Kategorie: Europa

Die Ukraine ein Jahr nach der "Revolution" auf dem Maidan

Im Folgenden veröffentlichen wir ein Interview mit der linken Organisation Borotba, in dem wir die aktuelle Situation in der Ukraine, ein Jahr nach der Maidan-Bewegung und dem Sturz von Viktor Janukowitsch, diskutieren.


 

Vor einem Jahr wurde Viktor Janukowitsch gestürzt. Die Euromaidan-Bewegung behauptete von sich gegen Korruption und Oligarchie und für "Demokratie" und westliche Werte zu demonstrieren. Wie sieht die Bilanz ein Jahr später aus?

 

Im Anschluss an die Euromaidan-Bewegung anerkennen sogar die Anhänger und Teilnehmer das Scheitern bei der Bekämpfung der Korruption und der Oligarchie. Sergej Kaplin, ein Abgeordneter der UDAR (Ukrainische demokratische Allianz für Reformen), stellte fest, dass die Korruption in der Ukraine explodiert. Kaplin beschuldigt dafür die KollegInnen aus der eigenen Partei. Tatsächlich haben die letzten Korruptionsskandale sogar die ukrainische Öffentlichkeit, die seit Jahren daran gewöhnt ist, überrascht. Man muss sich nur das Beispiel Petro Poroschenko ansehen, um zu verstehen, dass sich bei den Oligarchen rein gar nichts geändert hat. Er betreibt nicht nur in der Ukraine Geschäfte, sondern auch weiterhin erfolgreich in Russland. In Zusammenhang mit dem Problem des Kampfes gegen die Oligarchen, sollten wir uns daran erinnern, dass einer der Gründe für die angespannte Lage im Südosten der Ukraine die Ernennung von Oligarchen als Gouverneure in diesen Regionen nach dem Sieg der Euromaidan-Bewegung, war. Im Gegensatz dazu hat sich die Situation bezüglich der Korruption und der Oligarchen in den Volksrepubliken tatsächlich geändert. Natürlich können wir hier nicht von einem "Sieg" über die Korruption  sprechen, aber einige oligarchische Familien konnten aus der Regierung entfernt werden.

 

Die demokratischen Rechte sind in der Ukraine im letzten Jahr abgebaut worden. Demonstrationen seitens der Opposition sind fast unmöglich, da sie oft verboten und brutal unterdrückt werden. Außerdem gibt es eine strenge Zensur der Medien. Die meisten Medien (nicht nur die der Opposition), die von der offiziellen Linie abweichen, mussten ihren Betrieb einstellen. Medienagenturen erfuhren bewaffnete Angriffe auf ihre Büros und Redaktionen als Folge ihrer politisch abweichenden Meinung.

 

Die Ermordung dutzender Menschen durch Heckenschützen am 20. Februar 2014 spielte bei der endgültigen Amtsenthebung von Janukowitsch eine entscheidende Rolle. Gab es schon vorher eine Vereinbarung über seine Absetzung zu diesem Zeitpunkt? Wissen wir nach einem Jahr, wer für diese Morde verantwortlich war und wer sie befohlen hat? Wie ist die Ermittlung von der Regierung gehandhabt worden?

 

Janukowitsch hat die Ukraine am 22. Februar 2014 verlassen. In seinem letzten Interview sagte er, dass die EU-Vertreter ihm vor seiner Abreise eine friedliche Lösung der Lage und ein Zurück zum Verfassungsprozess garantiert hätten. Daran erinnert sich heute niemand. Ein Jahr nach der Euromaidan-Bewegung stehen die amtlichen Ergebnisse durch die ukrainischen Behörden noch aus, obwohl viele UkrainerInnen glaubten, dass die Behörden schnell zur Aufhellung der Wahrheit über diese Toten kommen würden. Entgegen diesen Erwartungen sind viele Spuren über die Schüsse und die Kämpfe auf dem Maidan mit dem Einverständnis der Regierung vernichtet worden. Es gibt viele widersprüchliche Beweise, welche die offizielle Version der Behörden über diese Ereignisse widerlegen. Die Mitglieder der Berkut (Spezialeinheit) können die Menschen, die mit minderwertigen Waffen getötet wurden, nicht ermordet haben. Die Beweise deuten vielmehr auf Polizisten und andere, die für die Toten verantwortlich sind. Interessanterweise wurden einige Polizeioffiziere tot aufgefunden, es wurden aber keine Untersuchungen dieser Toten durchgeführt. Das nährt den Verdacht, dass die wirklichen Gründe und die Todesumstände bewusst verschleiert werden. Es gilt hervorzuheben, dass die Krise in der Ukraine als Ergebnis der Euromaidan-Bewegung für die frühere Opposition von Vorteil war, da diese in die Lage versetzt wurde, die Gelegenheit zu nutzen und die Macht zu ergreifen. Von besonderem Interesse ist der Euromaidan-Kommandant und Gründer der neonazistischen Sozial-Nationalistischen Partei der Ukraine, Andrej Parubij, der, wie die BBC berichtete, offensichtlich bezüglich der Heckenschützen gelogen hat.

 

Wir haben es mehr als einmal mit Heckenschützen, die auf Demonstranten geschossen haben, zu tun gehabt und die meisten Fälle sind nicht vollständig untersucht worden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist weder die Erklärung "des Beschusses der Protestierenden durch Polizisten", noch "die geplante Provokation durch die Opposition", noch "die Beteiligung dritter externer Kräfte" bewiesen oder nicht bewiesen. Das offensichtliche Problem der Untersuchung ist, dass die Ermittler selbst diese Verbrechen begangen haben könnten. Wenn wir einen Richter in einem Korruptionsfall gegen sich selbst vertrauen, wird sein Urteil ziemlich vorhersehbar sein, selbst wenn die Beweise das Gegenteil aussagen.

 

Viele Kommentatoren bestehen darauf, dass es sich beim Konflikt in der Ukraine um eine Auseinandersetzung einer unterdrückten Nation (Ukraine) handelt, die gegen eine aggressive imperialistische Macht (Russland) kämpft. Beschreibt das, eurer Meinung nach, die Lage?

 

Bevor wir diese Frage beantworten, ist es bedeutungslos, dass die Ukraine noch nicht in der Lage gewesen ist, die Präsenz regulärer russischer Truppen auf dem Gebiet der Volksrepubliken zu beweisen. Dies wird von den ukrainischen Offiziellen als Tatsache betrachtet. Wir haben keine russischen Truppen in den Volksrepubliken gesehen und die dortigen Einwohner, mit denen wir gesprochen haben, auch nicht. Natürlich können wir nicht abstreiten, dass Russland den Volksrepubliken behilflich ist, dazu gehören die militärische und humanitäre Unterstützung.

 

Wenn wir die Frage der Teilnahme Russlands an dem Konflikt aufwerfen, sollten wir nicht vergessen, dass die westlichen Staaten vor Russland in der Ukraine eingegriffen haben. So unterstützten zum Beispiel westliche PolitikerInnen die Euromaidan-Bewegung verbal und materiell. Es gab die Besuche von John McCain, Victoria Nuland und anderen auf dem Unabhängigkeitsplatz. Handelte es sich dabei nicht um ausländische Einmischung in die ukrainische Politik? Später, im April 2014, berieten US-amerikanische Militärexperten und Sanitätssoldaten die ukrainischen Truppen bei der Vorbereitung des ATO, des Krieges gegen die Donbass-Rebellen, der von Kiew als Antiterror-Operation bezeichnet wird. Die USA versorgten Kiew mit Waffen und Krediten für die ATO. Es gibt in der ATO ebenfalls Freiwillige und Söldner aus anderen Staaten, unter anderem aus Russland, genauso wie Vertreter der polnischen und der US-Armee.

 

Von unserem Standpunkt aus kann die Lage in der Ukraine als Konflikt zwischen der westlich orientierten Bourgeoisie, die sich auf den extremen rechten Flügel und Neonazi-Verbrechern stützt, und der Bourgeoisie, die mit den Industriestandorten im Osten verknüpft ist, die enge Verbindungen zu den russischen Märkten haben, gesehen werden. Als Folge der Krise und der damit verbundenen politischen und ökonomischen Protestbewegung eskalierte der Kampf anschließend zu einem Bürgerkrieg zwischen der neuen rechtsliberalen Regierung, die sich auf extrem rechte Militante stützt, und der Bevölkerung im Südosten des Landes, welche die ihnen auferlegte nationalistische Politik ablehnt und für die Bewahrung der industriellen Beziehungen zu Russland und ihrer eigenen sozialen Sicherheit eintritt. Darüber steht der externe Konflikt zwischen den USA und Russland. Wir glauben, dass die Darstellung des Konflikts als Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine die Situation verfälscht. Wir haben es offensichtlich sowohl mit einem Bürgerkrieg in der Ukraine als auch mit einem Konflikt zwischen USA und Russland auf der internationalen Ebene zu tun.

 

Welchen Charakter haben die Freiwilligenbataillone, die auf Kiews Seite kämpfen? Welchen Rechtsstatus haben sie gegenüber dem ukrainischen Staatsapparat und der Militärstruktur? Inwieweit sind ein Teil davon?

 

Die Neonazi-Banden an der Basis der "Selbstverteidigungsbataillone" sind seit dem Euromaidan zahlenmäßig größer geworden, haben eine gewisse Unabhängigkeit erlangt und sind vom Staat bewaffnet worden. Nachdem diese Banden nach dem Sieg der Euromaidan-Bewegung für die neue Regierung zu einer Bedrohung wurden, haben Regierungsvertreter damit begonnen, diese in verschiedene Regierungsinstitutionen zu integrieren. Es gab eine Zeit, in der diese Banden sich frei in der gesamten Ukraine bewegen konnten und die Versammlungen und AktivistInnen der Anti-Maidan-Proteste angriffen. Sie töteten zwei Demonstranten in Charkow. Mehrere Male wagten sie sich bis Odessa vor, wo sie für das Massaker an GewerkschafterInnen am 2. Mai 2014 verantwortlich waren.

 

Die ukrainische Oligarchie bemühte sich, die faschistischen Banden unter Kontrolle zu bringen und begann freiwillige Milizen aufzubauen, die in Wirklichkeit als ihre eigenen Privatarmeen dienten.

Diese Milizen gerieten schließlich sowohl mit gewissen Oligarchen als auch mit der Regierung in Konflikt. Unter dem Druck der Regierung wurden sie unter die Kontrolle des Innenministeriums gestellt, wurden Teil der ukrainischen Nationalgarde und erlangten so einen legalen Status. Viele Nazis und Nationalisten versuchen auch offiziell bei der Polizei unterzukommen.

 

Anhänger der Regierung in Kiew behaupten, dass es sich nicht um Neonazis handele, sondern um Patrioten und Nationalisten. Was denkt ihr darüber?

 

In den meisten Fällen verbergen weder die Kämpfer noch die Kommandeure ihre neonazistischen und rassistischen Einstellungen. Sie bestreiten nicht, dass sie Verbindungen zu Organisationen haben, die sich als Nationalsozialisten bezeichnen. Ihre Ideologie ist in vielen Interviews publik geworden als sie stolz Tattoos mit verschiedenen Nazisymbolen gezeigt haben. Tatsächlich ist das Symbol des Bataillons "Asow" die Wolfsangel, ein Symbol, das ursprünglich die SS benutzte. Die ukrainischen Medien zögerten nicht diese Fotos von unseren Truppen während des Urlaubs zu veröffentlichen.

 

Diejenigen, welche die ideologische Dominanz des Neonazismus in den Freiwilligenbataillonen bestreiten, verzerren die Fakten. Sie versuchen diese als kleineres Übel gegenüber dem großen Übel Russland zu beschreiben.

Die ukrainischen Medien verstehen das Wort "Faschismus" falsch, es wird nur als Beleidigung betrachtet. Sie glauben, er sollte nicht benutzt werden, um "ihren eigenen" Faschismus zu beschreiben, sogar dann nicht, wenn dieser Hitler vergöttert und von der "Überlegenheit der weißen Rasse" spricht.

 

Andere behaupten, dass es notwendig sei, mit diesen Elementen im Kampf gegen die "russische Invasion" zusammenzuarbeiten. Sie sagen, diese Elemente spielten tatsächlich keine politische Rolle und die rechtsextreme nationalistische Ideologie fände keine Unterstützung in der Bevölkerung.

 

In der Realität ist die Vorstellung von der Überlegenheit der ukrainischen Nation und die der "Reinigung" von "nichtukrainischen" Kräften in bestimmten Teilen der ukrainischen Gesellschaft verbreitet. Eine weitere markante Vorstellung beinhaltet, dass die Menschen im Südosten nicht reine UkrainerInnen sind und dass diese Regionen von primitiven Menschen bewohnt werden, die von Russland beeinflusst werden. Im Westen und in der Zentralukraine haben Medien Geschichten über das schlechte Benehmen und die Unterlegenheit der Menschen im Südosten verbreitet. In Kiew ist es an Schulen zur Demütigung von Flüchtlingskindern gekommen. Das alles trägt zur Steigerung der Kriegshysterie und zur Militarisierung der Gesellschaft bei. Zusätzlich sollte betont werden, dass die paramilitärischen Bataillone nicht die Unterstützung der Mehrheit der UkrainerInnen haben. Der Terror beginnt, wenn allein die Gewalt die Tagesordnung bestimmt, unabhängig von der Mehrheit der Bevölkerung, das haben wir seit dem Februar des vergangenen Jahres in der Ukraine gesehen.

 

Die Anhänger der Regierung in Kiew behaupten, dass es sich bei den  Rebellen in den südlichen und östlichen Provinzen um russische Agenten, Terroristen und bestenfalls um Teile der Bevölkerung handele, die sich einer Gehirnwäsche unterzogen hätten.

 

Man kann diese Frage nicht vollständig beantworten, ohne die Anti-Euromaidan und die Euromaidan-Bewegung zu vergleichen. Die Anti-Euromaidan-Bewegung ist nicht aus dem Nichts entstanden, sondern als Reaktion auf die Ereignisse auf dem Maidan und Versuchen, diese Euromaidan-Bewegung auf die südöstlichen Regionen auszuweiten. Obwohl die Euromaidan-Bewegung versucht, sich als eine Art Selbstorganisation der Massen zu präsentieren, so wurde sie doch von einigen wichtigen politischen Kräften und der Mehrheit der Oligarchie unterstützt. Sie wurde von Anfang an von einer Anzahl rechtsgerichteter Organisationen, bei denen es sich um ausgebildete Straßenkämpfer handelte, gefördert. Fast alle wichtigen Medien, die sich in den Händen der Oligarchen befinden, wurden ermutigt, 24 Stunden am Tag über die Euromaidan-Bewegung zu berichten. Nationalistische und prowestliche Ideen wurden auf dem Maidan ständig wiederholt. Nichts davon gab es in der Anti-Euromaidan-Bewegung: keine festen Plätze, Heizung oder finanzielle Unterstützung. Es gab keine bestehenden Selbstverteidigungsgruppen, diese wurden vielmehr im Laufe der Auseinandersetzungen gebildet. Es gab keine Unterstützung des Anti-Euromaidan durch die Massenmedien, diese ignorierten oder karikierten die Bewegung vielmehr.

Zur gleichen Zeit wurde der Südosten durch Medien aus der Zentralukraine dominiert, die einen klaren Standpunkt zugunsten des Euromaidan vertraten.

 

Der Anti-Euromaidan erhielt die Unterstützung der ArbeiterInnen in den industriellen Großbetrieben und der Armen in der Ukraine, die Opfer der Einschnitte bei der sozialen Sicherung wurden. In vielen Gegenden unterstützte die Polizei die Proteste und weigerte sich, die Protestierenden auseinanderzutreiben. Die Anhänger des Regimes in Kiew versuchten, ihre Gegner zu entmenschlichen, indem man die Bewohner der Industrieregionen als Analphabeten, Kriminelle und unterentwickeltes Viehzeug porträtierte, die es nicht wert seien, Mitglieder der ukrainischen Gesellschaft zu sein.

 

Wie sieht es mit der Unterstützung der Volksrepubliken durch die Bevölkerung? Wie kann diese gemessen werden?

 

Die Teilnahme am Referendum bringt das am deutlichsten zum Ausdruck und dann die Wahl am 2. November. Zahlreiche Berichte und die Darstellung internationaler Beobachter bestätigen eine hohe Beteiligung. Jede Zerstörung von Städten im Donbass durch die ukrainische Armee und jede neue Demütigung der dort lebenden Menschen hat zur weiteren Unterstützung der Volksrepubliken geführt.

Es ist auch unmöglich zu vergessen, dass die Fortsetzung der Kämpfe zu einer ökonomischen und sozialen Katastrophe in diesen Regionen führt. Es bleiben die Einstellung von Rentenzahlungen und Löhnen sowie Produktionseinstellungen für die meisten Betriebe. Die humanitäre Hilfe aus Russland reicht nicht aus, um das Leben der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Darum besteht in erster Linie der Wunsch, den Krieg um jeden Preis zu beenden.

 

Wäre es richtig zu behaupten, dass die Trennlinie in diesem Konflikt eine ethnische oder sprachliche ist? D. h. ethnische Russen und russisch Sprechende gegen ethische Ukrainer und ukrainisch Sprechende?

 

Es gibt natürlich eine ethnische Frage, aber deren Bedeutung wird enorm übertrieben. Viele Jahre lang hat die ukrainische Bourgeoisie versucht, nationale Gefühle zu schüren und die bestehenden Widersprüche zu manipulieren, aber dieser Konflikt hat tiefere soziale Ursachen. Durch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU und der Zustimmung zu einer vom IWF verordneten stringenten Finanzpolitik, war die ukrainische Bourgeoisie bereit, den schwächsten Teil der Bevölkerung durch Sparmaßnahmen zu opfern. Sie war bereit, die Großindustrie, die sehr stark mit der russischen Ökonomie verbunden ist, zu zerstören und tausende Menschen zur Arbeitslosigkeit zu verdammen. Viele ukrainische Fabriken, wie z. B. die Kremenchug Stahlwerke, haben die Produktion eingestellt. Für viele Familien ist das eine Frage des Überlebens. Wichtig ist, dass die von diesen ArbeiterInnen aufgestellten Forderungen Sympathie für die ehemalige Sowjetunion aufbringen. Eine industrielle Entwicklung und hohe Sozialstandards sind verknüpft mit den Erfahrungen in der SU. Der Kampf gegen die neoliberalen Reformen, die eng mit dem Aufstieg des Neonazismus einhergehen, hat die antifaschistische Richtung dieser Bewegung bestimmt.

 

Deshalb betrachten wir die Reduzierung des Konflikts auf einen ethnischen als große Vereinfachung. Am 9. März feierten z. B. Donezk und Lugansk den Geburtstag des ukrainischen Dichters Taras Schewschenko. Andererseits sprechen die meisten Kämpfer im Rechten Sektor russisch. UkrainerInnen und RussInnen können auf beiden Seiten der Barrikaden gefunden werden.

 

Wer kämpft in den Volksrepubliken? Sind die Russen beteiligt? Welche Rolle spielt der Kreml auf der militärischen Seite des Konflikts wirklich? Unterstützen die Russen die Rebellen aktiv, erlauben sie es, dass Material über die Grenze kommt, schließen und öffnen sie den Hahn nach Belieben?

 

Die Mehrheit der Kämpfer in den Milizen bilden Einwohner aus Donezk und Lugansk und den angrenzenden Gegenden. Viele haben sich den Milizen nach Zusammenstößen mit der ATO angeschlossen. Einige sind Anti-Euromaidan-AktivistInnen aus anderen ukrainischen Städten. Wie wir schon vorher erwähnten, gibt es auch Freiwillige aus anderen Ländern, einschließlich Russland. Es sind keine regulären russischen Militäreinheiten auf dem Gebiet der Volksrepubliken stationiert. Wir wissen das, denn wenn es sie gäbe, wären sie schon lange entdeckt worden. Instrukteure für Militärtechnik und Spezialisten helfen jedoch. Es ist auch wahrscheinlich, dass Russland Lebensmittel liefert. Dadurch beeinflusst Russland die Volksrepubliken, aber dieser Einfluss ist nicht direkt. Russland hilft wahrscheinlich oder bietet seine Hilfe an, um seine Macht wirksam einzusetzen. Was die Waffen betrifft, lohnt es sich, die Funde der ARES (Armament Research Services) genauer anzusehen. In einem Bericht heißt es: "Die meisten Waffen  und die meiste Munition, die bei den separatistischen Kräften gefunden wurden, waren für die ukrainischen Sicherheitskräften und die Installation in der Ukraine bestimmt ." (S. 89)

 

Welchen Charakter haben die Volksrepubliken und die dort Kämpfenden politisch gesehen? Sind Linke, Gewerkschaften und kommunistische Organisationen beteiligt? Dürfen sie dort tätig sein?

 

Vor der Euromaidan-Bewegung gab es in der Ukraine keine bedeutende linke Gruppierung oder Partei. Die Kommunistische Partei der Ukraine hat sich selbst als verräterische parlamentarische Partei offenbart, die sich schon vor langer Zeit von der kommunistischen Ideologie getrennt hat. Als Folge dieser Schwäche waren die Linken nicht in der Lage eine führende Rolle in der Anti-Euromaidan-Bewegung zu spielen und zur dominanten Kraft zu werden. Außerdem appellieren die antifaschistischen, sozialistischen Standpunkte oft an die sowjetische Vergangenheit und die sind in den Volksrepubliken sehr stark vorhanden. Gerade deswegen beteiligt sich die Mehrheit der KommunistInnen an ihrem Kampf.

 

Es ist schwierig über eine gemeinsame Ideologie in den Republiken zu reden, weil die Gebietskörperschaften und Militäreinheiten noch schwach organisiert sind. Oft arbeiten die verschiedenen Einheiten nicht einmal miteinander. In den verschiedenen Abteilungen kann die Haltung gegenüber den Linken sehr unterschiedlich sein. Eine negative Haltung gegenüber den Linken ist oft mit der Angst vor Protesten während der Kämpfe verbunden. Die Führung in den Republiken versucht den Aufbau der Kommunistischen Partei und deren Teilnahme an den Wahlen zu verhindern, weil die kommunistischen Ideen immer noch sehr beliebt sind und sie fürchten, dass die KP die Wahlen in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk gewinnen könnte. Die Idee von der Verstaatlichung des Eigentums der Oligarchie hat sich in den Republiken verbreitet, ist aber wegen des Kriegszustands noch nicht vollkommen umgesetzt worden.

 

Die Gewerkschaften in den Republiken sind aktiv und es hat kürzlich ein Abkommen zwischen Gewerkschaften aus Lugansk und Griechenland über die Organisierung eines Sommercamps für Kinder von ArbeiterInnen aus Lugansk in Griechenland gegeben.

 

Kontrolliert der Kreml die Republiken politisch?

 

Er kontrolliert sie indirekt durch die humanitäre und militärische Versorgung der Republiken.

 

Wie ist die allgemeine Stimmung in den Gebieten, die unter Kontrolle Kiews stehen und wie hat sich diese entwickelt? Werden die Militäraktionen mit Begeisterung aufgenommen? Wie sieht es mit der Mobilisierung aus? Gibt es eine offene und organisierte Opposition? Wird diese geduldet?

 

Kiew scheint vor allem die rechte Politik und Rhetorik der Regierung zu unterstützen, während die andersdenkende Minderheit eingeschüchtert wird. Neofaschistische Parolen für den weltweiten Kampf gegen das sozialistische Erbe sind mittlerweile üblich und finden einige Unterstützung. Allerdings sind die meisten BewohnerInnen schwer von der ökonomischen Krise betroffen, als Folge der Wirtschaftspolitik der Regierung. Die Menschen sind auch mit den Niederlagen und der schwierigen Situation an der Front unzufrieden. Der Ruf nach einer neuen Mobilisierung sorgt für weiteres Missfallen. Diejenigen, die einberufen werden, werden im wahrsten Sinne des Wortes gejagt und dann an die vorderste Front geworfen.

 

Allgemein kann man die Haltung gegenüber dem Krieg wie folgt beschreiben: Viele möchten einen schnellen, siegreichen Krieg, fürchten aber einen langwierigen Konflikt und sind nicht bereit, sich persönlich an diesem zu beteiligen. Die Leute haben auch die Nase von der Demagogie und den Parolen voll, was dazu geführt hat, dass das politische Engagement quasi in vollständige Apathie übergegangen ist.

 

Die internen Kämpfe um den Einfluss innerhalb der Regierung führen zu Misstrauen in der Bevölkerung. Ganz allgemein ausgedrückt heißt das, dass der Unterschied zwischen den Illusionen, welche die Menschen auf dem Maidan hatten, und der aktuellen Situation zu einer politischen Apathie führt. Immer mehr werden politische Entscheidungen von kleinen paramilitärischen Gruppen mit Waffengewalt oder militärischer Unterstützung getroffen.

 

Wie ist die wirtschaftliche Lage in der Ukraine? Inwieweit bestimmt diese das Bewusstsein?

 

In einem sehr schlechten Zustand. Es ist zu einer ökonomischen Katastrophe gekommen, die in erster Linie die sozial Schwachen trifft. Der ökonomische Zustand der Ukraine muss primär mit dem Krieg in Verbindung gebracht werden, aber es muss festgestellt werden, dass die Verantwortung bei Präsident Poroschenko und Jazenjuk liegt, weil diese die vom IWF vorgegebene neoliberale Austeritätspolitik umgesetzt haben. Das könnte in Zukunft zu einer Radikalisierung unter den UkrainerInnen führen und einen Regierungswechsel zur Folge haben.

 

Ist die Poroschenko – Jazenjuk-Regierung stark?

 

Wie wir gesehen haben, ist die Regierung für die wirtschaftliche Katastrophe, den Fall der Hrywnja und den enormen Schulden beim IWF verantwortlich. Ihre Glaubwürdigkeit ist längst untergraben. Innerhalb der Regierung kommt es zu ständigen Machtkämpfen, in denen die rechten Kräfte immer mehr eingebunden werden. Eine offene Opposition zur Regierung und soziale Proteste werden als Werk des "Feindes" betrachtet.

 

Wie ist die Haltung der verschiedenen Gruppe innerhalb der Republiken gegenüber dem Rest der Ukraine? Gibt es es Vorstellungen, dass dieser Kampf das Ziel hat, sich Russland anzuschließen, eine Unabhängigkeit für den Donbass oder eine Autonomie zu erringen? Gab es politische Appelle an die Bevölkerung in den anderen Teilen der Ukraine?

 

Ursprünglich herrschte die Auffassung vor, die Republiken in eine föderale Struktur einzubinden, das beinhaltet die Wahl der eigenen Gouverneure, Möglichkeiten den Integrationsprozess der Ukraine in Europa zu beeinflussen sowie eine kulturelle und sprachliche Autonomie.

 

Die Massenbombardierungen der ukrainische Armee auf bewohnte Siedlungen, Kriegstote, die Kriegshysterie sowie die Entmenschlichung der Bevölkerung in den Republiken in den ukrainischen Medien haben bei vielen Menschen zu der Auffassung geführt, dass eine friedliche Koexistenz zwischen diesen Regionen und dem Rest der Ukraine unmöglich ist. Jedoch ist die Vorstellung von einem besonderen autonomen Status für die Republiken innerhalb der Ukraine noch nicht verworfen worden.

 

Welche Perspektiven gibt es, eurer Meinung nach, in diesem Konflikt?

 

Leider gibt es in nächster Zukunft nichts, was den Krieg beenden und die wirtschaftliche Lage verbessern könnte.

 

Wofür kämpfen KommunistInnen in der Ukraine?

 

In erster Linie ist es ein Kampf gegen den Krieg und den zunehmenden Neonazismus, für das Recht auf Selbstbestimmung und das Grundrecht auf den Fortbestand kommunistischer Organisationen auf dem Territorium der Ukraine.

 

Welches sind die Prioritäten für KommunistInnen und InternationalistInnen in Bezug auf den Konflikt in der Ukraine?

 

Die erste Priorität heißt momentan Frieden. Zum Beispiel die Versuche der ukrainischen Regierung, Hilfe zu bekommen, sollten blockiert werden, das gilt primär für militärische Hilfe. Die politische Verfolgung muss beendet, politische Gefangenen müssen frei gelassen, der Terror der Neonazis muss beendet und ein demokratischer Friedensprozess begonnen werden. Es ist absolut notwendig, politische Gefangene zu unterstützen, diejenigen, die ins Exil fliehen mussten und gefoltert wurden und auch die, die im Untergrund arbeiten. KommunistInnen sollten über die wirkliche Situation in der Ukraine informieren und die Lügen und die Heuchelei der bürgerlichen Medien aufdecken.

 

Übersetzung: Tony Kofoet

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