Kategorie: Theorie

Gibt es die Arbeiterklasse noch?

Ein Wesensmerkmal des Kapitalismus liegt im Zwang nach einer permanenten Revolutionierung der Produktion. Diese Erkenntnis ist nicht neu: "Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeois-Epoche vor allen früheren aus." (Marx, Engels, Das Kommunistische Manifest)


 

Diese Umwälzung der Produktionssysteme geht an der Arbeiterklasse natürlich nicht spurlos vorüber. Die Zusammensetzung der Arbeiterklasse ist dadurch einer permanenten Veränderung unterworfen, und das wirkt sich wiederum auf das Bewußtsein der Klasse aus. Meist haben diese Veränderungen den Effekt, die Arbeiterbewegung, und allen voran ihre Führungsspitzen, zu desorientieren. Die Entwicklung des Klassenbewußtseins ist somit alles andere als ein linearer Prozeß. Es gibt immer wieder Rückschläge und Brüche nach schweren Niederlagen. Ältere Generationen ziehen sich aus Frustration über die nicht in Erfüllung gegangenen Hoffnungen wieder ins Privatleben zurück. Kernbereiche der Arbeiterbewegung zerbröseln im Zuge von wirtschaftlichen Umstrukturierungen. Die passive, sozialpartnerschaftliche Haltung der Gewerkschaftsführer verstärkt diese Entwicklung noch. Gleichzeitig entstehen aber auch in neuen Branchen neue Teile der Arbeiterklasse, die selbst Erfahrungen mit den kapitalistischen Produktionsbedingungen machen und Schritt für Schritt ein kollektives Bewußtsein entwickeln. Dieser Prozeß kann durchaus auch sehr schnell vor sich gehen und bestimmte Stufen überspringen. Ein wichtiger Faktor in diesem Zusammenhang sind natürlich die vorhandenen Organisationen und die handelnden Personen. Das Kapital ist also gezwungen, die Produktion zu revolutionieren. Dabei gibt es aber einen Faktor, ohne den diese kapitalistische Produktion nicht möglich wäre - die Lohnarbeit. Denn die menschliche Arbeitskraft ist die einzige Quelle von Mehrwert und somit in weiterer Folge von Profit.

 

Es werden immer mehr

 

Vom Ende der Klasse der Lohnabhängigen kann also keine Rede sein. Die Zahlen allein sprechen schon für sich. Weltweit nimmt die Zahl derer, die für einen Lohn arbeiten müssen, um überleben zu können, zu. MarxistInnen verstehen unter "Arbeiterklasse" nicht nur die IndustriearbeiterInnen, die mit schwieligen Händen und schmutzigem, verschwitztem, blauem Overall am Fließband oder am Hochofen stehen. Mehrwert wird nicht nur produziert, sondern muß auch am Markt realisiert werden (sonst würde man nur für die eigenen Lagerhallen produzieren). Marketing, Transport, Kommunikation, Service etc. sind feste Bestandteile des Zirkulationsprozesses des Kapitals. Die Beschäftigten dieser Branchen können sinnvollerweise nicht dem Industrieproletariat gegenübergestellt werden. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass ein Gutteil des Wachtsums der Dienstleistungsbranche nur ein statistischer "Erfolg" ist. Durch die "Verschlankung" der Betriebe wurden viele Abteilungen (Putzkolonnen, Webdesign, Wartungsarbeiten, Kantine,...) zu ausgelagerten Niedriglohndienstleistungsbetrieben. Auch die industrielle Leiharbeiterin wird zur statistischen Dienstleisterin und damit zum Subjekt der postmodernen "Ende der Arbeiterklasse - TheoretikerInnen".

 

Wer gehört zur Arbeiterklasse?

 

Zur Arbeiterklasse gehören für uns all jene, die vom Verkauf der Arbeitskraft zur Sicherstellung ihrer Reproduktion abhängig sind. Doch selbst wenn wir nur diese traditionellen Kernschichten der Arbeiterklasse in der Industrie hernehmen, dann stieg selbst in den OECD-Staaten, also den entwickelten Industrieländern, in denen allesamt gewaltige Restrukturierungsprozesse vor sich gehen, die Zahl der IndustriearbeiterInnen von 112 Millionen (im Jahre 1973) auf 113 Millionen (im Jahre 1995). In den sogenannten Entwicklungsländern ist der Anstieg noch viel bemerkenswerter. Machte die Industriearbeiterschaft dort 1980 noch 285 Millionen aus, so zählte sie 1995 bereits 407 Millionen! (Quelle: www.labornotes.org)

 

Neue Branchen

 

In Ländern wie Deutschland wurden in der Industrie zwar Tausende Jobs vernichtet, dafür entstanden im Dienstleistungsbereich neue Unternehmen (z.B. Call Center), wo eine neue Arbeiterklasse vor unseren Augen entsteht, die unter extrem flexiblen, prekären, atypischen Beschäftigungsverhältnissen (befristete Arbeits- oder Werkverträge, Scheinselbständigkeit,.. meist ohne soziale Absicherung) ausgebeutet wird. Nicht unerwähnt soll an dieser Stelle die Verantwortung der Gewerkschaftsbürokratie bleiben. Diese steht in wichtigen Teilen hinter dem Konzept des Standortwettbewerbs und der Notwendigkeit von Restrukturierungen, Entlassungen und Sozialabbau zur Aufrechterhaltung der "nationalen Wettbewerbsfähigkeit". Dadurch öffnet sie erst der Ausdehnung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen Tür und Tor - und untergräbt sich so nebenbei noch die eigene Basis. Mittlerweile gibt es de facto keine "geschützten Bereiche" in der Wirtschaft mehr. Alle nur erdenklichen Gruppen der Arbeiterklasse - auch die sogenannten Kernbelegschaften in den Großunternehmen - sind heute mit massiven Angriffen konfrontiert. Von einem grundlegenden Interessensgegensatz zwischen den "weißen, männlichen Facharbeitern" in Europa und in den USA und den marginalisierten, farbigen, weiblichen Arbeitskräften in den Ländern der Peripherie zu sprechen, entbehrt jeglicher Grundlage. Es wäre aber ein großer Fehler, diese Veränderungen im kapitalistischen Produktionssystem als "Revolution" zu feiern. Vielmehr sind wir Zeugen, wie das Kapital versucht auf dem Rücken der Arbeiterklasse aus einer krisenhaften Entwicklung auszubrechen. Die hohen Wachstumsraten der Vergangenheit sind heute nicht mehr verwirklichbar. Das Kapital versucht trotzdem, die eigenen Profitraten möglichst hoch zu halten. Man kürzt, wo es nur geht: bei der Zahl der Beschäftigten, den Löhnen, den Sozialleistungen, den Beschäftigungsverhältnissen, den Pausen. Ausgedehnt werden nur die Arbeitszeiten und die Arbeitshetze.

 

Wissensgesellschaft?

 

Bei Zustandsbeschreibungen der gegenwärtigen kapitalistischen Ökonomie fallen dann immer Worte wie "immaterielle Arbeit" oder "Wissensgesellschaft". Der zentrale Bereich der Wirtschaft sei nunmehr die Kommunikation, die Verbreitung von Wissen. Die Hauptakteure wären die Beschäftigten in der Informationstechnologiebranche. Diese Entwicklung biete neue Orte der "Befreiung", in denen "Menschen aufhören nur noch ein Anhängsel einer Maschine zu sein". In Wirklichkeit sind die Mechanismen, nach denen diese Bereiche der Wirtschaft reguliert werden, nicht neu. Die Beschäftigten im IT-Sektor sind genauso gezwungen, ihre Arbeitskraft an einen (oder mehrere) Unternehmer zu verkaufen. Ob sie nun teilweise zu Hause vor dem eigenen Bildschirm arbeiten oder im Büro des Unternehmens, ändert nichts an dieser Tatsache. Durch alle nur erdenklichen Formen von prekären Arbeitsverhältnissen sind sie oft einer Überausbeutung ausgesetzt. Soziale Absicherung ist für viele von ihnen ein absolutes Fremdwort. Die extreme Ausformung der Ausbeutung wiegt bei den meisten dieser Beschäftigten auch viel stärker als das angebliche Freiheitsgefühl in dieser Branche. Wenn es kriselt, der Absatz an PCs, an Handys oder an sonstigen Produkten zurückgeht, dann reagieren die Bosse der "new economy" genauso wie die alten Industriellen in der Auto- oder Stahlproduktion mit der Vernichtung von Jobs. Die großen Technologieunternehmen machen es angesichts der Konjunkturschwäche in den USA gerade vor.

 

Neue Probleme

 

Natürlich steht die Arbeiterbewegung angesichts der neuen Arbeitsorganisation vor neuen Problemen - vor allem was die Organisierung und die Mobilisierung der ArbeiterInnen anbelangt. Der grundlegende Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital wird dadurch aber nicht aufgelöst. Ganz im Gegenteil. Mit der steigenden Ausbeutung und der Ausbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse stehen wir vor neuen sozialen Explosionen, in denen diese neuen Schichten der Arbeiterklasse eine zentrale Rolle einnehmen werden. Ein gutes Beispiel bietet der oben bereits angeführte Streik bei Verizon Communications in den USA, wo 87.200 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt und so den US-Telekomriesen zu Verhandlungen mit den Gewerkschaften gezwungen haben. Verizon ist das Produkt einer Fusion zwischen Bell Atlantic Corporation und GTE. Die Fusion hätte, so der Plan, von einem massiven Personalabbau und Lohnkürzungen begleitet werden sollen. Dies wurde durch den Arbeitskampf, der je nach Filiale 15 bis 18 Tage andauerte, verhindert. Das Ergebnis des Streiks kann sich blicken lassen: Lohnerhöhungen von 12% in 3 Jahren, Erhöhung des Personalstandes um 14%, Einschränkungen bei den Überstunden und Zugeständnisse seitens des Unternehmens bei den Gewerkschaftsrechten. So können nun bei Verizon Wireless, der größten Handyfirma in den USA, gewerkschaftliche Organisationen aufgebaut werden. Die Organisierung der Arbeiterklasse ist immer mit einer ganzen Reihe von Hindernissen konfrontiert: die Repression durch die Unternehmer, Niederlagen in der Vergangenheit, die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie. Wir stehen bestenfalls am Beginn einer Wiederbelebung der Arbeiterbewegung, die in den letzten 20 Jahren unter dem Druck des Kapitals und im Zuge des Zusammenbruchs des Stalinismus einen unbeschreiblichen Rechtsruck durchgemacht hat. Insbesondere die Kommunistischen Parteien, die lange vorher schon zu völlig reformistischen Organisationen mutiert waren, haben sich von diesem historischen Schlag bis heute nicht erholt. Die Ideen des Marxismus wurden durch die Entwicklungen in Rußland und Osteuropa völlig diskreditiert. Es schien, als hätte sich der Kapitalismus als einzig denkbares Gesellschaftsmodell durchgesetzt. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften sind vor dieser bürgerlichen Gegenoffensive ohne Ausnahme in die Knie gegangen und wurden zu einzigartigen Vollzugsgehilfen des Kapitals - egal, ob in Fragen des Sozialabbaus, imperialistischer Außenpolitik oder der Einführung rassistischer Gesetze.

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