Kategorie: Kapital und Arbeit

„Wir halten den Laden am Laufen“ – Gewerkschaften in der Defensive

Bei den Verhandlungen um einen neuen Tarifvertrag für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen (TvöD) tritt die federführende Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf die Bremse.

Bild: der funke


Das Jahr 2020 begann mehr als schwach für Gewerkschaften in Deutschland. In der IG Metall zeichnete sich bereits gegen Ende 2019 die Einschätzung ab, dass im darauffolgendem Jahr nichts zu holen sei. Die Automobilbranche einschließlich Zulieferer befindet sich in der Krise, massenhaft werden Arbeitsplätze abgebaut und dann fällt die Tarifrunde auch noch an den Beginn der Corona-Krise. Die IG Metall ging in die Tarifrunde mit nichts als der Forderung nach Beschäftigungssicherung – keine Lohnerhöhung, keine Verhandlung, keine Öffentlichkeit, vor allem keine Arbeitskampfmaßnahmen. Im Tarifticker der IG Metall wird von „Verantwortung übernehmen“, „Sicherheit“ und „Beschäftigung“ gesprochen. Und das in einer der größten Krisen, die der Kapitalismus je gesehen hat. Eine exorbitante Zahl an abhängig Beschäftigten waren und sind noch immer in Kurzarbeit. „So wurde nach vorläufigen hochgerechneten Daten der Bundesagentur für Arbeit im April für 6,83 Millionen Arbeitnehmer konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt, nach 2,49 Millionen im März.“ (Quelle: Bundesagentur für Arbeit, https://www.arbeitsagentur.de/presse/2020-34-der-arbeitsmarkt-im-juni-2020). Derzeit sind es nach neuesten offiziellen Zahlen immer noch knapp fünf Millionen. In den Betrieben wurde selten eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes verhandelt, um diese Notlage abzufedern.

Seit Juli befindet sich die federführende Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes (Bund und Kommunen). Coronabedingt begann die Forderungsdiskussion später als geplant und damit auch chaotischer als bisherige Tarifrunden. Zusätzlich musste man sich mit der Digitalisierung auseinandersetzen, da man keine Präsenzveranstaltungen mehr abhalten konnte.

Eines wurde in den bundesweiten Videokonferenzen schnell deutlich: Die ver.di-Führungsebene blockiert Themen und ihrer Ansicht nach zu „hohe“ Entgeltforderungen. Der Jugendbereich wurde in seiner ersten bundesweiten Videokonferenz direkt ausgebremst. Von dort kamen in der anfänglichen Diskussion Forderungen wie „Generalstreik jetzt!“. Diese „Illusionen“ hat man ihnen direkt genommen und auch weiterhin dafür gesorgt, dass sie sich ledglich niedrigschwellig in die Forderungsdebatte einbringen können, indem das Online-Tool, das speziell für den Jugend- und Auszubildendenbereich eingerichtet wurde, technisch nicht funktionierte. Um einen Zugang zu diesem Tool zu erhalten, brauchte es eine Bestätigungs-E-Mail, die jedoch kaum jemand erhalten hat, da diese E-Mails entweder im Spam-Ordner der Postfächer gelandet sind oder erst gar nicht ankamen. Damit hat man die Beteiligung faktisch ausgesetzt. Letztlich hat man dann doch manuelle Befragungszettel genutzt, um sich überhaupt einzubringen. Aber auch diese Forderungsdebatte war im Endeffekt ein augenscheinliches Moment, um den Mitgliedern zu suggerieren, sie würden ernsthaft nach ihrer Meinung befragt werden. Im Grunde hat dieses Instrument keinerlei Einfluss auf die Entscheidung der Bundestarifkommission, also das Gremium von ver.di-Ehrenamtlichen, die die Forderungen festlegen, abstimmen und mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) verhandeln.

Damit wurde der Boden für die Niederlage geebnet. Gefordert werden nun 4,8 Prozent Entgelterhöhung auf 12 Monate Laufzeit bzw. ein monatlicher Mindestbetrag von 150 Euro. Diese Forderungen sind ein Schlag ins Gesicht all derer, die die katastrophale Anfangssituation zu Beginn des Coronaausbruchs faktisch allein gestemmt haben. Sei es in den Krankenhäusern, Ämtern oder Kommunen – vielerorts wurden Überstunden geschrubbt, es wurde unter schlechten hygienischen Zuständen, ohne ausreichenden Abstand, Masken und Desinfektionsmitteln gearbeitet und immer in der Ungewissheit, was morgen passiert oder ob man sich nicht selbst ansteckt. Der Dank war das Klatschen, das sehr schnell sehr leise wurde und komplett verstummte, als die betroffenen Beschäftigten eine Entlohnung für den sogenannten „Heldendienst“ erwarteten.

Und hier kommen wir an einen Punkt, an dem die Gewerkschaften wieder einmal ihre „Sozialpartner“-Rolle offen einnehmen – uns stehen die schlimmsten Kürzungen und Repressionen bevor, die die Arbeiterklasse seit Jahrzehnten gesehen hat. Und die Gewerkschaftsführung taktiert mit den Bossen und der Regierung. Sie wollen schnellere Abschlüsse erzielen, die weit unter den legitimen Forderungen der Belegschaften liegen und Streiks oftmals verhindern, was letztlich ein Ausverkauf der Mitglieder ist. Die Mitgliedschaft wird mundtot gemacht und abgespeist.

Die Lufthansa etwa bekommt staatliche Kredite und baut dennoch mindestens 22.000 Stellen ab. Das Bodenpersonal an den großen Flughäfen, das oftmals noch im öffentlichen Dienst tarifgebunden ist, steht aktuell in einer noch schlechteren Ausgangslage als alle anderen Bereiche. Denn hier ist die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) auf ver.di zugegangen und hat zu Verhandlungen eines Notlagentarifvertrags aufgefordert. Die Verhandlungen sind unmittelbar im Anschluss an die erste Verhandlungsrunde um das Entgelt gestartet. Die Branche der Flughafenbetreiber beklagt, dass sie erst 2025 wieder mit dem „Normalzustand“ rechnen könne, der vor Corona bestand. Die Folgen eines Notlagentarifvertrags sind in den meisten Fällen Lohneinbußen der Belegschaft, Streichungen von Sonderzahlungen bis hin zu betriebsbedingten Kündigungen – alles in Verhandlung mit den Gewerkschaften.

Zusätzlich wurden in der ersten Verhandlungsrunde etliche Dinge massiv von der Arbeitgeberseite angegriffen. So etwa das 14. Monatsgehalt der Sparkassenbeschäftigten und die leistungsorientierte Bezahlung in allen anderen Bereichen des öffentliche Dienstes. Solche Regelungen sollten nach Meinung der kommunalen Arbeitgeber komplett abgeschafft werden. Damit würde den Kolleginnen und Kollegen viel Geld auf einen Schlag verloren gehen. Das sind massive Angriffe auf Bestandteile des Tarifvertrags, was ver.di allerdings so nicht benennt.

Wir dürfen nicht vergessen, dass der öffentliche Dienst nach wie vor der wichtigste Tarifbereich bei ver.di ist und als sogenannte Leitlinie für alle anderen Tarifverträge in der Gewerkschaft gilt. Es gibt kaum andere Tarifverträge, die besser sind als der TVöD. Dieser Tarifvertrag wird als Grundlage für viele andere Verhandlungen genommen, bei denen jedoch meistens schlechtere Vereinbarungen getroffen werden. Selbst dieser Tarifvertrag sorgt nicht im Entferntesten dafür, dass die Menschen, die darunter fallen, in großem Wohlstand leben. Arbeiterinnen und Arbeiter, die in der Pflege (beispielsweise P7 Entgeltstufe 2, entspricht 2.830,56 € Brutto) oder im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste (beispielsweise S7 entspricht 2.755,05 € Brutto) arbeiten, erhalten längst nicht den Lohn, den sie eigentlich verdienen müssten, um gut über die Runden zu kommen.

Eine Niederlage im öffentlichen Dienst wäre eine unmittelbare Niederlage für alle Menschen in Deutschland. Krankenhäuser, Stadtwerke, Verwaltung, Müllabfuhr – alle sorgen dafür, dass der Laden läuft, obwohl die Löhne dort vielfach schlechter sind als in der „freien“ Wirtschaft. Es gibt viel zu wenig Personal und schlechte Arbeitsbedingungen. Dennoch geben die Beschäftigten Tag für Tag ihr Bestes, um die öffentliche Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten. Gerade das ist in der Corona-Pandemie wieder einmal mehr als deutlich geworden.

Statt einzuknicken muss gerade auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als Dachverband zusammen mit seinen Mitgliedsgewerkschaften eine massive Solidaritätskampagne für diese Tarifauseinandersetzung fahren und mobilisieren. Der DGB sollte in der Position sein, auf nationaler Ebene Druck auf die Politik auszuüben – bis hin zu einem Generalstreik. Doch sie geben sich als die „besseren Bosse“ und taktieren mit der Regierung, anstatt – was sie eigentlich tun sollten – die Interessen der Lohnabhängigen kämpferisch zu vertreten.

Es muss klar gemacht werden, dass wir Lohnabhängigen nicht bereit sind, für die Krise des Kapitalismus zu zahlen. Dem Hinweis des VKA auf coronabedingte Einnahmeausfälle bei den öffentlichen Kassen halten wir entgegen: Die Corona-Pandemie ist nur der Brandbeschleuniger einer tiefen Krise des kapitalistischen Systems. Sie beschleunigt die Umverteilung des Vermögens von unten nach oben. Reichtum, mit dem allen Beschäftigten angemessenen Löhne und Renten bezahlten werden könnten, gibt es in diesem Land mehr als genug. Er befindet sich aber in den falschen und immer weniger Händen. So wurden die öffentlichen Kassen in den letzten Jahren allein durch Steuererschleichungsmodelle von Privatbanken und Konzernen im Rahmen von sogenannten Cum-Ex-Geschäften um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt. Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Kassensturz mit Offenlegung der Geschäftsbücher von Banken und Konzernen und des Privatvermögens aller Milliardäre.

Viele Kolleginnen und Kollegen sind frustriert über ihre Lage und ebenso unzufrieden mit den Gewerkschaften. Deshalb ist es umso wichtiger, diese von innen heraus zu erneuern, anstatt die Mitgliedschaft zu kündigen. Wir brauchen sie als Organ, sie haben die Infrastruktur, die wir für die kommenden Kämpfe nutzen müssen, um gegen die Bosse und Bürokraten anzukommen. Wir müssen uns in den Betrieben organisieren, die Gewerkschaftsführung unter Druck setzen, mit Aufträgen bombardieren und sie zum Handeln zwingen. Die Basis muss in der laufenden Tarifrunde mit einer flächendeckenden verbindlichen Mitgliederbefragung das letzte Wort haben. Die „Sozialpartnerschaft“ mit Kapital und Staat muss sofort aufgekündigt werden. Die Möglichkeit, zu gewinnen liegt in unseren Händen. Ergreifen wir sie!

 

 

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