Kategorie: Kapital und Arbeit

10 Thesen zum aktuellen Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG

Im Tarifstreit bei der Deutschen Bahn AG (DB) standen die Zeichen Anfang August auf Streik, nachdem sich in einer Urabstimmung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) 95,8 Prozent der befragten und abstimmenden Mitglieder für einen unbefristeten Arbeitskampf ausgesprochen hatten. Nachdem die GDL-Führung allerdings in letzter Sekunde den Streik ausfallen ließ und in Verhandlungen eintrat, ist das Thema schlagartig wieder aus den Medien verschwunden. Die nachfolgenden 10 Thesen sollen aufzeigen, worum es in diesem Tarifstreit geht, welche Rolle die Akteure spielen und wie dieser Konflikt von der Auseinandersetzung um die angestrebte Kapitalprivatisierung der Bahn ablenkt.



1.
Das DB-Management möchte mit aller Gewalt die Kapitalprivatisierung durchdrücken und hat auf der Jagd nach der „Börsenfähigkeit“ in den letzten Jahren die Einkommen und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten massiv verschlechtert.
Schon der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung (BeSiTV) Anfang 2005, der in Basisdialogen auf heftige Kritik stieß, hat viele Haken und Ösen und wurde von den EisenbahnerInnen vor allem mit Lohnopfern, Arbeitszeitverlängerung und Urlaubsverkürzung bezahlt. Bei zunehmendem Personalabbau auf allen Ebenen wird ein reibungsloser Betriebsablauf immer schwieriger. EisenbahnerInnen aus den unterschiedlichsten Bereichen beklagen, dass viele für eine langfristige Substanzerhaltung notwendige Investitionen und Anschaffungen zurückgestellt wurden, um auf dem Papier die „Börsenfähigkeit“ des Konzerns herzustellen. Die vom Bahnmanagement eisern verordneten Einsparungen bei Mensch und Material wirken sich kontraproduktiv und ökologisch schädlich aus. So wurden Arbeitsplätze und Kapazitäten bei der Güterverkehrssparte Railion inzwischen so weit abgebaut, dass Railion an der Kapazitätsgrenze angekommen ist und zusätzlicher Nachfrage oftmals nicht nachkommen kann.

2.
Die Unzufriedenheit in allen Bereichen der Bahn hat sich in der diesjährigen Tarifrunde in einer hohen Kampfbereitschaft ausgedrückt.
Anfang Juli war die Resonanz auf die Streikaufrufe der drei Bahn-Gewerkschaften überwiegend besser als erwartet. Die wenigen Stunden Warnstreik waren nur die Spitze des Eisbergs. Wiederholt erklärten über 70 Prozent der Bevölkerung in repräsentativen Umfragen ihr Verständnis für Streiks bei der Bahn. Bei betroffenen Fahrgästen war die Reaktion mehrheitlich gelassen und solidarisch. Mit mehr Druck und einer Fortsetzung und Ausweitung der Arbeitskämpfe wäre ein deutlich besseres Ergebnis möglich gewesen, als es von TRANSNET und GDBA ausgehandelt wurde. Offensichtlich bestand bei den Verantwortlichen daran aber kein Interesse.

3.
DB-Personalchefin Margret Suckale hat sich im Zusammenhang mit dem GDL-Konflikt zynisch gegen eine „Spaltung der Belegschaft“ ausgesprochen. Dabei ist eine solche Spaltung schon längst im Gange.
So bekommen etwa Sicherungsposten an Strecken-Baustellen für ihre in allen Ecken des Landes gleichermaßen aufreibende und lebensgefährliche Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern monatlich 1021 Euro brutto, in Rheinland-Pfalz hingegen 1393 Euro brutto und in Hessen gar 1392 Euro plus 2,01 Zuschlag pro Stunde. Mehrere zehntausend Beschäftigte, deren Betrieb bei DB Services angesiedelt ist, werden seit Jahren tarifpolitisch schlechter behandelt und sind gegenüber anderen EisenbahnerInnen besonders benachteiligt. Zudem ist im DB-Konzern die Kluft in der Belegschaft zwischen unterschiedlichen Gruppen (Beamte, Tarifkräfte vor 1994 und Tarifkräfte nach 1994) größer geworden.

4.
Nachdem TRANSNET und GDBA nach kurzen Warnstreiks Anfang Juli den Arbeitskampf abbliesen und einen Tarifabschluss vereinbarten, sieht die Mehrheit der Lokführer derzeit nur durch die GDL die Chance, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen und ihre Arbeitsbedingungen und Einkommen wieder zu verbessern. Die Stärke der GDL ist vor allem auch eine Folge der Politik des TRANSNET-Vorstands.
Wie andere Berufsgruppen, so haben auch die Lokführer die Folgen der organisatorischen Zerschlagung der Bahn und der Jagd nach Börsenfähigkeit am eigenen Leibe auszubaden. Tendenziell sind viele Lokführer heute bei gesunkenen Realeinkommen länger von zu Hause weg. Die Gestaltung der Schichtpläne macht die Freizeit weniger berechenbar.
Anfang der 90er Jahre konnte sich die GDL mit ihrer Kritik an einer Privatisierung der Bahn von der GdED (heute TRANSNET) abgrenzen und damit Punkte sammeln. Als TRANSNET und GDBA 2002 einen Ergänzungs-Tarifvertrag für die DB Regio abschließen wollten, der mit der Parole der „Konkurrenzfähigkeit“ massive Verschlechterungen bei Einkommen, Arbeitszeiten und Dienstplangestaltung mit sich gebracht hätte, nahm die GDL unter dem Druck ihrer Mitglieder dies zum Anlass, um die Tarifgemeinschaft aufzukündigen und der TRANSNET verstärkt Mitglieder abzuwerben.

5.
Ein GDL-Vollstreik im August 2007 hätte den Börsenplänen des DB-Vorstandes einen starken Dämpfer versetzen und gleichzeitig auf die Sympathie der Mehrheit der Bevölkerung zählen können. Doch zu dieser Konsequenz war und ist der GDL-Vorstand nicht bereit.
Am 7. August war die Stunde der GDL gekommen. Alle Welt rechnete mit einem GDL-Vollstreik. Sie hatte ein Medienecho und Sympathie in der Bevölkerung wie noch nie. Die Republik sprach über Arbeitsbedingungen und Einkommen der Lokführer. Die Zustimmung von 95,8% der befragten GDL-Mitglieder für einen Streik war eindeutig. Streikbereitschaft ist vorhanden, sie kann aber nicht ewig künstlich konserviert werden. Der von der GDL Ende August zugesagte Verzicht auf einen Streik bis Ende September läßt ahnen, dass es in diesem Jahr wohl keinen Streik mehr geben wird und die GDL-Führung auch mit kleineren Zugeständnissen zufrieden sein wird.

6.
Die GDL-Führung ist keine kämpferische Speerspitze der Arbeiterbewegung, sondern ein konservativer bürokratischer Apparat, der gegenüber dem Arbeitgeber und in der Gesellschaft um seine Anerkennung, seine Privilegien und seinen Status kämpft.
Die GDL (bis in die 70er Jahre „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivbeamter“) ist von ihrer Tradition her eine Stände- und Beamtengewerkschaft und Mitglied im (eher CDU/CSU-nahen) Deutschen Beamtenbund (DBB). Der DBB machte übrigens keine Anstalten zu irgendeiner verbalen oder materiellen Solidarität mit seinem Mitgliedsverein GDL. Als ein Vollstreik zum Greifen nahe gerückt war, zeigte GDL-Chef Schell zunehmend Angst vor der eigenen Courage, schlug mäßigere Töne an und schreckte vor einem großen Konflikt zurück.

7.
Bei der Besetzung wichtiger Aufsichtsratsmandate im DB-Konzern ist die GDL zu kurz gekommen. Auch deswegen hat ihre Führung – anders als die Spitzen von TRANSNET und GDBA – nicht die Nähe zum DB-Management. Mit ihren Separatverhandlungen will sie sich offensichtlich wieder mehr Anerkennung verschaffen.
Die Spitzen von TRANSNET und GDBA unterstützen den Privatisierungskurs von DB-Chef Mehdorn tatkräftig. Im DB-Aufsichtsrat segnen die Arbeitnehmervertreter (darunter die Bundesvorsitzenden von TRANSNET und GDBA) ganz offensichtlich ständig alle Maßnahmen des Konzernvorstandes ab; über irgendwelche Widerstände der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat oder gar Nein-Stimmen ist jedenfalls seit Jahren nichts bekannt geworden. Ohne die Mitwirkung der TRANSNET- und GDBA-Vorstände könnte DB-Chef Mehdorn seinen Privatisierungskurs gegenüber der Politik kaum durchsetzen. Das DB-Management weiß dies zu schätzen und hat deswegen in den letzten Jahren vielleicht die GDL etwas aus den Augen verloren und „stiefmütterlich behandelt“. Die GDL ist im Aufsichtsrat der DB Holding nicht vertreten. Mit dem Bemühen um einen „eigenen“ Tarifvertrag möchte der GDL-Apparat seine eigene Rolle wieder aufwerten, Aufmerksamkeit des DB-Managements auf sich ziehen und unterstreichen, dass er – bei allem Schmusekurs der gewerkschaftlichen Konkurrenz – nicht am Katzentisch Platz nehmen möchte. Das DB-Management scheint dies erkannt zu haben und hat der GDL mit der Zusage, dass sie in Absprache mit den anderen Gewerkschaften die Federführung bei Tarifverhandlungen über die Arbeitsbedingungen der Lokführer übernehmen wird, die ersehnten „Streicheleinheiten“ verabreicht.

8.
Die GDL-Führung hat den Mund voll genommen und bei der Masse ihrer Mitglieder hohe Erwartungen geweckt. Im Grunde fürchtet sie aber – genau so wie die Apparate anderer Gewerkschaften – einen Massenstreik, der ihrer Kontrolle entgleiten könnte, und eine volle Konfrontation mit DB-Management und gesellschaftlichen Eliten.
Die Gerichtsurteile, mit denen der Arbeitgeber die GDL-Streiks untersagen wollte, waren ein Angriff auf das verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht und somit auf alle Gewerkschaften. Anstatt jedoch das – auch in den Augen vieler Juristen und DGB-Gewerkschafter skandalöse und grundgesetzwidrige – Streikverbot durch das Nürnberger Arbeitsgericht Anfang August wieder voll und ganz durch Berufung zu kippen und aus der Welt zu schaffen und danach erst recht zu streiken, schloss die GDL-Spitze in Nürnberg eiligst einen Vergleich mit dem DB-Vorstand ab, in dem sie bis zum 27. August auf Streiks verzichtet und der Aufnahme der Mediation bzw. Verhandlungen unter Leitung von Kurt Biedenkopf und Heiner Geissler zustimmte. Mit diesem Gebaren unterscheidet sie sich in nichts von anderen Gewerkschaftsapparaten, die oft verbal mit großen Streiks drohen und dann in letzter Minute die Notbremse ziehen. Während fortschrittliche Juristen darauf hinweisen, dass vom Bundeseisenbahnvermögen an die DB AG zugewiesene Beamte in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer der DB AG gegenüber der DB AG auch streiken dürfen, hat die GDL bisher ebenso wenig wie andere Gewerkschaften diese Auffassung ernsthaft aufgegriffen oder gar das Streikrecht für Beamte praktisch erkämpft.

9.
Die GDL-Führung hat ihre frühere strikte Ablehnung einer Bahnprivatisierung schon längst aufgegeben. Die Chance, die Medienöffentlichkeit in diesem Sommer für eine klare Botschaft gegen jede Form von Privatisierung zu nutzen und dafür Verbündete zu suchen, hat sie in den letzten Wochen grandios verpasst.
GDL-Chef Manfred Schell kokettiert damit, dass er Ende 1993 als einziger CDU-Abgeordneter im Bundestag gegen den Einstieg in die Privatisierung gestimmt habe. Ein halbes Jahr später jedoch galt seine Parole „Gemeinwohl statt Privatisierung“ nicht mehr und stimmte er für die Privatisierung von Post und Telekom.
„Vom Grundsatz her haben wir nichts gegen einen Börsengang“, erklärte Schell Anfang 2004. Er begrüßte im November 2006 „mit großer Zufriedenheit“ die Entschließung der Koalition zur Bahnprivatisierung und will, „dass das Netz bei einem Börsengang aus dem Konzern herausgelöst wird“. Eine solche Zerschlagung der Bahn käme heutigen britischen Zuständen gleich und wird auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der FDP propagiert: Das (tendenziell defizitäre) Netz soll beim Bund bleiben, alles andere kann zu 100 Prozent privatisiert werden.
Laut GDL-Organ „Voraus“ (Mai 2007) sieht sich die GDL schon als „Gewinner der Privatisierung“. Der entsprechende Artikel trägt die Überschrift „Mehr Verkehr auf die Schiene durch die Abtrennung des Netzes“ und plappert den neoliberalen Irrglauben nach, dass der Schienenverkehr nach einer vollen Privatisierung und Liberalisierung boomen würde. Während die Spitzen von TRANSNET und GDBA dem derzeitigen DB-Management sehr nahe stehen, sieht die GDL-Führung für sich in einer Vielzahl kleinerer privater Schienenverkehrsunternehmen eine wachsende Bedeutung. Mit vielen dieser Unternehmen hat sie auch Tarifverträge weit unter DB-Niveau abgeschlossen.

10.
Die Kräfte bündeln und nicht verzetteln! Einheit gegen Privatisierung tut not.
Privatisierung bringt eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Während „Die Zeit“ (9. August 2007) berichtete, dass 67 Prozent der Bundesbürger die Bahn in Staatsbesitz belassen wollen und nur 27 Prozent für Privatbesitz sind, reden die Spitzen der drei Bahngewerkschaften – jede auf ihre Weise – ihren Mitgliedern ein, dass eine Privatisierung für sie ungefährlich bis vorteilhaft wäre. Ein verhängnisvoller Irrtum! Käme es tatsächlich zu einer Kapitalprivatisierung, dann wäre die diesjährige Tarifrunde allerdings die letzte, bei der noch Zugeständnisse des DB-Managements rauszuholen sind. Dann stünden schlagartig Zustände und Auseinandersetzungen wie bei Post und Telekom an.
Gegen den erklärten Willen der EisenbahnerInnen und ihrer Gewerkschaften wäre eine Privatisierung schwer vorstellbar. EisenbahnerInnen sind bereit, für ihre Interessen zu kämpfen. Diese Kampfkraft darf jetzt weder blockiert noch verzettelt werden. Das Gebot der Stunde lautet: gemeinsam den Börsengang stoppen und alles beiseite schieben, was uns trennt und von diesem Kampf ablenkt. Keine Lähmung oder Verzettelung der Kräfte! Einheitlicher Abwehrkampf aller Bahngewerkschaften und aller DGB-Gewerkschaften gegen den Börsengang! Verzicht auf gegenseitiges Abwerben von Mitgliedern! Wenn die Gewerkschaftsvorstände zum Abwehrkampf nicht bereit sind, muss es die Basis selbst in die Hand nehmen!

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