht verwerflichen – Politikberatungs-Aktivitäten wieder beginnen werden von dieser Perspektive her zu betreiben. Solange dieses aber nicht (wieder) der Fall ist und ganze wissenschaftliche Disziplinen systematisch auf Regierungs-Linie gebracht werden, ist es Aufgabe der wissenschaftlich bewanderten kritischen Öffentlichkeit, insbesondere auch einen harten öffentlichen Diskurs über einseitig-regierungsnahe wissenschaftliche Arbeit zu führen.


(1)
Herr Müller weist in dieser Pressemitteilung (erschienen auf der Homepage der Stiftung am 27.06.08, kurz vor der Pariser Konferenz über die Bildung einer „Mittelmeerunion“) den gegenüber seiner Stiftung geäußerten Antisemitismus-Vorwurf zurück. Dieses ohne jeden Zweifel völlig zu Recht. Und man muss Menschen politisch absolut darin unterstützen, ungerechtfertigte Antisemitismus-Vorwürfe entschieden zurückzuweisen. Auch ich bestreite nicht das prinzipielle Existenzrecht Israels. Doch man kann das auch mit anderem Vokabular und durchaus selbstkritischer gegenüber der in der Hinsicht auf die „Bewältigung des NS“ (beiderseits der Spree) durchaus abgründige deutsche Realgeschichte tun. Folgendes war geschehen: Im Vorfeld der Konferenz über die Bildung der „Mittelmeerunion“ hatte die HSFK eine internationale Konferenz organisiert, auf der sie Annäherungen zwischen israelischen und arabischen Diplomaten herzustellen versuchte. Ein iranischer Teilnehmer beleidigte daraufhin die israelische Delegation. Dann wurde in der Financial Times Deutschland ein Antisemitismusverdacht kolportiert, da ja jemand auf einer Konferenz der Stiftung eine entsprechende Schmährede gehalten hatte. Inzwischen hat sich die Stiftung auf ihrer Homepage als immer schon fest verbunden mit „Israel“ dargestellt. Ob der ganze Vorgang dabei helfen wird, den Nahostkonflikt wirklich zu entkrampfen, darf bezweifelt werden. Die „diskurs“-technologische Ausrichtung der Stiftung – die Machtstrukturen inzwischen in ihrer operativen Politikberatungs-Arbeit allzu schnell akzeptiert, anstatt jene von außen wissenschaftlich-öffentlichem Diskurs- und damit grundsätzlichem Begründungsdruck auszusetzen - schlägt an dieser Stelle sich und auch ihre Vermittlungsbemühungen mit ihren eigenen Mitteln. Vermittlungs-Versuche und sogar Vermittlungs-Erfolge auf diplomatischer Ebene werden den Nahost-Konflikt genauso wenig grundsätzlich lösen, wie uneingeschränkt Israel-freundliche oder deutsch-patriotische Stellungnahmen. Nur eines ist sicher: Die Einbindung Syriens und damit die weitere Isolierung des Iran – die uns in der hiesigen Presse als fragloser Friedensakt verkauft wird – standen – gewiss mit „guten Gründen“ - schon vor der Pariser „Mittelmeerkonferenz“ als Ergebnis gewisser Verhandlungs-Verfahren fest.

Fragt sich nur, wo der Patriotismus des Herrn Müller herkommt. Um Friedens- und Konfliktforschung zu betreiben, braucht man diesen jedenfalls definitiv nicht und in vergangenen Zeiten haben Menschen, die sich als Friedens-Wissenschaftler bezeichneten, auf patriotische Stellungnahmen verzichtet. Doch die Zeiten ändern sich. Surft man auf die Homepage der Stiftung, so findet sich oben rechts ein Button: „Deutschland. Land der Ideen (Dann die Bundesfarben) Ausgewählter Ort 2007“. Klickt man auf den Button, so sieht man wer hier unsere Herrschaften Friedensforscher besonders gern hat: „Präsentiert von der Deutschen Bank“. Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt. So ist das halt, Herr Müller. Gute Nacht, Friedensforschung.

(2)
Unter den gegebenen Bedingungen lässt sich hier im Übrigen nichts zum Positiven wenden. Angenommen, die Zollsenkungen auf Agrarprodukte, wie sie z.B. dem deutschen Imperialismus für die EU vorgeschwebt haben, wären auf den Genfer WTO-Verhandlungen Ende Juli 2008 vertraglich festgeschrieben worden, so wäre dieses Abkommen – unter Fairness-Gesichtspunkten - eine Farce gewesen. Auf dem Papier sahen die Reduktionsziele gewaltig aus; doch nominelle Zahlen sind eben nominelle Zahlen und keine Realitäten. In Wirklichkeit hätten auch die EU-Staaten ihre Agrarsubventionen keinesfalls entscheidend gesenkt. Gleichzeitig hätten Schwellen- und (aufstrebende) Entwicklungsländer ihre Märkte insbesondere auch gegenüber deutschen Industrieprodukten massiv senken und damit ihren (teilweise „aufholenden“) Industrien klar schaden müssen. So etwas nennen neoliberale IdeologInnen dann einen – womöglich auch noch herrschaftsfreien – Kompromiss. Um es in Anlehnung an einen Titel eines Online-Aufsatzes der HSFK zu sagen: That Diskurs means Exitus. Dass mehr agrarisch geprägte EU-Länder wie Irland und Frankreich nun in der Presse als schlimme Sünder deutscher Friedensbemühungen um einen fairen Welthandel hingestellt werden, weil sie (zusammen mit den USA, Indien, China und Bolivien) einen konsensorientierten WTO-Abschluss verhinderten, ist ein ganz besonders perfides Manöver des deutschen Imperialismus und seiner ideologischen AgentInnen gegenüber schwächeren Staaten innerhalb der EU.

(3)
Reflexive Imperialismus-Analyse reflektiert insbesondere die Tatsache, dass die Welt seit dem Zusammenbruch des bürokratischen Blocks (1989/1992) buntscheckiger geworden ist. Venezuela-FreundInnen erzählt hier niemand etwas Neues, wirklich nicht. Selbstverständlich eröffnete diese einmalige weltpolitische Situation Chancen für die Machtentfaltung neuer imperialistischer Akteure. Das ist banal, Prof. Wolf, das ist keinesfalls eine wissenschaftliche Erkenntnis. Im Gegensatz zu der intellektuell ziemlich schlichten Deitelhoff-Müller-Wolf bzw. der HSFK-Hypothese einer durch diese Tatsache sich „multilateralisierenden“ Welt, hält die reflexive Imperialismus-Analyse an der Artikulation der Tatsache fest, dass diese Welt weiterhin vom „Westen“ – früher sprach die politikwissenschaftliche Teildisziplin „Internationale Beziehungen“ vom „Norden“ (warum eigentlich diese auffällige Umstellung der Begrifflichkeit nach 1989/1992?) – dominiert wird. Die reflexive Imperialismus-Analyse erkennt absolut den Umstand an, dass es den Eliten mancher ehemaliger Schwellen- und Entwicklungsländer nach dem Zusammenbruch des bürokratischen Blocks gelungen ist, sich im imperialistischen Machgerangel gewinnbringend zu positionieren. Jede andere Behauptung wäre in der Tat absurd. Doch begeht z.B. die HSFK aus dieser Perspektive im Wesentlichen den Fehler, ziemlich unreflektiert in eine – im politikwissenschaftlichen Sprachgebrauch formuliert – tendenziell „realistische“ Perspektive zurückzufallen. Motto: Es gibt aufstrebende Schwellen-Mittelmächte auf der Welt, also kann von den staatlichen Akteuren dieser Länder „dem Westen“ substanziell etwas entgegen gesetzt werden, also macht „herrschaftsfreier Diskurs“ á la Deitelhoff ziemlich viel Sinn. Die reflexive Imperialismus-Analyse würde dem entgegen insbesondere betonen, dass (a) die Abhängigkeit von ausländischen Investitionen einerseits und von westlichen Import-Beschränkungen andererseits gerade auch in diesen „aufstrebenden Schwellen-Mittelmächten“ (um mal eine sinnvolle neue Begrifflichkeit zu formulieren) durchaus hoch bleiben, dass (b) die aufstrebenden Nationen jeweils von einer kleinen Elite dargestellt werden, während die Wohlstandsgewinne der Masse der Bevölkerung nur allzu oft nicht erwähnenswert sind und dass (c) die regionale Differenzierung dieser Länder nur allzu oft die Verstärkung von sozialen Problemen in Form einer verstärkten Ausdifferenzierung von – um es im Politologen-Slang sozusagen klassisch-globalistisch auszudrücken – internen „Zentren“ und „Peripherien“ nach sich zieht. Aus all dem folgt, dass die neuen imperialistischen Akteure keineswegs (von China und Venezuela abgesehen) starke politische Spieler sind oder sein können. Dieses hat (d) zur Folge, dass die neuen imperialistischen Akteure evtl. mittelfristig sogar sehr aggressiv auftreten werden, um ihre stets bedrohte Position gegenüber den klassischen westlichen, sowie dem klassisch-russischen „Spieler“ wettzumachen. Die neuen imperialistischen Spieler reagieren damit – innerhalb des bestehenden kapitalistischen Weltsystems – durchaus rational plausibel auf das Faktum der insgesamt weiter vorherrschenden „westlichen Dominanz“, die sich ja ihrerseits nicht scheut, Gewalt gegen aufstrebende Mittelmächte (Serbien, ehemaliger Irak, aktuell Iran) einzusetzen. Dieses ist (f) angesichts der Tatsache, dass manche dieser aufstrebenden Staaten ebenfalls über Atomwaffen verfügen ein durchaus eher beunruhigendes Szenario. Das imperialistische Spiel ist – in diesem Punkt hat die HSFK absolut Recht – durchaus vielschichtiger geworden seit dem Aufbruch des bürokratischen Blocks. Leider ist es aber eine – den Interessen des spezifisch deutschen Imperialismus ziemlich wohlfeil entsprechende Ideologie -, wenn man aus dieser Tatsache prinzipiell eher (europäisch lancierte) Friedenschancen ableitet, denn primär auf die real existenten Gefahren dieses neu-unübersichtlichen Machtgerangels – unter Einschluss des Imperialismus Kern-Europas - hinweist. Die Situation der gegenwärtigen Weltpolitik erinnert gefährlich an die Zeit des Imperialismus um die vorletzte Jahrhundertwende. An Friedens-Rhetorik hat bis kurz vor dem 1. Weltkrieg, nebenbei bemerkt – man muss sich nur anschauen wie die SPD-Reichstagsfraktion die Zustimmung zu den Kriegskrediten Anfang August 1914 begründete -, auch damals nicht gefehlt. Wer aus der Geschichte nicht zu lernen gewillt ist, liebe HSFK, wird gezwungen sind sie zu „wiederholen“.
Der Begriff „reflexive Imperialismus-Analyse“ ist geistiges Eigentum des Autors dieses Artikels. Jede Verwendung dieses Begriffs ohne seine Zustimmung wird als Diebstahl geistigen Eigentums juristisch verfolgt werden. Das gleiche gilt für verwandet Terminologien wie „reflexive Imperialismus-Theorie“ etc.

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