Kategorie: Europa

Partikularismus oder Klassenkampf? Die Proteste gegen die Lastwagensteuer in der Bretagne

Seit Ende Oktober gibt es große Proteste in der Bretagne, einer Region in Westfrankreich, gegen die Einführung einer neuen Lastwagensteuer. Die Steuer ist sicherlich eine zusätzliche Belastung, aber das heißt noch nicht, dass die Proteste dagegen in jeder Hinsicht fortschrittlich sind.


 

Eine neue  Steuer, mit neuen Profiten für grüne Kapitalisten

 

Die Einführung einer Lastwagensteuer wurde bereits im Jahr 2009 diskutiert, im Zuge der «Umwelt-Grenelle» - einer demagogischen Veranstaltung, organisiert von der Sarkozy-Regierung.  Unter dem Vorwand, Umwelt-Probleme zu lösen, sollten neue, «grüne» Märkte geschaffen werden. Eine Idee dieser Art war eben diese neue Steuer auf Lastwagentransporte, welche mittels neuer Zählautomaten an den Autobahnen erhoben werden sollte. Den Auftrag zur Installation dieser Apparate erhielt die Gesellschaft Ecomouv'. Dies ist ein Konzern, an dem auch die Bahngesellschaft SNCF mit 10% beteiligt ist. Ironischerweise hat die SNCF ihrerseits zuvor über ihre Tochter Geodis ihre Anteile am Gütertransport von der Schiene auf die Straße verlagert, weil das profitabler sei. Ecomouv' wird an den Zählautomaten 230 Millionen Euro jährlich verdienen, bei einer Anfangsinvestion von 600 Millionen Euro.

 

Eine starke Tradition bretonischer Steuerproteste in Krisenzeiten

 

Die neue Steuer wird heftig kritisiert, dabei von ganz unterschiedlichen Seiten, auch von Rechts.   Besonders stark sind die Proteste in der Bretagne, denn die dort konzentrierten Mastbetriebe für  Schweine und Geflügel werden durch sie hart getroffen, und das zu einer Zeit, wo die bretonische Produktion ohnehin unter Absatzschwierigkeiten leidet. Zu der Konkurrenz durch Schweinefleisch aus Deutschland ist seit der letzten Deflation noch die durch importiertes Hähnchenfleisch aus Brasilien hinzugekommen. Bei den Protesten gegen die neue Steuer wurden einige Zählapparate mit großen Landwirtschaftsmaschinen zerstört.

Aber die zunehmende Arbeitslosigkeit betrifft nicht nur die Agrobetriebe, sondern auch übrigen Wirtschaftszweige. Zum Beispiel sollen demnächst 1400 von 5500 Arbeitsplätzen bei dem Automobilhersteller PSA (Peugeot Citroën) in Rennes vernichtet werden. Hinzu kommen Verlegungen von Betrieben nach Osteuropa. Und die Carl-Zeiss-Niederlassung in Fougères mit 450 Arbeitern plant 150 zu entlassen, weil ihr bislang grösster Kunde die Gläser nun aus Thailand bezieht. Solche Geschichten kann man in der ganzen Region hören.

Steuerproteste in der Bretagne sind nichts Neues. Bei der Angliederung des Herzogtums Bretagne an das französiche Königreich 1532 wurde vertraglich vereinbart, dass die Bretonen nicht in dem gleichen Maße besteuert werden sollten wie die anderen Untertanen des Königreichs. Praktisch wurde dies aber seit Zeit Ludwigs des Vierzehnten nicht mehr eingehalten, denn die Staatsausgaben, vor allem Kriegskosten, hatten inzwischen ungeahnte Ausmaße angenommen.

Einige der Protestierenden in der Bretagne tragen rote Mützen wie im Jahr 1675 bei den Protesten gegen die vertragswidrige Höherbesteuerung. Im Zuge der Strafmaßnahmen wegen dieser Proteste wurden einige Steuerprivilegen der Bretagne aufgehoben, doch ein Teil davon blieb erhalten. Kurz vor Beginn der französichen Revolution hatte der damalige Finanzminister Necker errechnet, dass ein Bretone durchschnittlich 12,10 Pfund Steuer zahlte, ein Normanne hingegen 29,16 und ein Pariser 64 Pfund.

Am 2. November gab es in Quimper eine Demonstration von kleinen und großen Unternehmern, und in Carhaix, dem historischen Zentrum der Proteste der «Roten Mützen» von 1675 gab es eine kleinere Gegendemonstration. Die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) und die Gewerkschaft FO waren im Quimper dabei, während andere wie die Linksfront (Front de Gauche) aus Kommunisten (PCF) und Linkspartei (PG) und die größte Gewerkschaft CGT sich in Carhaix beteiligten. Die NPA zeigt dabei eine sehr vereinfachte Sicht auf die nationale Frage und unterstützt unkritisch alle Bewegungen als antikapitalistisch, die sich gegen den französichen Zentrismus richten – auch unter Schulterschluss mit den lokalen Arbeitgebern. Anderseits muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Gegendemonstration in Carhaix, an der auch die in Paris mitregierenden Grünen teilgenommen haben, als Zustimmung zur Hollande-Regierung aufgefasst werden kann. Bemerkenswert ist auch, dass unter 20.000 bis 30.000 Demonstranten in Quimper nicht nur lokale Unternehmer waren, sondern auch viele Arbeiter, die darauf hoffen, dass die Regierung mit finanzieller Unterstützung hilft, ihre Arbeitsplätze zu retten. Im Gegensatz dazu gab es nur 1.000 Leute im Carhaix, von denen die meisten bereits politisch oder gewerkschaftlich aktiv sind.

Inzwischen geht die Bewegung weiter. Am 23. November fanden erneut Demonstrationen in verschiedenen bretonischen Städten statt, nahezu alle unter Beteiligung von Gewerkschaften:    3.000 Demonstranten in Rennes, 3.000 in Lorient, darunter die Generalsekretäre der beiden grössten Gewerkschaften CFDT und CGT, 5.000 in Morlaix und 2.000 in Saint-Brieuc. Also ein kleiner Fortschritt gegenüber dem 2. November.

 

Klassenkampf über Grenzen statt Partikularismus

 

Die Agrokonzerne in der Bretagne haben sehr einflussreiche Druckmittel. Die starke Technisierung der Landarbeit hat zur Folge, dass man über sehr große Maschinen verfügt, gegen die die Sicherheitskräfte wenig ausrichten können. Aber für die Zerstörung der Zählstationen wird am Ende wieder die Arbeiterschaft aufkommen, und zwar in Form von Preiserhöhungen. So ist damit zu rechnen, dass die Regierung über den «bretonischen Pakt» den Unternehmern Mittel zufließen lassen wird, um sozialen Frieden zu erkaufen. Aber das ist keine Lösung. Die Schweine aus Deutschland sind nur aus einem Grund billiger als die bretonischen: nämlich weil es in Deutschland keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Dieser Gesichtspunkt ist für die Arbeitgeber mehr als offensichtlich. Einer der Unternehmer, die die «Rote Mützen»-Bewegung anführen, hat ganz direkt gesagt, dass ein regionaler Mindestlohn nicht ausreichen wird, und dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Betrieben zusammenhalten müssten. Mit anderen Worten: Die Beschäftigten sollen Armutslöhne hinnehmen, um nicht arbeitslos zu werden! Welchen  Ausweg kann es da geben? Die Gewerkschaften und die Linksfront versuchen, die Proteste frankreichweit auf eine klassenkämpferische Linie hin auszurichten. Doch eigentlich könnte und sollte man weiter gehen, und sich für einen europaweiten Mindestlohn einsetzen.

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