Kategorie: Europa

Aufruhr im Bankenland – Linke mit 1:12 in der Offensive

Reaktionäre Propaganda der Bürgerlichen gegen die VolksinitiativeAm 24. November wird das Schweizer Volk über die 1:12-Volksinitiative der Sozialistischen Jugend (Juso) abstimmen. Schweizweit soll das Verhältnis zwischen tiefstem und höchstem Lohn auf 1 zu 12 innerhalb eines Unternehmens beschränkt werden. Diese Initiative stellt die mutigste, aber auch in vielerlei Hinsicht erfolgreichste Kampagne der Schweizer Linken seit Jahrzehnten dar.


 

Die Schweiz ist in Aufruhr: Die Schweiz, oder zumindest das Schweizer „Erfolgsrezept“, werde mit 1:12 abgeschafft. Die konservative, offen rassistische und zurzeit auch stärkste Schweizer Partei, die Volkspartei (SVP) wurde von den Bürgerlichen in den Vordergrund gestellt, um die Gegenkampagne gegen 1:12 zu führen. In einer der Plakatkampagnen versucht sie die Initiative in guter, bewährter Manier des Kalten Krieges als kommunistisch abzutun (siehe Foto). CEOs großer Konzerne wie Nestle oder Credit Suisse drohen mit dem Wegzug ins Ausland. Argumentiert wird sowieso kaum noch. Die Bürgerlichen drohen und erpressen; Zerstörung von Arbeitsplätzen, Gefährdung des Rentensystems, Steuerausfälle durch Abwanderung von Konzernen und ähnliches ist in allen Medien fast täglich zu finden. Selten zuvor hatte eine Volksabstimmung der Schweiz so viel ausgelöst, bereits Monate vor der Abstimmung wurden heftige Diskussionen auf allen Ebenen geführt. Was ist mit der ruhigen, „gemäßigten“ Schweiz passiert?

 

Wie kam es dazu?

 

Als 2008 die Wirtschaftskrise begann, die Banken auf der ganzen Welt zusammenbrachen und staatlich gerettet wurden, hatte dies natürlich auch auf die Schweiz Auswirkungen. Besonders wichtig für das Bewusstsein breiter Schichten, war die Rettung der UBS. Die UBS, eine der weltweit größten Banken, war in den Jahren vorher das Musterbeispiel des modernen Finanzkapitalismus. Riesige Gewinne, riesige Boni, und die Bank hatte in der Schweiz auch eine große politische Autorität. Banker galten als die „Superhelden“, welche die Schweiz reich machen würden. Bürgerliche Politiker rühmten sich mit ihrer Nähe zum Finanzplatz. Die Schweizer Großbanken kontrollierten über Jahrzehnte offen die Schweizer Politik. Das Bankgeheimnis, also das gesetzliche Verbot Informationen über Konten an Steuerbehörden im In- und Ausland weiterzugeben, wurde von breiten Schichten der Schweizer Bevölkerung als Erfolgsrezept, aber beinahe auch als wichtigster Teil der Schweizer Identität, fast wie ein Gründungsmythos, betrachtet. Mit der Finanzkrise und der Rettung der UBS veränderte sich das Bewusstsein schlagartig. Als die UBS mit 68 Milliarden gerettet wurde und Manager und Spekulanten trotzdem ihre Millionen-Boni ausbezahlt bekamen, wurde das gehegte und gepflegte Bild des seriösen Schweizer Bankers in wenigen Wochen zerstört. In einer repräsentativen Umfrage sank die Vertrauenswürdigkeit der Banker auf das Niveau von Zuhältern. Millionenlöhne und Boni wurden in der ganzen Schweizer Gesellschaft zu einem allgemeinen Gesprächsthema. Dies in einem Land, in dem man stets stolz darauf war, dass man nicht über Geld zu sprach. Selbst bürgerliche Medien, welche über Jahre Banker und Manager kriecherisch hochgejubelt hatten, nehmen diese nun regelmäßig aufs Korn. Im wichtigsten Schweizer Gratisblatt „Blick am Abend“ wurde 2009 ein Kommentar veröffentlicht, welche dazu aufforderte alle Banker ins Gefängnis zu stecken.

 

Dieser heftige Meinungsumschwung lag natürlich auch darin begründet, dass die Schweiz auch auf anderen Ebenen durch die Krise getroffen wurde. So fand 2008 und 2009 eine massive Entlassungswelle in der Industrie statt, welche die Wut der ArbeiterInnenklasse erst recht gegen die privilegierten Banker richtete. Dies wurde noch durch die weltfremde Arroganz der Finanzeliten und Manager verstärkt, die versuchten wie früher ihre Millionenbezüge als leistungsgerecht zu verkaufen. Unter den neuen Umständen natürlich weitgehend erfolglos. Das Bild der paradiesischen, reichen Schweiz ist eben auch nur relativ: In der Schweiz besitzt laut der Großbank CS 1% der Bevölkerung 59% des Vermögens. Der durchschnittliche CEO verdient das 43-fache des Medianeinkommens in der Schweiz. Gleichzeitig ist jeder achte Schweizer armutsgefährdet, viele davon sind Working Poor. Solche Zahlen werden heute nicht mehr bloß in linken Medien publiziert, sondern auch in empörten Artikeln in Boulevard-Zeitungen: Die Ungleichheit von Vermögen und bei den Löhnen ist seit 2008 regelmäßiges Thema.

 

Der Aufstieg der Jusos

 

In diesem Kontext der Krise begann auch der Aufstieg der Jusos, welche vorher über Jahre hinweg nicht mehr war als die erste Station für karrierebewusste sozialdemokratische Jungpolitiker. Dieser Aufstieg war auch stark mit der 1:12-Initiative verknüpft, welche 2009 lanciert und 2011 mit 130.000 Unterschriften eingereicht wurde. In dieser Zeit explodierte die Juso-Mitgliederzahl von 1500 auf 3000 Mitglieder und die Aktivitäten steigerten sich in der ganze Schweiz um ein Vielfaches. Gleichzeitig war 1:12 auch Teil eines Linksrutschs unter dem 2008 als Präsident gewählten Cedric Wermuth. Die „Überwindung“ des Kapitalismus wurde wieder zum fast allgemein anerkannten Ziel der Jusos. Cedric Wermuth wurde mit seiner Kapitalismuskritik in kürzester Zeit zu einem der bekanntesten Politiker des Landes mit einer sehr großen Medienpräsenz. Mit der 1:12-Iniative schafften es die Jusos sich als Kämpferin gegen die Abzockerei der Wirtschaftselite zu etablieren. Beispielweise lieferten sie sich auch Medienschlachten mit Novartis Ex-Chef Daniel Vasella, welche über lange Zeit der bestbezahlte Schweizer CEO war, und gewann diese auch. Erstmals seit Jahrzehnten waren die Schweizer Wirtschaftseliten in der Defensive.

 

Mittlerweile sind die Jusos mit Abstand die aktivste und größte Jungpartei geworden. Sie ist für sich politisierende und radikalisierte Jugendliche der Hauptbezugspunkt. Aber auch viele ältere linke Arbeiter und Akademiker, welche in den letzten Jahren durch die SP enttäuscht wurden, sehen in den Jusos ihre Hoffnung. Auch innerhalb der SP sind die Jusos, zusammen mit ehemaligen Jusos um Cedric Wermuth der Orientierungspunkt des linken Flügels und dieser konnte bereits einige Siege gegen die nach rechts drängende Führung der SP gewinnen. Kurz gesagt, die Jusos stellen quasi die Wiederauferstehung der Schweizer Linken dar, welche über Jahre vor allem durch mutloses taktieren und immer weitere Anpassung an die Bürgerlichen geprägt war.

 

Bürgerliche Niederlagen, Pleiten

 

Ursprünglich sahen die meisten Bürgerlichen trotz allem der Abstimmung relativ gelassen entgegen. Doch dies änderte sich radikal mit der Minder-Initiative im letzten Frühjahr, die von völlig anderer Seite kam und angeblich auch mit Abzockerlöhnen aufräumen sollte. Sie war die Idee eines Schaffhauser Unternehmers und mittlerweile Parlamentariers, der versuchte die Aktionärsrechte gegenüber dem Management zu stärken. Gleichzeitig sollten Manager für ihre Taten leichter juristisch haftbar werden. Die Volksinitiative wurde mit 67.9% angenommen und versetzte die Bürgerliche Welt in Aufruhr. Hatten sich doch alle bürgerlichen Parteien dagegen gestellt. Dies bewies, dass sich der Wind eindeutig gedreht hatte und zwar so machtvoll, dass nach dem Abstimmungskampf der Schweizer Unternehmerdachverband economiesuisse, welcher über Jahrzehnte die Schweizer Politik kontrolliert hatte, unter anderem auch mit millionenteuren Kampagnen, völlig diskreditiert war. Die mächtigste Institution des Lobbyismus der Banken und der Großkonzerne, wurde vor den Augen aller öffentlich zerzaust, der Lügen überführt und für tot erklärt. Dies ein halbes Jahr vor der politisch viel bedeutenderen Schlacht gegen die Linke um 1:12. Die Umfragen für die 1:12-Abstimmung im Frühjahr kündeten einen Sieg (55% Ja) oder einen knappe Niederlage (49%) an. Die ohnehin seit Jahren eher zerstrittenen bürgerlichen Parteien und Wirtschaftszeitungen ergingen sich deshalb monatelang in gegenseitigen Schuldzuweisungen und beklagten panisch die Entfremdung der Schweizer von den „Interessen der Wirtschaft“. D.h. die Entfremdung der Mehrheit der Lohnabhängigen von den Interessen der Wirtschaftselite und damit haben sie auch Recht.

 

Selbstverständlich kam die Kampagne der Bürgerlichen rund um die Drohung der Abwanderung von Unternehmen bzw. Arbeitsplatzverlust doch noch ins Rollen. Trotzdem zeigen die jüngsten Umfragen immer noch ein knappes Bild. 44% Ja-Stimmen zu 44% Nein und 12% noch unentschlossene. Dies obwohl praktisch alle Medien sich gegen die 1:12-Initiative ausgesprochen haben und die halbe Schweiz mit Plakaten zugepflastert wurde. Die Kampagne der Jusos hingegen stützt sich nur im geringsten Teil auf finanzielle Mittel. Zusammen mit den Gewerkschaften, der SP und Grünen führt sie momentan eine der größten Basiskampagnen überhaupt. 1:12 war eine der Kernforderungen der großen Gewerkschaftsdemonstration im September mit 15.000 Teilnehmenden. Auch wurden bis jetzt 17.000 1:12-Fahnen in der ganzen Schweiz aus Balkone und aus Fenstern gehängt, um die millionenteuren Plakatkampagnen der Gegner zu kontern. Mehrere schweizweite Aktionstage, systematisches Flyern in ganzen Städten, und sogar Hausbesuche sind Teil dieser großen Kampagne. Es ist aber trotzdem wahrscheinlich, dass die Abstimmungen verloren gehen wird, wenn auch voraussichtlich knapp. Jedoch ist eine Niederlage unter diesen Umständen bereits ein gewaltiger Sieg.

 

Was bringt 1:12?

 

Würde die Initiative angenommen, hieße das, dass in der Verfassung das Verhältnis zwischen Minimal-und Maximallohn in einem Unternehmen auf 1:12 begrenzt wäre. Die entsprechenden Gesetze und Richtlinien müssten durch das Parlament und die Landesregierung erlassen werden. Also durch eine klare bürgerliche Mehrheiten. D.h. also auch, dass sie Wege und Mittel finden werden, um die Umsetzung zu verzögern, auszuhöhlen und Schlupflöcher vorzubereiten. Die Bürgerlichen werden diese Initiative nicht akzeptieren, sei sie nun durch das Volk angenommen oder nicht.

 

In der Kritik an der Initiative der Jusos schrieb die Zeitung der Partei der Arbeit der Schweiz „Vorwärts“ vor wenigen Tagen, dass diese Initiative nicht die Funktionsweise des Kapitalismus angreifen würde. Damit hatten sie auf jeden Fall Recht, schafft doch die Initiative weder die Lohnarbeit noch den Privatbesitz an den Produktionsmitteln ab. Nur nützt diese beachtliche Analyse rein gar nichts. Soll die 1:12-Initiative deshalb abgelehnt werden? Was für eine Entfremdung von lebendiger Politik, vom realen Klassenkampf!

 

Diese Initiative stellt die wohl mutigste und erfolgreichste Offensive der Sozialdemokratie in ganz Europa dar. Sie bedeutet eine offene Konfrontation mit den Interessen der Finanzelite und Konzernbosse. Sie bedeutet aber auch einen Bruch mit dem über Jahrzehnte auch von vielen Linken in der Schweiz akzeptierten Dogma, dass der Staat sich weitgehend aus der Wirtschaft raushalten solle. In der Schweiz gibt und gab es kaum grössere, wirtschaftspolitische staatliche Regulierungen. Dies wurde auch von einem Großteil der Schweizer ArbeiterInnenklasse über lange Zeit hingenommen. Lohnfragen wurden in erster Linie auf der Ebene der Sozialpartnerschaft, also zwischen Gewerkschaften und dem Kapital ausgehandelt. Dass sich das Bewusstsein diesbezüglich verändert hat, zeigt sich auch im Erfolg der Initiative für einen Mindestlohn von 3250 Euro, die momentan eine Zustimmung von 76% genießt. Vor der Krise wäre das absolut undenkbar gewesen.

 

Der Wert der 1:12-Initiative besteht nicht darin, dass vielleicht CEOs und Banker in Zukunft weniger verdienen werden. Ihr Wert besteht darin, dass sie den zentralen Punkt des Zorns der ArbeiterInnenklasse und der Jugend aufgreift, weitertreibt und dabei die Klassengesellschaft sichtbar macht. Die Wirtschaftselite ist gezwungen ihre völlig obszöne Bereicherung zu verteidigen. Das interessante an der 1:12-Initiative ist gerade, dass sich die Diskussion nicht nur um horrenden Löhne einiger weniger CEO’s und Banker dreht, sondern genauso darum wer wie viel leistet, weshalb viele Löhne sehr niedrig sind, aber auch allgemeiner, weshalb der Reichtum der Gesellschaft so ungleich verteilt ist.

 

Unter anderen politischen und ökonomischen Bedingungen, hätte diese Initiative diese Rolle niemals spielen können. Zehn Jahre vorher wäre sie als verrückte Idee einiger linker Spinner hingestellt worden, und ein Großteil der Schweizer hätte diese Ansicht geteilt. Unter dem Eindruck allgegenwärtiger Sparmaßnahmen, Angst vor Stellenverlust, stagnierenden Löhnen, gesteigertem Arbeitsdruck, Sozialabbau und nicht zuletzt der politischen Instabilität in ganz Europa, sind die Löhne der Wirtschaftseliten zur hochpolitischen Frage geworden. Die kapitalistische Krise hat auch in der Schweiz das Bewusstsein verändert. Es ist (noch) kein revolutionäres Bewusstsein, aber es lässt sich vielleicht folgendermassen umschreiben: Wir, die uns jeden Tag abrackern gegen die da oben, die sich schamlos bereichern.

 

Wie Weiter?

 

Die Debatten rund um die Initiative haben weiten Teilen der ArbeiterInnenklasse mehr über den Charakter der bürgerlichen Demokratie beigebracht, biete sie noch so viele direktdemokratische Mittel, als das durch reine Propagandaarbeit jemals möglich wäre. Die Massen lernen nicht aus Büchern, sondern aus Erfahrungen. Die Erfahrungen, die hier gemacht werden, werden die Grundlage für weitere Kämpfe bieten. Es gilt all die Autorität, welche die Jusos in diesem Kampf gewonnen haben, zu nutzen um den Parteiaufbau weiterzutreiben. Es gilt den Kampf nicht nur in den Medien und mithilfe weiterer Initiativen zu führen. Genauso wichtig ist es, an Schulen Gruppen aufzubauen, Lehrlinge zu organisieren, gegen Sparpakete zu kämpfen und mehr Freiräume für Jugendliche zu fordern. Schließlich geht es nicht darum ein paar Abstimmungen zu gewinnen, sondern es ist unsere Aufgabe die Menschen von der Notwendigkeit des Sozialismus zu überzeugen. Volksinitiativen können höchstens ein Mittel dazu sein. Sie sind ein taktisches Mittel, das gezielt eingesetzt werden muss. Die 1:12-Initiative war auch innerhalb der Sozialdemokratie sehr wertvoll. Musste sich doch die SP nach dem Erfolg der Minderinitiative voll hinter 1:12 stellen, weitgehend gegen den Willen der meisten SP-Exekutivpolitiker und auch vieler Parlamentarier. 1:12 ist der Beweis, dass es möglich ist die geballte bürgerliche Wirtschafts- und Medienmacht herauszufordern und erst recht erfolgreich zu sein. Das ist wichtigste Lektion für die ganze ArbeiterInnenbewegung. 1:12 ist ein Befreiungsschlag gegen die längst institutionalisierte Angst vor der den eigenen Ideen und Traditionen, gegen die Unterwerfung unter die bürgerlichen Ideen, welche die Sozialdemokratie schon für viel zu lange prägte. Es wieder möglich in die Offensive zu gehen und für sozialistische Ideen zu kämpfen. Die Vorrausetzungen sind sogar ausserordentlich gut!


Mehr Infos: www.derfunke.ch

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