Kategorie: Kapital und Arbeit

TVöD: Klassenkampf statt Kompromisse!

Am 7. März fand in Berlin eine Kundgebung im Rahmen des Warnstreiks des öffentlichen Dienstes statt. Vor der Zentrale der Berliner Stadtreinigung versammelten sich Beschäftigte verschiedener streikender Branchen, um ihrer Wut und ihrem Kampfeswillen Ausdruck zu verleihen. Auch Funke-Unterstützer waren vor Ort. 

der funke Berlin


Als der ver.di-Redner von der Bühne aus fragte, wer für weitere Warnstreiks und auch für einen Erzwingungsstreik bereit sei, gingen ohne Ausnahme alle Arme in die Höhe. Das ist nicht überraschend, denn die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst werden immer schlechter. Egal ob bei der Stadtreinigung, im Krankenhaus, in Bildungseinrichtungen oder in der Verwaltung werden die Beschäftigten aus zwei Richtungen in die Mangel genommen: Einerseits wird ihnen von der Politik, ihrem „Arbeitgeber“, immer mehr Arbeit aufgehalst, ohne das Personal aufzustocken. So steigen Stress und Arbeitsbelastung bis an die Schmerzgrenze. Andererseits schmelzen durch die hohe Inflation die ohnehin schon kleinen Gehälter. Die Stimmung beim Warnstreik am Dienstag war klar: So kann es nicht mehr weitergehen!

„Wer stirbt, stirbt eben…“

Auf der Kundgebung sprachen wir mit einigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Sophia arbeitet als Hebamme in einem kommunalen Krankenhaus in Berlin. Uns erzählt sie, dass auf der Entbindungsstation eigentlich sechs Hebammen pro Schicht arbeiten müssten, tatsächlich sind es aber nur 3. So ist eine angemessene Betreuung der Gebärenden und ihrer Kinder de facto nicht möglich. Denn für Gespräche reiche die Zeit nicht, man schaue nur noch darauf, dass alle noch am Leben sind. Sophia findet diese Arbeitsbedingungen kaum noch erträglich. Das steht im Gegensatz zu der gesellschaftlichen Wahrnehmung, Hebamme zu sein, sei ein „süßer“ Beruf, der für die, die dort arbeiten einfach eine „Herzensangelegenheit“ sei. Während Hebammen sicherlich mit Leidenschaft dabei sind, werden diese Bemühungen jedoch durch zu wenig Personal und eine viel zu niedrige Bezahlung zunichte gemacht. Statt für mehr Geld sollen Frauen diese Arbeit für miserable Löhne verrichten, weil das „Frauen ja am Herzen liege“. So stützt die sexistische Ideologie die kapitalistische Sparpolitik. Bei der Streikkundgebung hielt Sophia eine Rede, in der sie die unerträgliche Situation im Krankenhaus schildert und zum Kampf gegen diese Bedingungen aufruft. Wir veröffentlichen das Skript unter diesem Artikel.

M. ist ebenfalls Hebamme. Auf die Frage, warum sie und ihre Kollegin heute auf der Straße sind, antwortet sie, dass sie für Verbesserungen im Gesundheitssystem streiken: „Unser Gesundheitssystem funktioniert nicht mehr, und wer stirbt, stirbt eben, weil keiner Zeit hat hinzukucken.“ Die Zustände seien kaum noch zu vertreten. 

Der Rückzug aus diesem Beruf kommt für M. auch nicht in Frage: „Zu flüchten macht in meinen Augen auch keinen Sinn. Wir müssen uns wehren.“ Denn letztlich gehe es dabei um uns alle: Wir alle sind auf eine gute gesundheitliche Versorgung angewiesen. 

Auch M. berichtet, dass es wegen der knappen Zeit nicht mehr möglich ist, mit Patienten zu sprechen: „Wir sind alle Menschen und brauchen Zuwendung in Situationen wo es uns schlecht geht oder in angespannten Situationen wie einer Geburt. In dieser Situation als Mensch nicht gesehen zu werden ist ein Versagen unserer Gesellschaft, die so reich ist.“ 

Auf die Frage, ob sie noch bereit sei länger auf die Straße zu gehen sagt M.: „Ja natürlich, wir streiken so lange bis sich was ändert.“ Und auch Sophia meint, das Mindeste ist, dass die Forderungen von ver.di, 10,5% mehr Lohn aber mindestens 500€ mehr, angenommen werden. Sonst muss weitergestreikt werden. Dabei sei auch der bundesweite politische Streik eine Option. 

Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft

Die Kampfmoral der Beschäftigten beim Warnstreik war beeindruckend. Für die Beschäftigten ist klar: so wie es jetzt ist, kann es nicht weiter gehen, dieser Streik muss gewonnen werden. Und dafür sind sie bereit mit aller Kraft zu kämpfen. 

Dieses große Potential muss nun von der ver.di-Führung genutzt werden! In der Vergangenheit wurde oft der Fehler begangen, die große Kampfbereitschaft der Belegschaft nicht zur Geltung zu bringen. Stattdessen wurden ohne Not schlechte Kompromisse mit den Bossen einzugehen, z.B. beim Erzieherinnenstreik 2015. Das führt zu Frustration bei den Beschäftigten und zu Austritten aus der Gewerkschaft. Der Grund dafür ist die sozialpartnerschaftliche Orientierung der reformistischen Gewerkschaftsführung: Man möchte harte Konflikte mit den Kapitalisten und Regierungen vermeiden und klammert sich an die Illusion durch deren Gutmütigkeit gute Kompromisse herausschlagen zu können. In Zeiten von Krise und Inflation funktioniert das jedoch nicht mehr. Die Kapitalisten müssen ihre Profite schützen und unterbreiten den Beschäftigten immer unverschämtere Angebote. 

Die volle Kraft der Beschäftigten mobilisieren, das heißt jetzt vor allem drei Dinge: Erstens, keine Angst vor dem Erzwingungsstreik. Die „Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände“ (VKA) ist entschlossen, die Reallöhne zu drücken und mit dem Abschluss im TVöD ein Exempel zu statuieren. Sie werden sich von ein paar Warnstreiks nicht davon abbringen lassen. Stattdessen sollte so lange gestreikt werden, bis die Forderungen von ver.di, so wie sie jetzt sind (10,5% aber mindestens 500€ mehr) erfüllt sind. Denn sie reichen kaum für den Inflationsausgleich. 

Zweitens müssen die verschiedenen Arbeitskämpfe zusammengelegt werden. Beschäftigte aller Branchen sind massiv von der Inflation betroffen. Egal ob Krankenhausbeschäftigte, Müllwerker oder Busfahrer, ob Postangestellte, DB-Beschäftigte oder der Einzelhandel. Deswegen müssen gemeinsame, gleichzeitige Streiks aller beteiligten Arbeitsbereiche und Branchen stattfinden. Nur so kann die Arbeiterklasse ihre ganze Stärke und Kraft demonstrieren, in dem sie jedes Rädchen in diesem Land zum Stehen bringt.

Drittens braucht es demokratische Gewerkschaften. Die Beschäftigten sollten über ihre Forderungen, über die Dauer des Streiks und über mögliche Angebote der VKA selber entscheiden und abstimmen. Und zwar nicht in Isolation bei Briefabstimmungen, sondern nach einer gemeinsamen Debatte auf einer Betriebsversammlung. 

Das liebe Geld

Der einzige Weg diesen Kampf zu gewinnen ist die ganze Macht der Beschäftigten zu mobilisieren und ins Feld zu führen und nicht auf Kompromisse mit Staat und Kapital zu schielen. Es stimmt, irgendwoher muss das Geld für höhere Löhne, mehr Personal und bessere Ausstattung kommen, denn die Staatshaushalte sind in der Tat bereits stark belastet. Das Geld soll weder aus anderen sozialen Bereichen abgezogen werden, noch sollten im Namen des Steuerzahlers teure Kredite aufgenommen werden. Das Geld müssen wir uns von den Reichen holen! Im letzten Jahr, nach Coronakrise und während Inflation und Ukrainekrieg, fuhren die im DAX und MDAX verzeichneten Großkonzerne 148 Milliarden Euro Profite ein. Davon sollen 62,5 Milliarden Euro als Dividende an die Aktionäre fließen. Das Geld für bessere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst ist vorhanden, es ist nur in den falschen Händen. Während die Krise die Beschäftigten auf den Entbindungsstationen und überall sonst über ihre Belastungsgrenze bringt, knallen bei den Kapitalisten die Champagnerkorken. 

Wie weiter? 

Die Zuspitzung der kapitalistischen Krise mit all ihren Nebenwirkungen macht ausgewogene Kompromisse und den Versuch es allen recht machen zu wollen unmöglich. Denn sie zwingt die Kapitalistenklasse und die Regierungen einerseits zu sparen, macht es der Arbeiterklasse auf Grund der steigenden Preise aber immer unmöglicher Einsparungen hinzunehmen. ver.di darf den Konflikt jetzt nicht scheuen. Wenn ver.di jetzt mit Entschlossenheit kämpft und sich traut, die gesamte Macht der Beschäftigten zu mobilisieren kann ein wegweisender Sieg errungen werden. Denn ohne die Arbeit der vielen Beschäftigten im öffentlichen Dienst steht dieses Land still. Knickt die ver.di-Führung jedoch ohne Not ein und akzeptiert ein halbgares Angebot der Arbeitgeber, werden die Kapitalisten aller Branchen das als Eingeständnis der Schwäche der Arbeiter und als Freifahrtschein für zukünftige Angriffe sehen.

Kapitalismus stürzen, Sozialismus erkämpfen!

Die katastrophalen Zustände im Gesundheitssystem und anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes sind ein direktes Resultat des Kapitalismus. Denn den Kapitalisten geht es darum ihre Profite zu retten: Einerseits durch immer mehr Privatisierungen im Gesundheitswesen, andererseits durch immer größeren Spardruck im Staatshaushalt und in der öffentlichen Daseinsvorsorge. Denn mehr staatliche Ausgaben für das Gesundheitssystem würden höhere Steuern und Abgaben für die Superreichen bedeuten. In der kapitalistischen Marktwirtschaft ist alles zwangsläufig auf Profit ausgelegt. Dabei gerät auch die Gesundheitsversorgung unter die Räder. Das kann nur überwunden werden, wenn wir das kapitalistische Privateigentum an Produktionsmitteln abschaffen. 

Wie Sophia in ihrer Rede sagte: Im Moment kämpfen wir konkret gegen Attacken auf die Löhne der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, denn die Kapitalisten wollen die Krise samt Inflation auf die Arbeiterklasse abwälzen. Aber menschenwürdige Bedingungen im Gesundheitssystem, genauso wie eine gute öffentliche Daseinsvorsorge für alle, lassen sich auf Dauer nur erkämpfen, wenn nicht mehr die Profitgier weniger Kapitalisten die Wirtschaft regiert, sondern der demokratische Wille der arbeitenden Bevölkerung. Doch man kann nicht kontrollieren, was einem nicht gehört. Deswegen brauchen wir die Enteignung und Vergesellschaftung der Banken und Großkonzerne, sowie der Vermögen der Superreichen. Auf dieser Grundlage können wir eine sozialistische, demokratisch geplante Wirtschaft aufbauen. So können die Beschäftigten in den Betrieben demokratisch entscheiden, wie die Arbeit in ihrem Betrieb am besten organisiert sein sollte. Dafür kämpft Der Funke als Teil der International Marxist Tendency (IMT). Wenn du diese Ziele teilst, hilf uns im Kampf für kämpferische Gewerkschaften und die sozialistische Transformation der Gesellschaft!

Kampf für 10,5% aber mindestens 500 Euro mehr Lohn!

Für Urabstimmung und Erzwingungsstreik!

Wer kämpft, kann gewinnen!

Wir dokumentieren Sophias Rede vom Warnstreik

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

ich spreche heute für alle Hebammen Berlins. Seit zwei Jahren arbeite ich nun im Kreißsaal und habe schon unzählige junge Kolleginnen, die mit mir anfingen zu arbeiten, gehen sehen. Es ist normal geworden, dass eine Kollegin bei uns anfängt zu arbeiten und wenige Monate später kündigt, weil sie den körperlichen und psychischen Stress nicht aushält. Man muss eben ein dickes Fell haben, um hier zu arbeiten. 

Den Hebammenmangel gibt es nicht, weil es zu wenig junge Menschen gibt, die sich für diesen tollen Beruf interessieren, sondern es gibt ihn wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und schlechter schlechter Bezahlung. 

Das macht mich wütend. Ich fühle mich respektlos behandelt von dem Arbeitgeber, für den ich tagtäglich schufte. Alles was ich möchte, ist Frauen* gut zu betreuen, sie sicher zu betreuen. Für sie während der Geburt ihres Kindes da zu sein. Und das kann ich NICHT für vier Frauen* gleichzeitig. Denn darunter leidet die Qualität der Arbeit enorm. Meinem Arbeitgeber ist scheinbar die Sicherheit von Gebärenden und ihren Kindern egal. Sonst würden sie anders handeln. Ihnen ist meine Gesundheit egal. Und allem Anschein nach der Politik auch. 

Alles was für sie zählt ist Geld. Unsere Arbeit wird von profit- und fallpauschalenorientierten Arbeitgebern nicht wertgeschätzt, denn dieser sieht nur die Geburt und wenn das Kind da ist, ist für sie die Arbeit beendet, niemand sieht die ganze Betreuung davor oder danach. So will ich NICHT als Hebamme arbeiten. Unser Arbeitgeber macht es uns schwer eine menschenwürdige Arbeit zu leisten. Eine Arbeit, die im ursprünglichen Sinne einmal den Schutz von und die Wertschätzung gegenüber gebärenden Frauen und ihren Kindern als grundlegende Werte hatte. Dem gegenüber steht heutzutage ein Arbeitgeber, der Familien wie am Fließband abfertigen lässt. 

Wir werden ignoriert und hingehalten und das von unseren Arbeitgebern, für die wir teils seit Jahrzehnten arbeiten. Wir sind chronisch unterbesetzt und überbelastet. Wir arbeiten unter immer schlechter werdenden Bedingungen. Geburtshilfe in Deutschland ist rückschrittlich. 

Heute sieht es anders aus als noch vor ein paar Jahren: wir machen KEINE Geburtshilfe mehr, wir kommen nur ab und zu in den Raum, um sicherzustellen, dass alle noch am Leben sind. Für mich fühlt sich das schrecklich an. Wir sind KEINE Maschinen, die vier oder mehr Frauen gleichzeitig betreuen, im Schichtdienst arbeiten und zu Überstunden verpflichtet sind bei einer Bezahlung über die sich andere totlachen. Keiner sieht wie wir von Zimmer zu Zimmer rennen und dabei lächeln wir nett, sind höflich und sollen guter Laune sein. Währenddessen fühlen sich Frauen im Stich gelassen. Das nennt man auch Gewalt in der Geburtshilfe. Meinen Glauben an gute Geburtshilfe kann ich mit meinem Arbeitsalltag NICHT vereinbaren. 

Dieser Streik ist KEIN Hilferuf. Dieser Streik ist ein Aufbegehren gegen eine ausbeuterische Wirtschaft, die sich hinein bis in die Krankenhäuser zieht. Wir streiken gegen ein System, in dem das Gebären von Kindern zur Ware gemacht wurde. Solange wir diese Verhältnisse nicht überwunden haben, wird uns dieses System weiter ausbeuten. In diesem Streik kämpfen wir gemeinsam für bessere Löhne und bessere Bedingungen für unsere Arbeit. Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, eines Tages werden wir uns und unsere Arbeit aus den Fesseln dieser profitorientierten Wirtschaft befreien. Wir streiken für die Vergesellschaftung der Krankenhäuser, in denen wir arbeiten. Streiken, für die demokratische Kontrolle und Organisierung unserer Arbeit durch uns Arbeiter*innen selbst! Für Mütter, für Kinder, für Eltern, für uns, für uns alle.

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