Kategorie: Kultur

Für Revolutionäre Kunst! Zum Todestag André Bretons

Wir feiern heute den Todestag von Andre Breton, einem der außergewöhnlichsten literarischen Vertreter des Surrealismus. Er war stets bemüht, Kunst und revolutionäre Politik zu verbinden und hat darüber hinaus für eine Weile mit Leo Trotzki zusammengearbeitet. Gegenwärtig, da sich der Kapitalismus in einer Sackgasse und einem Zustand des Niedergangs befindet, betrifft die Krise des Systems jede Form und jeden Aspekt des menschlichen Lebens. Die Produktivkräfte stagnieren, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betreffen Millionen und die soziale Ungleichheit tritt deutlicher zu Tage als je zuvor.


Krieg und Terrorismus sind längst nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Selbst in den wohlhabendsten und "zivilisiertesten" Ländern hat die Barbarei Einzug gehalten – so geschehen in New Orleans.
Die Fortdauer des Kapitalismus droht, sämtliche Grundlagen unserer Kultur und Zivilisation zu unterminieren. Wie könnten also in Zeiten wie diesen Kunst und Literatur davon unbeeinflusst bleiben? Die Idee, wie sie erstmals von Trotzki und Breton formuliert wurde, nämlich, Kunst und Revolution zu verbinden, beweist und behält bis heute ihre volle Bedeutung und Gültigkeit.

Der Surrealismus beschreibt einen widersprüchlichen, unlogisch erscheinenden Blick auf die Realität. Er versucht, die Elemente der Gewalt und Unkontrollierbarkeit auszudrücken, die hinter der Fassade bürgerlicher Zivilisation lauern. Die höflichen Manieren und der "gute Geschmack" der bürgerlichen Gesellschaft sind nämlich in Wahrheit nicht mehr als eine Fassade, bestrebt, schreckliches Leid, Ausbeutung und Unterdrückung zu verbergen. Der Surrealismus enttarnt diese höfliche Heuchelei und offenbart die hässliche und abstoßende Wirklichkeit, die sich dahinter verbirgt.

Es grenzt beinahe an Ironie, dass ausgerechnet jener Mann, dessen Name landläufig am häufigsten mit diesem revolutionären Genre assoziiert wird, ein unterwürfiger Verteidiger des zeitgenössischen Systems, ein politisch Rechter, ein Bewunderer Hitlers und Francos, ein Monarchist und Lakai des wohlhabenden Establishments war – die Rede ist von Salvador Dalí. Luis Bunuel hingegen war ein aufrichtiger Revolutionär. Er fiel in Ungnade, nachdem er einen atheistischen Film produziert hatte, einen Film, von dem sich Dalí selbstverständlich distanzierte – Bunuel dankte ihm dies mit seinen Fäusten.

Im Gegensatz zu Dalí war Bunuel ein Gegner von Establishment, Religion und Kirche. Politisch stand er dem Anarchismus nahe, wohl jene Überzeugung, die der Weltanschauung des Surrealismus am ehesten entsprach. Breton war es schließlich, der den Surrealismus dem Marxismus näher brachte. 1937 schrieb er gemeinsam mit Trotzki ein Manifest, "Das Manifest für eine unabhängige, revolutionäre Kunst". Dieses behält bis heute seine unangefochtene Richtigkeit.

Die Kunstform des Surrealismus beinhaltet noch andere Elemente, so etwa die Vorstellung, dass alles vergänglich, unbeständig und veränderbar ist. Diese Auffassung erklärt auch, warum Tod und Verwandlung eine solch große Rolle in ihr spielen. Hier erkennen wir auch die Gegenwart eines der grundlegenden dialektischen Konzepte: die Idee einer konstanten Veränderung, die die Dinge in ihr Gegenteil verkehrt, in der die Widersprüche im Zentrum jeder Sache selbst zu finden sind und in der nie etwas so ist, wie es scheint.

Dass die Wiege des Surrealismus in katholischen Ländern wie Spanien, Frankreich und Italien liegt, kommt nicht von Ungefähr. Es ist kein Geheimnis, dass fanatischer Katholizismus gleichzeitig sein Gegenstück in Form starker, anti-klerikaler Bewegungen hervorbringt. In jeder größeren revolutionären Auflehnung in diesen Ländern kam es zeitgleich zu einem Ausbruch kirchenfeindlicher Aktivitäten. So etwas hätte in den protestantischen Ländern Nordeuropas niemals passieren können, hat doch dort die bürgerliche Revolution schon früher mit der katholischen Kirche abgerechnet: Die kalte Logik des Bürgertums hatte schon längst die irrationale Obskurität der Kirche verbannt. In den südlichen Staaten Europas hingegen konnte sich die Kirche als Götzenbild etablieren, das bis heute nicht überwunden wurde.

Wie der Name bereits impliziert, versucht der Surrealismus unter die Oberfläche zu blicken, hinter die Fassade zu schauen und die Essenz einer Erscheinung zu begreifen. Das kalte, geistlose nordeuropäische Gemüt hingegen – geprägt von einer langen Geschichte empirischen Denkens – begnügt sich stets mit "dem Gegebenen", mit "den Dingen, wie sie nun mal sind". Und das, obwohl die Dinge, wie sie sind, sich sehr häufig als anders herausstellen als zuvor angenommen.

Ja, die Welt des Surrealismus ist eine sonderbare Welt, eine Welt, in der "normale" Dinge und Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden. Doch in Wahrheit ist es der Kapitalismus, der jedes natürliche Verhältnis in sein Gegenteil verkehrt. Er birgt in sich selbst einen irrationalen und widersprüchlichen Charakter. Diese Widersprüche kann die Kunst des Surrealismus wunderbar ausdrücken. Aufgelöst werden können sie jedoch nur durch die sozialistische Revolution.

Welche Aufgabe haben Künstler in der gegenwärtigen Gesellschaft? Einfacher wäre es zu fragen, welche sie nicht haben. Ein wahrer Künstler darf nicht am Rande warten, während die großen Kämpfe um die Zukunft und die Seele der Menschheit ausgetragen werden. Kunst, die sich selbst von der Gesellschaft isoliert und ihrem Schicksal gleichgültig gegenübersteht, kann niemals nach Großem streben. Solch eine Kunst wird lediglich in den Niederungen der Geschichte dahindümpeln. Sie wird nie die Gipfel erklimmen.

Große Kunst muss sich mit großen Belangen auseinandersetzen. Ein wahrer Künstler kann dem Schicksal seiner Mitmenschen nicht gleichgültig gegenüberstehen. Er muss von Natur aus ein Revolutionär sein. Konformisten und Ja-Sager, denen es genügt, mit der Herde mitzulaufen, werden niemals Kunst und Literatur von Bedeutung schaffen.

Kunst ist verpflichtet, ihre Stimme laut und deutlich gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Lügen und Heuchelei in all ihren Erscheinungsformen zu erheben. Sie muss die Möglichkeit auf ein besseres Leben und eine bessere Welt aufzeigen. Es ist unbedeutend, ob ihre Nachricht Eindeutigkeit vermissen lässt, ob sie unvollständig oder unausgeglichen ist, ob sie nur speziell auf Dieses oder Jenes eingeht – Kunst ist weder Politik noch Wissenschaft. Sie hat ihre eigene Identität und spricht mit der ihr eigenen Stimme. Auch wenn sie eine leidenschaftliche Haltung gegenüber den großen Fragen der Menschheit einnimmt, die Kunst muss sich selbst immer bedingungslos treu bleiben.

Kunst ist in der Lage, voreingenommen und revolutionär zu sein, ohne je zur bloßen Propaganda zu verkommen. Sie muss von allen Einschränkungen befreit sein. Sie darf keinen Meister akzeptieren, sei es die Kirche oder die Moschee, der Staat oder die Wirtschaft. Der Künstler muss frei sein, seinen Gefühlen und Überzeugungen Ausdruck zu verleihen. Diese künstlerische Freiheit ist unvereinbar mit dem Kapitalismus, in welchem Banken und Monopole im Sinne der eigenen Profitinteressen entscheiden, was produziert wird – seien es T-Shirts oder Musik, Kunst und Literatur.

Kunst wird nur in einer Gesellschaft frei sein, in der alle Männer und Frauen frei sind und in den monetären Beziehungen durch wirkliche, menschliche Beziehungen ersetzt werden: im Sozialismus. Nur in einer Gesellschaft, die auf demokratischer und ausgeglichener Planung der Produktivkräfte basiert, gewinnen die Menschen die Kontrolle über ihr Leben und Schicksal. Nur in einer solchen Gesellschaft wird die Kunst den Stempel der Sklaverei verlieren und den Rang menschlicher Kunst einnehmen.

In der Klassengesellschaft hat auch die Kunst Klassencharakter. Sie neigt dazu, von der Gesellschaft isoliert zu werden und wird nur allzu oft als etwas Sonderbares, Fremdes und den meisten Menschen Fernliegendes angesehen. Nur indem wir die materielle Basis zerstören, in der diese Entfremdung wurzelt, können wir jene Chinesische Mauer niederreißen, die Kunst und Gesellschaft trennt.

Trotzki hat einmal geschrieben: "Wie viele Aristoteles hüten Schweine? Wie viele Schweinehirten sitzen auf einem Thron?" Indem er die Unterschiede zwischen körperlicher und geistiger Arbeit aufhebt, wird der Sozialismus einmal und für alle Ewigkeit jene Tür öffnen, die den Menschen für so lange Zeit den Zugang zu Kunst, Wissenschaft, Kultur und Regierung verwehrt hat. Es wird zu einer neuen Renaissance kommen, die die Errungenschaften des antiken Athen und des Florenz des 15. und 16. Jahrhunderts in den Schatten stellen wird.

Die bestmögliche Entwicklung der Kunst ist unvereinbar mit allen Arten der Einseitigkeit, einschließlich der nationalen Eindimensionalität. Der Surrealismus entsprang einer internationalen Bewegung, die das Vorhandensein gemeinsamer Gefühle und Sorgen auf globaler Ebene reflektiert hat. Dies lässt bereits erahnen, wie sich in Zukunft im Sozialismus tatsächlich eine Weltkultur und Kunst entwickeln werden.

Das großartige kulturelle Erbe Europas ist schon vor langer Zeit in einer Sackgasse gelandet – eine Tatsache, die den langen Niedergang des europäischen Kapitalismus widerspiegelt, der sich gegenwärtig mit neueren, dynamischeren Gegnern konfrontiert sieht. Die alte Welt hat nichts Interessantes mehr zu sagen. Der Mittelpunkt der Weltgeschichte hat sich – wie Trotzki es vorausgesehen hat – vom Mittelmeer an den Atlantik verlagert, um sich nun in Richtung Pazifik zu bewegen, wo sich die Zukunft der gesamten Welt entscheiden wird.

Die alten, antiquierten Grenzen, die die Menschen voneinander trennen, haben schon lange ihre historische Sinnhaftigkeit verloren. Sie hemmen den menschlichen Fortschritt im gleichen Ausmaß, wie die kommunalen Grenzen dies im Feudalismus taten. Ihre Bestimmung ist es, weggefegt zu werden und zweifellos wird es so geschehen. Besonders dringlich ist dies in Lateinamerika, diesem wunderbaren Kontinent, der über alles Nötige verfügt, um das Paradies auf Erden zu schaffen – der aber leider durch 200 Jahre Sklaverei und Armut balkanisiert und abgewertet wurde.

In einer sozialistischen Welt wird die Weisheit der lateinamerikanischen Völker eine unersetzliche Ingredienz in einer gemeinsamen Weltkultur sein - sobald die Menschheit ihre Spaltungen überwunden und als Gemeinschaft zusammengefunden hat. Die großen Traditionen der Maya und der Azteken, der Inka und aller anderen Völker des Kontinents werden eine Wiedergeburt auf einem noch nie dagewesenen Niveau erleben.

Wie wird das Wesen der neuen sozialistischen Kunst sein? Es ist unmöglich, dieses vorauszusehen und es ist auch nicht an uns, zukünftige Generationen zu belehren. Kunst wird immer den ihr innewohnenden Regeln folgen und sich nicht an vorangegangene Theorien halten. Vielmehr werden sie den Wünschen und Bedürfnissen jeder einzelnen Generation entsprechen. In einem können wir jedoch sicher sein: einen Mangel an Vielseitigkeit wird es nicht zu beklagen geben. Hunderte verschiedene Schulen werden wetteifern und diskutieren und zwar in einer Schule der Demokratie, in der es nicht eine handvoll schöngeistiger Wichtigtuer geben wird, sondern Millionen von Menschen. Daraus wird eine neue und überlegene Kultur entspringen, die alles, was wir jemals gesehen haben, bei Weitem übertreffen wird.

Es ist die Zukunft, in deren Namen wir kämpfen. Und in diesem Kampf müssen die Künstler von Heute ihre rechtmäßigen Plätze einnehmen – an vorderster Front in der Schlacht um den Sozialismus.

Wir schließen mit einem Zitat aus dem "Manifest für eine unabhängige revolutionäre Kunst":

"Unsere Ziele:
Die Unabhängigkeit der Kunst – für die Revolution!
Die Revolution – für die völlige Befreiung der Kunst!"


Dokumentiert:

André Breton [1]/Diego Riviera [2]:

ManifesT [3] für eine unabhängige revolutionäre Kunst [4]

Wir können ohne Übertreibung feststellen, daß die Zivilisation noch niemals so ernsthaft bedroht war, wie heute. Die Vandalen, deren Mittel barbarisch und somit vegleichsweise “ineffektiiv” waren, löschten die Kultur der Antike in einem Winkel Europas aus. Aber heute sehen wir, wie die schicksalhaft vereinte Weltzivilisation, unter den Schlägen der reaktionären Kräfte ins Trudeln gerät, die mit dem ganzen Arsenal der modernen Technologien ausgerüstet sind. Wir denken dabei keineswegs nur an den näherrückenden Weltkrieg. Selbst in Friedenszeiten ist die Situation von Kunst und Wissenschaft absolut unerträglich geworden.

Insofern sie vom Indiduum geschaffen wird, insofern sie subjektive Talente dazu veranlaßt, etwas zu schaffen, das sich als objektive Bereicherung der Kultur auswirkt, scheint jede philosophische, soziologische, wissenschaftliche oder künstlerische Entdeckung die Frucht eines kostbaren Zufalls zu sein, das heißt die mehr oder weniger spontane Manifestation von Notwendigkeit. Solche Schöpfungen dürfen nicht mit Geringschätzung behandelt werden, und zwar weder vom Standpunkt des allgemeinen Wissens (das die bestehende Welt interpretiert), noch von dem des revolutionären Wissens her (das, um die Welt besser verändern zu können, nach einer genauen Analyse der Gesetzmäßigkeiten verlangt, die ihre Bewegung bestimmen). Insbesondere können wir uns weder zu den intellektuellen Bedingungen, unter denen schöpferische Aktivität stattfindet, gleichgültig verhalten, noch dürfen wir es versäumen, die besonderen Gesetze zu beachten , unter denen intellektuelle schöpferische Tätigkeit geleistet wird.

In der heutigen Welt müssen wir die immer verbreitetere Zerstörung derjenigen Bedingungen erkennen, unter denen intellektuelles Schaffen möglich ist. Daraus folgt notwendig eine immer stärker zum Ausdruck kommende Entwertung nicht nur von Kunstwerken, sondern auch der spezifisch “künstlerischen Persönlichkeiten”. Das HitIerregime, das Deutschland von allen jenen Künstlern “gesäubert” hat, deren Werke, wie oberflächlich auch immer, die geringsten Sympathien für die Freiheit zum Ausdruck brachten, hat diejenigen, die noch bereit sind, Feder oder Pinsel in die Hand zu nehmen, auf den Status von Hausdienern des Regimes erniedrigt, deren Aufgabe darin besteht, es auf Befehl zu verherrlichen und zwar gemäß den denkbar schlechtesten ästhetischen Standards. Wenn den Berichten Glauben geschenkt werden kann, ist es in der Sowjetunion ebenso, wo die thermidorianische Reaktion jetzt ihren Höhepunkt erreicht.

Es versteht sich von selbst, daß wir uns nicht mit dem zur Zeit Mode gewordenen Scnlagwort: Weder Faschismus noch Kommunismus identifizieren, einer Parole, die der Stimmung der Philister, Konservativen, Feigen angepaßt ist, die sich an den zerfallenden Überresten einer “demokratischen” Vergangenheit festklammern. Wirkliche Kunst begnügt sich nicht damit, vorgefundene Modelle zu variieren, sonderm drängt danach, die inneren Bedürfnisse der Menschen - der Menschheit ihrer Zeit - auszudrücken, wirkliche Kunst kann gar nicht anders als revolutionär sein und einen völligen und radikalen Neuaufbau der Gesellschaft anstreben. Das muß sie tun, und sei es nur, um das intellektuelle Schaffen von allen Ketten zu befreien und es der Menschheit zu ermöglichen, sich zu jenen Höhen aufzuschwingen, die in der Vergangenheit nur von einzelnen Genies erreicht worden sind. Wir wissen, daß nur die soziale Revolution den Weg zu einer neuen Kultur frei machen kann. Wenn wir der Bürokratie, die heute die Sowjetunion unter Kontrolle hat, jede Solidarität verweigern, so gerade deshalb, weil sie in unseren Augen nicht den Kommunismus repräsentiert, sondern weil sie ihr tückischster und gefährlichster Feind ist.

Das totalitäre Regime der UdSSR hat durch die sogenannten kulturellen Organisationen, deren Arbeit es in anderen Ländern kontrolliert, auf der ganzen Welt eine zwielichtige Athmosphäre geschaffen, die allen geistigen Werten gegenüber feindlich ist. Ein Sumpf aus Schmutz und Blut, in dem als Intellektuelle und Künstler verkleidete Männer umherwaten, die ihre Karriere ihrer Servilität und ihrer Bereitschaft verdanken, für Geld zu lügen und aus der Bemäntelung von Verbrechen einen Quell der Freude machen. Mit einer Unverfrorenheit, die in der Geschichte beispiellos ist, widerspiegelt die offizielle Kunst des Stalinismus ihre Anstrengungen, gute Miene zu ihrer Käuflichkeit zu machen.

Der Widerwille, den diese schändliche Negation der künstlerischen Prinzipien der Kunst in der Welt der Künstler hervorruft, eine Negation, die selbst die Sklavenstaaten nicht gewagt haben, so weit zu treiben, sollte zum Ausgangspunkt ihrer aktiven und kompromißlosen Verurteilung werden. Die Opposition der Schriftsteller und Künstler kann ein nützlicher Beitrag zur Diskreditierung und zum Sturz jener Regime sein, die jedes Gefühl für Edelmut wenn nicht gar für menschliche Würde zerstören und damit auch das Recht des Proletariats, eine bessere Welt anzustreben.

Die kommunistische Revolution fürchtet die Kunst nicht. Sie ist sich bewußt, daß die Rolle des Künstlers in einer dekadenten kapitalistischen Gesellschaft bestimmt wird durch den Konflikt zwischen den Individuen und den verschiedeneri sozialen Formen, die ihm feindich gegenüberstehen. Diese Tatsache allein macht den Künstler, insofern er sich ihrer bewußt ist, zum natürlichen Verbündeten der Revolution. Der Prozeß der Sublimation, der hier ins Spiel kommt und den die Psychoanalyse analysiert hat, versucht das gestörte Gleichgewicht zwischen dem integralen “Ich” und den äußeren EIementen, die es ausschließt, wieder herzustellen. Diese Wiederherstellung des Gleichgewichts wirkt zum Vorteil für das "Ideal des Selbst", das gegen die unerträgliche gegenwärtige Realität all jener Kräfte der Innenwelt des “Es” rebelliert; die allen Menschen gemeinsam sind, die dauernd in Bewegung sind und sich entwickeln. Das Verlangen nach Emanzipation, das der individuelle Geist spürt, muß nur seinem natürlichen Lauf folgen, um sich mit dem Strom zwingender Notwendigkeiten zu vereinigen - dem Verlangen nach der Emanzipation des Menschen.

Es lohnt sich, sich der Konzeption von der Funktion des Schriftstellers zu erinnern, die der junge Marx ausarbeitete: “Der Schriftsteller”, sagte er, “betrachtet keineswegs seine Arbeiten als Mittel. Sie sind Selbstzwecke. Sie sind so wenig Mittel für ihn selbst und für andere, daß er ihrer Existenz seine Existenz aufopfert, wenn's not tut, ... Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein."[5]

Mehr denn je ist es an der Zeit, diese Feststellung jenen entgegenzusetzen, die geistige Arbeit für Zwecke einsetzen wollen, die ihr fremd sind und die der Kunst unter dem Deckmantel der Staatsräson ihre Themen vorschreiben wollen. Die freie Wahl seiner Themen und der uneingeschränkte Zugang zu ihnen - das sind Errungenschaften, auf die jeder Künstler ein unveräußerliches Recht hat. Im Bereich künstlerischen Schaffens muß die Phantasie von allen Zwängen befreit werden und darf sich unter keinem wie auch immer gearteten Vorwand Fesseln anlegen lassen. Jenen, die uns jetzt oder in Zukunft dazu auffordern, Kunst einer Disziplin zu unterwerfen, was mit ihrem Wesen von Grund auf unvereinbar ist, erteilen wir eine entschiedene Absage und wiederholen unsere feste Absicht, an der Forderung festzuhalten:

Uneingeschränkte Freiheit der Kunst

Wir erkennen natürlich das Recht des revolutionären Staates an, sich gegen Angriffe der Bourgoisie zu verteidigen. Das gilt auch in den Fällen, in denen sie sich mit der Fahne der Kunst und der Wissenschaft behängt. Aber zwischen den zeitweilig notwendigen, aufgezwungenen Maßnahmen zur revolutionären Selbstverteidigung und der Anmaßung, das geistige Schaffen kommandieren zu wollen, liegt ein Abgrund. Damit sich die materiellen Produktivkräfte entwickeln können und die Revolution ein sozialistisches Regime mit zentralisierter Kontrolle errichten kann, muß zuerst zur Entfaltung des geistigen Schaffens ein anarchistisches Regime individueller Freiheit gesichert werden! Keine Aufsicht, keine Vorschriften, keine Spur von Befehlen von oben! Nur auf der Grundlage freundschaftlicher Kooperation und ohne äußeren Zwang können Wissenschaftler und Künstler ihre Aufgaben erfüllen, die viel weitergehender sind als je zuvor in der Geschichte.

Es sollte bereits klar geworden sein, daß unsere Verteidigung der Gedankenfreiheit nicht von der Absicht getragen ist, politische Indifferenz zu rechtfertigen. Wir sind weit davon entfernt, eine sogenannte reine Kunst wiederbeleben zu wollen, die im allgemeinen den ganz und gar unreinen Zwecken der Reaktion dient. Unsere Wertschätzung der Kunst ist viel zu hoch, als das wir ihren Einfluß auf das Geschick der Gesellschaft negieren könnten. Wir meinen, daß die höchste Aufgabe der Kunst in unserer Epoche darin besteht, sich aktiv und bewußt an der Vorbereitung der Revolution zu beteiligen. Aber der Künstler kann dem Freiheitskampf nicht dienen, wenn er dessen sozialen Inhalt nicht erfaßt, wenn er nicht mit allen Fasern seines Herzens seinen Sinn und seine Dramatik erfaßt und nicht ungehindert sein inneres Erleben der Welt in seiner Kunst Ausdruck verleiht.

In der gegenwärtigen Epoche des sterbenden Kapitalismus, des demokratischen wie des faschistischen, sieht sich der Künstler in seinem Recht auf künstlerische Betätigung und sogar seinem Recht zu leben bedroht. Alle Wege der Kommunikation sind durch die Trümmer des kapitalistischen Zusammenbruchs verschüttet. Es ist nur natürlich, daß er sich den stalinistischen Organisationen zuwendet, die einen Ausweg aus der Isolation bieten. Aber wenn ein Künstler der völligen Demoralisierung entkommen will, kann er da nicht bleiben, weil ihm dort nicht die Möglichkeit geboten wird, seine eigene Aussage zu vermitteln und wegen der Kriecherei, die ihm diese Organisationen als Gegenleistung für gewisse materielle Vorteile abverlangen. Er wird einsehen, daß sein Platz woanders ist, nicht unter denen, die die Sache der Revolution und der Menschheit verraten, sondern bei denen, die vor ihr unerschütterlich und getreulich Zeugnis ablegen und deshalb allein in der Lage sind, sie herbeizuführen und mit ihr letztlich die freie Entfaltung aller Formen menschlicher Schöpferkraft.

Der Zweck dieses Aufrufs besteht darin, allen revolutionären Schriftstellern und Künstlern eine gemeinsame Plattform anzubieten, damit sie ihre Kunst um so besser in den Dienst der Revolution stellen können und die Freiheit dieser Kunst gegen die Usurpatoren der Revolution verteidigen können. Wir sind der Ansicht, daß auf dieser Grundlage die verschiedensten ästhetischen, philosophischen und politischen Strömungen zusammenfinden können. Marxisten und Anarchisten können hier mit Anarchisten zusammengehen, vorausgesetzt, daß sie beide den reaktionären Geist von Polizeistreifen zurückweisen, den Josef Stalin und sein Handlanger Garcia Oliver[6] repräsentieren.

Wir wissen sehr wohl, daß heute auf der ganzen Welt tausende und abertausende isolierter Künstler verstreut leben, deren Stimmen vom lauten Chor der gut disziplinierten Lügner übertönt werden. Hunderte kleiner Zeitschriften versuchen mit jungen Kräften ohne jede Subvention neue Wege zu entdecken. Der Faschismus unternimmt alles, sie als entartet zu vernichten. Umgekehrt nennen die Stalinisten jedes frei geschaffene Werk "faschistisch". Alle Kräfte der unabhängigen revolutionären Kunst müssen heute für den Kampf gegen reaktionäre Verfolgungen gebündelt werden. Sie müssen lauthals ihr Recht auf Existenz proklamieren. Die Vereinigung dieser Kräfte ist das Ziel des Internationalen Bundes für unabhängige revolutionäre Kunst, dessen Gründung wir für nötig erachten.

Wir betrachten dieses Manifest als einen ersten Schritt dahin. Wir machen die Zustimmung zu jeder einezelnen der hier vorgetragenen Ideen keinesfalls zur Vorbedingung für eine Teilnahme. Wir fordern jeden Freund und Verteidiger der Kunst, der diesen Aufruf mit uns für notwendig hält, dringend auf, sich Gehör zu verschaffen. Wir richten denselben Aufruf an alle Publikationen der Linken, die bereit sind, sich an einem solchen Bund zu beteiligen, über seine Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten nachzudenken.

Wenn durch die Presse und Korrespondenzen ein vorläufiger internationaler Kontakt hergestellt ist, werden wir zunächst lokale und nationale Kongresse in bescheidenem Umfang und später einen Weltkongreß als offiziellen Gründungsakt des Internationalen Bundes durchführen.

Unsere Ziele:

Unabhängigkeit der Kunst - für die Revolution!
Revolution - für die vollständige Befreiung der Kunst!


[1] André Breton, 18.02.1896-28.09.1966, war der führende Literat und seit 1924 Theoretiker der surrealistischen Bewegung in Frankreich. Sein Ziel war die soziale Revolution und mit ihr die Revolution des individuellen Lebens. Er bemühte sich um eine Kunst, die das Unterbewußte zum Ausdruck bringt und so nicht zuletzt auch in Träumen und Phantasien ihren Gegenstand findet. Dabei sollten die Grenzen der bürgerlichen Moral, auch der Sexualmoral, überschritten werden. Zur (organisierten) surrealistischen Bewegung gehörten zeitweilig u.a. Paul Éluard, Max Ernst, Louis Aragon, bis zu seinem Ausschluß 1937 Salvador Dali, Paul Delveux, Marc Chagall, Frida Kahlo, Joan Miro, Man Ray, Jean Dubuffet, Marcel Duchamp, Dorothea Tanning und Pablo Picasso. Breton brach 1935 mit der KPF, kämpfte gegen Franco in Spanien und nahm später gegen den Algerienkrieg Frankreichs Stellung.


[2] Diego Riviera, 08.12.1886 - 24.11.1957, mexikanischer Maler, berühmt durch seine großartigen Wandgemälde in Mexico City und in den USA.


[3] Übersetzung: Dieter Elken

[4] Das Manifest wurde im Herbst 1938 in der amerikanischen Zeitschrift "Partisan Review" veröffentlicht. Breton versicherte später, es sei das Ergebnis von Diskussionen, die er mit Leo Trotzki und Diego Riviera in Mexico geführt habe. Trotzki habe inhaltlich den Hauptteil beigetragen, obwohl er es nicht unterzeichnet habe. Dieselben Grundgedanken finden sich auch in Trotzkis Büchern "Literatur und Revolution" sowie in "Verratene Revolution" wieder. Die Schaffung eines Internationalen Bundes für eine unabhängige revolutionäre Kunst wurde letztlich durch den 2. Weltkrieg vereitelt.

[
5] Karl Marx: Debatten über die Preßfreiheit, MEW Bd. 1, S.71

[6] Juan Garcia Oliver, 1901 -1980, führender katalanischer Anarchosyndikalist, Mitarbeiter von Durruti, trat während des Bürgerkriegs als Justizminister in die republikanische Regierung in Madrid ein. Während seiner Amtszeit (von 1936-37) unterstützte er im Mai 1937 die von der Volksfrontregierung mit militärischen Mitteln durchgesetzte Entwaffnung der Arbeiter in Barcelona.



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