Kategorie: Europa

Europa geht anders

Europa. In der reformistischen Linken und der Sozialdemokratie ist die Vorstellung weit verbreitet, dass das Grundübel der Europäischen Union der Standortwettbewerb zwischen den Staaten sei. Warum hier das Pferd falsch aufgezäumt wird, zeigt Patrick Mellacher.


 

Vor allem Deutschland, das durch seine niedrigen Lohnstückkosten Südeuropa an die Wand spielen kann, sei schuld daran, dass sich die Krisenländer nicht erholen können. Deutschland müsse daher weniger wettbewerbsfähig werden und viel Geld in die Hand genommen werden, um Europa zusammenwachsen zu lassen. Innereuropäische  Konkurrenz soll Kooperation weichen. Diese Ideen hören sich zwar nett an, ihnen liegen aber fatale Irrtümer zugrunde. Aus den Illusionen, die in eine soziale EU gesetzt werden, ergeben sich falsche Vorstellungen darüber, wie sich die Arbeiterbewegung in der Krise verhalten soll.

 

Wettbewerbsfähigkeit

Vor Beginn der Krise konnte sich das deutsche Kapital durch jahrelange Niedriglohnpolitik Wettbewerbsvorteile verschaffen. Die Politik der Lohnzurückhaltung wurde von den Gewerkschaften hingenommen und von Rot-Grün durch die Agenda 2010 tatkräftig unterstützt. Von 2000-2008 sank innerhalb der EU nur in Deutschland der Reallohn. Zur gleichen Zeit erkämpften sich die ArbeiterInnen in der europäischen Peripherie eine Lohnerhöhung nach der anderen. Als die Krise ausbrach, verkleinerten sich auf einen Schlag die meisten Märkte. In so einer Situation muss es zu einer Marktbereinigung kommen – nur die Unternehmen, die am meisten Profit erwirtschaften, können eine Krise überstehen. Der einzige Weg der dafür unmittelbar zur Verfügung steht, ist die ArbeiterInnen so stark auszupressen wie möglich. Das wissen auch die griechischen und spanischen KapitalistInnen. Aus diesem Grund haben sie sich in den vergangenen Jahren der Arbeiterbewegung gestellt und einen Großangriff auf den Lebensstandard der Bevölkerung gestartet. Da die Führungen der Linken in diesen Ländern die Profitlogik noch akzeptieren, sind sie nicht in der Lage diesem Großangriff etwas entgegenzusetzen. Unsere Solidarität gilt aber auch in der Krise nicht dem griechischen Kapitalisten, der sich nicht gegen seinen deutschen Gegenpart durchsetzen will, sondern den griechischen ArbeiterInnen.

 

Binnennachfrage 

Die reformistische Linke analysiert  richtig, dass die Nachfrage nicht mit der Produktion mithalten kann. Ein Unternehmen produziert eine Ware allerdings nur, wenn es sie auch gewinnbringend verkaufen kann. Fehlt der Käufer, wird auch die Produktion eingestellt. Wenn aber die Produktion eingestellt wird, erhöht sich die Arbeitslosigkeit. Arbeitslose haben weniger Geld zur Verfügung, konsumieren daher weniger, was wiederum die Nachfrage schwächt. Dieser Teufelskreis verschärft die Krise immer weiter.

Manche VertreterInnen des Reformismus, deren Vorstellungskraft nicht über die Profitlogik hinausreicht, ziehen aus dieser richtigen Analyse allerdings abenteuerliche Schlussfolgerungen: Sie möchten die besten VerwalterInnen des Kapitalismus sein und den KapitalistInnen erklären, was für sie am besten ist. Ein gutes Beispiel dafür sind die KollegInnen von http://www.europa-geht-anders.eu/. Sie schreiben: „Die EntscheidungsträgerInnen in der mit Abstand größten europäischen Volkswirtschaft  sind nämlich weiterhin nicht bereit, die riesigen Importdefizite durch eine Ankurbelung der Binnennachfrage abzubauen.“

Wie aber kann die Binnennachfrage „angekurbelt“ werden? Dafür müssen entweder die Staatsausgaben erhöht werden, oder die Löhne.

 

Staatsausgaben

In den letzten Jahrzehnten wurden, um die immer größer werdenden Überproduktionskapazitäten abzufangen, vor allem die Staatsausgaben erhöht. Das hat dazu geführt, dass die meisten Staaten hoch verschuldet sind. Zusätzlich stark belastet wurden die Staatskassen durch die teuren Rettungspakete, in der viele Banken mit einer kostenlosen rückwirkenden „Vollkaskoversicherung“ ausgestattet wurden, nachdem der Schadensfall bereits eingetreten war. Neue Staatsschulden kann eine Regierung nur dann aufnehmen, wenn sie auch Geldgeber findet. Die Reichen aller Länder leihen ihren Staaten allerdings nicht aus reiner Philanthropie Geld, sondern verlangen, dass dafür auch Zinsen bezahlt werden.

Letztendlich müssen entweder die ArbeiterInnen oder die Reichen selbst für diese Kosten aufkommen. Was wir momentan erleben ist, dass dafür schrittweise sämtliche Errungenschaften, die sich die ArbeiterInnenbewegung seit dem 19. Jahrhundert erkämpfte, zunichte gemacht werden. Wenn man aber die Reichen zur Kasse bittet, dann darf man keine halben Sachen machen, denn sie werden keine Gelegenheit zur Steuerflucht auslassen. Der französische Präsident Francois Hollande kann ein Lied davon singen. Nachdem er den Steuersatz für Einkommen über 1 Million Euro auf 75% anhob, nahm der ehemalige Filmstar Gerard Depardieu kurzerhand die russische Staatsbürgerschaft an. Die einzig richtige Antwort  auf diese Provokation wäre, massive Kapitalverkehrskontrollen einzuführen. In der Zypernkrise wurde bewiesen, dass es technisch kein Problem darstellt, alle Vermögen einzufrieren, wenn es im Interesse der europäischen Bourgeoisie ist. Wenn man das aber gegen sie einsetzt, kommt es zum offenen Machtkampf. Solange man diesen Machtkampf aber vermeidet, werden alle Beiträge der Reichen zur Finanzierung des Staates nur Tropfen auf dem heißen Stein bleiben.

 

Löhne erhöhen?

Die Lohnentwicklung ist ein Ausdruck von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Selbstverständlich muss die Arbeiterbewegung um höhere Löhne kämpfen. Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, dass  wir die Unternehmer davon überzeugen können, dass Lohnerhöhungen auch für sie besser wären. Ihr einziges Interesse besteht darin, möglichst viel Profit zu erwirtschaften und  im Kampf um die schrumpfenden Märkte zu überleben. Ihre schlimmste Sorge ist es, ihr Unternehmen zu verlieren und selbst zu ArbeiterInnen zu werden. Für uns geht es auf der anderen Seite darum, ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Doch auch eine sehr kämpferische Gewerkschaftsbewegung kann auf Dauer keinen hohen Lebensstandard garantieren, wenn sie sich auf Lohnforderungen  beschränkt. Es wird immer Billiglohnländer geben, und wenn es den KapitalistInnen hier zu bunt (beziehungsweise zu rot) wird, dann werden sie die Produktion schnell ins Ausland verlegen. Aber nur, wenn die ArbeiterInnen sie lassen. Was für das Vermögen der Reichen gilt, gilt für ihre Produktionsmittel umso mehr: Es kann uns egal sein, wo die Reichen residieren. Entscheidend ist, dass die Fabriken hier bleiben.

Die ArbeiterInnenbewegung muss zurück zu ihren Wurzeln finden. Ihre VertreterInnen müssen aufhören, sich Gedanken darüber zu machen, wie man die Bürgerlichen von einer „vernünftigen“ Politik überzeugen kann, denn es gibt keine klassenübergreifende Vernunft. Die Organisationen der Arbeiterklasse müssen damit aufhören zu versuchen, dem bürgerlichen  Krisenprogramm  einen sozialen Anstrich zu verpassen und mit einem eigenen Programm die Bühne der Geschichte betreten.

Dann wird eine europäische Zusammenarbeit nicht nur möglich, sondern notwendig und natürlich erscheinen, denn nur gemeinsam wird man das Europa der Bosse und Banken durch ein Europa der ArbeiterInnen und der Jugend ersetzen können.

 

 

Rettungspakete für Banken

Vor genau einem Jahr schrieben wir  im  „Funke“ folgende Zeilen:

„Unser Geld ist an geheimnisvolle Orte geflossen, deren Bedürfnisse als heilig und rätselhaft gelten. Im Tageslicht jedoch entpuppen sich diese schwarzen Löcher als profane Eigentümerinteressen: In die Taschen von ‚Investoren’ wurde das ganze Geld geschaufelt. Diese Kapitalbesitzer verfügen über verbriefte Rechte auf (Zins-) Rendite und Rückzahlung, die im Zuge der Krise (durch das Platzen der Immobilienblasen, durch die Krise der Staatsfinanzen von Griechenland, Irland, Portugal usw.) wertlos geworden sind. Zur Sicherung dieser Kapitalansprüche wurde das Geld der SteuerzahlerInnen eingesetzt, was zu einem massiven Verschlingen gesellschaftlichen Reichtums führte (…). Und klarerweise drücken die hohen Verzinsungsansprüche der Vermögensbesitzer – die in zunehmendem Maße aus der Staatskasse beglichen werden – weiter unmittelbar auf die Konjunktur, da  sie auf der anderen Seite mit Sparpaketen ausgeglichen werden.“

Was Funke-LeserInnen seit einem Jahr wissen, wurde nun von Attac im Fall von Griechenland mit  Zahlen und Fakten genau dokumentiert. Seit März 2010 haben die Europäische Union (EU) und der Internationale

Währungsfonds (IWF) in 23 Tranchen 206,9 Milliarden Euro für die sogenannte “Griechenland-Rettung” eingesetzt. Attac hat jetzt nachgewiesen, dass sich mindestens 77 Prozent der Hilfsgelder direkt oder indirekt dem Finanzsektor zuordnen lassen.

58,2 Mrd. (28,1 Prozent) wurden für die Rekapitalisierung griechischer Banken verwendet – anstatt den Bankensektor zu vergesellschaften und die Eigentümer der Banken für deren Verluste haften zu lassen.

101,3 Mrd. (49 Prozent) kamen Gläubigern des griechischen Staates zugute. Davon wurden 55,44 Mrd. verwendet, um auslaufende Staatsanleihen zu bedienen –  anstatt die Gläubiger das Risiko tragen zu lassen, für das sie zuvor hohe Zinsen kassiert hatten. Weitere 34,6 Mrd. dienten dazu, die Gläubiger für den Schuldenschnitt im März 2012 zu gewinnen. 11,29 Mrd. wurden  im Dezember 2012 für einen Schuldenrückkauf eingesetzt, bei dem der griechische Staat den Gläubigern beinahe wertlose Anleihen abkaufte.

46,6 Mrd. (22,5  Prozent) flossen in den griechischen Staatshaushalt oder konnten nicht eindeutig zugeordnet werden.

0,9 Mrd. (0,4 Prozent) gingen als griechischer Beitrag an den neuen Rettungsschirm ESM.

Zu den tatsächlich Geretteten zählt etwa die Milliardärsfamilie Latsis, eine der reichsten Familien Griechenlands, die große Teile der staatlich geretteten „Eurobank Ergasias“ besitzt. Auch Spekulanten profitierten: Der Hedgefonds Third Point streifte im Zuge des Schuldenrückkaufs vom Dezember 2012 mit Hilfe von öffentlichen  Geldern einen Gewinn von rund 500 Millionen ein.

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