Kategorie: Kapital und Arbeit

Streik in der britischen Bauindustrie: Erfolgreicher Kampf gegen Lohndumping und Rassismus

Großbritannien wurde vor einigen Wochen von einer Streikwelle erschüttert. Streiks allerdings, die nicht unbedingt „normal“ sind. Sie haben daher auch in der internationalen Arbeiterbewegung einiges an Aufmerksamkeit erregt. Grund genug, sich auch hierzulande damit zu beschäftigen.




Obwohl der Ausstand unter den geltenden Gesetzen des britischen Königreichs verboten war, gingen die Arbeitgeber nicht gerichtlich vor, um ihn untersagen zu lassen. Gleichzeitig erhielt der Protest von Zeitungen wie der „Sun“ (etwa wie die „BILD“ in Deutschland, nur noch reaktionärer) Unterstützung, welche jedoch von den gewählten VertreterInnen der Streikenden abgelehnt wurde. Diese Zuneigung für die Streikenden durch ein Boulevardblatt hatte wohl auch damit zu tun, dass in der Streikpostenkette während der Auseinandersetzung Transparente zu sehen waren, die folgenden (frei übersetzten) Aufdruck trugen: „Jobs zuerst für britische ArbeiterInnen!“. Und obwohl es sich dabei um ein wörtliches Zitat des Labour-Party-Vorsitzenden Gordon Brown handelte, verunglimpfte „New Labour“ den Ausstand als „nationalistisch“.

Arbeitsrecht

Was war tatsächlich geschehen? Die britische Industrie hatte schon jahrelang im europäischen Gleichklang immer größere Teile der von ihr verwendeten Arbeitskraft über Leiharbeitsfirmen und Subunternehmen eingekauft, um ortsübliche Löhne und Arbeitsbedingungen zu umgehen. Zusätzlich hatte der europäische Gerichtshof im letzten Jahr mehrere Urteile gefällt, die zu einer weiteren Aushöhlung nationaler flächentarifvertraglicher und arbeitsrechtlicher Normen führen können. Insbesondere hatte es der EU-Gerichtshof für zulässig erklärt, dass ein Unternehmen ArbeitnehmerInnen in ein anderes Land „entsendet“ und dort nicht das jeweilige Arbeitsrecht, sondern jenes des Heimatlandes zur Anwendung bringt.

Daraus folgt zwingend, dass Unternehmen aus Ländern mit niedrigeren Arbeitsrechtsnormen bei Ausschreibungen europaweit günstiger anbieten können als Unternehmen aus Ländern mit relativ hohen Flächentarifvertragsentgelten. Die Profitlogik entscheidet dann, dass erstere die Aufträge erhalten. Dies führt dazu, dass dieselbe Arbeitsleistung zu zwei unterschiedlichen Tarifen bezahlt wird, wodurch Lohndruck entsteht.
Die im Besitz des US-amerikanischen Konzerns Total stehende britische Raffinerie Lindsey Oil Refinery (LOR) hatte Mitte letzten Jahres entschieden, Ausbauarbeiten zu tätigen. Der Auftrag wurde europaweit ausgeschrieben und die italienische Firma IREM gewann die Ausschreibung. Sie entschied, den Auftrag samt und sonders durch die Entsendung von portugiesischen und italienischen ArbeiterInnen durchzuführen.

Die Logik dahinter: Der durchschnittliche Monatslohn eines Bauarbeiters beträgt in Britannien nach dem Bauarbeiter-Tarifvertrag NAECI 2.160 Pfund Sterling, in Italien 1.386 und in Portugal 614. Die Regelarbeitswoche eines entsendeten italienischen Arbeiters beträgt 44 Stunden an sechs Tagen, die Arbeitszeit nach britischem Tarifvertrag 40 Stunden an fünf Tagen. Zeitgleich mit der Auftragsvergabe gab eines der Subunternehmen (Shaws) von LOR die Kündigung eines Drittels der Belegschaft, die bei LOR arbeitet, bekannt.

„Illegaler“ Streik

Die Betriebsräte traten mit IREM in Kontakt, um eine Transferierung der Arbeiter von Shaws zum neuen Subunternehmen zu erreichen. Die Verhandlungen wurden von IREM bewusst in die Länge gezogen, bis das Unternehmen am 28. Januar bekanntgab, dass es keinen einzigen in Britannien lebenden Arbeiter beschäftigen würde. Noch am selben Tag beriefen die Betriebsräte aller Subunternehmen bei LOR eine Betriebsversammlung aller Beschäftigten ein, in welcher die Frage der Arbeitsniederlegung gestellt wurde.
Bei einer Abstimmung wurde einstimmig ein Streik beginnend mit dem folgenden Tag beschlossen. Die Gewerkschaft „Unite“, der die meisten organisierten Arbeiter angehörten, war in diese Entscheidung nicht involviert. Ein (konservativerer) Teil der Betriebsräte trat zurück, weil sie die Verantwortung für einen wilden Streik nicht übernehmen wollten. Ein solcher wilder Streik („wildcat strike“, d.h. ein Ausstand, zu dem die offiziellen Gewerkschaften nicht aufgerufen haben und den sie in aller Regel nicht unterstützen) ist in Britannien in mehrfacher Hinsicht illegal.

Die Arbeiter befinden sich damit in einer Auseinandersetzung, in der sie strukturell benachteiligt sind. Erstens erhalten sie keine Unterstützung aus einem Streikfonds der Gewerkschaft (zahlt letztere trotzdem Unterstützungen, kann der Staat das gesamte Vermögen der Gewerkschaft einziehen). Zweitens kann ein Gericht den Streik für illegal erklären und die Polizei anweisen, die Streikpostenketten mit Gewalt aufzulösen, wodurch die Unternehmer die Möglichkeit erhalten, Streikbrecher ungehindert in die Werke zu bringen. Drittens können die Unternehmen (behauptete) Schäden oder entgangenen Gewinn auf die Streikenden abwälzen.

Es muss also schon eine ziemlich ungewöhnliche Situation eintreten, in der sich Arbeiter gezwungen sehen, zu dieser radikalen Maßnahme zu greifen. Ungewöhnlich ist die Situation allemal: Die Wirtschaftskrise treibt (nicht nur in Britannien) die Arbeitslosigkeit in die Höhe, die Verschuldung der Menschen hat enorme Ausmaße erreicht, und die Banken erhalten trotzdem hunderte Milliarden Euro oder Pfund aus der Staatskasse. In einem Interview wurde ein streikender Arbeiter auf die möglichen rechtlichen Folgen der Streikaktionen angesprochen. Seine Antwort war sinngemäß, dass es egal sei, ob er durch einen Jobverlust ohne Aussicht auf irgendeine neue Beschäftigung in die Armut stürze oder weil ihn ein Gericht zu Schadenersatz oder ähnlichem verurteile.

Rassismus?

Am ersten Tag des Streiks brachten einige Arbeiter Plakate zum „mass picket“ (das ist das Blockieren der Dienststellen durch Massendemonstration anstatt symbolischer Menschenketten, in Britannien seit dem Bergarbeiterstreik 1984/85 ebenfalls verboten) mit, auf denen der in der Einleitung angeführte Slogan „British Jobs for British Workers“ zu lesen war. AktivistInnen der rechtsradikalen British National Party (BNP) versuchten, den Rassismus in der Streikbewegung zu schüren. Die bürgerlichen Medien berichteten fortan von „rassistischen Streiks“. Es ist natürlich unbestreitbar, dass ein Teil der Streikenden am Beginn der Auseinandersetzung tatsächlich die ausländischen Arbeiter als die Hauptschuldigen an der Misere ihrer eigenen Lage ausmachte. Doch wie groß war dieser Teil wirklich? Und konnte er den weiteren Streikverlauf prägen? Damit werden wir uns weiter unten beschäftigen.

Was ist die Aufgabe eines Aktivisten der Arbeiterbewegung in einer solchen Situation, wenn ein Kollege in der Streikpostenkette einen rassistischen Slogan von sich gibt? Es gibt prinzipiell drei Möglichkeiten:

  1. Opportunismus: Man kann so tun, als wäre nichts geschehen und auf das Wunder hoffen, dass der Kollege von selbst seine rassistischen Vorurteile über Bord wirft.
  2. Sektierertum: Man kann den anderen anschreien: „Verpiss Dich aus diesem Streik! Mit Leuten wie Dir wollen wir nichts zu tun haben!“
  3. Marxismus: Man versucht der Person geduldig und konstruktiv zu erklären, dass die Schuldigen an der Situation die Profitlogik und die großen Kapitaleigentümer sind und dass der Streik nur dann Erfolg haben kann, wenn die maximale Einheit aller Beschäftigten unabhängig von ihrer Nationalität sichergestellt ist.

Während der Apparat der Hauptamtlichen der Gewerkschaften hauptsächlich die Linie a) und die Mehrheit der „radikalen Linken“ die Linie b) vertraten, beweisen die folgenden Ereignisse, dass an der Basis der Streikenden und im Streikkomitee die Linie c) die Mehrheit erringen konnte.
Die ersten Handlungen des Streikkomitees waren: Verjagen der BNP-AktivistInnen vom Fabrikgelände und aus den Streikpostenketten, Aufruf zu Solidaritätsstreiks, Einberufung einer Massenversammlung zur Klärung der Streikforderungen. Am folgenden Tag breitete sich eine Streikwelle über ganz Britannien aus, die schließlich auch ArbeiterInnen in den Atomkraftwerken (!) Sellafield und Heysham erreichte.

Arbeiterdemokratie

In dieser Situation kam den Entscheidungen der Vollversammlung der Streikenden bei LOR große Bedeutung zu: Würden sich die Berichte der bürgerlichen Medien bestätigen, wonach der Streik von Rassismus getragen war? Würde jener Teil der radikalen Linken recht behalten, die dem „reaktionären Streik“ ihre Unterstützung versagten? Die Antwort geben die beschlossenen Forderungen der Versammlung von einigen hundert Arbeiter von LOR:

  • Keine rechtliche Verfolgung von Solidaritätsstreiks in anderen Betrieben der Branche!
  • Für alle Arbeitnehmer in der Baubranche in Britannien muss der Flächentarifvertrag NAECI gelten!
  • Anlegung eines Arbeitslosenregisters durch die Gewerkschaften, die das Recht erhalten müssen, Besetzungsvorschläge für offene Stellen zu machen!
  • Erhöhung der Staatsausgaben für die Schaffung von Lehrstellen für eine neue Generation von ausgebildeten Bauarbeitern – Kampf für die Zukunft der Jugend!
  • Für die gewerkschaftliche Organisierung aller ausländischen ArbeiterInnen!
  • Hilfestellung der Gewerkschaften (auch durch ÜbersetzerInnen) für ausländische ArbeiterInnen, um eine aktive, integrierte Gewerkschaftsmitgliedschaft zu ermöglichen!
  • Aufbau von Beziehungen zu den Bauarbeitergewerkschaften auf dem europäischen Festland!

Wer nach diesen Beschlüssen den Streik als rassistisch bezeichnete, hat entweder keinen Respekt vor der Demokratie in der Arbeiterbewegung oder lügt. Auf die bürgerlichen Medien trifft natürlich beides zu: Diese hatten es aber ab diesem Zeitpunkt schwerer, einen rassistischen Charakter des Streiks herbei zu schreiben.

Ergebnisse

Der Streik ging nach circa einer Woche mit einem Sieg der Arbeiter zu Ende: Die Unternehmen garantierten die Vergabe von 200 Arbeitsplätzen an lokales Personal und stimmten der Anwendung des NAECI auf die „importierten“ Arbeitskräfte zu. „Total“, der Raffinerie-Eigentümer, musste den Forderungen der Arbeiter nachgeben, weil ein Fortdauern des Streiks mehr gekostet hätte als durch Unterschreiten der Flächentarifvertragslöhne einzusparen gewesen wäre. Die politischen Folgen des Streiks sind aber natürlich noch weitaus größer: Vor den Augen der britischen Arbeiterklasse wurde demonstriert,

  • dass sich Streiks auszahlen: Durch kämpferische Aktionen können Arbeitsplätze gerettet werden.
  • dass gesetzliche Beschränkungen gegenüber einer geeinten Streikfront und Solidaritätsstreiks wirkungslos sind.
  • dass Streiks an der Führung der Gewerkschaften vorbei organisiert werden können.
  • dass Streikaktionen SozialistInnen die Möglichkeit bieten, den in der Gesellschaft schwelenden Rassismus zu bekämpfen.

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