Kategorie: Europa

Wahlen in Island: die wahre Geschichte

Nachdem die linke Regierung in Island vier Jahre lang Zeit hatte, den Trümmerhaufen ihrer konservativen Vorgänger zu beseitigen, muss sie eine historische Wahlniederlage hinnehmen. Wahlsieger sind genau jene beiden Parteien, die das Land in den Bankrott führten. Eine Analyse der Wahlergebnisse im Zusammenhang mit der Krise in Island.


 

Die Parlamentswahl in Island fand am 27. April statt und endete mit einem Desaster für die linke Regierung. Die beiden Regierungsparteien verloren jeweils die Hälfte ihrer Stimmen, wodurch die sozialdemokratische „Allianz“ (Samfylkingin) auf 12,9% (-16,9%) und die „Links-Grüne Bewegung“ (Vinstrihreyfingin – grænt framboð) auf 10,9% (-10,8%) kamen. Die konservative „Unabhängigkeitspartei“ (Sjálfstæðisflokkurinn) erreichte 26,7% (+3,0%). Als größter Sieger ging die liberale „Fortschrittspartei“ (Framsóknarflokkurinn) mit 24,4 (+9,6%) aus der Wahl. Jedoch gingen auch 8,3% an die neu gegründete Partei „Strahlende Zukunft“ (Björt framtíð) sowie 5,1% an die Piratenpartei (Píratar), welche somit ebenfalls im Parlament vertreten sind. Zusammen mit den anderen kleinen Parteien, welche nicht im Parlament vertreten sind, sowie den 2,5% Weißwählern, ergibt sich eine Summe von 27,2%, also über ein Viertel der IsländerInnen stimmte nicht für eine der vier etablierten Parteien. Auch wenn das Wahlergebnis nach einem überdeutlichen Rechtsruck aussieht, ist es vielmehr ein Indiz des Versagens der Regierung und eine Abwahl der Sparmaßnahmen.

Um die Wahlergebnisse richtig interpretieren zu können, ist zuerst eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Weg in die Krise sowie dem Fundament für den Wahlerfolg der sozialdemokratischen Allianz 2009 notwendig.

 

In die Krise

 

Mit großen Schritten in die Krise ging es unter der Regierung der Unabhängigkeitspartei, geführt von Ministerpräsident Davíð Oddsson, und der Fortschrittspartei (Framsóknarflokkurinn). Während vor dem Jahr 2000 alle größeren Banken in staatlicher Hand waren, begann im Zuge der Hochkonjunktur die neoliberale Privatisierung der Banken und Deregulierung des Bankensektors. Wie auch in vielen anderen Ländern zu beobachten war, gab es eine starke Verschiebung der Bankgeschäfte von der einfachen Verwaltung von Gehältern und Privatvermögen zu spekulativem Investment. Durch die hohe Inflation in Island und die dementsprechend hohen Zinsen von bis zu 15% wurden ausländische Investoren angelockt und der Teufelskreis begann. Davíð Oddsson steuert die weitere Deregulierung ab 2005 als Präsident der isländischen Zentralbank. An PrivatkundInnen wurden währenddessen unzählige Fremdwährungs- oder an die Inflation gekoppelte Kredite vergeben, wodurch die Illusion von Wohlstand perfekt war.

 

„Kreppa“

 

Aufgrund des Bankrotts der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 zogen die Investoren aus Angst vor dem Kollaps ihr Geld ab, wodurch nur ein Haufen Schulden blieb – die Weltwirtschaftskrise, isländisch „Kreppa“, traf Island mit voller Wucht. Alleine die drei größten Banken, Kaupthing, Landsbankinn und Glitnir, standen 2007 vor einem Schuldenberg von 50 Mrd. Euro, gegenüber einem BIP von 9 Mrd. Euro. Allein diese Tatsache macht deutlich, dass es sich bei der Verstaatlichung der isländischen Banken um keine fortschrittliche Entscheidung gegen eine Bankenrettung handelte. Im Gegenteil, aus kapitalistischer Sicht war die Notverstaatlichung notwendig, um die Verluste überhaupt erst tragen beziehungsweise in weiterer Folge der Allgemeinheit aufbürden zu können.

 

Schon nach den Wahlen 2007, also noch vor der Krise, löste die Allianz die Fortschrittspartei als Koalitionspartner der Unabhängigkeitspartei ab. Mit dem Ausbruch der Krise kam es schließlich zu den größten Protesten, die es in Island seit dem NATO-Beitritt 1949 gegeben hatte. Es wurde der Rücktritt des Ministerpräsidenten sowie Konsequenzen für alle involvierten Personen zusammen mit einer Reform des Bankenwesens gefordert. Der Verdienst dieser Bewegung war es, dass Davíð Oddsson als Präsident der Zentralbank abgesetzt sowie 2009 Neuwahlen durchgeführt wurden. Während die Sozialdemokraten ihr Ergebnis von knapp 30% beibehielten, landete die Unabhängigkeitspartei erstmals seit der Unabhängigkeit Islands 1944 nur am zweiten Platz mit 23,7% (-12,9%). Das kam vor allem der Links-Grünen Bewegung zugute, die 21,7% (+7,4%) erreichte. Daraus resultierte auch die neue Koalition zwischen Allianz und Links-Grüner Bewegung.

 

Das Versagen der linken Regierung

 

Die sozialdemokratische Allianz versprach zu ihrem Regierungsantritt 2009, dass alle Hypothekenschulden über 110% vom Wert des Eigentums abgeschrieben werden sollten. Dieser Schuldenschnitt war jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, da die Schulden durch überwiegend inflationsgebundenen Kredite weiterhin stetig wuchsen. Konkret belief sich dieser Schuldenschnitt auf 196,3 Mrd. isländische Kronas (ISK), während alleine seit September 2008 jene Kreditschulden um 360 Mrd. ISK anstiegen. Somit war der Schuldenerlass ein rein politisches Manöver, das die Haushalte am Ende überhaupt nicht entlastete.

 

Des Weiteren wurden Erhalt des Sozialsystems und die finanzielle Absicherung der Bevölkerung versprochen. Das Gegenteil passierte, als die Forderungen des IWF widerstandslos umgesetzt wurden. IsländerInnen berichten von einem ausgehungerten Bildungssystem, einer medizinischen Versorgung kurz vor dem Kollaps und massiven Steuererhöhungen, die vor allem die Lohnabhängigen treffen. Gleichzeitig verlor die isländische Krona ungefähr die Hälfte ihres Wertes, während die Inflation weiterhin hoch blieb, was in einer Preissteigung von 75% seit 2005 resultiert (Eurostat).

 

Die Vergünstigungen und Subventionen der Unternehmen wurden während der Sparmaßnahmen nicht angetastet. Vor allem ausländische Unternehmen profitieren ungemein, sie bezahlen zum Beispiel weniger für die ohnehin schon günstige Energie in Island, als es inländische Unternehmen tun. Der Ausverkauf der Insel an ausländische Investoren ging somit unter der linken Regierung weiter, wie er unter der konservativen begann.

 

Während einige Linke Island als Beispiel für die Lösung der Krise preisen, übersehen sie dabei gerne, dass zwar zum Beispiel Verstaatlichungen der großen Banken stattfanden, diese aber nur kurz weilten. Zwei der drei großen verstaatlichten Banken sind mittlerweile in der Hand der ausländischen Gläubiger. Durch diese schnelle Privatisierung wurden auch die immer noch anhaltenden Untersuchungen wegen Betrug, Steuerhinterziehung, Marktmanipulation und Insiderhandel erschwert, da die Banken sich sogleich wieder hinter Gesetzen des Bankgeheimnisses versteckten. Durch diesen raschen Verkauf zerstörte die linke Regierung jegliche Möglichkeit ihr Versprechen einzulösen, das Bankenwesen auch nur minimal zu reformieren sowie die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Entgegen der Medienberichte gab es noch kaum Verurteilungen, vor allem keine, die Schlüsselfiguren im Kollaps des Finanzsystems betreffen würden. Selbst der Ex-Ministerpräsident Geir Haarde, der unter anderem des fahrlässigen Handelns schuldig befunden wurde, wurde nicht bestraft. „It’s a bit like arresting a Nazi lieutenant when Hitler and Goebbels are still running around. What am I supposed to say to that? Well done? He’s small fry but I guess he’s a start? Pat them on the head and say better luck next time?” („Es ist ein bisschen wie einen Nazi-Leutnant zu verhaften, während Hitler und Goebbels immer noch frei herumrennen. Was soll ich dazu sagen? Gut gemacht? Er ist zwar nur ein kleiner Fisch, aber zumindest ein Anfang? Ihren Kopf tätscheln und viel Glück fürs nächste Mal wünschen?”), so formulierte es ein erboster isländischer Blogger.

 

Was die Bevölkerung als großen Verrat der linken Regierung ansah, war die bedingungslose Zustimmung zum sogenannten IceSave-Deal, wonach die isländischen SteuerzahlerInnen für die ausländischen Schulden der Online-Bank IceSave aufkommen sollten – zu exorbitanten Zinssätzen. Dieser Deal fiel nach starkem Widerstand des Volkes und zwei anschließenden Referenden. In den internationalen Medien wurde berichtet, dass Island sich weigert, die Schulden zu bezahlen. Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt: die Schulden werden und wurden teils schon zurückbezahlt, egal was die Bevölkerung fordert. Offen ist allein die Höhe der Zinsen. Jedoch wurden auch unabhängig vom IceSave-Deal riesige Kredite zu Zinsen weit über dem Marktniveau angenommen, die ab 2016 fällig sein werden. Während zwar die großen Banken nicht gerettet werden konnten, erhielten private Unternehmen wie Sparisjóður Keflavíkur (Bank), VÍS und Sjóvá (Versicherungsanstalten) hunderte Millionen Euro vom Staat.

 

Man sieht, dass das Bild vom erfolgreichen Weg aus der Krise, das internationale Medien über Island verbreiten, nur sehr wenig mit der Realität zu tun hat. Nach dem Wirken der linken Regierung über die letzte Periode, hat sie unvorstellbar an Vertrauen eingebüßt. Die Fortschrittspartei konnte dadurch und mit ihrem populistischen Programm sehr viele WählerInnen gewinnen. Ein Grund dafür ist ein versprochener Schuldenschnitt von bis zu 20% auf Hypotheken mit dem Geld der ausländischen Gläubiger – eine Forderung, die schwer durchzuführen sein wird, jedoch viel Anklang bei den verzweifelten und hochverschuldeten IsländerInnen fand. Auch die strikte Ablehnung des IceSave-Deals brachte der Fortschrittspartei viel Sympathie. Die Berichte, dass die Wahl eine Abkehr von der EU bedeutet, sind nur Halbwahrheiten. Die bisherige Regierung forderte einen Beitritt zur EU zusammen mit einer Einführung des Euros, was zum aktuellen Zeitpunkt keinerlei Hilfe und mit der Instabilität der Eurozone vielleicht sogar eine Gefahr darstellen würde. Das war natürlich auch der Bevölkerung bewusst. Jedoch unterstützt auch die Fortschrittspartei einen EU-Beitritt, wenn auch nur bei Zugeständnissen in Landwirtschaft und Fischerei und einer verpflichtenden Volksabstimmung. Selbst die einen EU-Beitritt eher ablehnende Unabhängigkeitspartei sprach immer von einer Volksabstimmung, wenn auch nie mit konkretem Zeitpunkt. Und selbst wenn Regierung und Volk sich für einen EU-Beitritt entscheiden würden, müsste die EU diesem erst zustimmen, was bei der derzeitigen Lage Islands eher unwahrscheinlich wäre.

 

Wie wird es weitergehen?

 

Obwohl die Unabhängigkeitspartei mehr Stimmen erhielt, bekam die Fortschrittspartei aufgrund ihres riesigen Stimmenzuwachses von Präsident Ólafur Ragnar Grímsson den Auftrag zur Regierungsbildung, welche derzeit im Gange ist. Die Zeichen stehen jedoch stark für eine Koalition mit der Unabhängigkeitspartei, wie sie Island damals schon in den Bankrott führte. Das bedeutet eine Intensivierung der Sparmaßnahmen und die viel offenere Durchsetzung einer Politik, die im Interesse des Kapitals handelt.

 

Da das aber sicher nicht ist, was die IsländerInnen sich durch die Wahl erhoffen, wird es sicherlich wie schon 2009 zu Widerstand der Bevölkerung führen, die nun wachsamer denn je ist. Schon in Griechenland ging die SYRIZA als Siegerin aus dem Verdruss gegenüber den großen Parteien heraus. Die linken Parteien Islands haben nun die Chance daraus zu lernen und selbst ein sozialistisches Programm anzubieten, das eine wirkliche Verstaatlichung der Banken und der großen Industriezweige fordert und ausländische Schuldansprüche ablehnt sowie sich wirklich für den Wiederaufbau und Erhalt des Sozialsystems einsetzt. Dann könnte Island auch wirklich ein Musterbeispiel für den Rest Europas darstellen.

 

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