Kategorie: Wirtschaft

Des Spekulanten neuste Mode: NFTs

Das Internet ist ein potentiell mächtiges Mittel zur Befreiung von Informationen. NFTs sind die neuste Blüte des Gegenteils: das Internet als Instrument der Durchkommerzialisierung und warenförmigen Zurichtung von Informationen auf einem beispiellosen Niveau.

Bild: derfunke.at


Als 2008 das Vertrauen in das bestehende Geldsystem wie in jeder Krise wieder heftig erschüttert wurde, hatte die Informationstechnologie einen Entwicklungsstand erreicht, der den Versuch ermöglichte, ein neuartiges, dezentrales Geldsystem zu entwickeln. Kryptowährungen, allen voran Bitcoin, sollten das Ende des alten Finanzsystems im Allgemeinen und der Banken im Besonderen einläuten. Der Versuch ist gescheitert. Bitcoin ist heutzutage ein reines Spekulationsinstrument. Aber die dahintersteckende Technologie, die sogenannte Blockchain, hat sich seitdem beträchtlich weiterentwickelt.

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„Die Blockchain“ (es gibt sehr viele verschiedene davon, was hier aber keine Rolle spielt) kann man sich als gewaltige, dezentralisierte, über viele Computer verteilte Datenbank vorstellen, in der sich beliebige Informationen abspeichern lassen. Eine spezifische Form einer auf der Blockchain untergebrachten Information heißt NFT. Das steht für „non-fungible token“ und bedeutet „nicht austauschbares Zeichen“. Diese Bezeichnung dient zur Abgrenzung vom ursprünglichen Zweck der Blockchain, nämlich Geldbeträge in einer Kryptowährung abzuspeichern. Geldeinheiten sind austauschbar und teilbar. NFTs sind wie physische Gegenstände (insbesondere Kunstwerke) einmalig und eindeutig identifizierbar. Sie können deshalb als digitale Form des Eigentums an Sachen eingesetzt werden.

Diese Sachen können rein digitale Daten sein, wie wenn NFTs von skurrilen Affenbildchen verkauft werden, oder auch Repräsentationen real existierender Gegenstände, wie wenn das Belvedere ein reales Klimt-Gemälde in 10.000 NFTs aufteilt und diese einzeln verkauft. Die Bezeichnung der NFTs führt also in die Irre: Sie sind sehr wohl austauschbar – nämlich gegen Geld.

Im Laufe des Jahres 2021 entwickelte sich ein gewaltiger Hype rund um NFTs, nachdem das Kunstwerk „Everydays – The First 5000 Days“ des US-Grafikers Mike Winkelmann alias Beeple beim Auktionshaus Christie’s für die gewaltige Summe von 58 Millionen Euro versteigert worden war. Wie schon beim ersten Blockchain-Hype um Bitcoin geht auch bei den NFTs die Anziehungskraft ausschließlich von einer Sache aus: Man kann damit extrem viel Geld machen – oder bildet sich das zumindest ein.

Praktisch alle bekannten Meme-Formate wurden in den letzten Jahren als NFTs von Privatpersonen in Besitz genommen. Der Anbieter „Color Museum“ (unter der URL color.museum) verkauft das geistige Eigentum an einzelnen Farbtönen als NFT. Aus der Gaming-Industrie heißt es, zukünftig würden Gegenstände in Computerspielen als NFTs angeboten. Beim Reseller StockX kann man Schuhe und Kleider kaufen, aber zusätzlich dazu auch den Eigentumstitel als NFT, sodass man sie weiterverkaufen kann, ohne sie je besessen zu haben. Nike unterstellt, NFTs mit der Bezeichnung „Nike“ anzubieten, sei eine Urheberrechtsverletzung und verklagt daher StockX. Unterdessen arbeitet Nike selbst daran, Schuh-NFTs für Metaverse-Figuren zu entwickeln.

Der Prozess geht dahin, alles Denkbare und Undenkbare in ein Wertpapier zu verwandeln. Warum kauft man sich „Sammelbilder“ von hässlichen Affen für hunderttausend Dollar? Weil man hofft, dass man es irgendwann weiterverkaufen kann wie eine seltene Briefmarke. Was ist die Folge, wenn Game-Items als NFT herauskommen? Eine Schicht von Schiebern und Spekulanten schiebt sich zwischen Entwickler und Konsumenten. Warum lässt man sich einen Farbton patentieren? Weil man hofft, von Verkäufern der hässlichen Affenbilder Lizenzgebühren abzukassieren, wenn in dem Bild der betreffende Farbton vorkommt – oder den Anspruch auf diese Gebühren weiterverkaufen zu können. Farben und Bilder, ein elementarer Bestandteil der sinnlichen Wahrnehmung aller Menschen, eines der allerwichtigsten Elemente unseres Bewusstseins, sollen behandelt werden wie Aktien mit Dividenden.

Rebellion und Konterrebellion in der Informationstechnologie

Als das Internet in den ersten Jahren unseres Jahrtausends zu einem festen Bestandteil des Alltagslebens wurde, schien die Stunde des geistigen Eigentums, des Urheberrechts, geschlagen zu haben. Filme, Musik, Bücher, Software und dergleichen ließen sich plötzlich vervielfältigen und nahezu kostenlos übermitteln. Die geistige Eigentümerin, die Bourgeoisie, reagierte mit hysterischer Panik, indem sie die „Piraterie“ mit gigantischen Geldstrafen verfolgen ließ und kurzzeitig sogar Schweden mit Sanktionen bedrohte, weil dort Filesharing weniger streng geahndet wurde. Und doch wurde die „Piraterie“ zu einem Massenphänomen.

Ihre ideologische Widerspiegelung fand diese Situation im Hackermilieu durch die Entstehung verschiedener krypto-anarchistischer Ideologien, deren gemeinsamer Nenner der Satz war: Information will frei sein. In verwirrter Form verstanden die Nerds, die die Filesharing-Infrastruktur aufbauten, dass die Entwicklung der Produktivkräfte (das Internet) das Potential hatte, einen alten juristischen Rahmen (das Urheberrecht) zu sprengen. Das Internet sollte jede Beschränkung aufheben, die das geistige Eigentum bislang dem freien Zugang zu Information in den Weg gestellt hatte. Open-Source-Entwicklung sollte eine von Patenten gegängelte Gesellschaft befreien. Wikipedia ist ein Monument dieser längst verflogenen Aufbruchsstimmung.

Jetzt finden wir eine völlig veränderte Situation vor, eine Konterrevolution in der Informationstechnologie. Das gleiche kleinbürgerliche Nerd-Jugend-Gamer-Milieu, das früher die Avantgarde eines gesamtgesellschaftlichen zivilen Ungehorsams gegen das Urheberrecht bildete, tritt jetzt auf Seiten der Bourgeoisie für die Kommerzialisierung sämtlicher Lebensbereiche ein und errichtet eine NFT-Investoren-Szene voller wahnhafter junger Männer, die glauben, mit NFTs reich werden zu können, oder damit die Welt zu verändern, oder am besten beides.

Der Hype um NFTs ist nur ein Teil der allgemeinen Tendenz des Kapitalismus, in seinem Zerfall die Realität zu verleugnen. Wer mit NFTs spekuliert, zahlt für das bloße Versprechen, in der Zukunft werde bestimmt jemand noch mehr dafür ausgeben wollen als er selbst. Letztendlich handelt es sich um ein Nebenprodukt der Krisenbekämpfungspolitik der Bourgeoisie seit 2008. Die ständige Flutung der Finanzmärkte mit frischem Geld der Zentralbanken hat zur Entstehung immer neuer und zunehmend absurderen Spekulationsblasen geführt. Es hat dazu geführt, dass jeder, der über eine zweistellige Summe verfügt, auf den Aktienmärkten, oder in Kryptowährungen, oder jetzt eben auch in NFTs investieren und sich einbilden kann, damit reich zu werden und dem allgemeinen Niedergang, der Inflation, den Klassenkämpfen zu entkommen.

Es ist das alte Lügenmärchen der Bourgeoisie, dass jeder es „zu etwas bringen“ kann, das sich als Farce wiederholt. Der NFT-Hype ist nur eine weitere Illustration für den parasitären Charakter des Kapitalismus und für die schreiende Notwendigkeit, ihn zu stürzen. Wie jede Spekulationsblase wird sie irgendwann platzen – einige werden zuvor reich geworden sein, viele werden ärmer als je zuvor auf hartem Boden aufschlagen.

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