Kategorie: Ökologie

Kampf um den „Danni“ – wer profitiert?

Begleitet von massiven Polizeieinsätzen laufen am Dannenröder Forst mitten in Hessen die Rodungsarbeiten weiter. Damit soll der Weg für den 31 Kilometer langen „Lückenschluss“ der Autobahn A49 gebahnt werden.

Bild: derfunke


Umweltaktivisten und viele Anwohner aller Altersstufen beklagen tagtäglich Polizeigewalt und Übergriffe. Viele Bewohner in den Dörfern entlang der Trasse wurden aus ihrem bislang beschaulichen Leben gerissen und nehmen die uniformierten Beamten als „Besatzer“ wahr.

Die A49 ist ein uraltes Autobahnprojekt aus den 1970er Jahren. Die Trasse soll die nordhessische Metropole Kassel mit dem mittelhessischen Gießen verbinden. Dabei besteht hier schon längst eine nur wenige Kilometer längere Autobahnverbindung zwischen beiden Städten über die A7 und A4. Für den durchgehenden Verkehr auf der A49 fehlt noch ein rund 31 Kilometer langes Teilstück zwischen Schwalmstadt und dem geplanten Ohmtaldreieck an der A4, das jetzt bis 2024 gebaut werden soll.

Die Autobahn soll mitten durch einen gesunden Mischwald führen, den Dannenröder Forst. Kritiker und Gegner des Autobahnbaus nennen das Waldstück liebevoll „Danni“. Anders als die Mehrheit der deutschen Wälder gilt dieser 300 Jahre alte Mischwald noch als gesund, vorbildlich und ökologisch wertvoll. Er ist zugleich Wasserschutzgebiet und wesentlicher Trinkwasserspeicher für Mittelhessen und das Rhein-Main-Ballungsgebiet. Der „Danni“ ist übrigens Privatwald und gehört der Adelsfamilie Freiherr Schenck zu Schweinsberg. Deren Forstverwaltung, das Freiherrlich Schenck´sche Forstamt Schweinsberg, ist eine von verschiedenen Mitgliedern der Familie getragene Gesellschaft.

Dass dieses und einige andere Waldstücke jetzt mit einem riesigen Polizeiaufgebot gerodet werden, bringt viele Menschen aus der Region und Umweltschützer aus Nah und Fern auf die Palme. So hielten seit knapp einem Jahr Umweltaktivisten Bäume im Dannenröder Forst besetzt. Die Protestbewegung hält an. Viele Bewohner umliegender Dörfe standen und stehen ihnen mit praktischer Hilfe bei.

Bei den Polizeieinsätzen in den vergangenen Wochen wurden nach Augenzeugenberichten wiederholt Menschen teilweise schwer verletzt. Die Polizei setzt auch Elektroschockgeräte (sogenannte Taser) ein. „Leuten wurde in den Rücken geprügelt“ so eine Augenzeugin. Selbst ein 80 Jahre alter Mann wurde verhaftet und abgeführt. Menschen wurden zu Hausarrest verdonnert. Andere mussten in Handschellen halbnackt stundenlang im Freien stehen. Eine TV-Journalistin stellte jüngst fest, dass sie eine derartige Brutalität nicht einmal in einem Jahr Dreharbeiten am Hambacher Forst erlebt habe. „Zahlreiche Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit“ beklagt auch Alexander Starck, Pfarrer in dem Dort Maulbach. „Seit Beginn der Rodungsarbeiten erleben wir hier eine bisher für uns unbekannte Polizeipräsenz.“ Starck prangert einen „teils menschenverachtenden Umgang bei Verhaftungen“ an. „Rund um die Uhr gibt es Fahrten von Polizeikolonnen. Wenn die Sonne untergeht, wird durch Flutlichtanlagen die Gegend rund um das Dorf taghell erleuchtet“, berichtet er. „In meinem Heimatdorf ist Krieg. Ich bin total unglücklich“, berichtet Susanne Gellert, Tochter eines Försters aus der Region. Solche und viele ähnliche Berichte, die von Besetzern und Anwohnern tagtäglich über soziale Netzwerke verbreitet werden, sprechen für sich und die brutale Gewalt, mit der die federführende schwarz-grüne Landesregierung in Hessen jetzt die Rodungs- und Baumaßnahmen exekutiert. Seit Beginn der Rodungsarbeiten am Dannenröder Forst am 10. November 2020 finden die Arbeiten an sieben Tagen in der Woche statt.

Die Gegner des Autobahnbaus gehen davon aus, dass eine durchgehende Autobahn samt Zubringern noch mehr Verkehr in die Region bringt. Initiativen haben längst konkrete Alternativen aufgezeigt und nachgewiesen, dass einige Ortsumgehungsstraßen und andere Maßnahmen die Verkehrsbelästigung für Anwohner von Ortsdurchfahrten deutlich mindern würden.

Auch mit dem Ziel, einen Raubbau an der Natur zu verhindern, wie er von solchen Mega-Baumaßnahmen ausgeht, waren vor 40 Jahren die Grünen entstanden. Über Jahrzehnte haben sie ihren Ruf als Umweltpartei kultiviert, auch wenn sie längst ihre ökologischen Wurzeln aufgegeben haben. In Hessen regiert die einstige Ökopartei seit 2014 geräuschlos mit der CDU und stellt im schwarz-grünen Kabinett mit Tarek Al-Wazir den Verkehrsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten. Und in dieser Funktion vollzieht er die Maßnahmen für die Rodung und den Autobahnbau. Seine Regierung ist verantwortlich für den Polizeieinsatz vor Ort. Angeblich tut Al-Wazir das alles „nicht sehr gerne“. Er rechtfertigt sich laut Lokalpresse damit, „dass wir diesen Kampf verloren haben“.

Privateigentum und Profitinteresse zerstören die Natur

Doch wenn Al-Wazir von „Rechtsstaat“ und „Baurecht“ redet, das er ausführen müsse, dann ist diese formalistische Argumentation bei näherer Betrachtung nicht stichhaltig. Denn die für den Bau der A49 vorgesehene Trasse gehört noch nicht vollständig dem Bund. Entsprechende Verfahren laufen noch vor Gerichten, zumal vier Gesellschafter des Freiherrlich Schenck´schen Forstamts Schweinsberg (FSF GmbH) und drei Bauern mit Grundstücken entlang der Trasse der Enteignung zu Gunsten des Autobahnbaus bisher noch nicht zugestimmt haben. Für die aktuellen Fällarbeiten im Dannenröder Forst wurde die FSF GmbH angeheuert. Ist dies vielleicht Teil einer üppigen Entschädigung der Adelsfamilie aus öffentlichen Kassen? Über Details hüllen sich die Vertragspartner in Schweigen.

Zudem geht aus einem vor wenigen Tagen gefällten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hervor, dass der von vielen geforderte Rodungsstopp rechtlich möglich ist. Dies hat damit zu tun, dass die geplante Trasse über ein Wasserschutzgebiet führt. Im vergangenen heißen Sommer war schon in nahen Dörfern die Trinkwasserversorgung versiegt und musste der Trinkwassernotstand ausgerufen werden. Das Gericht stellte nun ausdrücklich fest, dass der Planfeststellungsbeschluss für den Bau der A49 rechtswidrig sei, weil Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorgaben des nationalen und europäischen Wasserrechts vorlägen. „Baurecht heißt nicht Baupflicht. Im Gegenteil. Auch bestehendes Baurecht muss ausgesetzt werden bis etwaige materielle Mängel im Wasserrecht behoben sind“, erklärt der Umweltverband BUND. Somit habe der hessische Verkehrsminister durchaus „Handlungsspielräume, um die Rodungsarbeiten im Dannenröder Wald sofort zu stoppen und ein Planergänzungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung einzuleiten, in dem geprüft werden kann, ob und in welchem Umfang die stattfindende Rodung sich negativ für den Gewässerschutz auswirkt“, so der BUND.

Auch die Corona-Pandemie spricht für einen Rodungs- und Baustopp. Nach Augenzeugenberichten werden die staatlichen Schutzbestimmungen und Abstandregeln von den Polizeikräften nicht eingehalten. Der Polizeieinsatz und seine Begleiterscheinungen sind mit Infektionsschutz nicht vereinbar. Hier missachtet der Staat genau das, was er der Bevölkerung vorschreibt.

Weil das juristische Tauziehen offensichtlich keine praktische Wirkung zeigen darf und auch keinen Sinneswandel bei Al-Wazir und der hessischen Grünen-Spitze auslöst, ist ein Blick auf die Profiteure des Autobahnbaus geboten, deren Interesse hier stärker wiegt als das Interesse der Bevölkerung an intakter Natur oder gesicherter Trinkwasserversorgung. Das Projekt wird in Form einer sogenannten „Öffentlich-Privaten Partnerschaft“ (ÖPP bzw. PPP) abgewickelt und ist ein Prototyp für die Privatisierung von öffentlicher Infrastruktur, die Konzernen und Banken fette Gewinne verspricht.

„Der europäische Bautechnologiekonzern STRABAG SE hat über seine Tochtergesellschaft STRABAG Infrastrukturprojekt GmbH den Zuschlag für ein großes Autobahnprojekt in Öffentlich-Privater-Partnerschaft (ÖPP) in Deutschland erhalten“, so die Siegesmeldung auf der Konzernwebsite strabag.com am 1. September 2020. Neben dem Bau des Teilstücks der A49 zwischen Schwalmstadt und dem künftigen Ohmtal-Dreieck an der Autobahn A5 umfasst das ÖPP-Projekt laut Strabag auch Planung, anteilige Finanzierung, Erhalt und Betrieb eines 62 Kilometer langen Teilstücks zwischen Fritzlar und dem Dreieck. Der ÖPP-Vertrag hat eine Laufzeit von 30 Jahren und endet zum 31. August 2050. Der ehrgeizige Zeitplan sieht vor, dass der Bau im Herbst 2024 abgeschlossen ist. Dies erklärt den Zeitdruck, der sich auch im Vorgehen der Polizeikräfte niederschlägt.

Die Arbeiten wickelt Strabag zusammen mit dem Baukonzern Leonhard Weiss ab. Strabag mit Sitz in Wien gehört zu den ganz großen Baulöwen in Europa. Der deutsche Strabag-Ableger mit Sitz in Köln hält 100 Prozent der Aktien am Stuttgarter Baukonzern Züblin. Strabag-Großaktionäre sind laut Wikipedia „die in Zypern ansässige Rasperia Trading des russischen Oligarchen Oleg Deripaska, die Haselsteiner-Gruppe, die Raiffeisen-Holding-Niederösterreich-Wien-Gruppe und die mit Raiffeisen verflochtene UNIQA Gruppe.“ Haselsteiner ist nebenbei auch größter Anteilseigner der privaten österreichischen Westbahn und gilt als Großspender für die liberale Partei NEOS.

Auftraggeberin für das A49-Projekt ist der Bund, der sich hier durch das Land Hessen und die privatrechtliche Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) vertreten lässt. DEGES-Gesellschafter sind der Bund und mehrere Bundesländer. An der eigens gegründeten Projektgesellschaft A49 sind STRABAG und die global tätige Investmentgesellschaft Meridiam zu je 50 % beteiligt. Für die Fremdfinanzierung der angegebenen Investitionssumme von rund 1,3 Mrd. Euro wurden laut Strabag die deutsche KfW IPEX-Bank, die Europäische Investitionsbank (EIB), die belgische KBC-Bank, die tschechische ČSOB-Bank und die Münchner MEAG GmbH ins Boot geholt. MEAG bündelt nach eigenen Angaben Kapitalanlageaktivitäten der Versicherungskonzerne Munich Re (Münchener Rück) und ERGO.

Solche ÖPP-Projekte haben in Deutschland Tradition. Als Gegenleistung für die Autobahnfinanzierung wurde den Konsortien in der Vergangenheit oftmals längerfristig die erhobene Lkw-Maut zugesichert. Weil der Lkw-Verkehr jedoch in Krisenzeiten auch drastisch einbrechen kann, scheuen die Konzerne offenbar das unternehmerische Risiko und setzen stattdessen auf garantierte üppige Pauschalbeträge im Rahmen eines „Verfügbarkeitsmodells“, die sie in Form einer einmaligen Anschubfinanzierung und eines monatlichen Entgelts beziehen. Die LINKE kritisiert, dass bei solchen PPP-Modellen die öffentliche Hand im Interesse der privaten Vertragspartner draufzahlt. So haben LINKE-Finanzpolitiker im Bundestag und im Hessischen Landtag den Bundeshaushalt genauer angesehen und festgestellt, dass die veranschlagten Kosten für das ÖPP-Projekt A49 binnen eines Jahres von den zunächst veranschlagten 1,1 Milliarden Euro auf rund 1,4 Milliarden Euro hochgeschnellt sind.

Auch der Bundesrechnungshof kritisiert mangelnde Transparenz durch das Bundesverkehrsministerium und vermisst einen Nachweis darüber, ob die Kosten eines PPP-Projekts wie behauptet tatsächlich günstiger seien als bei einer Bauabwicklung in staatlicher Hand. So zeigt sich, dass auch unter grünen Ministern in diesem Staat die Interessen von Mensch und Natur unter die Räder kommen und die vermeintlichen juristischen „Sachzwänge“ nur die privaten Profitinteressen vernebeln sollen. Der bürgerliche Staat ist Erfüllungshilfe dieser Interessen und die prügelnden Polizisten vor Ort nur das letzte und sichtbare Glied in einer langen Kette. Wenn Grünen-Spitzenpolitiker in lukrativen Regierungsämtern angekommen sind, kennen sie nur eine Moral: Posten und Privilegien erhalten. Wenn sie Konflikte wie jetzt um den „Danni“ eiskalt durchziehen und sich in solchen Konflikten als hart und immun gegen den Druck von unten erweisen,  dann winkt ihnen auch nach dem Ausscheiden aus den politischen Spitzenämtern immer ein warmes Plätzchen und lukrativer Posten in Wirtschaft und Lobbyverbänden. Dies zeigen die Laufbahnen von früheren Grünen-Regierungsmitgliedern – Ministern und Staatssekretären wie Joschka Fischer, Rezzo Schlauch, Margareta Wolf, Matthias Berninger – die hinterher hochdotierte Lobbyisten für namhafte Kapitalgruppen wurden.

Statt undurchsichtiger Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur und üppigem Geldzufluss aus unseren Steuergeldern an private Konzerne und Banken brauchen wir eine Enteignung der großen Baufirmen, Banken und Versicherungskonzerne und Verstaatlichung unter Belegschaftskontrolle. Statt umweltzerstörender Autobahnprojekte brauchen wir ihre Ressourcen für die Verkehrswende, also vor allem für Sanierung und Ausbau der sträflichst vernachlässigten Schienenwege der Deutschen Bahn, für neue Bahntrassen und die Reaktivierung stillgelegter Strecken. Wir brauchen eine Offensive für sozialen Wohnungsbau und andere öffentliche Einrichtungen im Interesse der Bevölkerung.

  • Rodungs- und Baustopp sofort! Verkehrswende jetzt!
  • Schluss mit der Geheimdiplomatie um das PPP-Projekt A49! Lückenlose Veröffentlichung aller Verträge!
  • Baukonzerne, Banken und Versicherungen enteignen und unter Belegschaftskontrolle stellen!

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