Kategorie: Kapital und Arbeit

Tarifkämpfe in Zeiten von Krise, Krieg und Inflation

Trotz der hohen Inflation sind die Gewerkschaften weiterhin zurückhaltend und fordern immer wieder niedrige Lohnerhöhungen, die faktisch einen Reallohnverlust bedeuten. Die Gewerkschaftsführung hält an der Sozialpartnerschaft fest und schaufelt damit ihr eigenes Grab. Dabei ist es an der Zeit für einen offensiven Kampf und die Arbeiter wissen dies.

Bild: ver.di


Mitte September steht die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie an, die über 3,8 Millionen Beschäftigte betrifft. Der Vorstand der IG Metall hat eine Lohnerhöhung von 7 bis 8 Prozent empfohlen. Die regionalen Tarifkommissionen eine Lohnerhöhung von 8 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Seit April 2018 gab es keine solche Lohnerhöhung. Die aktuelle Inflationsrate von fast 8 Prozent kann damit jedoch nicht ausgeglichen werden. Würde die Gewerkschaftsführung die tatsächliche Inflation als Grundlage nehmen, „dann wäre unsere Forderung zweistellig“, so der Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann (Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 10.06.2022). Stattdessen will die Gewerkschaftsführung „vernünftig“ handeln und nur die zwei Prozent EZB-Zielinflation zum Maßstab nehmen. Indem man das Gespenst einer Lohn-Preis-Spirale an die Wand malt und eben keine Lohnerhöhung fordert – natürlich zum „Wohl des ganzen Landes“ – schützt man nur die Profite der Kapitalisten.

Gewerkschaften in der Defensive

Deutsche Gewerkschaften führen seit Jahren einen defensiven Kampf. Selbst die offiziellen Statistiken sprechen mittlerweile von einem Reallohnverlust. Beispielsweise stiegen die Tariflöhne im Jahr 2021 nominal (ausgedrückt in Euro) im Schnitt um 1,7 Prozent, aber aufgrund einer Inflationsrate von 3,1 Prozent ist das ein tatsächlicher Lohnverlust von durchschnittlich 1,4 Prozent. Dies konnte zwar für manche etwas abgemildert werden durch die Corona-Prämien, aber gleichzeitig bedeutete die Kurzarbeit zu Anfang der Pandemie für viele einen deutlichen Einkommensverlust und für 2022 wird die Inflationsrate deutlich höher ausfallen. Hinzu kommt, dass lange Tariflaufzeiten die Anpassung an die Inflationsrate verhindern. Besonders betroffen sind auch Sozialleistungsempfänger und Rentner, deren Einkommen an die Löhne in der Wirtschaft gekoppelt sind bzw. bereits jetzt weit unter einem erträglichen Lebensstandard liegen.

Beispielhaft für die defensive Haltung der Gewerkschaft ist die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie im letzten Jahr in der ein sogenanntes Transformationsgeld „erkämpft“ wurde. Also eine einmalige jährliche Auszahlung, die den sinkenden Lebensstandard zwar etwas abdämpft, aber keine Auswirkung auf die zukünftige Rente hat und auch noch jederzeit von den Kapitalisten gekündigt werden kann. Dieses Geld soll in Zeiten der Krise auch für die Beschäftigungssicherung genutzt werden. Die IG Metall rechnet vor, wie eine 35 Stunden Woche auf 32 Stunden gekürzt wird, aber man „immerhin“ aufgrund des Transformationsgeldes noch 34 Stunden bezahlt wird. Hier versteckt sich also eine gewerkschaftlich legitimierte Lohnkürzung.

Die IG Metall ist in die Tarifrunde Eisen und Stahl Anfang Mai noch mit einer Forderung von 8,2 Prozent Lohnerhöhung gestartet. Ein paar Wochen und einige Warnstreiks später einigte sich die Gewerkschaftsführung auf 6,5 Prozent Lohnerhöhung ab August, einmalige Zahlungen für Juni und Juli und einem Abschluss mit einer Laufzeit bis Ende November 2023. Die IG Metall feiert diese Niederlage als den „höchsten Tarifabschluss seit 30 Jahren“. So mag es zwar manchen noch als einen Sieg vorkommen, da die Zahl auf dem Konto oder die Geldscheine im Portemonnaie steigen, aber das böse Erwachen kommt spätestens an der Supermarktkasse oder an der Zapfsäule.

Festhalten an der Sozialpartnerschaft

Auf wessen Seite die Gewerkschaftsführung tatsächlich steht, zeigte sich wieder einmal auf dem DGB-Kongress im Mai, auf dem unter anderem Olaf Scholz und Frank-Walter Steinmeier die DGB-Spitze auf die Sozialpartnerschaft einschwören durften. Von Klassenkampf keine Spur. Im Mittelpunkt ihrer Reden stand der Ukraine-Krieg. Im Kampf für die „Freiheit“ (gemeint ist immer die Freiheit der Besitzenden) und gegen Putin müsse man gemeinsam agieren. Faktisch heißt dies, dass die Gewerkschaften die Position der Regierung und der Kapitalisten übernehmen sollen. Die VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo gab in einem Interview an, dass ihre Kollegen über 1,6 Millionen Euro an die UNO-Flüchtlingshilfe gespendet haben (TAZ vom 18./19.06.2022). Gleichzeitig meldet der VW-Konzern im ersten Quartal dieses Jahres einen Gewinn von 6,7 Milliarden Euro trotz eines andauernden Chipmangels, Lieferengpässen wegen des Ukraine-Kriegs und der Corona-Lockdowns in China.

Die Regierung heuchelt also Mitleid, während sie immer wieder betont, dass jetzt nicht die Zeit für hohe Forderungen ist. Der Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie belasten die Wirtschaft und deswegen müssten die Gewerkschaften zurückhaltend sein. Besonders die Chemieindustrie, die stark abhängig von Gaslieferungen ist, sei in Gefahr. Dies werden natürlich die rund 580.000 Tarifbeschäftigte in der Chemieindustrie auch in ihrer Tarifrunde im Herbst von der IG BCE-Spitze zu hören bekommen: Die Situation ist brenzlig, man müsse Augenmaß behalten.

Dabei machen einige Unternehmen trotz allem Rekordgewinne. Der Chemiekonzern BASF konnte 2021 noch einen Gewinn von 5,5 Milliarden Euro an die Aktionäre auszahlen. Die Mercedes-Benz Group meldet im ersten Quartal einen Gewinn von 5,2 Milliarden Euro. Und dies nicht trotz der bereits erwähnten Lieferengpässe in der Halbleiterindustrie, sondern aufgrund dieser: Der Konzern konnte durch den Mangel höhere Preise für ihre Autos verlangen. Der Gewinn der 40 Dax-Unternehmen stieg im Vergleich zum Vorjahresquartal um 21 Prozent. Das sind 52,4 Milliarden Euro Gewinn (ohne steuerliche Abzüge). Die Mineralölkonzerne profitieren sogar so sehr, dass selbst die Regierung sich gezwungen sieht die Reißleine zu ziehen, da sie sonst spontane Aufstände befürchtet.

Anfang Juni kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Generaldebatte im Bundestag eine „konzertierte Aktion“ gegen die Inflation an. In dieser „gezielten Kraftanstrengung in einer außergewöhnlichen Situation“ solle es darum gehen, dass die sogenannten Sozialpartner, also Bosse und Gewerkschaften, eine Einigung finden, um mit der Inflation umzugehen. Ausdrücklich soll es dabei aber nicht um Lohnverhandlungen gehen. Sozialpartnerschaft bedeutet in dieser Situation, eine Reichtumsverteilung von unten nach oben, während den Gewerkschaftsmitgliedern vorgegaukelt wird, dass sie alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben und der schlechte Tarifabschluss doch besser sei, als seinen Job zu verlieren. Und die Gewerkschaftsführung wundert sich noch, warum sie seit Jahrzehnten Mitglieder verliert.

Zeit für einen offensiven Kampf

Dabei weiß die Gewerkschaftsführung selbst, wie die wirtschaftliche Lage in den Unternehmen ist. In der Metall- und Elektroindustrie hat der Auftragsbestand mit durchschnittlich 6,1 Monaten Reichweite einen historischen Höchstwert erreicht. Die Betriebsräte bewerten die Auftragslage in ihrem Betrieb überwiegend als gut, fast ein Viertel erwartet sogar in den kommenden sechs Monaten eine noch bessere Auftragslage.

Die Gewerkschaftsführung kann auch nicht behaupten, dass die Arbeiter nicht bereit wären zu streiken. Dass es im letzten Jahr deutlich mehr Streiks im Industriesektor gab, zeigt, dass es unter der Oberfläche brodelt. Noch dient die Sozialpartnerschaft als massives Gewicht, um jeden kämpferischen Streik auszubremsen und nur hier und da, wie ein Sicherheitsventil fungiert, mal Dampf ablassen zu können. Wilde Streiks, die an den etablierten Gewerkschaftsbürokraten vorbei agieren, wie bei dem Fahrradlieferdienst Gorillas, sind nur ein Ausdruck dieser allgemeinen Bewegung.

Aber es gibt Einzelfälle, wo eine streikbereite Belegschaft sich durchsetzen kann. So beispielsweise bei der Firma Weisensee, einem Unternehmen, dass, so wie viele andere, vor Jahren aus dem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie ausgetreten ist und damit nicht mehr an einem Tarifvertrag gebunden war. Die Löhne wurden teilweise jahrelang eingefroren und die Arbeiter deutlich unter Tarif bezahlt. Während die Profite des Unternehmens immer weiter stiegen, wurden die Arbeiter immer unzufriedener. Eine erste Verhandlungsrunde im Sommer 2021 zwischen der IG Metall und der Geschäftsführung verlief erfolglos, woraufhin die Gewerkschaft vorsichtig zu ersten Warnstreiks aufrief. Diese stießen in der Belegschaft auf große Resonanz und der Organisationsgrad erhöhte sich auf fast 100 Prozent. Nach einem Erzwingungsstreik von 23 Tagen, der im Januar 2022 endete, konnten sie einen Haustarifvertrag durchsetzen. In solchen Momenten wird ein Klassenbewusstsein deutlich. Eine Arbeiterin bei Weisensee ruft zur Nachahmung auf, denn „ihr habt dabei überhaupt nix zu verlieren“ und warnt aber: „Fakt ist, euer Chef, eure Chefin, die möchte mit Sicherheit versuchen euch zu spalten.“

Auch der kürzlich begonnene Streik in den norddeutschen Häfen zeigt diese Dynamik. Dies ist der erste Streik seit 1978. Die Arbeiterklasse realisiert ihre Macht, gerade in einer Situation wo sich ca. zwei Prozent der globalen Frachtkapazitäten vor den Häfen in den Niederlanden, Belgien und Deutschland stauen. Während die Kapitalisten ordentliche Profite einfahren, frisst die Inflation die Löhne der Arbeiter auf. Oder wie es ein wütender Hafenarbeiter ausdrückte: „Sie stopfen sich die Taschen voll auf unsere Kosten. Gibt es nicht! Ist vorbei!“ Nach einem ersten 4,5-Stunden-Warnstreik wurde nun am 23. Juni in Hamburg, Emden, Bremen, Bremerhaven, Brake und Wilhelmshaven die Arbeit für 24 Stunden niedergelegt. Allein 4.000 Hafenarbeiter gingen in Hamburg auf die Straße und forderten eine Erhöhung der Entgelte um 1,20 Euro pro Stunde sowie einen tatsächlichen Inflationsausgleich. Die Kapitalisten stellen sich quer, beklagen einen „Imageverlust“ und behaupten, dass eine Erhöhung von ca. 7,2 Prozent doch ausreichend sein würde. Dies ist jedoch erst der Beginn eines verschärfenden Klassenkampfs.

In dieser Situation braucht es offensiv agierende Gewerkschaften. Im Zuge einer sich zuspitzenden Inflation sollte der DGB für eine gleitende Lohnskala kämpfen. Durch diese wären die Löhne automatisch an die Preisentwicklung gekoppelt. Das dies nicht nur eine schöne Wunschvorstellung ist, zeigt beispielsweise die „scala mobile“, die 1975 in Italien durch die Arbeiterbewegung erkämpft wurde. Diese wurde jedoch über die Zeit immer weiter ausgehöhlt, bis sie 1992 wieder abgeschafft wurde. Zusätzlich braucht es die Forderung einer gleitenden Skala der Arbeitszeit. Sollte es tatsächlich zu einem Abschwung in der Wirtschaft kommen, dann sollte die Arbeitszeit aller Beschäftigten reduziert werden – natürlich bei gleichbleibendem Lohn, anstatt dass einige Überstunden machen, während andere in die Arbeitslosigkeit verbannt werden. Damit Arbeiter nicht der Willkür der Bosse ausgesetzt sind, braucht es die Offenlegung der Geschäftsbücher. Nur die Beschäftigten im Betrieb können die Notwendigkeit gewisser Maßnahmen überprüfen und sie auch durchsetzen. Um nicht außen vor zu stehen, müssen sich Sozialleistungsempfänger und Rentner in den Gewerkschaften organisieren. Es wäre fatal, wenn diese sich nur auf ökonomische Belange der Arbeiter beschränken würden.

Die aktuelle Krisendynamik zeigt, dass dies ein Kampf der Klassen ist, der notwendigerweise zu politischen Forderungen führen muss. Es braucht die Enteignung der Banken und Konzerne. Letztlich hilft gegen Inflation aber nur der Kampf für den Sozialismus mit einer Planwirtschaft unter demokratischer Arbeiterkontrolle.

Wofür die Arbeiterbewegung kämpfen muss:

Kein Abschluss unter der Inflationsrate

Um unseren Lebensstandard zu schützen, müssen die Beschäftigten sicherstellen, dass es in den kommenden Tarifrunden keinen Lohnabschluss unter der Inflationsrate gibt. Diese kann die 10 Prozent noch übertreffen. Dafür ist es notwendig die gesamte Kraft der Arbeiterbewegung zu mobilisieren. Der Widerstand muss auf Betriebsebene, in allen Gewerkschaftsstrukturen und politischen Vertretungen der Lohnabhängigen organisiert werden.

Kämpfen für eine gleitende Lohnskala

Die Entwicklung der Inflation der kommenden Monate und Jahre exakt vorherzusagen, ist unmöglich geworden. Mit Sicherheit wir die Teuerung noch gewaltige Ausmaße annehmen. Die Tarifverhandlungen kommen dabei oft erst Monate oder Jahre nach einem starken Anstieg der Inflation. Deshalb braucht es einen Kampf für eine automatische monatliche Erhöhung der Löhne gleichlaufend mit den Preissteigerungen der Konsumgüter.

Kämpfen für Preiskontrollen

Die Unternehmer werden versuchen, jede erkämpfte Lohnerhöhung durch Preissteigerungen auszugleichen. Deshalb müssen Preiskontrollen durch Delegierte der Gewerkschaften und der Belegschaften auf alle wesentlichen Konsumgüter eingeführt werden.

Kontrolle der Gasverteilung übernehmen

Eine weitere Eskalation des Ukrainekrieges kann ein gänzlicher oder teilweise Lieferstopp von Erdgas nicht ausgeschlossen werden. Wir dürfen kein Vertrauen in Scholz und Co. setzen, dass sie sich an ihre Versprechen halten und das Gas tatsächlich an die Haushalte und nicht an die Industrie geliefert wird. Die Beschäftigten in der Energieindustrie müssen die Kontrolle über die Gasverteilung übernehmen.

 

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