Kategorie: Europa

Flucht des Ex-Königs Juan Carlos: die spanische Monarchie hängt am seidenen Faden

Am Sonntag den 2. August verließ Juan Carlos I Spanien, um einen luxuriösen Ruhestand in der Karibik anzutreten. Dieser drastische Schritt wurde erklärtermaßen durch eine Flut von Enthüllungen über die unverschämte Korruption und die kriminellen Machenschaften motiviert, in welche er über Jahrzehnte verstickt war und ist.


Juan Carlos Flucht wurde in Abstimmung mit dem aktuellen König Felipe VI und der sozialdemokratischen PSOE-Regierung in die Wege geleitet. Trotz diverser Versicherungen, er müsse sich vor den spanischen Gerichten für seine illegalen Taten verantworten, ist abzusehen, dass ihm sein Exil Straffreiheit gewährleisten wird. Auf beschämende Weise wurde seine Entscheidung durch das gesamte Establishment gutgeheißen, inklusive der Mainstream-Medien und bürgerlicher Parteien und Persönlichkeiten. Dabei ist die herrschende Klasse nicht nur um das persönliche Wohlergehen des Ex-Königs besorgt, sondern ihr liegt die Zukunft der Monarchie am Herzen. Diese bildet einen Eckstein des Regimes, das nach dem Übergang zur Demokratie (Transición) in den 1970er Jahren entstand. Indem sie ihn gleichsam in ein weit entferntes Land wegzuzaubern versuchen, hofft die herrschende Klasse die wachsende Wut der Öffentlichkeit abwenden zu können, aber diese Entscheidung könnte nach hinten losgehen.

Die Bourbonen

Juan Carlos I wurde 1975 zum König proklamiert – wenige Tage nach Francos Tod. Er war durch den Diktator als Staatoberhaupt vorgesehen und schwor den Prinzipien des faschistischen Regimes seine Loyalität. Juan Carlos wurde 1938 im Exil in Mussolinis Italien geboren. Er ist der Enkel von Alfonso XIII, der 1931 im Zuge der Ausrufung der Zweiten Republik floh – nicht ohne sein enormes Vermögen mitzunehmen. Alfonso und Juan Carlos sind nicht die ersten Bourbonen, die Spanien übereilt verlassen mussten: 1868 floh Isabel II vor der Revolution, wie es ihr zuvor Fernando VII angesichts von Napoleons Invasion vorgemacht hatte.

Die Mehrheit der herrschenden Klasse unter Franco erkannte die Notwendigkeit einer demokratischen Reform von oben, um eine Revolution von unten zu verhindern. Nichtsdestotrotz existierten verschiedene Positionen bezüglich dem Geschwindigkeit und dem Umfang der Reformen. Der König war als bonapartistische Figur vorgesehen, die diese unterschiedlichen Positionen vereinen sollte. Es wurde der Mythos eines Königs ersonnen, der die Monarchie wiederhergestellt und 1981 beim Putschversuch am 21. Februar erneut gerettet hatte. Das ist die wichtigste Funktion der spanischen Monarchie: sie agiert in schwierigen Zeiten als „starker Mann“. Scheinbar unabhängig und über jede Tagespolitik erhoben kann in Notfallsituationen auf sie zurückgegriffen werden. Dies wurde im Nachklang des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums erneut bestätigt. Die Massen hatten erfolgreich den Staatsapparat bezwungen und die gesamte herrschende Klasse ins Chaos gestürzt. Am Abend des 3. Oktober 2017 hielt Felipe VI. im Fernsehen eine äußerst aggressive Rede, die die Regierung Rajoy und die Machthaber anspornte und ihnen die Entschlossenheit gab, die katalanische Unabängigkeitsbewegung mit aller Härte niederzuschlagen.

Der König wurde auch zum symbolischen Eckpfeiler in der Transición und zum Hauptgaranten von deren Stabilität. Nach Francos Tod unterstützte die sozialdemokratische und stalinistische Führung der Arbeiterbewegung das Weiterbestehen des franquistischen Staatsapparates. Seine rechtlichen Rahmenbedingungen und Besitzverhältnisse wurden im Austausch für kleine demokratische Reformen in der Verfassung von 1978 festgeschrieben. Giuseppe Lampedusas Spruch bringt es auf den Punkt: Es muss sich was verändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist. Der König, zwar von Franco ernannt, aber in einen parlamentarischen Mantel gehüllt, wurde zur Krönung dieses Arrangements. Jeder Angiff auf die Monarchie wird also korrekterweise von der herrschenden Klasse als Angriff auf das 1978er Regime, also den Überbau des spanischen Kapitalismus, gesehen. Nach westlichen Standards ist der spanische Kapitalismus notorisch rückständig und räuberisch und wurde schon oft von den rebellischen Massen herausgefordert. Dies hat der Bourgeoisie eine ängstliche und intolerante Mentalität eingeimpft und darüberhinaus eine Vorliebe für die Peitsche gegenüber dem Zuckerbrot. Die Figur des Königs mildert diese Unsicherheiten.

Zuguterletzt hat der König auch echte, verfassungsmäßige Befugnisse, insbesondere in Zeiten politischer Krisen. Obwohl sie in den letzten Jahrzehnten nur selten zum Einsatz kamen, ist anzunehmen, dass sie mit der Zuspitzung der Krise des 78er Regimes reaktiviert werden. Weiters verfügt der König über rechtliche Immunität. Innerhalb des spanischen Rechtsrahmens kann Juan Carlos derzeit nur für Verbrechen verurteilt werden, die er nach seiner Abdankung begangen hat. Es steht außer Frage, dass die Bourbonen-Dynastie durch die Anhäufung enormen Reichtums auch eine wichtige ökonomische Kraft darstellt. Ihre politische Macht und ihr Reichtum machen sie zu einem wichtigen Player in der Geschäftswelt.

Der König ist also nicht bloß Zierwerk, sondern ein entscheidender politischer Faktor im spanischen Kapitalismus. Folglich haben alle revolutionären Bewegungen in der jüngeren spanischen Geschichte die Monarchie ins Visier genommen. Und dabei handelt es sich nicht um einen folkloristischen Kampf. Gegen die Monarchie zu mobilisieren heißt das Setup nach 1978 herauszufordern und das kapitalistische System, auf dem es beruht.

Juan Carlos I

Alle großen bürgerlichen Parteien Spaniens rühmten die Figur von Juan Carlos I. Dies galt insbesondere für die Sozialdemokraten der PSOE. Historisch gesehen handelt es sich bei der PSOE um eine republikanische Partei. Sie begründeten ihre Akzeptanz der Monarchie während der Transición mit der persönlichen Rolle von Juan Carlos als Vetreter von Demokratie und Versöhnung. Seine engen Verbindungen zu Franco wurden bequemerweise unter den Teppich gekehrt.

Dieser Mythos liegt nun in Trümmern, da eine Reihe von Korruptionsskandalen sein Image schwer beschädigten. Bereits 2014 verzichtete Juan Carlos nach einem großen Skandal um einen Jagdausflug nach Botswana auf den Thron zugunsten seines Sohnes Felipe VI. Der Hintergrund für diese Entscheidung liegt in der wachsenden Diskreditierung der Monarchie als Institution inmitten der damaligen Massenbewegungen.

Diese Jahre sahen den spektakulären Aufstieg von Podemos zur Massenkraft und 2014 forderte sie ein Referendum über die Monarchie. 2015 stellte das Meinungsforschungsinstitut CIS die Umfragen bezüglich der Monarchie ein, nachdem ihre Zustimmungswerte seit Jahren stetig fielen. Als Juan Carlos abdankte, sicherte er sich ein jährliches Einkommen von 200.000 Euro und behielt den Ehrentitel eines Königs im Ruhestand.

Die neusten Enthüllungen, die Juan Carlos zur Ausreise bewegten, kamen nicht aus Spanien selbst, da hier die Justiz und die Medien bei den korrupten Machenschaften der Monarchie gerne wegschauen. Sie hatten ihren Ursprung in einer gerichtlichen Untersuchung in der Schweiz über die Vermögenswerte, die der König dort deponiert hatte. Eine von Juan Carlos’ vielen Geliebten, die Edelprostituierte Corinna Larsen, beschrieb Geldtransfers von mehreren Millionen Euro, die Verwendung von Diplomatengepäck, um Bargeld nach Spanien zu bringen und Banknotenzähler in den Gärten des königlichen Palastes.

Dieser Fall fand ein Echo in europäischen Medien wie The Telegraph, die eine Provision in Höhe von 65 Millionen Euro für Felipe VI an die Öffentlichkeit brachten. Soweit wir wissen, stammt das Geld aus Provisionen für Geschäftsabschlüsse zwischen spanischen Firmen und Diktaturen im nahen und mittleren Osten. Das ist wenig überraschend, da Juan Carlos persönliche Freundschaften mit Tyrannen wie Marrokos Mohammed VI und Saudi Arabiens Abdullah pflegt.

Im Frühling 2020, mitten in der Coronakrise, begannen die spanischen Medien diese Neuigkeiten zaghaft zu verbreiten und ihre eigenen Erkenntnisse zu publizieren. Im März gab Felipe VI. bekannt, dass er auf jegliche Erbschaft seines Vaters verzichte und Juan Carlos' Ruhestandsstipendium aussetzte, womit er die Wahrheit der Enthüllungen bestätigte.

Im Juni 2020 kündigte der Oberste Gerichtshof eine Untersuchung des Vermögens von Juan Carlos an. Diese veränderte Haltung kam nicht einfach aufgrund von Enthüllungen der Schweizer Gerichte oder ausländischer Medien zustande. Zuvor wurde der altgediente katalanische Mogul Jordi Pujol wegen Korruption vor Gericht gestellt. Er war bei dem Regime in Ungnade gefallen, nachdem seine Partei in den letzten Jahren in Richtung Unabhängigkeit tendierte. Der Vermögensverwalter von Pujol war ebenfalls mit dem Vermögen von Juan Carlos betraut. Es ist wahrscheinlich, dass Pujol von den Betrügereien des ehemaligen Königs wusste und versuchte, sie zur Erpressung des Hofes zu nutzen.

In ähnlicher Weise hatte der zwielichtige Polizist José Manuel Villarejo, der derzeit wegen Korruption und Erpressung im Gefängnis sitzt, sensible Informationen über verschiedene politische Persönlichkeiten gesammelt, um sie zu erpressen. Dabei hatte er auch Aufzeichnungen über die rechtswidrigen Aktivitäten des Königs angesammelt. All dies erzwang von Spaniens Establishment eine Haltungsänderung. Einst als Verkörperung von Freiheit & Versöhnung und Bezwinger des Coups von 81' gefeiert, wurde Juan Carlos zu einem schmuddeligen, alten Mann mit einem Lispeln.

Die Strategie der spanischen herrschenden Klasse besteht nun darin, Juan Carlos aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu entfernen und seinen Sohn zu einem unbestechlichen Führer hochzustilisieren, wobei die Unterschiede zu seinem Vater betont werden. Felipe VI hat die letzten Wochen damit verbracht, durch das Land zu reisen, um seine Popularität zu erhöhen. Begrüßt wurde er in vielen Ortschaften mit republikanischen Demonstrationen.

Das Problem liegt eben darin, dass Felipe VI durch Erbschaft von Juan Carlos zum König wurde und Nachkomme der Bourbonen ist. Der tiefe Fall von Juan Carlos wirft auch Schatten des Zweifels auf die offizielle Geschichte der Transición und die demokratischen Referenzen des ehemaligen Königs. Die offensichtigen Doppelstandards von spanischen Medien und Justiz wirft Fragen hinsichtlich der Unparteilichkeit der Gerichte und der Meinungsfreiheit auf.

Die meisten katalanischen Minister, die an der Organisation des Unabhängigkeitsreferendums 2017 beteiligt waren, sind zur Zeit entweder im Gefängnis oder im Exil. Ihre Haftbedingungen wurden erst vor kurzem verschärft. Der ehemalige Präsident der katalanischen Regierung Puigdemont befindet sich im Exil in Belgien. Er wurde vom gesamten Establishment als Feigling und Verräter geschmäht. Die Rapper Pablo Hasel und Valtonyc wurden wegen Liedern, in denen sie die Korruption der Monarchie anprangerten, zu Gefängnisstrafen verurteilt. Republikanische Ansichten sind nun in ganz Spanien am Vormarsch. Juan Carlos Flucht wird die Monarchie nicht retten, vielmehr ist sie Auslöser für ihre tiefste Krise seit 1931. Zu sagen, die Monarchie hängt am seidenen Faden, ist nicht übertrieben. Das einzige, was ihren Fall zur Zeit verhindert, ist die Haltung in der gegenwärtigen linken Regierung um die PSOE und Unidas Podemos (UP).

Podemos in der Krise

Als Podemos 2014 gegründet wurde, standen sie in Fundamentalopposition zum 1978er Regime. Das war auch das Geheimnis ihres Erfolges. Aber Pablo Iglesias und die anderen Köpfe von Podemos (später Unidas Podemos UP) verwässerten ihr Programm. Ihre Rethorik wurde moderater. Dieser Schwenk gipfelte in der Formation einer Koalitionsregierung mit der PSOE.

Die Sozialdemokraten sind eng mit der herrschenden Klasse und ihren Institutionen verbandelt. Ihre Funktion ist es, durch leere, linke Rethorik die bitteren Pillen von Einsparungen und Attacken auf die Arbeiterklasse zu versüßen. Pablo Iglesias' Koalition mit der PSOE war ein Fehler, der Podemos' Möglichkeit zur unabhängigen Kritik beschnitt. Sie wurden so für die Untätigkeit und pro-kapitalistische Ausrichtung der Regierung mitverantwortlich.

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise und die Pandemie schränken die Handlungsoptionen der Koalitionsregierung weiter ein. Unidas Podemos fuhr bei den kürzlichen Regionalwahlen in Galizien und im Baskenland schwere Niederlagen ein – sie verloren hunderttausende Stimmen an linksnationalistische Parteien, da diese radikaler und weniger von der Regierungsbeteiligung beschmutzt wirken. Obwohl diese Ergebnisse nicht mechanisch auf den Rest Spaniens übertragen werden können, da die nationale Frage in diesen Regionen eine große Rolle spielt, reflektieren sie doch die Tatsache, dass die UP nicht länger als radikale Option in einer Zeit von Leid, Unzufriedenheit und der Suche nach einem Ausweg daraus wahrgenommen wird.

Pedro Sánchez und die PSOE spüren die wachsende Diskreditierung der UP und behandeln ihren streitlustigen Juniorpartner zunehmend herablassend. Sie ließen sich einseitig auf Verhandlungen bezüglich dem neuen Budget mit der liberalen Ciudadanos ein, ohne die UP miteinzubeziehen. Bedenklicher noch ist die Tatsache, dass PSOE Minister die Flucht von Juan Carlos vorbereiteten ohne Pablo Iglesias hinzuzuziehen, der nach eigner Auskunft in der Zeitung darüber erfuhr. Es ist unnötig hinzuzufügen, dass die PSOE diese Entscheidung unterstützt und hinter der Monarchie steht.

Die Äußerungen der Minister der UP ergeben jetzt ein ziemlich unstimmiges Bild. Einerseits verurteilen sie die Flucht Juan Carlos‘ und fordern, dass er vor spanischen Gerichten zur Verantwortung gezogen wird. Andererseits warnen sie davor, dass diese Episode einen besorgniserregenden Schandfleck für die spanische Demokratie und das Staatsoberhaupt, i.e. die Monarchie, darstellen könnte. In anderen Worten: Ihre Sorge ist, dass die Flucht des Königs das 78er Regime diskreditieren könnte. Mehrdeutige Aussagen wie „Wir müssen eine soziale Debatte um unser politisches System starten“ wurden gemacht. Diese halbherzigen Ansinnen sind unverzeihlich, in einer Zeit, in der eine unerschrockene, republikanische Führung der Monarchie und dem ganzen System entscheidende Schläge versetzen könnte.

Das Problem ist nicht, dass Juan Carlos die spanische Demokratie delegitimiert, sondern dass die „spanische Demokratie“ so verrottet ist, dass das Staatoberhaupt mit seinem Vermögen in die Karibik flieht.

Wenn die UP noch einen Penny wert ist, müssen Pablo Iglesias und seine Minister die Koalition sofort auflösen und zu Massenmobilisierungen aufrufen – für ein Referendum über die Monarchie, offen für die Republik auftreten und das in Verbindung mit dem breiteren Kampf um demokratische Reformen und soziale Gerechtigkeit. Das ist leider angesichts ihres jüngsten Verhaltens extrem unwahrscheinlich und sie scheinen dazu verdammt, dem Schicksal des 78er Regimes nachzufolgen.

Die spanischen Arbeiter und Jugend können nicht auf die Initiative einer derart feigen Führung warten. Es ist an der Zeit auf die Straße zu gehen und mit den korrupten Bourbonen-Monarchen und dem neo-fanquistischen 78er Regime abzurechnen!

 

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