Kategorie: Europa

Die gesellschaftlichen Konflikte spitzen sich zu: Klassenkampf auf Französisch

Die Wirtschaftskrise hat auch Frankreich längst erreicht: massiver Stellenabbau, Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und Arbeitszeitverlängerungen im privaten Sektor lassen nicht nur die Prognosen für den Anstieg der Arbeitslosigkeit um +500.000 steigen, sondern erhöhen auch enorm den Druck auf alle (noch) Beschäftigten. Und auch im öffentlichen Sektor wird das Klima rauer: Einsparungen im Gesundheits-, im Bildungs- und im Verkehrswesen usw. stehen auf der Tagesordnung. Reformen über Reformen sollen dazu beitragen, die öffentlichen Kosten zu senken und die Befriedigung gesamtgesellschaftlicher Bedürfnisse unter dem Dogma der Krisenbewältigung gegenüber den Bedürfnissen der Wirtschaft hintan zu stellen.

So zum Beispiel durch die geplante „Autonomie“ der Universitäten, die Personalkürzungen an den Schulen, die Auslagerung von gewinnbringenden Bereichen der staatlichen Strom- und Gaswerke, die Umstrukturierung der Staatsbahn SNCF, die darauf abzielt, die Position der Gewerkschaften zu schwächen usw. Demgegenüber steht ein Konjunkturprogramm im Umfang von 26 Mrd. Euro in Form von gesellschaftlicher Tilgung privater Schulden und von Gewinnsteigerungen, das zur überwiegenden Mehrheit Kapitalisten zugute kommen wird. Eine solche Situation führt natürlich zu sozialem Unmut und berechtigten Protesten in der arbeitenden Bevölkerung und unter den Jugendlichen, die immer weniger bereit sind, sich die Kosten für diese Wirtschaftskrise aufhalsen zu lassen.

Von Teilkämpfen…

Schon vor dem Beginn der Wirtschaftskrise lebten in Frankreich sieben Millionen Menschen unter der Armutsgrenze, was immer wieder zu Unruhen führte, wie 2005 in den Pariser Banlieues (Vororten), in denen wochenlang Nacht für Nacht tausende Autos und sogar öffentliche Gebäude in Brand gesteckt wurden und sich wütende Jugendliche Straßenschlachten mit der Polizei geliefert haben; die jährlich im Winter stattfindenden „Zeltlager-Proteste“ gegen die enorme Wohnungsnot in der französischen Hauptstadt, oder auch die erfolgreiche Mobilisierung im Jahr 2006 gegen den CPE (Arbeitsvertrag für unter 26-jährige, der eine jederzeitig auflösbare Probezeit von zwei Jahren vorsah). Und auch die Schulen und Universitäten befinden sich seit zwei Jahren immer wieder im Kampf gegen Einsparungen und Verschlechterungen im Bildungssystem. Durch ein entschlossenes Vorgehen, das neben Demos auch radikalere Mittel wie Straßenblockaden und das Besetzen von Schulen und Universitäten beinhaltet, konnten immer wieder Konterreformen abgewendet werden.

Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass die Regierung von Sarkozy nur unter massivem Druck und wegen der Angst vor einer Eskalation der Situation dazu bereit ist, von ihren Reformplänen abzuweichen. Erst wenn die immer wieder bemühten Strategien der Marginalisierung einer Bewegung (z.B. durch das Abstempeln als Ausdruck einer unruhestiftenden, radikalen Minderheit) und des skrupellosen Einsatzes von Polizeigewalt (die Anwendung von Tränengas gegen DemonstrantInnen ist in Frankreich längst nicht mehr dem äußersten Notfall vorbehalten) keinen Erfolg erzielen können, ist die Regierung zum Einlenken bereit. Um diese Erfolge nicht sofort bei der nächstbesten Gelegenheit wieder zu verlieren, ist es aber unabdingbar, dass die verschiedenen Teilkämpfe miteinander verknüpft werden.

…zu einem neuen Mai 68?

Mit dem enormen Anstieg der Klassenkämpfe seit dem Ausbruch der Rezession im vergangen Jahr scheint es Hoffung auf eine solche Entwicklung zu geben. So fand vom 25. bis zum 27. Mai schon der dritte Generalstreik in diesem Jahr statt. Schon im Januar und März haben sich erst zwei, dann drei Millionen Menschen an den im ganzen Land und sogar den Überseegebieten stattfindenden Streikdemos beteiligt und ihren Unmut und ihre Kampfbereitschaft gegen das Abwälzen der Krise auf den Rücken der ArbeiterInnen und Jugendlichen kundgetan. Diese Demonstrationen waren ein mächtiges Zeichen gegen die Krisenpolitik von Sarkozy und Konsorten; besonders viel versprechend ist der Brückenschlag zwischen den französischen ArbeiterInnen auf dem Festland und auf den französischen Überseegebieten, die in diesem Jahr ebenfalls harte und teilweise erfolgreiche Kämpfe geführt haben.

So erlebte Guadeloupe 2009 die größte Bewegung seiner Geschichte: bei gleichzeitigen Protesten auf Martinique, Französisch Guyana und Réunion trat ein Viertel der guadeloupeanischen Bevölkerung unter dem Slogan „Gegen das teure Leben“ in einen beispielhaften Generalstreik, der die Insel für 44 Tage lahm legte und mit dem Zugeständnis einer Erhöhung der Niedriglöhne um 200 Euro abgeschlossen werden konnte. Dieser Sieg kann auch den ArbeiterInnen auf dem Festland, die sich jetzt gerade in so zentralen Bereichen wie der Strom- und Gasindustrie, dem öffentlichen Verkehr, der Post usw. im Streik gegen Privatisierungen und Stellenabbau befinden, den Rücken stärken. Die Aufgabe linker Parteien und Gewerkschaften muss es jetzt sein, einen koordinierten Kampf gegen alle Angriffe auf den Lebensstandard und die Arbeitsbedingungen der breiten Masse zu führen.

Bewegung in der Linken

Mit welchen Strategien begegnet Frankreichs Linke diesen jüngsten Entwicklungen? Entgegen der nahe liegenden Vermutung, dass die revolutionäre Stimmung unter den ArbeiterInnen und Jugendlichen, deren Radikalisierung schon so weit fortgeschritten ist, dass 63% der Bevölkerung in einer Umfrage der Wochenzeitschrift Paris Match Verständnis bis Sympathie für das inzwischen recht beliebte Bossnapping bekundeten, zu einem merklichen Linksruck in den etablierten linken Parteien führen werde, scheinen diese eher auf eine reformistische Wählerstimmenfang-Taktik zu setzen. So versuchen sowohl die französische KP (PCF) als auch die linksradikale LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire), deren Spitzenkandidat Olivier Besancenot, ein Postler, der zu einem politischen Medienstar aufgestiegen ist, durch eine Verwässerung ihres Programms „massentauglicher“ zu werden.

Während sich die LCR zu diesem Zweck extra in Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) umbenannte und ihr ursprünglich marxistisches Programm immer mehr in der Versenkung verschwinden lässt, gibt sich auch die PCF in ihrem öffentlichen Auftreten zunehmend reformistisch. Anstatt die Krise gemäß ihrem Programm als inhärentes und unvermeidliches Phänomen der kapitalistischen Produktionsweise zu erklären, stellte die PCF im Zuge des EU-Wahlkampfs keinerlei Forderungen, die dieses System infrage stellen würden. So finden sich im Programm des von ihr gegründeten Bündnisses Front de Gauche so reformistische Forderungen wie z.B. Schutzzölle für krisengeschüttelte Branchen oder „selektive Kredite“ für Unternehmen, die sich bereit erklären, neue Investitionen zu tätigen oder zusätzliche ArbeiterInnen einzustellen, aber keinerlei Forderungen, die darauf abzielen würden, die Wirtschaft unter die Kontrolle der Beschäftigten zu stellen.
Unsere GenossInnen in Frankreich rund um die Zeitschrift „La Riposte“, die in der PCF einen zusehends stärker werdenden marxistischen Flügel etablieren konnten, setzen sich für ein Programm ein, dessen Forderungen und Kampfmethoden tatsächlich einen Weg aus der Krise aufzuzeigen vermögen.

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