Marxistische Philosophie


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Was ist philosophischer Materialismus?

Aus W. I. Lenins “Karl Marx - Kurzer biographischer Abriß mit einer Darlegung des Marxismus” (Lenin Werke 21: 39ff)

Von 1844/1845 an, den Jahren, in denen sich Marx‘ Anschauungen geformt hatten, war Marx Materialist, und zwar im besonderen Anhänger L. Feuerbachs, dessen schwache Seiten er auch später ausschließlich darin erblickte, daß sein Materialismus nicht genügend folgerichtig und allseitig war. Marx sah die weltgeschichtliche, „epochemachende“ Bedeutung Feuerbachs gerade in dem entschiedenen Bruch mit dem Hegelschen Idealismus und in der Verkündung des Materialismus, der schon im 18. Jahrhundert, namentlich in Frankreich, „nicht nur ein Kampf gegen die bestehenden politischen Institutionen, wie gegen die bestehende Religion und Theologie war, sondern ebensosehr... gegen alle Metaphysik“ (im Sinne der „trunkenen Spekulation“ zum Unterschied von der „nüchternen Philosophie“) („Die heilige Familie“ im „Literarischen Nachlaß“). „Für Hegel“, schrieb Marx, „ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg“ (Schöpfer, Erzeuger) „des Wirklichen... Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“ („Das Kapital“, I, Nachwort zur 2. Auflage.) In völliger Übereinstimmung mit dieser materialistischen Philosophie von Marx schrieb Fr. Engels, als er sie im „Anti-Dühring“ darlegte (siehe daselbst) — Marx hatte sich mit diesem Werk im Manuskript bekannt gemacht:

„Die Einheit der Welt besteht nicht in ihrem Sein ... Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen... durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft... Die Bewegung ist die Daseinsweise der Materie. Nie und nirgends hat es Materie ohne Bewegung gegeben, oder kann es sie geben ... Materie ohne Bewegung ist ebenso undenkbar wie Bewegung ohne Materie ... Fragt man ... , was denn Denken und Bewußtsein sind und woher sie stammen, so findet man, daß es Produkte des menschlichen Hirns und daß der Mensch selbst ein Naturprodukt, das sich in und mit seiner Umgebung entwickelt hat; wobei es sich dann von selbst versteht, daß die Erzeugnisse des menschlichen Hirns, die in letzter Instanz ja auch Naturprodukte sind, dem übrigen Naturzusammenhang nicht widersprechen, sondern entsprechen.“

„Hegel war Idealist, d. h., ihm galten die Gedanken seines Kopfs nicht als die mehr oder weniger abstrakten Abbilder“ (zuweilen spricht Engels von „Abklatsch“) „der wirklichen Dinge und Vorgänge, sondern umgekehrt galten ihm die Dinge und ihre Entwicklung nur als die verwirklichten Abbilder der irgendwo schon vor der Welt existierenden ,Idee‘.“

In seiner Schrift „Ludwig Feuerbach“, in der Friedrich Engels seine und Marx‘ Ansichten über die Philosophie Feuerbachs darlegt und die Engels erst nach erneuter Durchsicht ihres gemeinsamen alten Manuskripts aus den Jahren 1844/1845 über Hegel, Feuerbach und die materialistische Geschichtsauffassung in Druck gab, schreibt Engels:

„Die große Grundfrage aller, speziell neueren Philosophie ist die nach dem Verhältnis von Denken und Sein ... des Geistes zur Natur ... Was ist das Ursprüngliche, der Geist oder die Natur? ... Je nachdem diese Frage so oder so beantwortet wurde, spalteten sich die Philosophen in zwei große Lager. Diejenigen, die die Ursprünglichkeit des Geistes gegenüber der Natur behaupteten, also in letzter Instanz eine Weltschöpfung irgendeiner Art annahmen..., bildeten das Lager des Idealismus. Die andern, die die Natur als das Ursprüngliche ansahen, gehören zu den verschiednen Schulen des Materialismus.“

Jeder andere Gebrauch der Begriffe Idealismus und Materialismus (im philosophischen Sinne) stiftet nur Verwirrung. Marx verwarf entschieden nicht nur den in dieser oder jener Weise stets mit der Religion verbundenen Idealismus, sondern auch den in unseren Tagen besonders verbreiteten Standpunkt von Hume und Kant, den Agnostizismus, Kritizismus, Positivismus in verschiedenen Lesarten; eine derartige Philosophie ihm als „reaktionäre“ Konzession an den Idealismus und im besten Falle als „verschämte Weise, den Materialismus hinterrücks zu akzeptieren und vor der Welt zu verleugnen“. Siehe zu dieser Frage außer den schon genannten Schriften von Engels und Marx den an Engels gerichteten Marxschen Brief vom 12. Dezember 1868, in dem Marx feststellt, dass der bekannte Naturforscher Th. Huxley „materialistischer“ als sonst bei ihm üblich aufgetreten sei und zugegeben habe: „Solange wir wirklich beobachten und denken, können wir nie aus dem Materialismus hinaus“; zugleich wirft Marx ihm vor, er habe sich eine „Hintertür“ zum Agnostizismus, Humeismus geöffnet. Besonders hervorgehoben werden muß Marx“ Auffassung über das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit: „Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird … Die Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“ (Engels im „Anti-Dühring“) = Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur und der dialektischen Verwandlung der Notwendigkeit in die Freiheit (zugleich mit der Verwandlung des unerkannten, aber erkennbaren „Dings an sich“ in ein „Ding für uns“, des „Wesens der Dinge“ in „Erscheinungen“). Den Hauptmangel des „alten“ Materialismus, darunter des Feuerbachschen (und erst recht des „vulgären“ Materialismus der Büchner, Vogt und Moleschott), sahen Marx und Engels darin: 1. dass dieser Materialismus ein „vorwiegend mechanischer“ war, der die neueste Entwicklung der Chemie und Biologie (in unseren Tagen wäre noch hinzuzufügen: der elektrischen Theorie der Materie) nicht berücksichtigte; 2. dass der alte Materialismus unhistorisch, undialektisch war (metaphysisch im Sinne von Antidialektik) und den Standpunkt der Entwicklung nicht konsequent und allseitig zur Geltung brachte; 3. dass man „das menschliche Wesen“ als Abstraktem und nicht als „das Ensemble der“ (konkret-historisch bestimmten) „gesellschaftlichen Verhältnisse“ auffasste und deshalb die Welt nur „interpretierte“, während es darauf ankommt, sie „zu verändern“, d. h., dass man die Bedeutung der „revolutionären, der praktischen Tätigkeit“ nicht begriff.

 

Was ist Dialektik?

Aus W. I. Lenins “Karl Marx - Kurzer biographischer Abriß mit einer Darlegung des Marxismus” (Lenin Werke 21: 41ff)

In der Hegelschen Dialektik als der umfassendsten, inhaltsreichsten und tiefsten Entwicklungslehre sahen Marx und Engels die größte Errungenschaft der klassischen deutschen Philosophie. Jede andere Formulierung des Prinzips der Entwicklung, der Evolution, hielten sie für einseitig und inhaltsarm, für eine Entstellung und Verzerrung des wirklichen Verlaufs der (sich nicht selten in Sprüngen, Katastrophen, Revolutionen vollziehenden) Entwicklung in Natur und Gesellschaft.

„Marx und ich waren wohl ziemlich die einzigen, die ... die bewußte Dialektik in die materialistische Auffassung der Natur... hinüber gerettet hatten“ (aus der Zerschlagung des Idealismus, einschließlich des Hegelianertums). „Die Natur ist die Probe auf die Dialektik, und wir müssen es der modernen Naturwissenschaft nachsagen, daß sie für diese Probe ein äußerst reichliches“ (geschrieben vor der Entdeckung des Radiums, der Elektronen, der Verwandlung der Elemente u. dgl. m.!), „sich täglich häufendes Material geliefert und damit bewiesen hat, daß es in der Natur, in letzter Instanz, dialektisch und nicht metaphysisch hergeht.“

„Der große Grundgedanke“, schreibt Engels, „daß die Welt nicht als ein Komplex von fertigen Dingen zu fassen ist, sondern als ein Komplex von Prozessen, worin die scheinbar stabilen Dinge, nicht minder wie ihre Gedankenabbilder in unserm Kopf, die Begriffe, eine ununterbrochene Veränderung des Werdens und Vergehens durchmachen... - dieser große Grundgedanke ist, namentlich seit Hegel, so sehr in das gewöhnliche Bewußtsein übergegangen, daß er in dieser Allgemeinheit wohl kaum noch Widerspruch findet. Aber ihn in der Phrase anerkennen und ihn in der Wirklichkeit im einzelnen auf jedem zur Untersuchung kommenden Gebiet durchführen, ist zweierlei.“ „Vor ihr“ (der dialektischen Philosophie) „besteht nichts Endgültiges, Absolutes, Heiliges; sie weist von allem und an allem die Vergänglichkeit auf, und nichts besteht vor ihr als der ununterbrochne Prozeß des Werdens und Vergehens, des Aufsteigens ohne Ende vom Niedern zum Höhern, dessen bloße Widerspiegelung im denkenden Hirn sie selbst ist.“

Demnach ist die Dialektik nach Marx „die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen der Bewegung, sowohl der äußern Welt wie des menschlichen Denkens“.

Diese, die revolutionäre Seite der Hegelschen Philosophie wurde von Marx übernommen und weiterentwickelt. Der dialektische Materialismus „braucht keine über den andern Wissenschaften stehende Philosophie mehr“. Was von der bisherigen Philosophie noch bestehenbleibt, ist „die Lehre vom Denken und seinen Gesetzen - die formelle Logik und die Dialektik“. Die Dialektik in der Marxschen ebenso wie in der Hegelschen Auffassung schließt aber in sich das ein, was man heute Erkenntnistheorie bzw. Gnoseologie nennt, die ihren Gegenstand gleichfalls historisch betrachten muss, indem sie die Entstehung und Entwicklung der Erkenntnis, den Übergang von der Unkenntnis zur Erkenntnis erforscht und verallgemeinert.

In unserer Zeit ist die Idee der Entwicklung, der Evolution, nahezu restlos in das gesellschaftliche Bewusstsein eingegangen, jedoch auf anderen Wegen, nicht über die Philosophie Hegels. Allein in der Formulierung, die ihr Marx und Engels, ausgehend von Hegel, gegeben haben, ist diese Idee viel umfassender, viel inhaltsreicher als die landläufige Evolutionsidee. Eine Entwicklung, die die bereits durchlaufenen Stadien gleichsam noch einmal durchmacht, aber anders, auf höherer Stufe („Negation der Negation“), eine Entwicklung, die nicht geradlinig, sondern sozusagen in der Spirale vor sich geht; eine sprunghafte, mit Katastrophen verbundene, revolutionäre Entwicklung; „Abbrechen der Allmählichkeit“; Umschlagen der Quantität in Qualität; innere Entwicklungsantriebe, ausgelöst durch den Widerspruch, durch den Zusammenprall der verschiedenen Kräfte und Tendenzen, die auf einen gegebenen Körper einwirken oder in den Grenzen einer gegebenen Erscheinung oder innerhalb einer gegebenen Gesellschaft wirksam sind; gegenseitige Abhängigkeit und engster, unzertrennlicher Zusammenhang aller Seiten jeder Erscheinung (wobei die Geschichte immer neue Seiten erschließt), ein Zusammenhang, der einen einheitlichen, gesetzmäßigen Weltprozess der Bewegung ergibt - das sind einige Züge der Dialektik als der (im Vergleich zur üblichen) inhaltsreicheren Entwicklungslehre. (Vgl. Marx‘ Brief an Engels vom 8. Januar 1868 mit dem Spott über Steins „hölzerne Trichotomien“, die mit der materialistischen Dialektik zu verwechseln Unsinn wäre.)

 

Was ist Entfremdung?

Die Grundlage der Entfremdung im Kapitalismus ist die Entfremdung des Arbeiters vom Produkt seiner Arbeit und die Mystifizierung der kapitalistischen Ausbeutung, die versucht, das reale Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital zu verbergen. Aus dieser verborgenen Ausbeutung entsteht der Warenfetisch, bei dem Dinge (Waren) die Eigenschaften von Lebewesen annehmen und Menschen auf die Ebene von „Dingen“ degradiert werden. Diese verzerrten, mystifizierten („entfremdeten“) Beziehungen sickern tief ins menschliche Bewusstsein und werden dann als etwas Natürliches und Unvermeidliches angesehen. Daher werden Arbeiter in der englischen Sprache als „Hände“ bezeichnet, und wir bezeichnen einen Mann oft als „eine Milliarde Dollar wert“. Die Grundlage dieser Entfremdung liegt jedoch bei den Produktions- und Eigentumsverhältnissen, die nur rechtliche Ausdrücke für Selbiges sind. Dies wird im sehr tiefgreifenden und dialektischen Kapitel im ersten Band des Kapitals „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ erläutert.

 

Was ist mit Marxismus und Existentialismus, Postmodernismus usw.?

Viele Menschen fragen sich, ob die Ideen von Jean Paul Sartre, Existentialismus, Phänomenologie, „Neue Linke“, Poststrukturalismus und Postmodernismus irgendwie mit der Denkweise von Marx vereinbar seien. Diese Strömungen stellen einen kleinbürgerlichen Versuch dar, Interpretationen der Welt zu finden, die sich vom Marxismus unterscheiden. Das ist ihr gemeinsamer Nenner und Grundprinzip. Sie gehen von ganz anderen Prämissen aus und können daher nicht mit dem Marxismus vereinbar gemacht werden.

Marx begann mit einem Studium der Philosophiegeschichte. Bei dem Versuch, die Entwicklung der Philosophie und dessen zu verstehen, was diese widerspiegelt, gelangte er zu dem Schluss, dass die Entwicklung der Produktionsmittel letztendlich der Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung der Gesellschaft war. Bedeutet dies, dass der Kausalzusammenhang zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte direkt und automatisch ist? Wenn das der Fall wäre, wäre unsere Aufgabe überflüssig, weil eine Revolution unnötig wäre. Der springende Punkt ist, dass der Prozess dialektisch ist. Er beinhaltet einen Widerspruch zwischen den Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung und der unvermeidlichen Verzögerung des menschlichen Bewusstseins, der Ideen, Theorien, Institutionen, der Moral usw. Denn das menschliche Bewusstsein hinkt der wirtschaftlichen Entwicklung und ihren Notwendigkeiten hinterher. Jedenfalls trifft es zu, dass letztlich die Entwicklung der Produktivkräfte entscheidend ist. Wer dies leugnet, wird im Chaos enden.

Diese kleinbürgerlichen Denker bewegen sich in die entgegengesetzte Richtung. Sie entfernen sich von der ökonomischen Basis und enden beim „Individualismus“. Sie fechten den Klassenansatz zum Verständnis der Gesellschaft gerade deshalb an, weil er mit ihrer eigenen individualistischen Denkweise in einen Konflikt gerät. Diese Damen und Herren verbringen ihr ganzes Leben in ziellosen „theoretischen“ Irrfahrten, die der realen Bewegung der Gesellschaft und der Arbeiterklasse niemals nahe kommen. Sie sind in ihre akademische Welt eingesperrt und können sich der Politik als Hobby hingeben.

Die Fäulnis des Kapitalismus wirkt sich auch auf das Gebiet der Ideologie und Kultur aus. Die Philosophie unserer Zeit ist in eine Phase des irreversiblen Verfalls eingetreten. Bei allen Strömungen der modernen westlichen Philosophie sucht man vergeblich nach einer einzigen Idee, die nicht vor nicht allzu langer Zeit und von anderen weitaus besser ausgedrückt wurde. Die bürgerliche Philosophie ist am Rebstock verwelkt. Sie hat nichts Neues oder Sinnvolles mehr zu sagen. Aus diesem Grund unterliegt sie zu Recht einer allgemeinen Verachtung, genauer gesagt einer Gleichgültigkeit. Auch hier machen sich die krassen Auswirkungen der extremen Arbeitsteilung mit aller Macht bemerkbar. Die Akademiker leben isoliert in ihren Elfenbeintürmen und schreiben obskure Thesen, die von anderen Akademikern gelesen und manchmal beantwortet werden. Nur wenige Leute verstehen, was sie schreiben. Noch weniger interessiert es überhaupt noch!

Nehmen wir den Existenzialismus. Dies ist eine der leersten „Philosophien“ (es wäre falsch, sie mit diesem Namen zu würdigen) der modernen Bourgeoisie. Der Existenzialismus hat seine Wurzeln in der irrationalsten Strömung der Philosophie des 19. Jahrhunderts, die von Nietzsche und Kierkegaard geprägt wurde. Sie hat die unterschiedlichsten Formen und politischen Färbungen angenommen. Es gab eine religiöse Strömung (Marcel, Jaspers, Berdjajew und Buber) und eine atheistische (Heidegger, Sartre, Camus). Das häufigste Merkmal ist jedoch extremer Subjektivismus, der sich in seinem bevorzugten Vokabular widerspiegelt: seine Schlagworte - „In der Welt sein“, „Furcht“, „Fürsorge“, „Dem Tod entgegen sein“ und dergleichen. Ein erster Vorläufer war Edmund Husserl, ein deutscher Mathematiker, der zum Philosophen wurde. Seine „Phänomenologie“ war eine Form des subjektiven Idealismus, der auf der „individuellen, persönlichen Welt, wie sie direkt erlebt wurde, mit dem Ego im Mittelpunkt“ basierte.

Im Existenzialismus dreht sich alles um den Moment. Alles, was man erreichen kann, liegt in dem Moment, in dem man lebt, und alles zuvor oder danach wird irrelevant. Es ist eine individualistische und äußerst pessimistische Sicht der Welt, die mit der Psychologie des kleinbürgerlichen Intellektuellen völlig eins ist. Dies ist das genaue Gegenteil des Marxismus und führt unweigerlich weg von einem Klassenverständnis. Demnach wäre es irrelevant, die Vergangenheit zu studieren, um Gesamtprozesse studieren zu können. Man müsse für den Moment und für sich selbst leben. Diese Denkschule entwickelte sich auf der Grundlage des Kleinbürgertums der 1930er Jahre, das durch die Wirtschaftskrise ruiniert und zwischen der Arbeiterklasse und den großen Banken und Monopolen zerschlagen wurde. Politisch und persönlich desorientiert und ohne Perspektive hatten sie keine Hoffnung mehr in die Zukunft. Eine Gruppe von Existentialisten arbeitete mit den Nazis (Heidegger) zusammen, während eine andere Gruppe eine Zeitlang in die Umlaufbahn des Stalinismus (Sartre) geriet. In keinem Fall haben sie ihren im wesentlichen kleinbürgerlichen idealistischen Charakter verloren.

Mit dem Existentialismus beobachten wir faktisch die vollständige Auflösung der modernen Philosophie. Nun kann man durchaus und wohl zu Recht sagen, dass diese Weltanschauung den Irrationalismus des kapitalistischen Systems in seiner Zeit des senilen Zerfalls widerspiegelt. Es wäre nicht schwer nachzuweisen, dass in jeder Periode des Niedergangs ähnliche philosophische Strömungen aufgetaucht sind. Sie spiegeln den Pessimismus der Intellektuellen wider, die mit einem recht komfortablen Leben der Gesellschaft den Rücken kehren und in der „dunklen Nacht der Seele“ nach Erlösung suchen.

Jean-Paul Sartre unternahm den Versuch, den Existentialismus mit dem „Marxismus“ (eigentlich Stalinismus) zu vereinen, und traf auf vorhersehbare Ergebnisse. Man kann Öl und Wasser nicht vereinen. Sartres Denken kann nicht als zusammenhängender Körper philosophischer Ideen beschrieben werden. Es ist ein ungeordnetes Durcheinander von Begriffen, die von verschiedenen Philosophen stammen, insbesondere von Descartes und Hegel. Das Endergebnis ist völlige Zusammenhanglosigkeit, durchdrungen von einem Geist des Pessimismus und Nihilismus. Für Sartre ist die grundlegende philosophische Erfahrung Übelkeit, ein Gefühl des Ekels über die absurde und unverständliche Natur des Seins. Alles ist in Nichts aufgelöst. Dies ist eine Karikatur von Hegel, der die Welt sicherlich nicht für unverständlich hielt. In Sartres Schriften wird der Hegelsche Jargon so verwendet, dass selbst Hegels dunkelste Passagen als Beispiele der Klarheit erscheinen.

Jean-Paul Sartre vertrat den „linken“ Flügel des Existentialismus im Gegensatz zum offen faschistischen Flügel. Das ist ihm anzurechnen. Aber er hat nie mit der mystischen idealistischen Grundlage des Existentialismus gebrochen und sich mit „Sein und die Drohung des Nichts“, „Wahlfreiheit“, „Pflicht“ usw. befasst. Ein Gefühl des bevorstehenden Schicksals und ein Gefühl der Ohnmacht und „Furcht“ füllen diese Schriften, begleitet von dem Versuch, auf individueller Basis nach einer Alternative zu suchen. Dies drückte eine gewisse Stimmung unter den Intellektuellen nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland und dann in Frankreich aus. Was darauf hindeutet, ist die tiefe Krise des Liberalismus infolge des „Großen Krieges“ und der darauf folgenden Umwälzungen. Sie sahen die Probleme der Gesellschaft, konnten aber keine Alternative sehen.

All dem liegt das Gefühl der Ohnmacht des isolierten Intellektuellen gegenüber einer feindlichen und verständnislosen Welt zugrunde. Mit anderen Worten, die übliche Einstellung der kleinbürgerlichen Intellektuellen. Der Versuch, aus der bösen Welt in den Individualismus zu entkommen, wird in Sartres berühmten (oder berüchtigten) Satz zusammengefasst: „L’enfer, c’est les autres“ („Die Hölle, das sind die anderen“). Wie dieser Ausblick jemals mit dem revolutionären Optimismus des dialektischen Materialismus in Einklang gebracht werden könnte, ist schwer vorstellbar. Aber niemand konnte Sartre jemals der Beständigkeit bezichtigen. Natürlich ist es ihm zu verdanken, dass er sich für fortschrittliche Zwecke wie Vietnam einsetzte und sich 1968 mit der Bewegung der französischen Arbeiter und Studenten solidarisierte. Aus philosophischer und psychologischer Sicht war die Position von Sartre dem Marxismus jedoch völlig fremd.

 

Über die vorherrschenden Ideen eines Zeitalters

Aus Marx und Engels, Die deutsche Ideologie – 1846

Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse. Dementsprechend ist die Klasse, welche die herrschende materielle Kraft der Gesellschaft ist, gleichzeitig auch ihre herrschende intellektuelle Kraft. Die Klasse, der die Mittel der materiellen Produktion zur Verfügung stehen, hat gleichzeitig die Kontrolle über die Mittel der geistigen Produktion, sodass damit im allgemeinen die Ideen derer unterworfen sind, denen die Mittel der geistigen Produktion fehlen. Die herrschenden Ideen sind nichts weiter als der ideale Ausdruck der dominanten materiellen Beziehungen, die als Ideen begriffen werden – also der Beziehungen, welche die eine Klasse zur herrschenden machen, folglich die Ideen ihrer Dominanz. Die Individuen, aus denen sich die herrschende Klasse zusammensetzt, besitzen unter anderem daher ihr Bewusstsein und denken in diesem Sinne. Insofern sie also als Klasse herrschen und das Ausmaß und den Kompass einer Epoche bestimmen, liegt es auf der Hand, dass sie dies in ihrer ganzen Bandbreite tun – also unter anderem auch als Denker, als Ideenproduzenten herrschen, und die Produktion und Verbreitung der Ideen ihres Zeitalters regulieren. Somit sind ihre Ideen die herrschenden Ideen der Epoche.

 

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