Kategorie: Kapital und Arbeit

Federal Mogul-Streik geht in die zweite Runde

In den letzten Wochen spekulierten viele Politiker, Gewerk- schaftsführer und Journalisten lang und breit über "soziale Unruhen" in Deutschland, warnten davor oder wollten die Diskussion darüber schlicht und einfach unterbinden. Dass angesichts der Krise die Arbeiterschaft mitten in Deutschland schon längst von Unruhe erfasst worden ist und die ange- staute Wut gerade auch in der Krise höchst effektiv in disziplinierte und kollektive Aktion umsetzen kann, das hat die Belegschaft des Wiesbadener Automobilzulieferers Federal Modul (ehemals Glyco Metallwerke) in den letzten Tagen unter Beweis gestellt, als sie drei Tage lang die Produktion komplett lahmlegten und die Werkstore besetzt hielten. Der Arbeitskampf war bis Samstag früh befristet und wird nach IG Metall-Angaben am Dienstag mit Beginn der Frühschicht wieder fortgesetzt.



"Das war eine ganz tolle Sache. Der Streik hat uns alle zusammengeschweißt und wir haben viele Kollegen aus anderen Schichten wieder getroffen, die man in den letzten zehn Jahren nie kennenlernen konnte", bringt es die Arbeiterin Ilona Salagacki auf den Punkt. Sie ist in dem Betrieb, der mit über 90 Prozent einen überaus hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad vorweisen kann, erst vor kurzem in die IG Metall eingetreten und hat sich ebenso aktiv und engagiert am Arbeitskampf beteiligt wie die allermeisten ihrer 1600 Kolleginnen und Kollegen. Bei einer extrem hohen Wahlbeteiligung hatten Anfang letzter Woche über 94 Prozent der IG Metall-Mitglieder vor Ort für den Streik gestimmt. Am Montag versuchte die Geschäftsleitung fieberhaft, Streikbrecher anzuheuern. Bisher war das Management mit solchen Versuchen erfolglos. Einer von 166 Menschen, deren befristeter Arbeitsvertrag trotz Engagements des Betriebsrats letztes Jahr nicht verlängert worden war, ist Orkan Yurtseven. Er berichtete den Streikposten, dass man ihn telefonisch als Streikbrecher anwerben wollte: "Wenn der Streik vorbei ist, werde ich gern wieder für Federal Mogul arbeiten – vorher aber auf keinen Fall", erklärte er unter Beifall der Streikenden.

Auch Elke Matejka, freigestelltes Betriebsratsmitglied, hat im Arbeitskampf viele positive Erfahrungen gesammelt: "Kollegen, die man im Alltag kaum wahrnimmt, weil sie ruhig und zurückhaltend sind, demonstrieren unaufgefordert Einsatz. Der eine besorgt Essen und Trinken, der andere Brennholz für kalte Nächte, der Dritte macht freiwillig eine Dreifachschicht, weil er so aufgekratzt ist und nicht schlafen kann und die anderen Streikposten in der Nacht nicht alleine lassen will. Dieses Gemeinschaftsgefühl nimmt uns keiner, wie auch immer dieser Arbeitskampf ausgeht."

Die Gewerkschafterin weiß, dass diese Solidarität nicht vom Himmel gefallen ist, sondern vor allem auch ein Ergebnis jahrelanger gewerkschaftspolitischer Überzeugungsarbeit. "Wir haben den Kollegen immer die Wahrheit gesagt und auch ausgesprochen, wo die Grenzen im kapitalistischen System liegen. Wir sind nicht die Eigentümer der Produktionsmittel. Wenn wir diese Grenzen nicht akzeptieren wollen, brauchen wir ein anderes Gesellschaftssystem", erklärt die Betriebsrätin.

Die im Wiesbadener Industrievorort Schierstein am Rhein gelegene "Glyco" - so wird der traditionsreiche Betrieb von Einheimischen und Werksangehörigen nach wie vor genannt - ist mittlerweile der größte verbliebene Industriebetrieb am Ort, nachdem auch die hessische Landeshauptstadt über Jahre industriellen Kahlschlag erfahren hat. Anfang der 1990er Jahre gelangte die Firma, die in über 100 Jahren mit der Automobilindustrie groß geworden ist, in die Hände des US-Weltkonzerns Federal Mogul. 75 Prozent der Federal Mogul-Aktien gehören übrigens dem Multimilliardär Carl Icahn. Die Wiesbadener Niederlassung produziert für deutsche und westeuropäische Automobilmotoren Gleitlager, Buchsen und Anlaufscheiben. Die meisten der 1600 Beschäftigten sind hochqualifizierte Facharbeiter, Techniker und Ingenieure. Bei den Produkten, die im Werk teilweise bis zu 25 Stationen durchlaufen, kommt es auf höchste Präzision und Tausendstel Millimeter Genauigkeit an. Diese maximale Qualität ist entscheidend für die Lebensdauer und hohen Qualitätsansprüche der Pkw-Motoren von BMW, Mercedes, Opel, VW, Porsche und anderen. Die Belegschaft weiß, dass ihre hochwertigen Erzeugnisse gefragt sind und sie damit auch in der Krise eine gewisse Macht in der Hand hat. Offensichtlich kann sie mit einem längeren Streik die Motorenproduktion namhafter Autokonzerne empfindlich stören und damit große Wirkung erzielen - nicht zuletzt dank knapper Lagerhaltung und "Just in time"-Produktion. Binnen weniger Tage könnten jetzt viele Bänder vieler Autowerke still stehen, weil BMW, Opel oder Mercedes die durch Streik nicht produzierten Teile nicht einfach im Baumarkt besorgen kann.

Der aktuelle Konflikt hatte sich seit Winter zugespitzt, nachdem die Absatzkrise die Autobranche und damit auch Federal Mogul erfasste. "Wir haben wochenlang verhandelt, aber das Management will keine Kompromisse eingehen. Für die war nur die Kopfzahl von 436 Kündigungen interessant, die von der Konzernzentrale vorgegeben wurde", beklagt der Betriebsratsvorsitzende Alfred Matejka. Die vom Betriebsrat angebotenen Kompromisse in Form von Vereinbarungen über Altersteilzeit oder freiwillige Aufhebungsverträge wollte die Geschäftsleitung nicht akzeptieren; sie blieb bei ihrer magischen Zielzahl von 436 Entlassungen noch im Mai 2009.

Betriebsrat und Gewerkschaft hingegen verlangen den Verzicht auf Kündigungen die maximale Ausschöpfung der gesetzlichen Regelungen zur Kurzarbeit bis Ende November 2010. Diese Zeit sollte mit Qualifizierung, Weiterbildung und Umschulung einhergehen, um einer noch besser qualifizierten Belegschaft auch im schlimmsten Fall bessere Chancen am Arbeitsmarkt zu geben und die Qualität der Produktion im Betrieb weiter zu steigern. weil die Belegschaft jedoch rechtlich nicht direkt für den Erhalt der 436 Arbeitsplätze streiken kann, ist die Forderung nach einem Sozialtarifvertrag Grundlage des Arbeitskampfes. Ziel ist es, "die Abfindungen für eine Entlassung so in die Höhe zu treiben, dass es auch für einen Unternehmer, der nachdenkt und intelligent genug ist, besser ist, von den Entlassungen abzusehen und lieber Kurzarbeit einzuführen", umschreibt Matejka den Ansatz, mit dem die IG Metall schon vor Jahren bei AEG in Nürnberg gegen die Werksschließung und Produktionsverlagerung gekämpft hatte.

"Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht die Unternehmensfreiheit vor und garantiert also die Freiheit des Fuchses im Hühnerstall", so Matejkas plastischer Vergleich aus der Tierwelt: "Die Hühner spielen dabei keine Rolle. Der Fuchs hat die Freiheit, sie zu fressen. Wenn die Hühner Grips genügend im Kopf hätten, würden sie sich konzertiert auf den Fuchs stürzen und ihm die Augen auspicken."

Viele Streikende berichten, wie sehr sich das Arbeitsklima in den letzten Jahren verschlechtert hat und dass "Arbeit heute keinen Spaß mehr macht". Freilich war auch im alten Familienbetrieb Glyco die Welt nicht in Ordnung. Mehrere hundert ältere Beschäftigte erinnern sich noch daran, wie sie vor genau 25 Jahren im Zuge der bundesweiten Streikbewegung um den Einstieg in die 35-Stunden-Woche sechs Wochen lang von der Geschäftsleitung ausgesperrt wurden. Der gesamte Betrieb war damals mit Stacheldraht umzäunt. Diese Erfahrung war für viele prägend. Auch unter dem heutigen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, der 1988 bis 1991 im Glyco-Management saß, wurden handfeste Konflikte ausgefochten. Doch seit der Übernahme durch den Detroiter Weltkonzern Federal Mogul haben sich die Konflikte zugespitzt. So sind in 10 Jahren fünf Geschäftsführer gekommen und gegangen. "Die wollen das Rad neu erfinden. Sie verrennen sich, weil sie meinen, sie können alles", fasst Betriebsratsmitglied Elke Matejka ihre Erfahrung zusammen: "Sie kennen nur Personalabbau, den sie an die Konzernzentrale melden möchten. Wenn das dann nicht hinhaut, wird die Luft für die Geschäftsführer dünn."

Ein Betriebsrat spricht für viele, wenn er die aktuelle "Nadelstichtaktik" der IG Metall hinterfragt. Er zeigt sich "ein bisschen enttäuscht darüber, dass uns der IG Metall Vorstand nicht über das Wochenende durchstreiken ließ". Denn es sei "immer wieder schwierig", die Leute erneut zum befristeten Streik rauszuholen: "Ein Durchstreiken wäre einfacher gewesen". Schließlich hätten sich schon 400 bis 500 Freiwillige gemeldet, um die Werkstore auch über das vergangene Wochenende rund um die Uhr zu bewachen. "Das wäre uns noch lieber gewesen", so der Gewerkschafter: "Wir werden noch genügend Auseinandersetzungen haben und können auf diese Belegschaft bauen", so sein Resümé des bisherigen Auseinandersetzung, die in dieser Woche entscheidend eskalieren und bundesweit Wellen schlagen dürfte.

"Uns bleibt nur der Kampf, wie auch immer er enden wird", bringt es Betriebsratschef Matejka auf den Punkt: "Dieses Gefühl der Befreiung, der Stärke und der Selbstbestimmung, das hier in den Streiktagen geherrscht hat, ist auch für den Einzelnen tausendmal besser als sich immer niederdrücken zu lassen." Matejka erinnerte daran, dass der Mehrheitseigentümer Carl Icahn "allein nach seinem Profitinteresse entscheidet, ob dieser Betrieb weiter existiert oder verkauft wird". Langfristig habe die Firma "nur eine Zukunft, wenn wir selbst die Geschicke in die Hand nehmen und Eigentümer über dieses Unternehmen werden."

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