Kategorie: Kapital und Arbeit

Der Arbeitskampf bei FIAT Mirafiori

Heute und morgen findet im FIAT-Werk Mirafiori in Turin eine entscheidende Urabstimmung über das zukünftige Arbeitsregime statt.
Wir liefern Hintergrundinfos sowie das Flugblatt, dass die GenossInnen der Betriebszelle der Rifondazione Comunista in FIAT Pomigliano und die GenossInnen von FalceMartello heute und morgen vor den Werkstoren in Turin-Mirafiori verteilen.




FIAT Mirafiori: Von der Erpressung zur Revolte

Nach der Stimmabgabe beim Referendum über den neuen Arbeitsvertrag bei FIAT Pomigliano Ende Juni sagte ein Arbeiter in einem TV-Interview mit dem typischen Sarkasmus der Napoletaner: “Heute haben wir für den Faschismus in der Fabrik gestimmt.” Absolute Klarheit über den Charakter der Pläne des FIAT-Managements unter Chef Marchionne sollte aber spätestens nach dem neuen “Abkommen” im historischen FIAT-Werk in Turin-Mirafiori bestehen.

An die Stelle sozialpartnerschaftlicher Verhandlungen tritt unter Marchionne die totale Erpressung. Die Führungsspitzen der regierungsnahen Gewerkschaftsdachverbände CISL, UIL und UGL geben mit ihrer Unterstützung diesem Frontalangriff auf die Rechte der ArbeiterInnen den Anschein eines breiten Konsens.

Das “Abkommen” sieht vor, dass die ArbeiterInnen in Mirafiori nur noch individuell über eine eigene Gesellschaft (Newco) angestellt werden. Newco wird auch nicht mehr Teil der Industriellenvereinigung sein, womit FIAT auch nicht mehr an den nationalen Flächentarifvertrag und an die Regelungen über die Rechte der Betriebsräte (RSU) gebunden ist. Die Betriebsräte sollen auch nicht mehr von der Belegschaft gewählt werden. Sie werden vielmehr von den Gewerkschaften geschickt, die das Abkommen mit FIAT unterzeichnet haben. Somit wäre die FIOM (kämpferische italienische Metallergewerschaft) nicht mehr im Betriebsrat vertreten. Die offen gelben vom Unternehmen gegründeten Gewerkschaften wie die UGL werden dann im Betriebsrat die absolute Mehrheit haben. Das ist eine Verletzung der Rechtslage, wie sie seit 1970 gegeben ist, und eine Praxis, die es seit dem Fall des Faschismus in Italien nicht mehr gab.

Das geht sogar noch über das Abkommen von Pomigliano hinaus, soll nun aber auch im dortigen FIAT-Werk nachträglich noch durchgesetzt werden. Außerdem dürfen laut diesem Abkommen die Gewerkschaften keine Streiks mehr gegen die Umsetzung desselben ausrufen. Ganz abgesehen davon, dass bei FIAT 2/3 aller Streiks von den FließbandarbeiterInnen spontan gemacht werden, was nun ebenfalls ein sofortiger Entlassungsgrund ist. Das ist das Ende des von der Verfassung vorgesehenen Streikrechts.

Es ist klar, wenn der größte Industriekonzern des Landes, der unter Berücksichtigung der Zulieferbetriebe eine Million Menschen beschäftigt, diese Pläne umsetzen kann, dass wir dann an einem epochalen Wendepunkt in der Geschichte der italienischen ArbeiterInnenbewegung angekommen sind. Hier geht es nicht mehr nur um die Zukunft der FIOM oder des nationalen Flächentarifvertrages, sondern es sind dann alle sozialen und demokratischen Rechte, die sich die ArbeiterInnen über Jahrzehnte erkämpft haben, in Gefahr.

In Mirafiori wird dieses „Abkommen“ die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft unermesslich steigern. Ein neues System, die Arbeitsleistung zu messen, soll die Stehzeiten noch mehr verringern, die Pausen werden um 10 Minuten eingeschränkt und dafür ausbezahlt. Damit wird ein Recht, das für die Gesundheit und Sicherheit der ArbeiterInnen extrem wichtig ist, für wenig Geld verkauft. Die verpflichtend zu erfüllenden Überstunden steigen auf 120 Stunden pro Jahr. Wenn die Krankenstände in der Fabrik ein gewisses Ausmaß übersteigen, dann wird das Unternehmen die ersten beiden Krankenstandstage nicht mehr zahlen. FIAT kann außerdem willkürlich jede Woche ein neues Schichtsystem mit 12, 15 oder 18 Schichten zwischen Montag und Samstag einführen.

All das wird damit gerechtfertigt, dass dieses neue System Investitionen und Beschäftigung sichert. Sonst droht Marchionne mit der Auslagerung der gesamten Produktion von Mirafiori nach Serbien. In Wirklichkeit sieht das unterzeichnete Abkommen keine Aussagen über künftige Investitionen vor. Bestenfalls gibt es Aussagen der Konzernleitung über Investitionen in mehr als einem Jahr.
Im Grunde können die ArbeiterInnen bei der Abstimmung über dieses “Abkommen” entscheiden, ob sie in Zukunft wie Sklaven arbeiten wollen und bereit sind all ihre Rechte freiwillig abzugeben, oder ob sie auf die Straße gesetzt werden. Es lebe die Demokratie des Kapitals!

Die CGIL hat angesichts dieser Erpressung bereits die weiße Fahne gehisst, noch bevor sie zu kämpfen begonnen hat. Es ist wieder einmal die linke Metallarbeitergewerkschaft FIOM, die als Einzige Widerstand leistet. Die AktivistInnen der FIOM in Mirafiori haben nach dem Vorbild von Pomigliano ein „Komitee für das NEIN“ gegründet und forderen die ArbeiterInnen auf gegen das „Abkommen“ zu stimmen.

Die CGIL kritisiert die FIOM für diese konsequente Haltung und will eine sozialpartnerschaftliche Lösung mit der Industriellenvereinigung. Die ist zwar nervös angesichts der Tatsache, dass FIAT einen eigenen Weg geht und den Flächentarifvertrag ignoriert. Gleichzeitig stellt sie sich unmissverständlich hinter Marchionne und dessen Bestreben, „die Fabriken kontrollierbar zu machen“.

Die MarxistInnen in der italienischen ArbeiterInnenbewegung rund um die Zeitung “Falce Martello” argumentieren, dass in dieser Situation die FIOM nicht allein gelassen werden darf. Die Linke muss sich hinter die FIOM stellen und versuchen alle Unternehmen „unkontrollierbar“ zu machen. Angesichts dieses Angriffes ist ein Generalstreik notwendig. Es dürfen von den Gewerkschaften keine Tarifverträge mehr abgeschlossen werden, die einer Kapitulation vor dem Kapital gleichkommen.

Der Konflikt rund um FIAT Mirafiori hat einmal mehr gezeigt, dass die italienischen ArbeiterInnen kein politisches Sprachrohr mehr haben. Die Demokratische Partei (PD) hat sich offen hinter die Pläne von Marchionne gestellt. Der bekannte PD-Politiker Fassino hat sogar gemeint, wäre er ein FIAT-Arbeiter würde er mit „JA“ stimmen. Da kann man nur der Antwort von FIOM-Generalsekretär Landini zustimmen, der meinte, Fassino soll einmal am Fließband arbeiten, bevor er solche Meldungen von sich gibt.

Die Hoffnungen der PD und der CGIL, dass dieses neue “Abkommen” die industrielle Basis Italiens retten wird, bauen aber auf Sand. FIAT gehört international zu jenen Kandidaten, die angesichts der massiven Überproduktion an Autos, aus dem Markt gedrängt werden könnten. Marchionne verfolgt in erster Linie eine Politik des schnellen Geldes. Eine langfristige Strategie zur Erhaltung von FIAT als Autokonzern fehlt.

In der TV-Konfrontation „Porta a Porta“ stellte die Vorsitzende der Industriellenvereinigung Marcegaglia dem anwesenden Vertreter der FIOM die berechtigte Frage, was passieren solle, wenn bei der Abstimmung doch die Mehrheit der Belegschaft für NEIN stimmen würde. Diese Frage stellt die italienische Linke vor eine weitreichende Entscheidung. Entweder sie kapituliert vor der Logik des Marktes und akzeptiert Massenarbeitslosigkeit, Deindustrialisierung und Armut, oder sie stellt die Regeln des gesamten Spieles in Frage. Die Industrie kann in Italien nur überleben, wenn der Staat direkt in die Wirtschaft eingreift. Das darf aber nicht ein Eingriff wie in der Vergangenheit sein, wo die Verluste vergesellschaftet wurden und die Profite in privater Hand blieben. FIAT wird langfristig nur in Italien bleiben, wenn der Konzern enteignet, verstaatlicht und unter der direkten Kontrolle der ArbeiterInnen auf der Grundlage der produktiven Interessen der Gesamtgesellschaft neu aufgestellt wird. Diese Forderung, die die MarxistInnen von „FalceMartello“ seit geraumer Zeit schon in den FIAT-Werken propagieren, wurde nun auch vom Vorsitzenden der Rifondazione Comunista aufgestellt. Ein Sieg im Referendum in Mirafiori würde diesen Kampf tatsächlich auf die Tagesordnung stellen.



Flugblatt: Nach Pomigliano – Leisten wir auch in Mirafiori Widerstand!

Unser Aufruf ist kein klassischer Aufruf, kommt auch nicht zufällig und ist auch nicht nur eine einfache Geste der Solidarität. Wir schreiben euch im Namen der ArbeiterInnen von Pomigliano, von wo diese Angriffe ihren Ausgang genommen haben. Wir wissen, dass diese Erpressung sehr stark ist und eurer Entscheidung eine hohe Verantwortung zukommt.
Wir wissen, wie man sich fühlt, wir wissen mit welchem Gemütszustand ihr an dieser Abstimmung teilnehmen werdet. Wir wollen uns vor allem an jene von euch wenden, die noch unentschlossen sind, wie sie stimmen sollen. An euch ArbeiterInnen, die ihr so viele große Denker in den letzten Wochen hören musstet, die über eure Arbeit schnelle Urteile getätigt haben. Es folgten die Klagen über ungerechtfertigtes Fernbleiben von der Arbeit, und Marchionne hat rund um diese Frage seinen ganzen Plan aufgezogen. Er hat es schon gegen uns in Pomigliano vorgebracht und tat so als würde es sich um eine Ausnahme handeln, aber kurz darauf hat er sofort dasselbe Argument gegen euch eingesetzt.
Gut, wir wissen am besten die Wahrheit über unsere Arbeitsbedingungen, was es heißt, weniger Pause zu haben, länger arbeiten zu müssen, welchen Stellenwert demokratische Rechte in der Fabrik haben, wir kennen den wirklichen Wert dieser Worte, über die jeder in diesen Tagen gerne seine Meinung äußert. Und wir wissen, wie wir diese Dinge errungen haben und wie wir sie verteidigen können, für uns und für zukünftige Generationen von ArbeiterInnen. Die gesamte ArbeiterInnenklasse schaut jetzt auf euch, wie sie es am vergangenen 22. Juni mit uns gemacht haben. Es ist deshalb, warum wir heute wie gestern ein Gefühl des Zorns in uns spüren, eine Wut, die sich jedoch nicht mehr nur in eine reine Ablehnung sondern in einen Gegenschlag umwandeln muss!
Wenn nach der Abstimmung in Pomigliano FIAT für kurze Zeit still war, dann müssen wir nach dem Votum in Mirafiori einen Schritt weiter gehen und die Konzernführung zwingen der Realität ins Gesicht zu blicken. Wir müssen ihnen klarmachen, dass ihre Wahrheit nicht die unsere ist, und dass es eine andere Art zu produzieren und des Umgangs mit der ArbeiterInnenklasse gibt, weil wir es einfordern.

Um das alles machen zu können, ist es notwendig NEIN zu sagen!

Zwingen wir so all die, die ständig den Mund offen haben, zurück auf die Schulbank. Eine Schule, wo die Professoren der Arbeit wir sind, die einzigen, die sich in dieser Materie wirklich auskennen, und die wissen, welche Auswirkungen die Arbeit auf unser Leben hat. Das ist unser Ausgangspunkt, um eine Zukunft für uns zu erobern, die nicht der Sklaverei gleichkommt.
Das ist unser Beitrag als ArbeiterInnen, wir wissen, dass sich nicht alles sofort ändern lassen wird, aber wir wissen auch, dass wir ausgehend von diesem Konflikt eine neue Richtung einschlagen können, weil wir viele sind, die so denken, und weil wir unsere Haut teuer verkaufen werden.
Pomigliano steht voll hinter euch: nehmen wir unsere Zukunft in unsere Hände, indem wir kämpfen, denn wir lassen uns unsere Errungenschaften nicht einfach durch eine schändliche Unterschrift wegnehmen.

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