Kategorie: Theorie

Editorial Theoriemagazin Nr. 3: Was würde Karl Marx Denken?

In der ersten Ausgabe des neu aufgelegten Magazins „In Verteidigung des Marxismus“ haben wir uns mit den Fragen der marxistischen Philosophie beschäftigt, während die zweite Nummer den historischen Materialismus behandelte. In der vorliegenden Ausgabe kommen wir nun zum dritten Teil der von Lenin bezeichneten „Quellen und Bestandteile des Marxismus“ – namentlich der Ökonomie.

Bild: der funke


Im Schwerpunktartikel „Die österreichische Schule der Nationalökonomie: Kapitalistischen Fanatiker des freien Marktes“ polemisiert Adam Booth gegen eine der wichtigsten Bestandteile der bürgerlichen Wirtschaftstheorie, gegen das Dogma der freien Marktwirtschaft und insbesondere gegen den Mann, der wohl ihr zentraler Impulsgeber und Guru war – Friedrich Hayek.

Das kommunistische Manifest von 1848 hatte bereits auf die großen Fortschritte hingewiesen, die der Kapitalismus in seiner Blütezeit ermöglichte. Aber es erklärte auch die ihm innewohnenden und unlösbaren Widersprüche, welche in regelmäßigen Abständen durch Krisen zu Tage befördert werden, die das System in seinen Grundfesten erschüttern.

Die Fanatiker des freien Marktes wie Hayek führen diese Krise auf subjektive Faktoren zurück: Die Verantwortungslosigkeit der Anleger, die Stumpfsinnigkeit der Zentralbanker und die lästigen Aktivitäten der Finanzaufsichtsbehörden, die sich fortwährend in den freien Markt einmischen, anstatt ihm zu erlauben, seine Magie ganz ohne staatliche Hilfe zu entfalten.

Heutzutage lässt sich keine klardenkende Person mehr von diesen sogenannten „Theorien“ überzeugen. Angesichts der drohenden Katastrophe ist die herrschende Klasse gezwungen, alle anerkannten Wirtschaftstheorien über Bord zu werfen. Derselbe Staat, der nach der Lehre des freien Marktes im Wirtschaftsleben keine oder nur eine geringe Rolle spielen sollte, ist heute der einzige Stützpfeiler des kapitalistischen Systems.

Bereits 2009 gab der gefeierte Ökonom Paul Krugman zu, dass die meisten makroökonomischen Theorien in den letzten 30 Jahren „im besten Fall spektakulär nutzlos und schlimmstenfalls gar schädlich“ gewesen seien. Das wäre eine passende Grabinschrift für die bürgerliche Ökonomie im Allgemeinen und den „freie Marktwirtschaft“-Unsinn von Reaktionären wie Hayek im Besonderen.

Was würde Marx denken?

Bei der Vorbereitung für dieses Editorial stieß ich zufällig auf einen Artikel, der am 27. Juni 2013 in der Businessweek veröffentlicht wurde mit dem faszinierenden Titel: „What would Karl Marx think?“ (Was würde Karl Marx denken?).

Der Artikel begann mit einer nostalgischen Schilderung der guten, alten Zeit, als sich die Weltwirtschaft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall der Berliner Mauer in den späten 1980ern öffnete.

Wir MarxistInnen hielten daran fest, dass die großen Hindernisse für die Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus: 1) das Privateigentum und 2) der Nationalstaat sind. Aber zumindest vorübergehend war es den KapitalistInnen gelungen, das zweite Hindernis durch eine beispiellose Ausweitung des Welthandels zu überwinden.

Die Integration Chinas, Indiens und anderer Länder in die Weltwirtschaft gab der sogenannten „Globalisierung“ neuerlichen Auftrieb. Dieses Wort diente dazu, die Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung zu beschreiben, die von einer rasanten Verflechtung von Kapital, Technologie, Menschen und Informationen über Ländergrenzen hinweg begleitet war.

Dieses Phänomen wurde schon von Marx und Engels in den Seiten des Kommunistischen Manifests vorausgesagt. Es war der Hauptmotor für das schnelle Wachstum der Weltwirtschaft und erlaubte es dem Kapitalismus, über mehrere Jahrzehnte hinweg ein gewisses Gleichgewicht herzustellen.

Zu der Zeit, als der Artikel in der Businessweek erschien, hatte sich der Welthandel im Vergleich zu den 1990er verdreifacht, was den zunehmend freien Verkehr von Waren, Geld, Personen und Ideen widerspiegelte. Damals schien alles im kapitalistischen Garten rosig zu sein. Francis Fukuyama verkündete triumphierend das Ende der Geschichte.

Die Kapitalistenklasse und ihre VerteidigerInnen waren von einem neu gewonnenen Selbstvertrauen gestärkt. Endlich war das Gespenst des Kommunismus ausgetrieben - so dachten sie zumindest.

Doch hinter dieser Euphorie konnte man bereits dunkle Wolken aufziehen sehen. Trotz allem gab derselbe Artikel in besorgtem Tonfall zu: „Aber dennoch bleibt Marx außerordentlich relevant.“ Und er fuhr fort, indem er den Grund dafür erklärte:

„Grundlegendere, umfassendere, längerfristigere Ursachenforschung spiegelt Marx’ Perspektive wider, dass Kapitalismus und Instabilität zwei Seiten derselben Medaille sind.“

Der Artikel fügte weiter hinzu:

„Das Argument von Marx, welches weltweit Anhänger findet, ist, dass der Kapitalismus eine innewohnende Tendenz zur ungerechten und ungesunden Verteilung von Vermögen und Einkommen hat.“

Der Artikel zitierte sogar das Kapital, in dem Marx schreibt:

„Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend […] auf dem Gegenpol…“

Diese Worte, die vor über 150 Jahren geschriebenen wurden, sind eine sehr genaue Beschreibung der Welt, in der wir heute leben.

Eine zersplitterte Welt

Es ist kaum notwendig, sich hier zu den wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Krise zu äußern. Wir haben uns in vielen Artikeln und Dokumenten mehrfach damit beschäftigt.

Entgegen der weitverbreiteten Meinung hat die Pandemie die gegenwärtige Krise nicht verursacht. Sie hat lediglich dazu gedient, die bereits bestehenden Widersprüche zuzuspitzen. Schon vor der Pandemie steckte die Globalisierung, also das offene Handelssystem, das die Weltwirtschaft jahrzehntelang dominiert hatte, in der Krise. Die rasante Ausweitung des Welthandels führte zu einem immer komplexer werdenden Netz von Lieferketten. Sehr niedrige Transportkosten ermöglichten es, Waren, die beispielsweise in China hergestellt worden sind, in Indien zu montieren, in Deutschland zu verpacken und in Kanada zu verkaufen.

Doch gerade die Komplexität dieser Handels- und Liefernetzwerke war die Achillesferse der Globalisierung. Es benötigte so nicht viel Kraftaufwand von Seiten Donald Trumps, um dieses wackelige Gebäude zu erschüttern. Seine „America First“-Politik und die daraus folgenden Handelskriege waren der klarste Ausdruck dafür.

Paradoxerweise war die gegenwärtige instabile Erholung weit davon ent-fernt, irgendetwas zu lösen, sondern hat im Gegenteil all diese Bruchlinien schonungslos offengelegt. Riesige Konjunkturpakete in der Höhe von zwanzig Billionen Dollar haben gemeinsam mit dramatischen, globalen Umschichtungen beim Konsum und der Entfesselung einer Flut von aufgestauter Nachfrage zusammen dazu geführt, dass die Produktionskapazitäten und Lieferketten vollständig überlastet sind.

Das drückte sich in der plötzlichen Entstehung von Engpässen aller Art aus. Arbeitskräftemangel und die Unterbrechung von Lieferketten haben wiederum Lieferanten daran gehindert, ihre Kunden zu erreichen, was zu Chaos auf den Märkten und steigenden Preisen führte. Vor überlasteten Häfen bildeten sich lange Schlangen von Frachtschiffen, die ihre Waren nicht entladen konnten, da die Lagerhallen bis zur Decke hin mit Frachtgütern vollgestopft waren, die wegen des Mangels an LKW-FahrerInnen nicht abgeholt werden konnten.

Überall wuchert die Inflation, was den sozialen Unmut vertieft, den Lebensstandard zusammenbrechen lässt und die geopolitische Instabilität ausweitet. Zudem wächst das Schreckgespenst des wirtschaftlichen Nationalismus immer stärker, da jede Nation versucht, die Krisenlast auf die Schultern ihrer Nachbarländer abzuladen.

Zuletzt haben sich Frankreich und Großbritannien über Fischereirechte und die Verteilung von Flüchtlingen gezankt, während das gesamte, brüchige Gleichgewicht, das die Situation nach dem Brexit vorübergehend erreicht hat, durch die festgefahrenen Verhandlungen bezüglich Nordirland bedroht ist. Vertreter der Europäischen Union sprechen von „strategischer Autonomie“ und schaffen einen Fonds zum Kauf von Unternehmensbeteiligungen; die Vereinigten Staaten drängen die Unternehmen, im eigenen Land Fabriken zu bauen; der Handelskrieg zwischen den USA und China bedroht weiterhin die Erholung des Welthandels und verschiedenste Nationen drohen mit Strafzöllen. Noch nie ist die Anarchie des Kapitalismus auf so direkte Weise offengelegt worden.

Kapitalismus und die Pandemie

Gerade als sich die westlichen Politiker zum Erfolg ihrer Impfkampagnen gratulierten, sorgte die Nachrichten über eine neue und noch gefährlichere Virusvariante in Südafrika sofort für eine Panik an den Börsen. Dies zeigt unmittelbar das Versagen des sogenannten freien Markts bei der Lösung der schwerwiegendsten Probleme der Menschheit auf. Die großen Pharmakonzerne machen obszöne Profite, während Millionen armer Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika mangels einer grundlegender Gesundheitsversorgung einen schrecklichen Tod sterben müssen.

Eine dauerhafte Lösung für die Pandemie kann nur durch einen miteinander abgestimmten internationalen Plan erreicht werden, der das gesamte materielle, technische und wissenschaftliche Potential der Welt mobilisiert, um diese Krankheit in ausnahmslos jedem Land auszurotten. Ein System, das ausschließlich auf Gier, Unterdrückung und Ausbeutung beruht, kann niemals eine derartige Lösung bieten. Die kurzsichtigen Interessen der Kapitalistenklasse jeder Nation drücken sich durch den wirtschaftlichen Nationalismus sowie die Stärkung der Außengrenzen aus, die Millionen verzweifelte Männer, Frauen und Kinder ausschließen, die vor Kriegen, Krankheit und Armut fliehen. Die Losung der Kapitalisten lautet: „Jeder für sich selbst und den Letzten holt der Teufel.“

Aber Viren kennen keine Grenzen. Und indem die Kapitalisten arme Länder ihrem Schicksal überließen, haben sie dem Auftreten neuer und immer tödlicherer Mutationen, die sich schließlich als resistent gegen jeden Impfstoff erweisen könnten, den Boden bereitet. Früher oder später werden diese neuen Mutationen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern Chaos verursachen und keine Gesetze, Verbote und Grenzkontrollen werden ausreichen, um dies zu verhindern.

Nach zwei Jahren weltweit andauerndem Leid und Tod wird die Öffentlichkeit immer unruhiger und misstrauischer gegenüber den Herrschenden. Ihr Krisenmanagement hat versagt, was das Leben und die Existenz der Menschen bedroht. Der Versuch korrupter und inkompetenter Regierungen, die Ausbreitung des Virus mit drakonischen Maßnahmen zu bekämpfen, hat auf den Straßen von Rotterdam und Wien heftige Proteste ausgelöst. Und das ist erst der Anfang.

Aber lasst uns nun zum Ausgangspunkt zurückkehren. Am Ende des Businessweek-Artikels beeilt sich der Autor (vermutlich, weil er merkt, dass er mit seiner Lobpreisung von Marx ein wenig zu weit gegangen ist), die flatternden Nerven seiner LeserInnen zu beruhigen. Nachdem er ihnen beim Lesen schwer verdauliche Kost vorgesetzt hat, versucht er nun, sie ein wenig zu beruhigen.

Er versichert seiner Leserschaft: „Marx, der revolutionäre Prophet ist tot. Marx, der messerscharfe Analyst lebt weiter.“ Und er fügt den tröstlichen Gedanken hinzu, dass der „Zusammenbruch des Kapitalismus nichts Unvermeidliches ist“. Und bei dieser Frage irrt er sich nicht - so viel müssen wir zugestehen. Lenin erklärte bereits vor langer Zeit, dass es so etwas wie eine letzte Krise des Kapitalismus nicht gibt. Die gesamte Geschichte zeigt, dass sich das kapitalistische System selbst von der tiefsten Krise immer erholen wird.

Der Kapitalismus kann und wird weitertaumeln, bis er von der bewussten revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse gestürzt wird. Doch hier müssen wir eine Warnung anschließen. Das kapitalistische System hat seine fortschrittliche Rolle, die er einmal besaß, längst ausgeschöpft. Es zeigt nun all die furchtbaren Züge eins altersschwachen Geschöpfs, das jeden Grund zum Leben verloren hat, sich aber hartnäckig weigert abzutreten. So kann die Zukunft, die der Kapitalismus den Menschen bieten kann, nur eine von nie enden wollendem Elend, Leid, Krankheit, Kriegen und Tod sein. Es genügt, die Fernsehnachrichten einzuschalten, um den Beweis für diese Behauptung zu sehen.

Aber das ist nicht alles. Marx sagte einmal, dass die Wahl, vor der die Menschheit steht, Sozialismus oder Barbarei sei. Die Grundbestandteile der Barbarei sind bereits vorhanden und bedrohen die Existenz der Zivilisation. Doch jetzt können wir zu Recht sagen, dass der Fortbestand des Kapitalismus eine weitaus größere Bedrohung darstellt, und zwar für die Existenz der Menschheit selbst.

Die erbärmliche Farce der UN-Klimakonferenz (COP 26) in Glasgow war ein Eingeständnis, dass die Kapitalistenklasse nicht in der Lage ist, die existenzielle Bedrohung, die über unserem Planeten schwebt, abzuwenden. Sie kann die Klimafrage nicht lösen, weil das Problem der Kapitalismus selbst ist.

Sprechen wir es offen aus: Damit die Menschheit leben kann, muss das kapitalistische System sterben. Das ist die dringendste Aufgabe, vor der wir stehen. Es ist die Pflicht der MarxistInnen, das unbewusste oder halbbewusste Streben der Arbeiterklasse, die Gesellschaft zu verändern, bewusst zu machen.

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