Kategorie: Europa

Frankreich: Massenstreikbewegung gegen Renten-Konterreform

Nicht nur der deutsche Kapitalismus befindet sich gerade in einem Engpass, in ganz Europa versucht die herrschende Klasse konkurrenzfähig zu bleiben. Dabei legen die Regierungen vor allem ein Programm vor: Sparpolitik auf Kosten der Arbeiterklasse. Aus dieser Politik resultieren die großen Streikbewegungen, die wir gerade überall in Europa aufkommen sehen. 

Twitter / Unité CGT


Konterreform gegen das Rentensystem

Auch die Streikbewegung in Frankreich ist so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Auslöser für diese war die von der Macron-Regierung vorgesehene Konterreform der Renten, die das gesetzliche Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahren heben soll. Jeder, der bis dahin nicht 43 Jahre lang Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt hat, muss zukünftig sogar bis 67 arbeiten. Das gesetzliche Renteneintrittsalter wäre mit 64 immer noch, im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedstaaten, unterdurchschnittlich niedrig. In Deutschland wird das Renteneintrittsalter bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre erhöht.

Seit 20 Jahren versucht die französische Regierung, Angriffe gegen die Renten durchzusetzen, zum Teil auch erfolgreich. Begründet werden sie mit einer notwendigen Anpassung an den demographischen Wandel. Dass die Rentenbeiträge bei einer wachsenden älteren Bevölkerung fehlen, stimmt auch. Der Grund dafür liegt aber bei der Finanzierung der Rente.

Alle eingezahlten Rentenbeiträge werden an die heutige Rentnergeneration sofort ausgezahlt, dabei zahlen Bosse und Lohnarbeiter je einen Anteil. In Deutschland übernehmen beide jeweils die Hälfte des Beitragssatzes. In Frankreich ist der Anteil, der von den Bossen gezahlt werden muss, zwar höher, trotzdem sind die Rentenbeiträge auch dort jetzt schon nicht mehr ausreichend, um die Renten vollständig zu decken. Die Renten werden deshalb zusätzlich zum großen Teil durch Milliardenzuschüsse aus Steuergeldern finanziert – statt aus den Profiten des Kapitals. Die Steuergelder finanziert wiederum zum größten Teil die Arbeiterklasse. Frankreich verwendet einen ca. 14-prozentigen Anteil seines BIPs auf diese Rentenzuschüsse. Im Gegenteil zu Deutschland, wo es etwa zehn Prozent sind.

Militarismus frisst Lebensstandard

Die französische herrschende Klasse versucht mit dieser Konterreform im Euroraum wettbewerbsfähig zu bleiben und ihre Profite zu steigern. Dabei führt sie einen doppelten Angriff auf die Arbeiterklasse. Einerseits soll diese nun noch länger arbeiten und dadurch ein größerer Mehrwert aus ihnen rausgequetscht werden. Andererseits können die Gelder, die an Rentenzuschüssen jetzt eingespart werden, für die Aufrüstung Frankreichs genutzt werden. Macron möchte das Budget der Armee bis 2030 auf 400 Milliarden Euro steigern. Geld ist also da, es soll nur den Kapitalinteressen dienen.

Zu diesem offensichtlichen Angriff auf die Rechte der französischen Arbeiter addiert sich der fast ins unerträgliche getriebene Reallohnverlust durch die Inflation sowie die jahrelange Sparpolitik, die inzwischen jeden Lebensbereich der Arbeiterklasse erreicht hat. Der sinkende Lebensstandard ist dabei so spürbar, dass die Rentenreform nur den letzten Anstoß gegeben hat, um die massive Streik- und Protestbewegung ins Rollen zu bringen, die wir heute sehen und die direkt an die Bewegung von 2020 anknüpft.

Das ist auch der Grund, warum sich die Jugend so stark in diese Bewegung einbringt, obwohl für sie die Rente noch in weiter Ferne liegt. Es geht den Streikenden und Protestierenden um weitaus mehr als die Rentenreform – es ist eine Antwort auf jahrelange Angriffe auf ihren Lebensstandard.

Konterreformen durchdrücken, um jeden Preis

Nach wochenlangen Protesten und riesigen Mobilisierungen auf die Streiktage, wie es seit Jahrzehnten in Frankreich nicht mehr geschehen ist, hat sich die Macron-Regierung dazu entschieden, aufgrund der Unbeliebtheit dieser Konterreform den parlamentarischen Weg zu umgehen. Am 16. März wurde die Rentenreform, welche 70 Prozent der Bevölkerung ablehnen, unter Anwendung von Artikel 49.3 der französischen Verfassung ohne eine Abstimmung in der Nationalversammlung, von Macron durchgedrückt.

Dieses von der französischen Bevölkerung zurecht als undemokratisch empfundene Manöver deckt die Farce der bürgerlichen Demokratie erneut unmissverständlich auf: Sie ist ein Werkzeug zur Verteidigung der Interessen der Besitzenden. Eine Regierung von Kapitalisten für Kapitalisten. Macrons Manöver befeuerte die Massenproteste also nur noch mehr und gleichzeitig gab es der Streikbewegung auch einen neuen Charakter: Nicht nur die Konterreform muss weg, sondern die ganze Macron-Regierung gleich mit.

Macron vertritt schamlos die Interessen der herrschenden Klasse Frankreichs und zeigt sich dabei nicht bereit, auch nur ein Stück weit nachzugeben. Im Gegenteil: Seit Ende März versucht die französische Regierung die Streiks mit Zwangsrekrutierungen zu brechen. Auch wird eine bewusste Gewalteskalation durch die französische Regierung betrieben, die Streikende und Demonstrierende einschüchtern soll. Die herrschende Klasse spielt dabei aber mit dem Feuer. Gewaltvolle Präzedenzfälle können genauso gut neuer Zündstoff für mehr Massenproteste werden und das Feuer der Bewegung weiter schüren.

Die Rolle der Gewerkschaften und die innere Polarisierung

Die Gewerkschaftsführung hemmt momentan das massive Potential der Bewegung, indem sie bei jeder Wendung der Ereignisse die Streikbewegungen zurückhält. Sie organisiert nur vereinzelte routinierte Aktionstage, zum Teil mit neun bis elf Tagen Abstand dazwischen, und nimmt damit der Bewegung de facto das Momentum, das sie bräuchte, um Erfolge zu sehen. Diese Aktionstage waren zwar riesig, zum Teil mit über zwei Millionen Streikenden auf den Straßen, aber die herrschende Klasse ist bereit, diese Aktionstage auszusitzen. Diese „Strategie“ der Gewerkschaftsführung hat bisher keinen der Arbeitskämpfe und größeren Streikbewegungen, die seit 2006 als Antwort auf Sparmaßnahmen aufkamen, zum Erfolg gebracht.

Deswegen sehen wir eine Zunahme von klassenkämpferischen Positionen innerhalb der Gewerkschaften, namentlich dem allgemeinen Gewerkschaftsbund CGT. Dieser ist das zweitgrößte Gewerkschaftsbündnis Frankreichs mit rund 650.000 Mitgliedern. Am 27. März fand der 53. Kongress des CGT statt, bei dem eine maßgebliche interne Polarisierung bemerkbar wurde. Besonders der linke Flügel (Unité CGT) war auf diesem stärker denn je vertreten.

Dieser linke Flügel kritisiert die undemokratischen Strukturen im CGT und die bisherige Führung, die auf einen Klassenkompromiss setzt und alle Schuld des Scheiterns bisheriger Kämpfe von sich wegschiebt. Sie sieht diese in der Spaltung der Gewerkschaften und nicht in ihrer defensiven Strategie, die der Arbeiterklasse die Hände bindet.

Unité CGT versteht, dass man in die Offensive gehen muss, und greift die Forderungen der Arbeiterklasse auf, die inzwischen viel weitgreifender sind als nur die Rentenreform zu verhindern. Unité CGT schreibt dazu:

„Jetzt geht es nicht nur um die Ablehnung des neuen Rentenantrittsalters von 64 Jahren. Es geht um die Rückkehr zur Rente mit 60 Jahren. Um einen SMIC [berufsübergreifenden Mindestlohn] von 2.000 Euro. Um die Renationalisierung/Enteignung der Autobahnen, der Industrien und des geplünderten Volkseigentums. Es geht um die Aufhebung der Arbeitslosendekrete, es geht um das Ende der Subventionen für Unternehmen, es ist die Antwort auf alle unsere sozialen Bedürfnisse. Es geht um einen Regimewechsel. Diese soziale Ordnung hat zu lange gedauert.“

Das sind wichtige Forderungen! Aber die Strategien im Klassenkampf müssen diese Forderungen widerspiegeln. Das würde eine Ausweitung der Streiks auf alle Schlüsselsektoren der französischen Wirtschaft und einen unbegrenzten Generalstreik voraussetzen. Das ist, was die Streikbewegung bräuchte, um der Regierung den Willen der Arbeiterklasse wirklich aufzwingen zu können. Macron hat es klargemacht – freiwillig wird er von dieser Konterreform nicht ablassen. 

Demagogie der deutschen Presse

In Deutschland müssen wir uns mit der französischen Arbeiterklasse solidarisieren und die deutsche Kapitalistenklasse bloßstellen, die an der Ausbeutung der Franzosen kräftig mitverdient. Ihre Forderungen sind nur gerecht! Wir müssen die Lügen und die Demagogie der deutschen Presse, welche die französischen Arbeiter als faul und die Rentner als reich darstellt, als das aufdecken, was sie sind: ein Mittel zur Spaltung der weltweiten Arbeiterklasse.

Die bürgerlichen Medien in Deutschland verfolgen damit nur ein Ziel: Die deutschen Arbeiter sollen bloß nicht auf falsche Gedanken kommen! Wenn in Frankreich die Arbeiter ihren Lebensstandard im Alter verteidigen, ihr Recht auf eine frühe und ausreichende Rente – etwas, was die deutsche Arbeiterklasse wegen der Sozialpartnerschaft schon lange nicht mehr kennt – dann könnten sie sich zurecht die Frage stellen: Warum wir nicht auch?

Es gibt keinen Grund, warum wir in Deutschland nicht auch das Recht auf eine armutsfeste Rente mit 60 Jahren wieder erkämpfen könnten! Niemand sollte im Alter in Altersarmut leben müssen. Und das wollen wir auch nicht auf Kosten des eigenen Lohns oder durch Steuerzuschüsse haben. Dafür zahlen sollen die, die sich ein Leben lang an uns bereichern: die Kapitalisten! Lassen wir uns von der Kampfbereitschaft der französischen Arbeiterklasse inspirieren! 

 

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