Kategorie: Geschichte

Das geänderte Kräfteverhältnis in Europa und die Rolle der Vierten Internationale (Ted Grant 1945)

Das Ende des Krieges eröffnet ein neues Stadium der militärischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Welt.
Das überwältigende wirtschaftliche und militärische Übergewicht der Sowjetunion im Osten und des amerikanischen Imperialismus mit seinem britischen Satelliten im Westen hat schließlich zur Reduzierung des deutschen und japanischen Im­perialismus zu Staub geführt.


Inhalt:

  • Der Aufstieg Russlands aus dem Krieg;
  • Die Pläne der Imperialisten gingen schief;
  • Die nationale Frage in Europa;
  • Unsere Haltung zu den Widerstandsbewegungen;
  • Klassische Bedingungen für die proletarische Revolution;
  • Die Erfahrung von Griechenland;
  • Die Konterrevolution in 'demokratischer' Form;
  • Das alliierte Programm für Europa;
  • Unsere Aufgaben in Europa

Im Kielwasser der siegreichen 'alliierten' Armeen trafen sich die 'großen Drei' mit ihren Außenministern und Beratern, diskutierten und gelangten zu geheimen diplomatischen Übereinkünften über die Teilung Europas und der Welt in Einflusssphären und Ausbeutungszonen. Die Satellitenstaaten werden in den Rat der Vereinten Nationen eingeladen, doch nur, um eine Fassade zu schaffen und den durch hartes Verhandeln hinter den Kulissen durch die großen Drei erreichten Entscheidungen Gewicht zu verleihen.
Die militärischen und diplomatischen Arrangements werden jedoch von der Furcht vor der proletarischen Revolution in Deutschland und in Europa als Ganzem überschattet: und nicht nur in Europa, sondern auch in den Kolonialgebieten im Osten. Dieses Kardinalproblem, das sich immer wieder zu einer gewaltsamen Lösung erhebt, wird schnell die Hauptbeschäftigung der drei Großmächte. In der Tat ist der Hauptpunkt im Bündnis, der jetzt die 'großen Drei' aneinander bindet und es in der Zukunft tun wird, die Furcht vor der Revolution und die Beschäftigung mit Plänen, die unausweichlichen revolutionären Erhebungen in Deutschland und Europa abzuwehren und zu unterdrücken, die versuchen wer­den, die alte kapitalistische Ordnung zu zerstören.
Das geänderte Kräfteverhältnis zwischen den Weltmächten seit dem Versailler Vertrag, dessen Änderung durch seine schrittweise Umgestaltung zwischen den zwei Weltkriegen versteckt war, wird jetzt durch die militärischen Geschicke der Nationen klar demonstriert.
Die Zerstörung der französischen Armee, die einst die mächtigste militärische Kraft Europas war; der Zerfall des französischen Kolonialreichs; die miserable Rolle der herrschenden Klasse in Frankreich während der Besatzung als Quislin­g[1] der Eroberer: all das hat dazu gedient, den Nie­dergang Frankreichs vom Status einer Groß­macht zur Rolle einer drittklassigen Macht in Europa und der Welt zu unterstreichen.
Die Blase von Kolonialreichsansprüchen, die von der italienischen herrschenden Klasse durch ihre herumstolzierenden Schwarzhemd-Legionen weithin angekündigt wurden, wurde aufgestochen und zerstört. Die schwache und unzureichende wirtschaftliche Grundlage, die die geringste Beanspruchung nicht aushielt, brach bei dem ersten Test. Italien ist zur Rolle eines Balkanlandes reduziert.
Sowohl im Osten Europas als auch im Westen hat der Krieg die Bedeutung der Nationen in den neuen Kräfteverbindungen geändert. Polen, die Tschechoslowakei, das Baltikum und die Balkanländer, Belgien, Holland und die skandinavischen Länder - alle diese haben ein geringeres Gewicht und eine geringere Rolle im 'Rat der Nationen' zu spielen.

Der Zusammenbruch der britischen Vorherrschaft auf dem Erdball; die Unfähigkeit Großbritanniens, seine Position auf dem europäischen Kontinent zu behaupten oder entscheidend im militärischen Kampf zu intervenieren; die Unterordnung seiner militärischen Führer auf dem europäischen Kontinent unter jene seiner Yankee-Schutzherren; und sein allgemeiner Niedergang gegenüber sei­nen russisch-amerikanischen Verbündeten wies Großbritannien schnell in seine wirkliche Beziehung zu den anderen Mächten ein - die 'größte der kleinen Nationen'.
Der Eintritt des amerikanischen Imperialismus in die Weltarena mit seinen gigantischen wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen hat ihn un­mittelbar an die Spitze der imperialistischen Nationen gestellt. Sowohl im Osten als auch im Westen sichert ihm das Gewicht seiner wirt­schaftlichen und militärischen Kräfte eine beherrschende Position. Der pazifische Ozean wird schnell ein 'amerikanischer See', während die britischen Dominions[2] vom Dollar angezogen wer­den und nur nominell dem Mutterland verbunden bleiben.

Der Aufstieg Russlands aus dem Krieg

Aber das bei weitem größte Ereignis von Weltbedeutung ist der Aufstieg Russlands zum ersten Mal in der Geschichte zur größten Militär­macht in Europa und Asien. Die gewaltigen Siege der Roten Armee in Europa haben die Mehrheit der europäischen Bourgeoisie gezwungen, sich auf den Kreml zu orientieren; während die pro-sowjetische Bewegung auf der Seite der Massen eine mächtige Unterstützungsbasis geschaffen hat.

In Europa ist heute keine kontinentale Macht übrig, die eine Herausforderung für die Rote Armee darstellen kann. Genauso wenig ist es möglich, in wenigen Jahren eine militärische Kraft zu schaffen, die materiell und moralisch fähig ist, eine solche Herausforderung zu unternehmen. Nur auf der Basis einer völligen Niederlage für die europäische Arbeiterklasse, der totalen Zerstörung ihrer Organisationen und der Einführung einer schwarzen Yankeereaktion wäre es möglich, die Kräfte des europäischen Kapitalismus für einen antirussischen Angriff umzugruppieren.
Die Kriegsmüdigkeit der Massen in allen Ländern, besonders in Europa, die Bewunderung und Unterstützung für die Rote Armee, die Sympathie und warme Unterstützung für die Sowjetunion in breiten Teilen der Arbeiterklasse selbst in den Vereinigten Staaten - all diese Faktoren, zusammengenommen mit dem militärischen Kräfteverhältnis, machen es für die Alliierten extrem schwierig, wenn nicht völlig unmöglich, in den unmittelbaren Nachkriegsjahren einen Angriff auf die Sowjetunion zu starten.
Die Risiken einer solchen Operation sind in ihren politischen Auswirkungen viel zu groß, nicht nur in Europa und Asien, wo die Massen die Sowjetunion unterstützen würden, sondern auch in Großbritannien und den Amerika. Ideologisch wäre es nicht möglich, die Massen für solch ei­nen Krieg zu mobilisieren, der tendenziell die ganze Natur des vorherigen Kampfes gegen die Achsenmächte entlarven würde. Darüber hinaus wäre solch ein Krieg unausweichlich langgezogen wegen der militärischen Macht der Sowjetunion und würde revolutionäre Explosionen überall auf dem Erdball einleiten. Für die nächste Periode werden die Alliierten trotz der Gegensätze gezwungen sein, einen Vertrag mit der Sowjetunion zu tolerieren.

Die Pläne der Imperialisten gingen schief

Der deutsche Imperialismus sah zuversichtlich die Zerstörung und Aufteilung des Sowjetstaats voraus; die angloamerikanischen Imperialisten erwarteten und erhofften den Untergang der Sowjetunion, aber wollten Russland gleichzeitig zur Brechung der Macht des deutschen Imperialismus nutzen, um selbst als Sieger Übrigzubleiben. Sie erwarteten zumindest, dass die Sowjetunion gebrochen und entscheidend geschwächt aus dem Krieg hervorgehen würde und deshalb nicht in der Lage sein würde, sich den Forderungen und Zumutungen zu widersetzen, die sie ihr aufzwingen wollten.
Aber ihre Kalkulationen sind schiefgegangen. Ein herausragendes Ergebnis des imperialistischen Krieges ist der definitive Aufstieg der Sowjetunion von einem rückständigen Staat zur größten Militärmacht auf dem europäischen Kontinent. Das hat alle Kalkulationen der Imperialisten in beiden Lagern umgestoßen. Die Ergebnisse haben in allen (Botschafts-)Kanzleien der Welt zu Schweißausbrüchen geführt.
Der Krieg in Europa war zum Großteil ein Krieg zwischen Deutschland, bewaffnet mit den Ressourcen von ganz Europa, und der Sowjetunion. Und aus diesem entscheidenden Test ist Russland siegreich hervorgegangen.
Die stalinistische Bürokratie hat eine doppelte Absicht bei der Besetzung der Länder Osteuropas: eine strategische Verteidigungsposition gegen ihre Alliierten; und die Beherrschung, Ausplünderung und Versklavung der Völker des Balkans und Mitteleuropas im Interesse der Bürokratie selbst. Der Einmarsch der Roten Armee nach Osteuropa rief jedoch eine Bewegung unter weiten Schichten der unterdrückten Arbeiter und Bauern hervor. Die stalinistische Bürokratie hat diese Bewegung benutzt um ihre Marionetten fest als Kontrolle der Regierungen zu installieren. Währenddessen hat Stalin den Kapitalismus in den Gebieten unter seiner Kontrolle, die nicht in die Sowjetunion eingegliedert wurden, beibehalten, um die Alliierten zu besänftigen, und zu­gleich bei der Landreform Zugeständnisse an die Bauern gemacht.

Ein anderer Grund für die Beibehaltung des Kapitalismus in den besetzten Gebieten liegt in der Furcht der Bourgeoisie vor den unvermeidlichen Erschütterungen, wenn die Kräfte der proletarischen Revolution (selbst in karikierter Form) in Bewegung gesetzt werden im Balkan und quer durch den europäischen Kontinent. Die hochexplosive Lage würde die Ausbreitung der Bewegung über die Kontrolle der Bürokratie hinaus bedeuten und die Bürokratie durch gewaltige Rückwirkungen auf die Rote Armee und die Arbeiter und Bauern der Sowjetunion bedrohen.
So dient die Besetzung Deutschlands und Osteuropas für die Bürokratie einer doppelten Aufgabe. Sie dient zur Verteidigung der Sowjetunion mit Methoden, die den reaktionären Zielen und Bedürfnissen der stalinistischen Bürokratie dienen. Solche Methoden haben nichts mit dem Leninismus gemein, sind in der Tat seine Negation. In Beziehung auf die europäische Revolution hat die sowjetische Besetzung das Ziel, die Revolution des Proletariats zu erwürgen und zu zerstören.
Mit dem Fall des deutschen Imperialismus verliert die Verteidigung der Sowjetunion ihre frühere Rolle als oberste Priorität unter den Aufgaben des Proletariats der Sowjetunion zugunsten der Verteidigung der europäischen Revolution gegen die Sowjetbürokratie. Die Rote Armee wird in den Händen der bonapartistischen Bürokratie als Waffe der Konterrevolution verwendet. Für das europäische Proletariat nimmt die konterrevolutionäre Politik der stalinistischen Bürokratie die Form einer tödlichen Gefahr an.
Trotzdem ist die Lage mit tödlicher Gefahr für die stalinistische Bürokratie geladen. Die Arbeiter und Bauern der Roten Armee werden unausweichlich mit den Arbeitern und Bauern der eroberten Länder fraternisieren. Die Soldaten wer­den die völlige Falschheit der Propaganda der Bürokratie über die Bedingungen in anderen Ländern im Vergleich zu denen in Russland sehen.

Im allgemeinen kann gesagt werden, dass in der kommenden Periode entweder die Aufrechterhaltung des Kapitalismus in den von der UdSSR besetzten Ländern in Ost- und Mitteleuropa als Ausgangspunkt für die Wiederherstellung des Kapitalismus in der Sowjetunion selbst dienen wird, indem sie der Bürokratie die Möglichkeit zum Erwerb von Eigentum an Produktionsmitteln geben wird; oder die Bürokratie wird gezwungen sein, gegen ihre eigenen Wünsche und auf die Gefahr, es sich mit ihren gegenwärtigen imperialistischen Verbündeten zu verderben, die Industrie in den ständig besetzten Ländern zu verstaatlichen, wobei sie von oben handelt und möglichst ohne Beteiligung der Massen.

Die Vierte Internationale wird zugleich die Natur der Sowjetunion und die Notwendigkeit ihrer Verteidigung vor dem Weltimperialismus erklären und die konterrevolutionäre Rolle der Bürokratie gegenüber der europäischen und der Weltrevolution aufdecken. Auf der nächsten Stufe liegt die Hauptaufgabe bei der Verteidigung der Sowjetunion in der Verteidigung der europäischen Revolution gegen die Verschwörung der stalinistischen Bürokratie mit dem Weltimperialismus. Wo die Rote Armee, die unter der Kontrolle der Bürokratie als ein Instrument ihrer Politik bleibt, zur Zerschlagung und Zerstörung der Bewegung der Massen hin zur Revolution oder zur Unter­drückung von Arbeiteraufständen verwendet wird, wird die Vierte Internationale die Arbeiter aufrufen, sich der Roten Armee mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzustellen, einschließlich Streiks, Waffengewalt etc., und zugleich die Rotarmisten aufrufen, sich an die Mission des Oktobers zu erinnern und auf die Seite der Arbeiterklasse überzulaufen. Der Verteidigung der Sowjetunion dient am besten die Ausdehnung des Oktober und die Wiederbelebung der Sowjetdemokratie innerhalb der Sowjetunion.
Die großrussische stalinistische Bürokratie er­stickt die nationalen Bestrebungen der nationalen Minderheiten innerhalb der Sowjetunion. Die Revolutionäre Kommunistische Partei ordnet den Kampf für Unabhängigkeit der Verteidigung der Sowjetunion unter, steht aber trotzdem für das Recht der Ukrainer, Balten und anderer Sowjet­minderheiten, sich von der stalinistischen Sowjetunion zu lösen und unabhängige sozialistische Staaten zu bilden. Aber die Lostrennung ist eine reaktionäre Utopie, wenn sie nicht als Teil des Kampfes für Sowjetdemokratie, für den Sturz des Stalinismus und für die Vereinigung der demokratisierten Sowjetunion mit den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa gemeint ist.
Während dem Kriegsverlauf hat die Trennung der bürokratischen Kaste von den Massen und ihre Erhebung über sie eine gewaltige Verstärkung erfahren. Nichts bleibt von den Errungen­schaften des Oktobers außer der Haupteroberung: das verstaatlichte Eigentum. Die Macht wurde aus den Händen der zivilen Bürokratie in die der militärischen Bürokratie übertragen, an deren Spitze eine Schar von Marschällen steht. Gegensätzliche Prozesse finden in der Sowjetunion statt. Auf der einen Seite hat der Kriegsverlauf die Proletarisierung neuer Schichten der Bevölkerung beschleunigt, von Frauen und selbst Kindern. So kann das Sowjetproletariat heute zahlenmäßig nicht mehr viel kleiner sein als das Proletariat der Vereinigten Staaten. Auf der anderen Seite nimmt die Differenzierung zwischen der Bürokratie und den Massen immer mehr kapitalistischen Charakter an. Also kommen zwei gegensätzliche Tendenzen zum Vorschein. Die kapitalistischen Tendenzen schauen immer mehr zum Westen, an dessen Laster die Sowjet­bürokratie sich völlig angepasst hat. Die Sowjet­massen sind sich der Verbrechen der Sowjetbü­rokratie wohl bewusst und haben einen intensiven Hass gegen sie. Die siegreichen Arbeiter, Bauern und Soldaten werden der Bürokratie morgen ihre Rechnung präsentieren. Die Siege der Roten Armee müssen die sowjetischen Massen einfach mit einem gewaltigen Elan und Selbstvertrauen erfüllt haben. Sie werden die Zumutungen und Entschuldigungen der Bürokratie nicht einfach akzeptieren, sobald die Gefahr einer kapitalistischen Intervention zurückgegangen ist.[3] Der Krieg und der herkulische Kampf haben die Masse der Bevölkerung aus ihrer Verzweiflung und Apathie gerissen. Der Krieg hat die Sowjetgesellschaft nicht weniger als die kapitalistischen Länder revolutioniert.
Die Siege der Sowjetunion sind ein Kapital für die Weltrevolution, sowohl in ihren Auswirkungen auf die Massen in Europa und der Welt als auch durch die Bewahrung der verstaatlichten Wirtschaft. Aber es ist notwendig, dass die Arbeiterklassen den doppelten, widersprüchlichen Prozess verstehen.
Auf der einen Seite erzeugten die Siege der Roten Armee ein Echo der Oktoberrevolution bei den europäischen Massen; auf der anderen Seite nutzt die Bürokratie die Rote Armee und ihre Agenturen - die Kommunistischen Parteien - zur Erdrosselung der proletarischen Revolution.
Aus einem rein wirtschaftlichen Blickwinkel wird die Sowjetunion wahrscheinlich in der Lage sein, die Produktion in ein paar Jahren auf dem vor dem Krieg erreichten Stand wiederherzustellen, trotz der bürokratischen Exzesse und der Unter­drückung der Initiative der Massen. Weitere wirtschaftliche Erfolge können folgen, aber das heißt nicht, dass der Krieg keine tiefgreifenden Auswirkungen auf das sowjetische Wirtschaftsleben gehabt hätte, oder dass die wirtschaftlichen Nach­kriegsentwicklungen in der Sowjetunion ruhig und ohne Krisen stattfinden werden. Während der letzten vier Jahre wurde die ganze Wirtschaft an die fast ausschließliche Produktion von Kriegsausrüstung angepasst. Die bemerkenswerten Produktionsergebnisse, die erreicht wurden, wurden nur zu großen Kosten gewonnen - die Ab­nutzung der Maschinerie, die Beseitigung von Konsumgüterindustrien, die körperliche Erschöpfung der Arbeiter. Folglich können wir erwarten, dass in der Zukunft aus den Ungleichgewichten innerhalb der Sowjetwirtschaft scharfe Krisen entstehen werden; Krisen, wie sie in den Vor­kriegsjahren aufgetreten sind und die keine 'Planung' durch die Bürokratie überwinden kann, weil ihre grundlegende Ursache darin liegt, dass die verstaatlichte Wirtschaft der Sowjetunion eine isolierte und keine Weltwirtschaft ist.
Die schon existierenden Ungleichgewichte zwischen den verschiedenen Zweigen der Sowjetwirtschaft, zwischen Leicht- und Schwerindustrie, zwischen Industrie und Landwirtschaft, wurden alle als Ergebnis des Krieges sehr verstärkt. Besonders die Lage der Landwirtschaft, die sich selbst 1941 nicht völlig von den Verheerungen der Periode der Zwangskollektivierung erholt hatte und die durch den gegenwärtigen Krieg weitgehend verwüstet wurde, wird Probleme auf­werfen, die im Rahmen der isolierten Wirtschaft der Sowjetunion nicht endgültig gelöst werden können.
Aber trotzdem sind die Vorteile der verstaatlich­ten Wirtschaft derart, dass trotz dieser wirtschaftlichen Widersprüche und innerhalb ihres Rahmens große Produktionserfolge möglich sind, in einem Umfang und mit einer Geschwindigkeit, die selbst die fortgeschrittensten kapitalistischen Länder nicht erreichen können.

Die Differenzierung innerhalb der Sowjetunion hat solche Ausmaße erreicht, dass sich die Perspektiven in drei Möglichkeiten auflösen:

1. ist es theoretisch nicht ausgeschlossen, dass auf der Grundlage einer ansteigenden Wirtschaft die Bürokratie sich selbst für eine weitere Reihe von Jahren behaupten kann;

2. kann die weitere Entartung der Sowjetbürokratie den Weg für die kapitalistische Restauration bereiten;

3. kann das proletarische Wiederaufleben zum Sturz der Bürokratie und der Wiederherstellung der Sowjetdemokratie führen.

Die Bourgeoisie der Welt und vor allem der angloamerikanische Imperialismus setzt alles auf die innere Entartung, die in der Sowjetunion stattfindet. Sie hoffen, dass sie den Kapitalismus in der UdSSR durch wirtschaftlichen Druck von außen und Reaktion im Innern wiederherstellen können. Sie hoffen, dass sie auf der Grundlage des Sieges der Reaktion in Europa und Asien schließlich den Kapitalismus wiederherstellen können, notfalls mit militärischen Mitteln. Inzwischen müssen sie trotz scharfer Zusammenstöße die Begleichung dieser Rechnung verschieben und die Dienste des Kreml bei der Erdrosselung der Revolution in Anspruch nehmen, die die nackte Existenz des Kapitalismus in Europa und Asien direkt und unmittelbar bedroht. So nutzt die Bourgeoisie die Dienste der Bürokratie heute in der Stunde der tödlichen Gefahr für den Kapitalismus, um die Sowjetunion zu erdrosseln, wenn die Krise überwunden ist.
Aber trotz des Umfangs, in dem die Bürokratie gewachsen ist, bietet die Lage günstige Faktoren für die Wiederbelebung der Arbeitermacht. Die wirtschaftlichen Errungenschaften stehen im Widerspruch zum Würgegriff der Bürokratie, die eine zunehmende Belastung für die Wirtschaft des Landes wird. Die Macht der Traditionen des Oktober, wenn sie auch von bürokratischem Dreck überlagert ist, hat sich im Krieg gezeigt. Die kommenden Ereignisse werden für die Welt­bourgeoisie ebenso wie für die stalinistische Bürokratie viele Überraschungen bringen. Das Kollektiveigentum, das in Frieden und Krieg seine Überlegenheit gezeigt hat, befindet sich in schärferem Konflikt mit der Bürokratie. In der politischen Krise, die im Gefolge des Krieges entstehen wird, wird sich die ganze Schwäche der Bürokratie zeigen. Zusammenstöße zwischen den Arbeitern und Bauern, zwischen den Soldaten, die die Früchte des Sieges verlangen, und den unrechtmäßigen Machthabern sind unvermeidlich. In diesen Zusammenstößen wird das mächtige Sowjetproletariat, und seine Avantgarde, die Anhänger der Vierten Internationale, mit seinen Traditionen von drei Revolutionen und zwei gewonnenen Kriegen, wieder zu sich finden.

Die nationale Frage in Europa

Trotz der Leichtigkeit, mit der die Kriegsmaschine der Nazis ganz Europa überrannte, waren nur wenige Jahre nötig, um zu enthüllen, dass die Eroberung illusorisch war. Die Nazis waren unfähig, die leidenden Völker niederzuhalten, für die die Eroberung verstärkte Armut und Hunger bedeute­te, zusätzlich zur unerträglichen Last des totalitären ausländischen Jochs. Ohne ein klares Klassenprogramm als Grundlage ihres Kampfes und um den Preis unzähliger Opfer, schafften es die Massen trotzdem, die Naziherrschaft in Europa zu untergraben.
Die herrschende Klasse der eroberten Länder gab den Nazi-Oberherren willig oder unwillig die Hände und wurde die Manager und Juniorpartner der Eroberer. Die Verfechter der 'nationalen Würde' und 'nationalen Einheit' vereinigten sich in der Stunde der Niederlage mit den Unter­drückern gegen die Masse ihrer eigenen Nation. Klasseninteressen finden wie Wasser ihren eigenen Pegel.
Wenn die Nazis es mit der Hilfe der Quislinge, unterstützt durch die SS mit ihrer Folter und ihrem Terror, schafften, eine unsichere Macht eine Zeitlang aufrechtzuerhalten, war es wegen der Hilfe, die ihnen die Politik der Sozialdemokratie und des Stalinismus brachte. Der Appell an den nationalen Chauvinismus musste den deutschen Imperialisten helfen, die deutschen Arbeiter und Bauern im 'Kampf zwischen den Rassen' hinter sich zu scharen; er musste als nationaler Zement für die Nazigangster und die deutsche Bourgeoisie dienen. Vor der Wahl, andere national zu versklaven oder selbst national versklavt zu werden, dienten die deutschen Soldaten weiter als Besatzungskräfte, ohne Zweifel mit Bitternis in den Herzen. Ein internationalistischer sozialistischer Appell durch die illegalen Massenorganisationen der Arbeiterklasse oder durch die Führung der Sowjetunion und eine systematische Kampagne der Klassenverbrüderung hätte ein Echo gefunden und hätte Auswirkungen auf die hintersten Ecken des Deutschen Reichs und des Nazireichs gehabt. Aber so ein Appell wurde nie gemacht. Systematische Klassenverbrüderung und Aktion wurde nie organisiert.

Unsere Haltung zu den Widerstandsbewegungen

Organisierter Widerstand gegen die ausländischen Unterdrücker wurde von den Stalinisten, Sozialdemokraten, kleinbürgerlichen Parteien und Teilen der Bourgeoisie initiiert. Innerhalb der uneinheitlichen Gruppen, die den Widerstand bildeten, fanden die Klassenwidersprüche und -gegensätze scharfen und organisierten Ausdruck und gingen in manchen Ländern bis zum Bürger­krieg.
In Polen, Jugoslawien und Griechenland führten die scharfen Spaltungen zu zwei verschiedenen und rivalisierenden Widerstandsbewegungen. Zervas und EDES waren Vertreter der alten feudal-kapitalistischen Reaktion, die sich in manchen Stadien sogar auf die Nazis gegen Tito und Siantos stützten, die wiederum die plebejischen Massen vertraten. In geringerem Umfang gab es dieselbe Spaltung in allen besetzten Ländern; zum Beispiel in Frankreich mit dem Maquis und der FTP.[4]
In den Zusammenstößen und bewaffneten Kämpfen, die von Zeit zu Zeit stattfanden, wurden der 'linke' Flügel oder Elemente des Wider­standes, die sich direkt auf die revolutionären Teile des Volkes stützten, unter dem Druck der Klassengegensätze in Konflikte mit den Elementen gebracht, die die Bourgeoisie vertraten. Trotz der 'nationalen', nicht klassenorientierten Politik des Verrats der Führung stellte die Bewegung die Bemühungen und den Druck der Massen für eine Klassenlösung dar, deshalb war es für revolutionäre Sozialisten Pflicht, den linken Flügel gegen den rechten zu unterstützen.
Aber sogar der linke Flügel der Widerstandsbewegung stützte sich nicht auf breite Basiskomitees, sondern auf ein Abkommen der Parteien. Als sol­cher war er ein Block von Parteien und besonders angesichts der Quisling-Rolle des Großteils der Bourgeoisie eine Karikatur der Volksfront. Trotz der Unterstützung von Tausenden loyaler proletarischer Kämpfer, die in diesen linken Teilen der Widerstandsbewegung die Antwort auf ihre Klassensehnsüchte sahen, charakterisierten das chauvinistische kleinbürgerliche Programm, die Führung und die Tätigkeit des Widerstandsblocks ihn als direkte Agentur des Imperialismus.

Mitten im imperialistischen Krieg waren alle objektiven Bedingungen so, dass ein wirklicher Kampf für nationale Befreiung und ein Aufbrechen des Bündnisses mit dem Imperialismus nur auf der Grundlage eines sozialistischen Pro­gramms hätte unternommen werden können, unter dem Slogan der Sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa. Organisierter Kampf auf irgendeiner anderen Grundlage, mit der Politik beider Flügel des Widerstands, hieß, mitten im Krieg einem Block von Imperialisten gegen den anderen zu helfen.
Deshalb konnten die Trotzkisten ihr Banner nicht einholen, indem sie dem Parteienblock beitraten und diese Volksfrontkarikatur unterstützten. Sie unterstützten jede wirkliche Bewegung der Massen und führten sie, wo es möglich war: Streiks, Demonstrationen, bewaffnete Kämpfe; aber die Trotzkisten hatten die Pflicht, den Widerstandsblock als solchen und seine Führung als Arm und Agentur des angloamerikanischen Imperialismus anzuprangern, der den Klasseninteressen der Arbeiterklasse feindlich ist.
Die proletarische Partei hatte die Pflicht, den militärischen Formationen der bürgerlich- und klein­bürgerlich-inspirierten Widerstandsbewegung unabhängige militärische Formationen der Arbeiterklasse und genauso ihre eigenen unabhängigen militärischen Formationen entgegenzustellen und sie, wo immer möglich, zu organisieren.
Unversöhnliche Feindseligkeit zum 'Widerstandsblock' muss ergänzt werden durch flexible Taktiken bei der Ausführung der Parteipolitik. Die Organisationen des Widerstands waren wichtige Felder für die revolutionäre Tätigkeit. Die revolutionäre Partei hatte die Pflicht, ihre Kader in die Widerstandsbewegungen zu schicken, dort dem bürgerlichen und kleinbürgerlichen Programm ein proletarisches Programm entgegenzustellen und zu helfen, den Einfluss der Bourgeoisie auf kämpferische Sektionen der Arbeiterklasse zu zerstören und eine bewusste proletarische Op­position zur Politik des Chauvinismus und den chauvinistischen Führern zu organisieren.
Die 'Befreiung' des Kontinents durch den angloamerikanischen Imperialismus stellte das Problem des Klassenkampfs in akuter Form. Als sich der harte Griff der totalitären Unterdrückung durch den deutschen Imperialismus lockerte, wurde die nationale Frage eher in den Hinter­grund gedrängt. Nur eine längere militärische Besetzung für eine Reihe von Jahren durch die Streitkräfte des angloamerikanischen Imperialismus und der stalinistischen Bürokratie könnte der nationalen Frage wieder einen wichtigen Platz in der Politik auf dem europäischen Kontinent geben. Die indirekte Unterdrückung und Ausbeutung durch die drei Großmächte, das militärische Eingreifen auf der Seite der alten herrschenden Klasse gegen das Proletariat, würde eher die Klassenfragen im Bewusstsein der europäischen Völker aufwerfen. Im Fall Deutschlands wird aber das nationale Problem durch die Teilung und Unterwerfung Deutschlands durch die Alliierten einen akuten Charakter annehmen.

Klassische Bedingungen für die proletarische Revolution

Die Mehrheit der europäischen Bourgeoisie, die schon durch die großen Massenbewegungen der paar Jahre vor dem Ausbruch des Krieges schwer erschüttert worden war, hatte sich als unfähig erwiesen, die Nationen zu führen, die sie zur 'Verteidigung des Vaterlandes' aufgerufen hatten. Durch die militärischen Niederlangen weiter demoralisiert, ohne Perspektive, voll Hass für ihre eigene Arbeiterklasse, fraternisierte fast die gesamte Bourgeoisie der eroberten Länder mit dem Feind und organisierte die gemeinsame Ausbeutung der Masse der eigenen Nation zu­sammen mit dem ausländischen Unterdrücker. So gewannen sie als Quislinge den Hass der überwältigenden Masse der Arbeiter und des Kleinbürgertums.
Der Sieg der Alliierten findet eine Bourgeoisie, die für die 'Befreier' dieselbe Rolle spielen will wie für die 'Eroberer'. Ohne stabile Organe der staatlichen Unterdrückung, in panischem Schrecken angesichts des wachsenden Zorns der Massen, demoralisiert und ohne das Vertrauen, das für eine ausbeutende herrschende Klasse wesentlich ist, hängen sie für die Fortsetzung ihrer Herrschaft völlig von den alliierten Bajonetten ab.
Auf dem anderen Pol will die Masse der Arbeiterklasse das alte Regime nicht länger. Die Erfahrung einer Generation kapitalistischer Herrschaft seit dem letzten Weltkrieg plus die Demonstration der Rolle ihrer eigenen herrschenden Klasse unter der Nazibesetzung; Arbeitslosigkeit und Elend, Faschismus und nationale Demütigung; die Erkenntnis, dass die herrschende Klasse kollaborierte und sich bereicherte, während die Massen den Kampf gegen die ausländischen Unterdrücker führten; und schließlich die gigantischen Siege der Roten Armee mit all ihren Verbindungen zur Oktoberrevolution - alle diese Faktoren haben zur Umgestaltung des Erscheinungsbildes der arbeitenden Massen geführt.

Die Arbeiter Europas brechen mit der bürgerlichen parlamentarischen Politik und dem sozial­demokratischen Reformismus und wenden sich der revolutionären Politik und dem Kommunismus zu - auf dieser Stufe leider den stalinistischen Parteien, ihrer verzerrten und karikierten Form.
Der totale Krieg und die Niederlage beschleunigen die Konzentration des Kapitals und den Ruin der Mittelklassen, besonders in den Städten. Zu Hunderten und Tausenden wurde das Kleinbürgertum rüde in die Reihen der Arbeiter hinabgestoßen. Sie wurden in die Fabriken und Sklavenarbeitslager gezwungen; sie wurden proletarisiert. Vor dem Hintergrund der Radikalisierung der Arbeiterklasse findet in den Reihen des Kleinbürgertums eine entsprechende Entwicklung statt.
Wie immer mussten die am meisten unterdrückten Schichten der Bevölkerung - die Frauen und die Jugend - die größten Lasten des Krieges tragen, und auch hier, besonders bei der Jugend, hat die Sehnsucht nach radikaler Veränderung und einer kommunistischen Lösung der Tagesprobleme ei­nen festen Halt gefunden.
So sind alle objektiven Bedingungen für den Sturz des Kapitalismus und die Einführung des Sozialismus klar vorhanden. Aber die subjektiven Faktoren sind noch nicht da. Die revolutionären Massenparteien der Vierten Internationale sind noch nicht geschaffen. Die wichtigste Frage, der unsere Genossen in Europa gegenüberstehen, ist die Umgestaltung der kleinen trotzkistischen Gruppen und Parteien in die kämpfende Führung der Arbeiterklasse. Ohne trotzkistische Parteien werden die Massen, denen die Sozial­demokratie und vor allem der Stalinismus die Au­gen verbunden haben, sich ihre Köpfe vergeblich an den Wällen des Kapitalismus einrennen.
Nur die zahlenmäßige Schwäche der Kader der Vierten Internationale und die Isolation unserer Genossen gibt der herrschenden Klasse die Möglichkeit einer Atempause. die Führung der Bourgeoisie ist sich trotz ihrer Demoralisation ihrer eigenen Klassenbedürfnisse bewusst. Sie müssen um jeden Preis die Arbeiterklasse zerschmettern; aber im Moment haben sie nicht die Kräfte, um das zu tun.

Die Erfahrung von Griechenland

Die Ereignisse in Griechenland[5] markieren den Beginn einer neuen Phase von Revolution und Konterrevolution in Europa. In diesem kleinen Land, in dem die explosiven Kräfte von jahrhundertlangen Klassengegensätzen sich angesammelt haben und das seit drei Jahrzehnten im Aufruhr ist, brach ein Bürgerkrieg aus, dem ein unbarmherziger und schonungsloser Interventionskrieg durch die britischen Imperialisten folgte.
Im Konflikt zwischen Monarchisten und Republikanern während der letzten Generation war die Bourgeoisie unfähig, entscheidende Maßnahmen gegen die feudalen Großgrundbesitzer zu ergreifen, und ebenso unfähig, die Probleme der demokratischen Revolution zu lösen, und bereitete ständig den Weg für die monarchistische Reaktion. Der Wiedereinsetzung von König Georg[6] folgte die Diktatur von Metaxas als ein Versuch, 'Ruhe' und Klassenfrieden' wiederherzustellen. Dieses 'Experiment' sollte die griechische Arbeiterklasse und Bauernbewegungen atomisieren, die das alte Regime umzustoßen und in Richtung sozialistische Revolution zu gehen drohten - wie die Streiks der Arbeiter und die Revolten von Teilen der Bauernschaft zeigten. Die britischen Imperialisten, deren finanzielle und strategische Interessen sie zwangen, Griechenland als Halb­kolonie zu betrachten, unterstützten die griechi­sche herrschende Klasse bei der Durchführung dieser reaktionären Maßnahme.
Die Bösartigkeit der Metaxas Diktatur hatte schon vor dem Krieg die Basis der griechischen herrschenden Klasse untergraben und eine Volksbewegung der Revolte geschaffen. Aber die Zu­sammenarbeit der griechischen herrschenden Klasse mit den deutschen Eroberern als Quislin­ge kristallisierte die Feindseligkeit der Massen und erzeugte so die Explosion, sobald die deutschen Truppen abgezogen wurden.
Der Versuch, den Massen die alte herrschende Klasse und sogar die Monarchie aufzudrängen, wurde nicht kampflos geduldet. Die Massen hat­ten einen unnachgiebigen und blutigen Krieg gegen die SS geführt und waren weitgehend verantwortlich für die Befreiung von Griechenland. Durch ihre bewaffnete Organisation, die ELAS, war die faktische Kontrolle in ihren Händen. So war die Provokation der griechischen Regierungspolizei, die auf unbewaffnete Demonstranten schoss, ausreichend, einen bewaffneten Auf­stand herbeizuführen. Ohne Vorbereitung, Organisation oder eine klare Idee, wie sie ihre Ziele erreichen können, gingen das tapfere griechische Proletariat und die Bauernschaft in Aktion. Aber ohne revolutionäre Führung wurde der Kampf besiegt.

Die stalinistische Führung lenkte die Bewegung nach dem gewohnten Muster der Volksfront in sichere Kanäle ab und die sozialen Ziele wurden in die Zwangsjacke des bürgerlichen Parlamentarismus gezwängt. So wurde der Boden bereitet für Niederlage und Kapitulation auf Seiten der stalinistischen Führung.
Die griechischen Ereignisse demonstrierten wie­der einmal, dass die Massen ohne revolutionäre Partei zur Katastrophe geführt werden, besonders wenn der Klassenkampf zum offenen Bürgerkrieg führt. Ohne die Partei können die Massen die Machteroberung nicht erreichen.
Abgesehen von den lokalen Besonderheiten stellte Griechenland ein Modell für die Probleme und Lehren ganz Europas dar. Churchills Politik der unbarmherzigen Unterdrückung wurde ebenso sehr durch Überlegungen imperialistischer Strategie wie interne Klassenbeziehungen bestimmt. Wegen der Herrschaft der stalinistischen Bürokratie auf dem ganzen Balkan durch die Besetzung der siegreichen Roten Armee war es für die Interessen des britischen Imperialismus im Mittelmeerraum wesentlich, Griechenland fest im Griff zu haben. Trotzdem haben die Imperialisten in Griechenland Anschauungsunterricht über die Schwierigkeiten einer offenen Politik militärischer Unterdrückung in Europa erhalten. Die nüchternsten und realistischsten Teile der herrschen­den Klasse in Großbritannien waren die ganze Zeit gegen die in die Angelegenheit hineinstolpernde, abenteuerliche Unterdrückungspolitik Churchills. Selbst in einem kleinen Land von sechs Millionen Einwohnern wurden die Gefahren eines solchen Handlungsablaufs durch die Entwicklung der Ereignisse enthüllt. Der britische Imperialismus war gezwungen, mit den kleinbürgerlichen Verrätern in der Führung der EAM ei­nen Kompromiss zu schließen.
Die Plastiras-Regierung und ihre Nachfolgerin, die Vulgaris-Regierung[7] stellen einen ungeschickten Versuch zur Wiederherstellung des Gleichgewichts der bürgerlichen Gesellschaft in Griechenland dar. In diesem Arrangement gibt es zweifellos Elemente des Bonapartismus und der Militärdiktatur. Trotzdem hat der durch die Kapitulation der Stalinisten erreichte Kompromiss den Massen in etwas geschwächter Form ihre Organisationen gelassen (dank dem Kampf der Massen und der Besorgnis des britischen Proletariats), nicht völlig intakt, aber auch alles andere als zerstört.
Dieses unbehagliche Kräfteverhältnis kann nicht unbegrenzt andauern. Entweder wird die Monarchie wiederhergestellt werden, was unausweichlich zur systematischen Vernichtung der Organisationen des Proletariats führen würde, oder die Reaktion fühlt sich selbst zu schwach und versucht, mit der Republik zu manövrieren. Selbst im letzteren Fall könnte jedoch das gegenwärtige Regime nicht lange dauern. Ein Stoß von unten würde es unausweichlich wegfegen und die Bourgeoisie würde versuchen, die politische Szene wieder durch ihre Volksfrontpolitik zu manipulieren. Die Entwicklungen in Griechenland werden jedoch in großem Umfang von den Ereignissen in Westeuropa, dem Balkan und Großbritannien abhängen. Nur eins steht von vorn­herein fest: in der nächsten Periode werden die Regime in Griechenland von einer Krise in die andere kommen.

Die Konterrevolution in 'demokratischer' Form

Griechenland hat den Blitz des revolutionären Sturms gezeigt, der sich über Europa bildet. Die Bourgeoisie der ganzen Welt hat diese Ereignisse richtig eingeschätzt. Die Grundlage des alten Systems ist im ganzen ruinierten Europa zusammengebrochen. Das Verschwinden von Hitler und Mussolini bedeutet das Ende einer stabilen Basis für die Reaktion in Europa, zumindest für die unmittelbar bevorstehende Periode.
Unter den Bedingungen von Gärung und Radikalisierung der Massen, bei der die rebellische Stimmung der Massen direkt den Weg des Auf­stands betritt; mit der Abkehr des dreifach ruinierten Kleinbürgertums voller Hass und Verachtung von den Konzernen und Monopolen, vom Einfluss der kapitalistischen Reaktion, nimmt die Aufgabe des angloamerikanischen Imperialismus, die 'Ordnung' in Europa wiederherzustellen, die Herrschaft des Kapitals zu errichten, die Gestalt von komplizierten und geschickten Manövern an. Es wird in diesem Stadium schwierig sein, die Massen niederzuknüppeln, es wird notwendig sein, sie mit den Allheilmitteln von 'Fortschritt', 'Reform', 'Demokratie' im Unterschied zu den Schrecken der totalitären Herrschaft irrezuführen. In Europa ist jedoch die Kontrolle der Lage weit­gehend den Händen der Bourgeoisie entglitten. Die Massenorganisationen der Arbeiterklasse werden das entscheidende Wort haben.
Das unmittelbare Erscheinen von sowjetartigen Organisationsformen beim Fall Mussolinis, die von Teilen der Arbeiter, Soldaten und Bauern organisiert wurden, kennzeichnet, dass das Proletariat wieder einmal auf der politischen Bildfläche erschienen ist. Auch hier trat unmittelbar ein ein­führendes Stadium von Doppelherrschaft auf. Aber wieder einmal war die Politik der alten Arbeiterparteien Haupthindernis und -hemmschuh der Entwicklung der Revolution. Das Bewusstsein der Massen ist noch in einem einführenden Stadium. Sie wollen den Kapitalismus und das alte Regime nicht mehr und möchten gern den Weg der russischen Arbeiter in der Oktoberrevolution gehen. Aber bisher verstehen sie noch nicht die Rolle der alten Arbeiterparteien als Bremsen der Entwicklung des Kampfes; bisher verstehen sie noch nicht die Notwendigkeit einer trotzkistischen Massenpartei.

Ganz Westeuropa bietet ein Bild revolutionärer Krisen in ihren embryonischen Stadien. Die Lockerung des harten Griffs der totalitären Un­terdrückung enthüllte die Kräfte, die sich unter der Oberfläche entwickelt hatten. In Belgien, Holland und selbst Skandinavien ist derselbe Prozess des Massenwiderstands gegen Unter­drückung und Entfremdung der Emigrantencliquen der alten 'Regierungen' deutlich zu sehen.

Osteuropa bietet ein ähnliches Bild der Entwicklung des molekularen Prozesses der Revolution. Der heroische Aufstand der Warschauer Arbei­ter[8] beim Nahen der Roten Armee ist, obwohl er vom Londoner Komitee verzerrt und fehlgeleitet wurde, ein Anzeichen für die Stimmung der Massen in Polen. Der kalkulierte Verrat Warschaus durch die stalinistische Bürokratie unterstreicht die konterrevolutionäre Rolle, die sie in Europa und der Welt spielt.
Es würde stimmen, wenn man sagen würde, dass die Lage der Bourgeoisie in Europa hoffnungslos wäre, wenn ihr revolutionäre Massenparteien der Arbeiterklasse gegenüberstünden. Aber wegen der Schwäche der revolutionären Avantgarde gibt es, wie Lenin erklärte, keine hoffnungslose Lage für die Bourgeoisie.[9] Die Sozialdemokratie rette­te den Kapitalismus nach dem letzten Krieg. Heute gibt es zwei Verräterinternationale' zur Verfügung des Kapitals - Stalinismus und Sozial­demokratie. Diese bieten sich als Mietlinge des Kapitals an, zusammen mit der Führung der Gewerkschaften, die erneut hervorsprossen, unmittelbar nachdem der Druck der Nazis aufgehoben wurde.

Die SS erkannte es als unmögliche Aufgabe, Europa zu kontrollieren. Nach ihrer Erfahrung er­kennt die Bourgeoisie die Unmöglichkeit, die Massen in diesem Stadium des Wiedererwachens mit ähnlichen Mitteln zu kontrollieren. Sie finden ein bereites und williges Instrument in Gestalt der sozialdemokratischen und stalinistischen Organisationen, um die revolutionäre Auf­wallung der Massen in sichere und harmlose Kanäle der Klassenzusammenarbeit abzuleiten durch eine Volksfrontpolitik, die noch degenerierter ist als die, die in der Vergangenheit existierte. So werden sie Unterdrückung mit illusionären Reformen verbinden. Sie werden die embryonischen Organe der Arbeiterherrschaft zerschlagen und die Massen entwaffnen und gleichzeitig ihre Sehnsucht nach 'repräsentativen' Regierungen und 'demokratischen' Freiheiten verkünden. Es gibt keinen anderen Weg, auf dem sie die Auf­wallung der Massen zum Sturz des kapitalistischen Systems zügeln können. Es stimmt, die Konterrevolution des Kapitals wird in ihren frühen Stadien, innerhalb einer kurzen Zeitspanne nach der Errichtung von Militärregierungen, eine 'demokratische' Form annehmen. Die Bourgeoisie wird das Einräumen von illusorischen Zugeständnissen mit Repressalien und Unter­drückungsmaßnahmen gegen die revolutionären Kräfte verbinden.

Die herannahende Revolution in Europa kann keine andere als die proletarische Revolution sein. Trotzdem ist es unvermeidlich, dass sich in ihren frühen Stadien die alten Organisationen des Proletariats erfolgreich an die Spitze der Massen stellen. Die Massen werden nur durch neue (wenn auch kurze) Erfahrung lernen, dass diese Organisationen die Interessen des Klassenfeinds vertreten. Und die Massen sind sich zwar völlig klar, was sie nicht wollen, aber nicht über die Mittel, um ihre Ziele zu erreichen. So führen alle Faktoren zu einer Periode der Kerenskiade im ersten Stadium der Revolution in Europa hin.
Der angloamerikanische Imperialismus spürt die Unausweichlichkeit des Falls Francos und mit ihm revolutionäre Störungen überall auf der iberischen Halbinsel, sobald Hitler von der Szene verschwunden ist. Wegen der wachsenden Un­zufriedenheit der Massen verhandelt und manövriert der angloamerikanische Imperialismus schon mit Teilen der spanischen Bourgeoisie, mit Franco und mit emigrierten Politikern, um den revolutionären Aufstand der Massen abzufangen. Ein Aufstand in Spanien droht zu ernsthafte Auswirkungen auf den Rest Europas zu haben. Deshalb ihre Suche nach einem spanischen Badoglio[10], um einen 'sicheren' und 'friedlichen' Übergang vom verlorenen Francoregime sicher­zustellen. Ob ihre Bemühungen erfolgreich sind oder nicht, die Bewegung der Massen kann da­durch nur vorübergehend verzögert werden. Die ernsthaften Vertreter des Finanzkapitals haben viel mehr aus den Erfahrungen der letzten Jahr­zehnte gelernt als die treulosen 'Führer' der Arbeiterklasse. Für sie ist das Problem des Über­gangs von einem Regime in das andere davon bestimmt, wie den Interessen der herrschenden Klasse am besten gedient und sie gesichert wer­den.
Es ist für die Bourgeoisie in Großbritannien und Amerika klar unmöglich, den Völkern Europas ein ausländisches totalitäres Joch für irgendeinen längeren Zeitraum aufzuerlegen. Besonders wichtig in dieser Beziehung ist die Rolle des Kreml. Er hat zwar tödliche Angst vor dem Sieg der proletarischen Revolution, aber er ist, wo immer es möglich ist, an der Bewahrung einer maximalen Bewegungsfreiheit für seine örtlichen Agenturen, die lokalen Kommunistischen Parteien, interessiert. Der Sieg der Reaktion überall in Europa bedeutet eine neue und größere Gefahr der imperialistischen Intervention gegen die Sowjetunion im kontinentalen Maßstab. Deshalb betreibt die Sowjetbürokratie eine Politik der Sicherung der Herrschaft des Kapitals, aber mit der Existenz von Arbeiterbewegungen als Sicherung gegen die Bourgeoisie. Die breite Masse der Völker in Europa schaut auf die Sowjetunion als Bannerträger des Sozialismus. die kapitalistischen Demokratien sind gegenwärtig gezwungen, sich mit diesem Faktor auszusöhnen und sind willig - und haben in der Tat keine andre Wahl - als auf der Grundlage der Aufrechterhaltung des Kapitalismus in Europa mit der Sowjet­bürokratie Kompromisse zu schließen.

Die Erfahrung der russischen Revolution, der deutschen Revolution von 1918, der spanischen Revolution von 1931 bestätigen alle diese Schlussfolgerungen. Die Aufwallung der Massen führte zum Sturz der Monarchie in Spanien und der Ausrufung der Republik durch die Bourgeoisie. Eine Koalitionsregierung von bürgerlichen Republikanern und Sozialisten verkündete radikale Programme auf dem Papier und führte zugleich Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Arbeiter und Bauern durch. So eine Regierung konnte nicht lange dauern. Das Regime der spanischen Republik war ein Regime der Krise. Eine Periode von Ebben und Fluten, von Reaktion und Radikalisierung erreichte ihren Höhepunkt in dem ein halbes Jahrzehnt dauernden Versuch von Bourgeoisie und Proletariat, eine Lösung in einem blutigen und verzweifelten Bürgerkrieg zu finden.

Das spanische Muster der Ereignisse wird sich in der kommenden Periode auf einer gesamteuropäischen Ebene kundtun. Rückschrittliche ebenso wie fortgeschrittene Länder sehen sich in diesem oder jenem Grad derselben Krise gegen­über. Von der Wolga bis zur Nordsee, vom Schwarzen Meer bis zum Baltikum wurde fast ganz Europa zu Ruinen und Chaos heruntergebracht. Eine stabile Basis für bürgerliche Demokratie ist so ausgeschlossen. Selbst die relative 'Stabilität' der spanischen Republik wird nicht er­reicht werden. Die revolutionärste Epoche in der europäischen Geschichte wird durch die Ereignisse in Italien und Griechenland angekündigt.

Das alliierte Programm für Europa

Das alliierte Programm für Europa ist wegen der tieferen Krise des Kapitalismus viel schlimmer in seinen Vorkehrungen als selbst der Versailler Vertrag. Statt einer Zwangseinheit eines riesigen Konzentrationslagers, wie es das Ziel der Nazis war, wollen die Alliierten Europa atomisieren und aufsplittern nach den Linien, die nach dem letzten Krieg so deutlich zur Katastrophe führten. Europa soll die Beute des britischen und ameri­kanischen Imperialismus werden, wobei Teile Europas Satelliten und in der Einflusssphäre der Sowjetbürokratie sind.

Selbst unter kapitalistischen Vorzeichen würde ein vereinigtes Europa als zu gewaltiger Rivale und Bedrohung für den britischen und amerikanischen Imperialismus erscheinen. Die Sowjetbürokratie ist unveränderlich gegen die Aussicht einer Vereinigung selbst von Teilen des Kontinents in kapitalistischen Staatenbünden, weil sie unausweichlich der Ausgangspunkt für einen neuen Krieg gegen die Sowjetunion in der Zukunft wer­den würden. Deshalb ist Stalin zusammen mit Truman und Churchill auf die Balkanisierung Europas und die Zerstückelung Deutschlands als einzigem möglichen mächtigen Feind in einem künftigen Krieg auf dem europäischen Kontinent festgelegt.
Der amerikanische Imperialismus mit seinen riesigen Ressourcen und seiner Produktionskapazität wird zum Versuch der 'Organisation' der ganzen Welt getrieben in einer Anstrengung, den Folgen der unlösbaren Widersprüche zwischen den Kapazitäten und den Grenzen selbst des großen amerikanischen Marktes zu entkommen. Amerika versucht die seit Epochen bestehende Herrschaft über Europa - vor allem die des niedergehenden und geschwächten britischen Im­perialismus - an sich zu reißen und sich die Märkte der ganzen Welt unter den Nagel zu reißen. Nicht zufrieden mit den Märkten der Kolonialländer, will Amerika ebenfalls die Märkte und Industrien Europas in den Würgegriff nehmen. Es will, dass der Dollar über die Währungen und Wirtschaften Europas herrscht. Das amerikanische Finanzkapital will das durch den Krieg in Europa hervorgerufene Chaos und die Desorganisation nutzen und Europa durch das Mittel von Krediten und die Waffen von Nahrungsmitteln, Zufuhr und Ausrüstung auf Ration setzen, und zugleich in Momenten von Belastung und Aufruhr mit denselben Mitteln die Revolutionen erpressen und bestechen.
Die Brutalität des angloamerikanischen Imperialismus in bezug auf Deutschland wird nicht nur durch das Programm der Unterwerfung und Aus­beutung bestimmt, sondern durch die Furcht vor der proletarischen Revolution in Deutschland. Das deutsche Volk hatte die Erfahrung aller Re­gime der bürgerlichen Herrschaft in wenigen Jahrzehnten. Das Proletariat und das Kleinbürgertum werden sich unausweichlich der sozialistischen Revolution zuwenden.

Genau in Deutschland wird die Bourgeoisie den utopischen Charakter ihrer Programme zur Beibehaltung des alten Systems entdecken. Alle Versuche zur Bestrafung der Fraternisierung werden mit der Besetzung Deutschlands für irgendeinen längeren Zeitabschnitt zusammenbrechen. Die Tommies und Doughboys[11] werden ihre Mission in Europa als beendet betrachten. Sie werden die Demobilisierung und eine Rück­kehr nach Hause verlangen, in die bessere Welt, die ihnen die Bourgeoisie versprochen hat. Der Kampf des deutschen Proletariats gegen die Besatzungstruppen, gegen die nationale Demütigung und Zerstückelung Deutschlands, der Kampf für nationale und soziale Freiheit wird den Weg bereiten für einen gewaltigen Widerstand auf der Seite der Massen, gerade unter der Ferse der Besatzungstruppen.
Mit ihrem reaktionären Programm der nationalen Versklavung können die Stalinisten nur für die kürzeste Zeit hoffen, die deutschen Massen zu beschwindeln. Der Weg für eine schnelle Umgruppierung der Kräfte des deutschen Proletariats in eine revolutionäre Richtung wird bereitet. Die Erfahrung Italiens ist ein Anschauungsunterricht, wie schnell die Massen sich von den Auswirkungen schrecklicher Niederlagen unter dem Einfluss geschichtlicher Ereignisse erholen können. Die Ressourcen und die Kapazität des Proletariats zum Kämpfen scheinen fast unerschöpf­lich zu sein.

Die Balkanisierung Deutschlands und Europas, die angloamerikanische Herrschaft über West­europa, die Ansprüche Frankreichs, die Herrschaft des Kreml über Osteuropa durch bürgerliche Marionetten werden für den gequälten Kontinent noch schrecklichere Folgen haben als der 'Frieden' von Versailles. In der Epoche von Flug­zeugen und Panzerdivisionen nimmt die Absurdität von nationalen Grenzen, Zollschranken und Armeen, von kleinen und großen Staaten in Europa einen besonders unheilvollen Charakter an durch die langsame und schmerzhafte Erdrosselung der Produktivkräfte und den Niedergang der europäischen Kultur. Besonders weil die Großmächte - zu denen erstmals keine europäische Macht gehört - ganz Europa für ihre eigenen Interessen bluten lassen werden. Die nächste Stufe wird eine klassische Periode in der Epoche von Kriegen, Revolutionen und Konterrevolutionen sein, die durch die Geschichte der letzten Jahrzehnte vertieft und verstärkt wurde.
Auf der Grundlage der Unterstützung, die der Weltimperialismus durch den Stalinismus und den klassischen Reformismus erhält (und das ist einer der objektiven Faktoren, mit denen man rechnen muss) ist es möglich, dass der Weltimperialismus für eine Periode bei der 'Stabilisierung' der bürgerlichen-demokratischen Regime in gewissen Ländern Erfolg haben kann. Der Stalinismus muss den Massen einige Errungenschaften geben in der Gestalt der Wiederherstellung der Gewerkschaften, freier (relativ, wie in Spanien 1931) Presse und Meinungsäußerung, Wahlrecht etc., aber in abgeschwächter Form. Die Imperia­listen brauchen ein 'demokratisches' Zwischen­spiel, bevor sie den Weg der Reaktion beschreiten können. Außerdem haben sie keine andere Wahl. Die Schocks des Krieges und des Debakels des Faschismus lassen der Reaktion keine Massenbasis in der unmittelbar bevorstehenden Periode. Der Versuch, Militärdiktaturen ohne gesellschaftlichen Rückhalt einzurichten, wäre sehr schwierig. Außerdem könnten solche Regime nicht sehr lange überlegen, sobald die britischen und amerikanischen Truppen zum Abzug gezwungen wären. Der stürmische Druck der Massen zwingt sie, ihre Reservewaffe in Gestalt der Arbeiterorganisationen vorzubringen.
Auf der anderen Seite ist es möglich, dass in isolierten Fällen der angloamerikanische Imperialismus und die nationale Bourgeoisie erfolgreich sofort Militärdiktaturen einführen können. Aber ohne sozialen Rückhalt in den Massen könnten sie keine lange Dauer haben. vor dem Hinter­grund der sozialen Unruhe und der Konflikte in Europa und der Welt würden sich solche Regime Krisen und Erschütterungen gegenübersehen.

Unsere Einschätzung der Entwicklung der Ereignisse heißt nicht, dass wir pessimistische Schlussfolgerungen ziehen würden. Vielmehr das Gegenteil. Aber sie fordert, dass die Vierte Inter­nationale die Lage nutzt, um sich auf die -Schocks vorzubereiten, die die Imperialisten er­warten. Wir haben eine Epoche scharfer Wen­dungen. Die Veränderungen in der Lage in Spanien nach der Revolution von 1931 entwickelten sich mit gewaltiger Schnelligkeit. Aufwallung der Massen, Ausverkauf der Reformisten, Unfähig­keit der Anarchosyndikalisten und Stalinisten, eine revolutionäre Führung zu geben (vor allem bei den demokratischen und Übergangsforderungen). Die kurze Periode der Windstille, in der die Reaktion ihre Kräfte darauf vorbereitete, um die Rechnung mit den Massen zu begleichen auf der Grundlage der von deren Führung hervorgerufenen Desillusionierung und Verzweiflung; die Antwort der Massen auf die Peitsche der Konterrevolution durch Generalstreik und Aufstand in Asturien und Katalonien; die Reaktion kann sich nicht festigen; die Massen beleben sich wieder, die Bildung der Volksfront als Zügel für die Massen; die Februarwahlen; die stürmische Entwicklung der Arbeiter und Bauern, die die Stalinisten und Reformisten nicht kontrollieren können; eine Bewegung in Richtung sozialistische Revolution; der Juliputsch Francos und der Aufstand der Massen als Antwort.

Hier haben wir einen Schimmer der nächsten Periode in Europa. Die Kader der Vierten Inter­nationale müssen die Lehren der Ereignisse mit großer Sorgfalt studieren. Jeder Stufe entsprechen andere Slogans und Taktiken, andere Me­thoden der Agitation und Propaganda, andere Aktionen auf Seiten der Massen.
Vor diesem Hintergrund von Krisen, die sich mehr oder weniger über den ganzen Kontinent erstrecken und sich über die archaischen Staats­grenzen ausbreiten, sind die objektiven Bedingungen geschaffen für die Sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa als der einzigen Lösung für die Probleme, die jedes Land plagen.
Die Auswirkungen des Krieges, der Kampf der Völker gegen die Naziherrschaft, das Vorbild der Föderation der UdSSR, die kommende Reaktion gegen die alliierte Herrschaft, die unausweichliche Reaktion gegen nationalistischen Rausch und Chauvinismus, die Radikalisierung der europäischen Massen - alle diese Faktoren liefern auch die subjektive Basis für die Propaganda der Sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa, auf die die Massen antworten werden. Als das Band, das das Programm der Vierten Internationale zusammenbindet, werden die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa der strategische Hauptslogan sein als einzige Alternative zu nationalem Niedergang und Zerfall, Niedergang von Kultur und Zivilisation in allen Ländern Europas.

Unsere Aufgaben in Europa

Die Vierte Internationale wird nur mit einer richtigen taktischen Herangehensweise an die sich ändernden Lagen und Stimmungen in die breiten Massen eindringen und die Partei der sozialistischen Revolution aufbauen.
Eine ganze Serie von schrecklichen Niederlagen wäre erforderlich, bevor die Bourgeoisie eine offen diktatorische Herrschaft nach dem Muster der faschistischen Regime von Hitler und Mussolini errichten könnte. Der Kreislauf beginnt wieder ganz von vorne, aber auf einer neuen Basis. Der Niedergang des kapitalistischen Systems schwächt die Bourgeoisie und macht sie weniger fähig, ihre Herrschaft fest in den Massen zu vernieten. Die Welt steht 1917-21 gegenüber, aber auf einem höheren Niveau. Die Degeneration der verfaulten Arbeiterorganisationen gibt dem Kapitalismus eine Atempause. Nur wenn eine Reihe von Revolutionen scheitert, kann die Bourgeoisie hoffen, ihr System noch einmal zu retten, indem sie auf neofaschistische monströse Reaktion und Unterdrückung zurückgreift. Bevor es so weit ist, werden die Massen auf die Probe gestellt worden sein. Das Proletariat wird seine alten Organisationen ablegen, wenn die Vierte Internationale fähig ist, sich in ihrer Strategie und Taktik mit der Massenbewegung der Arbeiter zu verbinden.
Die Grundaufgabe in dieser Periode ist der Auf­bau der revolutionären Massenparteien der Vier­ten Internationale. Wir befürworten die Errichtung von Ad-hoc-Kampforganisationen, wo immer sich die Gelegenheit bietet, und bemühen uns um sie, wir befürworten die Diktatur des Proletariats als die einzige Lösung und kämpfen für sie, aber unsere europäischen Genossen können nicht hoffen, das auf der ersten Stufe des Kampfes zu er­reichen. Es stimmt, dass die Massen die sozialistische Lösung suchen; aber sie werden durch die Erfahrung der Politik des Verrats des Stalinismus und der Sozialdemokratie in der Aktion gehen müssen, um zu lernen, dass selbst der alte Lebensstandard nur durch die Herrschaft der Arbeiterklasse gewonnen werden kann.

Der Kampf für demokratische, wirtschaftliche und Übergangsforderungen ist keineswegs im Verlauf der bevorstehenden revolutionären Epoche über­holt oder hinfällig, sondern gewinnt gewaltige Bedeutung für den Aufbau des Rahmens unserer Bewegung. Deshalb muss Seite an Seite mit der Propaganda für Sowjets und eine Arbeiterregie­rung auf dieser Stufe eine Agitation durchgeführt werden, dass die alten Organisationen der Arbei­ter, die immer noch das Vertrauen und die Un­terstützung der Massen haben, ihr Bündnis mit der niedergehenden Bourgeoisie und dem alliier­ten Imperialismus brechen sollen und dass ihre Führer ihren Worten Taten folgen lassen sollen. Unsere Genossen werden fordern, dass die Mas­senorganisationen, die beanspruchen, die Arbei­ter zu vertreten, einen Kampf zur Übernahme der Macht in ihre eigenen Hände führen. 'Eine Regie­rung von Sozialisten und Kommunisten!' Das wird der Sammlungsruf sein, der von der Vierten In­ternationale zur Mobilisierung der sozialdemokra­tischen und kommunistischen Arbeiter für einen Kampf gegen die kapitalistische Klasse verwen­det werden wird.

Zugleich und Seite an Seite damit muss die For­derung nach Wahlen auf der Grundlage des all­gemeinen Wahlrechts ab 18 Jahren stehen. Die Bourgeoisie und die reformistischen Organisatio­nen schwatzen über demokratische Rechte, aber sie haben zugelassen, dass die Macht in den Händen der bürgerlichen Cliquen bleibt, haupt­sächlich unter dem Schutz der alliierten Bajonette, ohne die Masse zu befragen oder ein Mandat von ihnen zu erhalten. So muss die Forderung nach allgemeinen Wahlen und dem Zusammen­tritt einer verfassungsgebenden Versammlung eine große Rolle in der Agitation unserer Genos­sen in den ersten Stadien der revolutionären Mobilisierung der Massen spielen. Damit werden Übergangsslogans für verschiedene Industrien in verschiedenen Stadien des Kampfes verbunden sein: Verstaatlicht die Banken ohne Entschädi­gung! Übernehmt die Bergwerke, Eisenbahnen, Großindustrie und betreibt sie unter Arbeiterkon­trolle! Enteignet die Trusts, die gestern mit Hitler kollaboriert haben und heute mit den alliierten Imperialisten kollaborieren! Einen Plan für öffent­liche Arbeiten! Eine gleitende Skala der Arbeits­zeit und Löhne! Die Bewaffnung der Arbeiter und die Organisation von Arbeitermilizen! Man braucht die Forderungen, die entsprechend der Entwicklung der Lage aufgestellt werden, nicht im Detail darzustellen, weil sie als Politik der Vierten Internationale im Übergangsprogramm aufge­führt sind. Diese Forderungen stehen nicht im Gegensatz zum Programm von Sowjets, von Ar­beiterkomitees in den Fabriken und Straßen. Aber ohne sie bestünde die Gefahr, dass die Gruppen der Vierten Internationale in sektiereri­sche Sterilität und Isolation degenerieren. Sie stellen eine Brücke zu den breiten Massen dar und ohne sie wäre das Problem der Organisation der Avantgarde doppelt schwierig.
In Perioden so wie diesen wird sich die Partei der Vierten Internationale aufbauen. Die stalinisti­schen und sozialdemokratischen Parteien wer­den nicht die Stabilität erreichen, die sie in der Vorkriegszeit erlangten. Sie werden sich einer ständigen Serie von Krisen und Spaltungen ge­genübersehen. Bei richtigen Taktiken werden die Parteien der Vierten Internationale auf ihre Ko­sten wachsen. Jedoch in vielen Ländern werden kurzlebige zentristische Strömungen und Grup­pen erscheinen wegen der Schwäche der Orga­nisationen der Vierten Internationale und dem Fehler eines Sprechers mit Autorität, wie es Leo Trotzki war. Auf der Grundlage der Fähigkeit der jungen Kader der Internationale, selbst im Verlauf des Kampfs zu lernen, und der Erfahrung der Massen bei der Anwendung des Programms der Vierten Internationale wird Autorität aufgebaut werden.

Ted Grant, März 1945


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[1] Vidkun Quisling, norwegischer Faschistenchef, von Hitler 1940 zum Regierungschef gemacht. Sein Name wurde zur Bezeichnung für Kollaborateure mit den Nazibesatzern

[2] die britischen Kolonien mit Selbstverwaltung (für die Weißen), v.a. Kanada, Südafrika, Australien, Neuseeland

[3] ein halbes Jahr später haben die amerikanischen Atombomben der Bürokratie zu einer neuen Rechtfertigung verholfen

[4] Napoleon Zervas, Chef der EDES (Griechische Demo

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